Die Alten haben einfach keinen Anstand mehr…

In der Samstagnacht hatte ich das Vergnügen, nach einem wunderhübschen Abend bei Freunden, den sogenannten «Kotzexpress», das späte Postauto von St. Gallen nach Heiden zu besteigen. Die Mädchen waren auch mit dabei, und eines schlief gleich ein, das andere nicht. Mit dabei waren auch zwei kräftige Männer einer Security-Truppe, die «Black Berets» der Ostschweizer Öffis. Ganz hinten lagerte der Grund für ihre Präsenz: Die Landjugend auf abgebrochenem Großstadt Besuch, wo sie ein Scheffel Betäubung und Testosteron-Kicks zu finden hoffte, und hoffentlich auch gefunden hat.
Sie verhielten sich äußerst manierlich, zugedröhnt, wie die meisten waren. Aber wer bin ich, der da meckern dürfte? Ich schätze mal, die Manierlichkeit war zu einem gut Teil den breiten Kreuzen der «Black Berets» geschuldet, aber vielleicht auch nicht.

Es wurde eine geruhsame Fahrt. Keines der Mädchen kotzte, auch nicht als der Fahrer sich anschickte den Bergpreis einzuheimsen, wobei wiederum nicht klar war, ob dieses Nicht-Kotzen nur dem Schlaf geschuldet war. Es gab also einige offene Fragen, die mich nicht weiterhin quälten, aber dafür eine andere, die in einem losen Zusammenhang mit diesen stehen.

Heute, an meinem letzten halben Urlaubstag machten wir uns auf den Weg ins Heidener Schwimmbad, und fanden es beinahe leer vor. Freude!
Das Schwimmbecken war geradezu verwaist, und dort wo sonst die Oldies treiben wie vollgesogene Baumstämme denen man Frisuren aufgepappt hat, war nur Wasser und nochmal Wasser, blau, blau und flickernde Lichtflecken, wie ein Bild von David Hockney, allerdings ohne die um den Pool lagernden Narzisse der schwulen Haute Volée, aber ich war da, ich, der Mann der willens war, seine Bahnen zu ziehen, und zu diesem Behufe kurzen Prozess machte, reinhechtete, und aus dem Hockney gleich einen Brughel «der Ältere» machte.

Ich zog meine Bahnen. Und noch mehr Bahnen. Immer noch alleine.
Und dann geschah es. Ein Oldie kroch zu mir ins Becken, ein Mann der sich in der bewährten vollgesogenen Baustammart fort bewegte, d.h. er machte Schwimmbewegungen, während sein Körper senkrecht im Wasser schwebte. Und wo machte er das? Genau. Auf meiner Bahn.

Falsch, es war nicht meine Bahn. Sie gehörte der Stadt Heiden, aber ich hatte durch meinen Eintritt ein Anrecht auf sie erworben. Er ebenfalls. Und seine Wahl fiel auf meine Bahn. Nun gut, sowas ist nicht illegal, nur, so muss ich gestehen, fehlt mir für so eine Handlungsweise jedes Verständnis. Und ich meine mit Verständnis: Verstehen können.

Aber ich will jetzt nicht die Möglichkeiten checken, die so ein Verhalten bergen könnte, es reicht von kompletter Stupidität bis mörderische Aggression, und wie so oft, kann man die Gründe in der Mitte finden. Vielleicht war der Gute ja der Ansicht, dass ein arbeitsfähiges Exemplar wie ich, doch im Stollen seine Rente zu schürfen hätte, anstatt sich um Kinder und Fitness zu bemühen.

Jedenfalls, er grüßte artig während ich wendete, und ihn dabei beinahe berührte. Freundlich sind sie, die Schweizis, auch wenn sie jeden Anstand fahren lassen. Jawohl, Anstand. Damit hat es zu tun. Mit simplen Anstand. Und ist es nicht gerade diese Generation, die den Anstand von den Jungen immer eingemahnt hat? Anstand ist Stilgefühl, trennt den Raum des Legitimen vom Legalen, Gefühl für Schicklichkeit, Respekt und Distanz, ohne die wir uns alle bald ziemlich auf den Sack gehen.

