Die Knallbar Diaries (13)

All meine Feinde wissen es, und auch die, die es werden wollen wissen es, und jenen, die es nicht mehr sind, ist es auch bekannt: Lev-André Knallbar sieht sich Germanys next Topmodell an. Und dort erfuhr er, dass es in dieser Crew Sitte ist, den Ausspruch: Ich gebe alles, ich gebe mein Bestes, mit einer Pönale zugunsten der Kaffeekasse zu ahnden. Das finde ich gut. Und ausbaufähig.
Könnte man nicht auch Journalisten, Redakteure, Künstler, Rezensenten zur Kasse bitten, wenn sie wieder mal: Österreich, Deutschland, dem Publikum – was auch immer – den Spiegel vorhalten – absondern?
Leben wir in einem Spiegelkabinett? Wo die vorgehaltenen Spiegel einen Effekt erzeugen, der einen ins Unendliche potenziert und immer winziger erscheinen lässt?
Unendlich und winzig. Was soll ich damit anfangen, was?

Am Besten gefallen mir die Arbeiten von S., unserem filmischen Spiegelvorhalter, dessen Spiegelbilder den Vorgehaltenen so gut gefallen, dass sie davon nicht genug kriegen können und er immer reicher dabei wird. Ein Star. Ein Spiegelvorhalterstar.
Müsste es nicht einen Oscar fürs Spiegelvorhalten geben?

Nur so nebenbei: Wir werden uns selber niemals so sehen können, wie wir sind. Niemals.
Wenn ich Freunde hätte, würden die das wissen…

Die Knallbar Diaries (12)

Heute morgen fand ich unter den 267 E-Mails auch eine von einem alten Freund, dem ich mich, obschon wir uns fast nie sehen, verbunden fühle.  Ich weiß nicht einmal genau, wo er steckt, was er zur Zeit treibt, aber es ist egal, denn wir haben vor vielen Jahren eine Menge zusammen durchgezogen, und das ist es, was letztlich zählt.

Er schreibt:

„Lieber Lev,

ich sitze auf der Terasse meiner Hütte, trinke Milchkaffee und sehe dem Regen zu, wie er die Gegend schraffiert, und die eine Seite der Linde schwärzt. Es ist kühl und still, ganz so wie ich es mag, und ich bin allein. Heute ist, lieber Lev – ich erwähne es ungern, da ich gedacht habe, ich kann mich darüber hinwegschwindeln-, mein sechzigster Geburtstag. Das ist – ziemlich seltsam. Es ist vielleicht nicht genau das richtige Wort, aber doch eines der Adjektive, die in etwa das Ereignis mitbeschreiben könnten.
Es ist seltsam, weil es mir irgendwie peinlich ist, sechzig zu sein. Man könnte sagen: Ich schäme mich. Ein wenig. Warum? Tja, wenn ich das wüsste.

Als mein Vater sechzig wurde, kam die ganze Verwandschaft zusammen, in einem großen Gasthof, etwa 50 Leute. Es gab schnurrige Darbietungen, peinliche Darbietungen, es gab Wein und Bier und alte Lieder, es gab Schweinebraten und Kartoffeln mit Bohnen im Speckmantel, und am Schluss waren alle betüttelt und guter Laune, und dann gingen sie ihrer Wege, wie man so sagt.
Mein Vater sah damals so aus, wie man als Sechzigjähriger auszusehen hatte.  Ein Mann, kurz vor der Pensionierung, mit Geld auf der Bank, mit Enkeln und einem gewissen Ansehen, mit dünner werdenden, voll ergrauten Haaren, schlechten Augen, Bauchansatz, und mittleren Herz-und Magenproblemen.
Ich dachte damals: so muss es sein, wenn man sechzig ist. So war es bei seinem Vater, und so war es bei dessen Vater. Grosso modo.
Vielleicht kommt die Scham daher, dass man nun ganz klar sehen muss, dass es nicht mehr so ist, wie es einmal war, und dass es auch nie wieder so sein wird. Wir sind die Angehörigen einer Generation, die mit der Vaters-Vaters-Vater-Geschichte gebrochen haben, und wir sind die ersten, die (vielleicht) eine neue Tradition begründen. Nur: welche? Die der immerwährenden Adoleszenz? Nein, bullshit.

Ich denke heute an all diejenigen, die es nicht bis dahin geschafft haben. Zumindest an die, die mir noch einfallen. Ich denke daran, was sie geleistet haben, und ich fühle so etwas wie Verantwortung. Ein wenig so, als hätten sie mir einen Teil ihrer Jahre abgegeben. Ja. So irgendwie fühlt es sich an, sechzig zu sein. Ein bisschen strange, ein bisschen schwer, und auch ein wenig lächerlich.
Also, mein Freund, denk daran, wenn es dereinst bei dir soweit sein wird. Du hast ja noch etwas hin.
Aber du kennst mich: ein bisschen Geprahle muss auch sein:

4 x 105  BD, 4 x 160 KH, 5 x 135 KB, 5 x 55 BC

Gestern eruiert. Nichts besonderes, aber nicht schlecht, und in dem Laden gibt es keinen im selben Alter, der das packt. Jedenfalls keiner, wenn ich zugegen bin.
Also, heb einen auf mein Wohl und vergiss nicht: Um es zu schaffen, muss man es erst einmal schaffen.

Bis bald

R.»

Die Knallbar Diaries (11)

Glück ist Abwesenheit von Schmerz.
Ich bin glücklich, heute morgen. Es ist still. Ich seh mir im TV ein Sophie Hunger Konzert an. Ohne Ton. Das Konzert als Pantomime. Ich kannte mal einen Musiker, einen Akkordeonisten, bei dessen Art zu spielen ich die Musik hörte,  auch ohne Ton. Klasse.
Einmal sah ich mir die Lesung eines berühmten Kollegen auch ohne Ton an. Die Lesung war scheiße. Mittendrin ließ er sich von einer Frau eine Querflöte bringen, und ich sah, wie die Finger seiner rechten Hand Triolen spielten und die Melodie ausschmückten, musikalische Adjektive: Kitsch.

Bei Hunger machte ich dann doch mal den Ton an. „Arbeitslose“, war das erste Wort, was ich hörte. Ein zweites gab es nicht mehr, da ich den Ton gleich wieder wegdrückte.
Arbeitslose. Pubertär. Leute, die nie einen Tag in ihrem Leben gearbeitet haben, singen von Arbeitslosen. So einer war ich auch einmal. Aber wenigstens wusste ich, von was ich schrieb. Obschon ich Arbeitslosigkeit immer als Glück verstanden habe. Als Abwesenheit von Schmerz.

Gestern hat mich N. überredet auf eine Party zu gehen. Ein Fehler, klar. Die Leute meinen, weil ich ein Bestseller Autor bin, dass ich mich für ihre spießige Lektüre interessiere. Sie kommen und sagen: Hast du Jonas Jonassen oder so gelesen? Toll, wa? Oder den neuen Krimi von ArschmitOrn? Super, stimmts?
Sie wissen nicht, dass ich nur die Bibel lese und ein paar finstere, illusionslose Philosophen. Sie können sich nicht vorstellen, dass ich mich nicht für Literatur interessiere. Sie glauben, dass ich, weil ich in einem Gewerbe erfolgreich bin, der Branche was schulde. Weit daneben, Freunde…

Jetzt seh ich mir eine Sendung mit 4 Philosophen an. Natürlich ohne Ton.
Derweil staple ich die Konkurrenz-Bestseller, die man mir zugeschickt hat, in der Zimmermitte, starre sie an, lasse sie auf mich wirken und werfe sie dann in den Papiermüll.

Glück ist Abwesenheit von Schmerz.

Die Knallbar Diaries (10)

Manchmal beschleicht mich die Ahnung, dass es Dinge auf dieser Welt geben könnte – schlimme Dinge –  die eine Sitzung mit den Zahlen meines Kontostandes nicht behoben werden können. Das ist beunruhigend. Einerseits. Andererseits – ist es mir egal.