Ich grüßte nicht zurück. Und er hatte Glück, denn ich war mit meinem Pensum durch. Ich stieg angesäuert aus dem Wasser, und siehe, unter unserem Baum hatte sich eine Lady niedergelassen, auf Tuchfühlung, mit zwei Liegestühlen und einer tennisplatzgrossen Decke. Auch sie grüßte freundlich. Ich zählte. Es gab noch 4 wunderhübsche Laubbäume die bislang nur dem Gras Schatten spendeten. Was sie hier tat, war das gleiche, wie in einem leeren Postauto sich genau auf den Sitz neben mich zu quetschen.
Gleich darauf latschte der Rest der Familie heran, parkte den Kinderwagen 2 Zentimeter neben meinem Badetuch und laberte los.
Es gibt Tage an denen man kämpft, und es gibt Tage für die Flucht. Dies war ein Fluchttag oder wie Ella schon ganz früh am Morgen schimpfend bemerkt hatte: «Ein Manometer-Tag!»

Ich schätze mal, dass diese Zeitgenossen zu jenen gehören, die sich über Respektlosigkeit und Aggressivität der Jugend aufregen können. So sahen sie aus, mit ihren, von hochkalorischer Nahrung, breit und weich gewelkten Körpern, die schon lange in Pension waren. Aber offensichtlich geht mit der beruflichen Pension auch der Geist und die Manieren in Pension, und der immer wieder bemühte Anstand war doch nichts anderes als feige Unterwerfung gewesen, geistige Bücklinge gegenüber dem Chef, dem Hausmeister, dem Herrn Doktor, dem Banker, also etwas, dem man sich mit 65 Jahren ruhig entledigen darf.

Die Alten haben einfach keinen Anstand mehr.

3. Urlaubstag

Inzwischen hab ich den 1000-sten abgewehrten Spam in meinen Kommentaren gesichtet und eliminiert. Das Verhältnis von veröffentlichten Blog-Kommentaren und Spams beträgt ziemlich genau 1:5.

Ich habe bisher 292 Beiträge veröffentlicht, wir nähern uns dem letzten Sechstel. Alles umsonst, meine lieben Leser, kostet Sie gar nix, mein Zeug zu lesen! Ja, stimmt schon, mag jetzt der eine oder die andere proleten, soll er doch froh sein, dass er nicht noch zahlen muss damit wir seine laschen Dinger reinziehen.
Nun, unsere Welt ist eine Umsonst-Welt geworden. Musik aus dem Kabel, bald auch jeder Bestseller für n’Appel und n’Ei von Google erhältlich, virtuelle Eintritte in jedes Muesum der Welt, Lesungen mit Fütterungs -und Lampenfüll-Garantie, und die wahren Cracks, die nehm ma mit, wenn sie gleich um die Ecke, beim hochsubventionierten Kellertheater vorbeikommen: die Hürlimanns, die Capusse, und die Muschgens.
Hugo Lötscher ist leider nicht mehr. Die Druckpressen werden schon bei der Nachricht von seiner Herzoperation angeworfen worden sein. Vielleicht.
Früher, als die Arbeit des Künstlers noch nicht umsonst verteilt werden musste, wär’s auf jeden Fall so gewesen, aber heute? Eine Dünndruckausgabe des Gesamtwerks Lötschers als Beigabe zur Gratiszeitung «20 Minuten»?
Mit Preisausschreiben und Gewinnfrage? Wie heißt der Autor Hugo Lötscher mit Vornamen?
1. Preis eine lebenslange Weltreise mit sämtlichen Luxuskreuzfahrtschiffen der Welt. Adrenalinkitzelnder Piratenkontakt garantiert.

Und regnen tut’s auch noch.
An meinem dritten Urlaubstag.

2. Urlaubstag

Ella mochte ihre zweite Wurst nicht mehr essen, gestern Abend, beim Grillen, es war eine Cervelat, den die Mädchen bereits ungeschält verzehren, und ich sagte ihr, sie solle das Teil dort unten neben dem Zaunpfahl ins Gras legen, und es wäre dann sicher morgen nicht mehr da.
Warum?, fragten die Mädchen. Na ja, sagte ich, Katz-Hund-Fuchs-Marder-Wolf-Bär. Keine Kühe, keine Schafe und Ziegen. Sie sahen mich ein wenig ungläugig an, taten aber wie geheißen.

Als die Sonne hinter Frau Heebs prächtigen Busch gefallen war und der Himmel noch so sehnsüchtig nachglomm und in diesem Glimmen dunkle, flache Wolkenschlieren schwammen und das letzte Tageslicht, wie eine geschlagene Fußballmannschaft mit hängenden Köpfen, vom Platz schlich, fiel mein Blick auf ein Tier, dass hinter einem Holzstoß ins mittelhohe Gras trat.
Katze, sagte ich, schaut, da ist schon die Katze! Aber ich hatte die zweite Silbe noch nicht erreicht, als mir schon klar war, dass es keine Katze war, sondern dass wir Besuch von Reineke bekamen.

Ich hatte schon Füchse gesehen, scheue Tiere mit aufgestellten Lauschern, Löffeln, oder wie die Dinger heißen; nervöse, grenzparanoid witternde Tiere, unglaublich auf der Hut, wie das Wappentier meines Verlags, der Kojote, ja, so kannte ich Reineke, aber dieser Reineke verhielt sich zu jenen die ich kannte, wie Paris Hilton zur alternden Greta Garbo, er kam gleich mal heran und sah sich uns drei an. Keine 2 Meter entfernt.

Das ist für einen Vater, und gerade einen in meinem Alter, kein Schleck. Denn ich wuchs noch mit den Warnungen vor den Gefahren der Tollwut auf, und eines der Merkmale befallener Wildtieren ist, dass sie keine Scheu vor uns zeigen.

Ich klatschte in die Hände, aber es bedurfte schon mehr um Reineke zu ein, zwei Sidesteps zu bewegen, ich musste meine Körpermassen aus dem Sessel stemmen. Aber er kam wieder, lag doch noch ein kleines, im Gras verborgenes Stück Olmabratwurst zu meinen Füßen.

Ich erzählte den Mädchen was ich von Tollwut wusste und wie man sich da verhielt. Das hätte ich besser nicht getan. Die Ausführungen verschafften mir einen ganz schlechten Start in den zweiten Urlaubstag, da mein kleines Mädchen nächtens von Traum-Füchsen heimgesucht wurde und fuchtelnd und mit den Füßen kickend, Zuflucht bei mir suchte.

Aber Frau Berg, deren erklärter Fan ich bin, und der ich die Fuchssache mailte, wusste in Zürich besser Bescheid als ich in den Appenzeller Hügeln und schrieb, dass die Füchse bekanntermaßen nun bereits bis zur Haustüre schnürten.
Das war mir neu.
Wie seltsam. Wie immer, wenn das Bekannte und Vertraute plötzlich neuen Einsichten weichen muss. Als würden Adler auf meinem Fensterbrett landen und ich könnte sie mit eingebrockten Semmeln füttern, als würde Paris Hilton beim Anblick von Kameras zu kotzen anfangen, als würden ÖVP-Politiker klare Handlungen gegen Rechts setzen, Wort halten, und ihrer Stände-Ideologie abschwören.
Nee, das dann doch nicht. Dann schon eher Adler auf der Fensterbank und Pythons die Rilke Gedichte rezitieren.

Heute waren wir urlaubsmäßig wandern. Zuerst auf die Rütegg, wo’s für die Mädchen Nussgipfel gab und für mich einen Schwatz mit Werner Bucher, dann runter über Riethof nach Heiden.
Verdammt, ich sage es gern: Was für tolle Mädels!

1. Urlaubstag

Das Auffallende gleich zu Beginn: Hier ist ein Urlaubstag wie ein Arbeitstag, nur ohne Arbeit.
Die Sonne kommt immer später und die Mädchen schlafen immer länger, nur ich bin immer gleich.
Ich weiß nicht recht, was ich sagen soll, aber der Wechsel der Jahreszeiten berührt mich tief. Schon seh ich bei der Nachbarin Frau Heeb die letzten Sonnenstrahlen des Abends durch die ersten farbigen Blätter fallen.