Heute, auf meinem Morgenrundgang, stopfte ich meinem Lieblingsbettler endlich den Huni in seinen verdreckten Pappbecher und sagte ihm, er solle sich damit einen neuen Pappbecher besorgen. Der Becher ist zerknautscht, hat einen dicken Dreckrand und Fett klebt in dem Klebefalz, schmutziges Bettlerfett, dass von den Bettlerfingern abgestreift wird, wenn sie nach den Münzen auf dem Bechergrund fischen.
Hatte gedacht, er würde mir eines seiner blühenden Zahnstummel-Lächeln schenken, aber nix da. Er tat so, als hätte ich eine überfällige Schuld beglichen. Ist ja nicht ganz falsch.

Dass mein Roman jetzt die Bestsellerliste anführt, ist das Zufall oder habe ich das wirklich verdient? Und dass der Alte auf seiner alten Decke im Straßenstaub kniet? Verdient? Schicksal? Gott gewollt?

Solche Gedanken gehen mir durch den Kopf. Zugegeben, nichts aufregendes. Eher banal.
Was nicht banal ist? Der Lärm. Der ist von Bedeutung.
Auf meinem Spaziergang gab es keine Sekunde, in der nicht aus einer Wohnung, einer Gasse, von irgendwoher, ein gottverschissener Elektrohammer ballerte. Es macht einen fertig. Die Welt ist nicht schlecht, sagte Heiner Müller einst, sie ist nur voll. Und seit Müllers Zeiten ist sie noch voller geworden, wobei „voll“ ja eigentlich ein Superlativ ist.
Fast wünsche ich mir die sommerliche Gluthitze herbei, bei der wenisgtens das Schlaghammerproletariat auch leidet. So wärs gerecht. Es gibt nicht wenige, die der Meinung sind, man dürfe die Arbeitenden nicht hassen. Ich gehöre nicht zu denen. Wenn soll man sonst hassen? Doch wohl diejenigen, die einem Schmerzen bereiten, oder?

Verleger Moss ruft an, und will wissen, wie’s mit der Arbeit vorangeht. Ich sage, geht so, und er sagt, er hätte mir eine Lesereise zusammengestellt. Limousine, 5-Sterne Hotels, knallige Gagen. Ich überlegs mir, sage ich zu ihm und er fragt mich, ob ich spinne.
Meine Familie ist immer noch in Irland, sage ich, und er sagt, was hat denn das damit zu tun. Denk mal drüber nach, sage ich, und drück ihn weg.
Auf sowas steht er. Spart er sich heute Nacht die Domina. Ich bin eben ein guter Mensch…

Die Knallbar Diaries (9)

Tage intensivster Arbeit. Keine Anrufe. Allein. Partyeinladungen ausgeschlagen. „Auf Partys geht man wegen Sex oder business.“ (Gore Vidal). Kein Interesse. Zur Zeit.
Ich träume nachts. Ich mag keine Träume. Aber darüber habe ich – verdammt noch mal – keine Kontrolle. Das mag meine Abneigung begründen. Träumte, dass ich gefangen genommen wurde. Von Daesh. Oder sowas. Sie wollten mich töten, und ein bärtiger Alter begann mit einer Maschine, meine Haare zu scheren. Ich musste es geschehen lassen. Ich sagte nichts, protestierte nicht, empfand nur grenzenlose Verachtung. Das war interessant, dieses Gefühl. Absolut ohnmächtig und ausgeliefert, schwach wie nie, aber frei von Furcht, erfüllt von tröstlicher Verachtung.

Nach dem Aufwachen fiel mein Blick auf das Bücherregal. Auf die C’s. Die C’s sind die besten. Céline, Camus, Chandler, Cendrars. Carver. Cailloux. Chessex. Carrère. Die hohen C’s.
Die K’s sind nicht so gut. Mein Name versaut den Schnitt noch mehr. Kerouac, Köstler, Knallbar. Na ja.

An die Arbeit, Knallbar…

Neu bei Songdog

Eben bei Songdog erschienen:

Benedikt Maria Kramers Poetryband „Glücklichsein ist was für Anfänger“.