Ein Gefühl? Ja, schon. Wie ein Blues. Langsam und glücklichmachend in seiner schweren Traurigkeit. Das alles ein Ende hat. Und einen Anfang. Und wieder ein Ende.

Wie las ich gerade bei Fauser, dessen 1600 Seiten journalistische Arbeiten (Strand der Städte, Alexander Verlag) ich mir zum Urlaub gönne: «Unser Grundgesetz sagt im ersten Satz, die Würde des Menschen sei unantastbar, aber das Leben wird immer würdeloser, nur selten trifft man noch einen, der allein mit der unendlichen Schmach des Menschen fertig wird, der verurteilt ist zur Gesamtschule, Gesamtkultur und dem ewigen Gedröhn der Menge…»

Ja. Vor allem Gedröhn. Der Schweizer hat einen Zwang zur Höflichkeit, der Österreicher zum Linkmicheln, und die Jugend zum Lärm. Heute im Bad, wohin ich mit den Mädchen fuhr, droschen zwei Bubis mit Plastikteilen auf das Wasser ein. Es ist das Gedröhne allerorten, das die Welt zersetzt wie die Fäulnisbakterien den Kadaver.

Naht bereits die Cohensche Zeit fürs buddhistische Kloster? So alt bin ich schon wieder? Dabei gäbs doch noch einiges zu tun. Nach dem Urlaub. Denn jetzt liest man im Feuilleton vom Sterben kleiner Verlage. Muss doch auch noch ein kleiner durchhalten. Nicht nur durchhalten, sondern lustvoll durchhalten. Bitter, aber mit einem rechten Hammer ausgestattet wie Lennox Lewis. Hoffnungslos, aber ohne einen Gedanken daran, den Löffel vorzeitig abzugeben. Traurig, aber mit einem Keller voll guten Weins.

Tja, die Verlagsgeschichten. Vielleicht hört ja mal dieses Auflagengelüge auf, vielleicht sieht der eine oder andere dem Unabänderlichen ins Auge? Und was ist das? Vielleicht ein Armutsgelübde? Im Kloster ist sowieso Sense mit allem Materiellen. Frage: Was könnte uns denn abgehen? Das TV? Die «Kultur»? Der neue VW Golf? Die Stiefeletten von Prada? Das besoffen lallende Gedröhne am Wochenende in St. Gallens Straßen?

Heute ist Urlaub. Punkt. Heute grillt der Papa für die Mädchen. Und für sich selber. Er wird kühlen Zweigelt dazu trinken. Sich vielleicht ein kleines Bier gönnen. Sie werden den Brunnen plätschern hören. Die Sonne wird hinter Frau Heebs Busch sinken, rot, wie auf Capri. Die Blätter werden in der leichten Brise rascheln. Der Duft der Bratwürste wird bis nach Wald ziehen. Und wenn ich Glück habe, werden die Mädchen friedlich sein und sich erst nachher beim Zähneputzen tüchtig streiten. Manchmal hat man ja Glück. Auch im Urlaub.

Mach ich jetzt Urlaub?

Heute gingen Doblers «Rosa…» und mein «LOG» zum Drucker. Rosa ist ein nettes Baby, schlief auch immer fein durch. Es hat wunderschöne, kluge Augen, und es wird ein sehr schönes Mädchen werden. Man wird es allerorten mögen.
Das LOG-Baby ist das Gegenteil davon. Nur Ärger mit dem Bankert! Aber was soll man machen? Ich weiß es nicht. Ich bin ein wenig müde von der nächtlichen Aufsteherei. Andauernd wollte das LOG-Baby was anderes haben. Nix passte ihm. Aber wenn es den Monsieur Egger als Babysitter gehabt hätte, ja dann… Aber es hatte halt nur mich.

Ich glaube, ich werde mir ein paar Tage Urlaub gönnen. Na ja, vielleicht zwei oder drei.
Ich lese in den österreichischen Zeitungen, dass man es in Österreich nicht mehr weit hat. Jetzt bäumt man sich gerade noch mal ein wenig gegen die Holidiliü-Nazis auf, und der Kanzler benutzt sein Aufmucken gegen Rechts als Disziplinierungsmaßnahme gegen eigene Parteimitglieder, die ihm auf der Nase rumtanzen. Wenn das Tänzchen zu Ende ist, werden ihm auch die Holidiliüs wieder wurscht sein.
Das ist so bei den Ösis: Sie können nicht anders. Wenn nicht alles korrumpiert, verlottert und moralisch verkommen ist, fühlen sie sich irgendwie nicht im Strumpf. Dann werden sie misstrauisch. Und wähnen schon die Piefkes im Land.
Wenn’s nur so wäre. Selbst mit diesem Papst.

Mach ich jetzt Urlaub?

Bravo, Herr Köhlmeier!

Der Vorarlberger Holiduliü-Faschist, Dieter Egger, hat sich aus seinem liberalen Panty gestrippt und uns einen Blick auf den im braunen Tanga kaschierten Dildo werfen lassen. Dass es sich um einen Dildo handelt ist gewiss, denn eine Partei die gegen Minderheiten hetzt, hat keine «Cojones», höchstens ein Schwänzchen, dass bei Gelegenheit einzuziehen ist.
Sein antisemitisches Geschwätz zu wiederholen erübrigt sich; es ist immer das gleiche: Heruntermachen von Minderheiten, anschütten, anwerfen, Hass schüren und dann sagen, man wird doch wohl noch die «Heimat» verteidigen dürfen.

Landeshauptmann Sausgruber will die Koalition mit der FPÖ aufkündigen. Gut. Aber es erhebt sich trotzdem die Frage, warum er sie überhaupt eingegangen ist? Wär nicht nötig gewesen. Lernen es die christtlichen Buben und Mädchen endlich? Nicht mit den Holiduliüfaschisten kuscheln. Na, wir werden sehen. Oder hat die ÖVP in Vorarlberg auch nur einen Dildo in der Hose? Könnte es sein, dass ich vielleicht ein wenig skeptisch bin?

Der Autor Michael Köhlmeier hat klare Worte gefunden: Er wil Justizministerin Claudia Bandion-Ortner einen Brief schreiben. Es sei der Straftatbestand von Verhetzung und Wiederbetätigung zu prüfen. Ihm tue Eggers Aussage auch deshalb weh, «weil Hanno Loewy so viel für diese Stadt getan hat. Der wahre Nestbeschmutzer ist Herr Egger», sagte Köhlmeier.
Die beständige Angst vor braunem Bodensatz im Land kenne er. «Aber wir erzittern beständig vor 20 Prozent und übersehen dabei, dass 80 Prozent das zutiefst ekelhaft finden. Wenn es so etwas wie einen kleinsten gemeinsamen Nenner gibt, dann den, dass man solche Nazisprüche nicht akzeptiert», so Köhlmeier.

Bravo, Herr Köhlmeier! Auch wenn ich nicht glauben mag, dass die Aussagen von Dildo-Egger von 80% als ekelhaft empfunden werden. Bravo! Auch wenn ich finde, dass wir nicht zulassen sollten, dass uns dieses Gesocks «weh tut».
Und noch etwas: I’m sorry, Kinder, aber ich glaube nicht mehr so recht an den Storch!

Trotzdem: Ich bin (ein wenig) gespannt darauf, ob die ÖVP ihre Worte wahr macht.
Ich gebe es zu: Ich kann’s nicht wirklich glauben.

«Ich les sonst keine Bücher…»

1987 kam mal ein Punker zu mir und sagte: «Ich les sonst keine Bücher, aber deines fand ich scharf.»
Meine Güte, war ich geschmeichelt. Mein Buch! Ein Punker! Für diese Leute schrieb ich doch? Das machte Sinn. War ich ein Genie?
Jedenfalls fühlte ich mich sehr geehrt, so sehr, dass mir nicht mal auffiel wie hirnrissig der Spruch eigentlich ist.

…Ich find ja Fußball zum Kotzen, aber so wie der FC Hilterfingen kickt, ist einfach genial…
…Ich schau ja nie Boxen, aber so wie Klitschko Uschi Glas verkloppt hat, ist einfach sehenswert…
…Ich mach mir ja nichts aus Süßigkeiten, aber für die Vermicelles im Migrosrestaurant würd ich Babies foltern…
…Ich mach mir ja nix aus Stars, aber so wie Britney Spears ohne Unterwäsche im Auto sass und uns einen Blick auf den Karton gestattete, das war einfach himmlisch…
…Ich mach mir ja nichts aus Musik, aber so wie der taube Beethoven die Neunte noch hingekriegt hat, das muss ihm Madonna erst mal nachmachen…
…Ich mach mir ja nichts aus Blogs, aber dem Niedermann seiner, der hat was…

Ich gebe es zu: immer wieder habe ich diesen Spruch mal angebracht. Eigentlich ist er dümmer als die Polizei erlaubt, und weist den bemitleidenswerten Ignoranten aus. Oder einen Sprachohnmächtigen, der gerade keinen Superlativ zur Hand hat.

Gestrichen———–

Henk und Kinder und Handwerk

Henk hat recht. Es gibt tatsächlich keine dicken Kinder hier. Ich habe mich heute beim Schwimmen wieder davon überzeugen können. Die Jungs sehen aus wie wir damals ausgesehen haben. Jede Rippe vom Schiff aus zählbar. Es ist fast unglaublich.

In meiner Zeit als Fitness -und Krafttrainer kamen hin und wieder Schulklassen zu uns, um sich den Laden anzuschauen. Diese Teenies müssten, im Vergleich zu denen in Heiden, als behindert gelten. Keiner schaffte einen Klimmzug, keiner einen Barrestütz. Entweder waren sie «ausgfressen» und «blaad» oder sonst solche «Zniachtl», dass man wegschauen wollte.
Aber im Boxraum gings immer gleich zur Sache. Immerhin.

Nun, seit zwei Tagen denk ich daran, etwas über den letzten Montag Abend (Heftvernissage: Obacht/Kultur «Handwerk» in Appenzell) zu schreiben. Über ‹Handwerk›. Der Vortrag, den ich darüber zu Ohren bekam, hinterließ doch einen äußerst zwiespältigen Eindruck. Das Ding ist komplexer, als es auf den ersten Blick aussieht. Wie so viele andere Kisten auch.

Ich glaube nicht ans Handwerk. Nicht mal an eine Renaissance. Es wohnte ihm einst ein Zauber inne, und von dem konnte ich mich in der Werkstatt des Herrn Fässler mehr als überzeugen. Was für toller Kram! Aber dieser Zauber weht aus einer versunkenen Welt zu uns herrüber.
Meine Bewunderung für jenen Böttcher, den ich in der Doku «Der Letzte seines Standes» gesehen habe, ist geradezu fanartig; für ihn und seine völlig abfallfreie Welt, sein atemraubendes Geschick im Umgang mit rasiermesserscharfen Äxten.
Ihn dann später auf irgendeinem Bauermarkt sitzen zu sehen, wo er seine Arbeiten feilbietet, vor allem die kleineren Tröge, ist nicht mal mehr ernüchternd, sondern schmerzlich. Niemand kann damit was anfangen. Und was er dafür kriegt, entspricht im Verhältnis dem Lohn, den ein leidlich beachteter Roman einem Autor einbringt. Man spricht lieber nicht davon und verdrängt.
Nun, niemand schlachtet mehr seine Schweine im Hof und braucht deswegen Bottiche um darin das Schwein zu sieden. Die kleineren Bottiche landen, wenn überhaupt, in überladenen Wohnzimmern als Blumentopf. Es ist vorbei. Let it go!

So schaut’s aus. Und wir müssen es aushalten. Wir, die wir unsere Babies in Plastikwannen baden und ihnen Superschuhe aus Goretex an die Füße binden.
Heute begegnet uns das Handwerk im glitzernden Büßergewand der Kunst.