74 Seiten / Softcover
ISBN 978-3-9504224-0-5
Euro 12.– / CHF 15.–

„…Und zwar in der Art von Gedichten, die Jörg Fauser einmal als „komprimierte Kurzgeschichten“ bezeichnet hat. Immer geht es um „einen Moment der Wahrheit“. Das war dem großen amerikanischen Dichter CharlesBukowski hinterher geworfen, aber etwas davon fällt auch für Benedikt Kramer ab. Und dieser „Moment der Wahrheit“ ist fast immer irrlichternd, doppelgesichtig; deprimierend, mitunter komisch, hell aufleuchtnd.Bandini, eben.

Kramer hat den Drive zur Wahrheit, er steigt furchtlos in den Keller der Selbsterkenntnis, und kommt mit einer Kiste prächtiger und heiterer Einsichten hoch.»

Leben auf dem Mars?

Klar, ich hab Haare auf der Brust
und ich habe einen Penis.
Aber ich bin kein Mann.

Wenn ihr wollt
kümmere ich mich ums Feuer
und werfe Würstchen auf den Grill.

Ich schließe eure Anlage an,
baue eure Schränke auf,
kaufe Schrauben und Dübel,
bohre Löcher in eure Wände.

Ich trage eure Koffer.
Und ich kann in der Karte nachschaun,
wo wir hinmüssen.

Aber ich bin kein Mann.
Ich bin ein kleines Mädchen
in Ballettschuhen.

Die Knallbar Diaries (8)

Die letzten Tage. Habe ich gearbeitet? Habe ich? Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Vielleicht habe ich auch, im Gedenken an Lemmy Kilmister eine Flasche Turkey rare breed 112,8 Prrof (56,4 %) gebleckt. Wer weiß das schon?
Jedenfalls habe ich einen Blick in die Echo-Preis-Verleihung riskiert. Bin ich wahnsinnig geworden? Könnte sein. Da saßen sie alle. Eine/r wie der/die andere. Gleichgeschaltet. Dumm wie ein Lager voll kaputter Heizkörper.
Zum Glück rief zu später Stunde noch ein Journalist an und holte mich da raus.
Er wollte ein Interview. Hab vergessen zu was. Der Turkey, der wilde, you know. Aber ich erinnere mich dunkel, dass er mich fragte, ob ich nicht einen Rat für die jungen Leute hätte? Normalerweise fragen sie das irgendeinen berühmten Schauspieler, der sich, weil er mal unter Luc Bondy gespielt hat, für einen Intellektuellen hält. Nun, war also ich dran.
Na, klar, sagte ich, hab ich. Und der wäre, sagte der Schurni.
Mein Rat an die Jungen ist, sagte ich, und machte eine lange, lange Pause, bis er anfing blöd zu hüsteln, dann fuhr ich fort, meine Rat ist: Wenn ein Journalist anruft, und euch nach einem Rat für die Jungen fragt, dann schmeißt ihn raus.
Dann legte ich auf, torkelte durch alle Zimmer, sah, dass sie alle leer waren, denn meine Familie war gerade in Irland. An einer indischen Hochzeit, oder sowas. Das war traurig.
Dann legte ich mich komplett angezogen auf das harte Eichen-Parkett um zu schlafen.
Auch wenn man berühmt und so reich ist wie ich, sollte man nicht vergessen, woher man kommt, und sich keinesfalls vollständig der Härte eines entbehrungreichen Lebens entwöhnen.
Das hätte ich dem Schurni sagen können.
Aber das hat er nicht verdient…

Merle Haggard ist tot

Gestern spielte ich noch mit ihm „Listen to the Wind“, einen Song, den mir viel bedeutet – wie viele andere auch. Heute erwachte ich mit „If I could only fly“ – wie man so sagt – auf den Lippen.
Dann machte ich den T-Text an und las, dass er diese Welt verlassen hat.
Das ist ganz schön traurig.

Bye, Merle Haggard, bye.

Dobler auf dem Balkan über „Aspekte»

Wir müssen wieder mal, und zwar ganz intensiv, auf den befreundeten Block unseres Freundes Dobler hinweisen, der zur Zeit -lesemäßig – auf dem Balkan unterwegs ist.
Nicht nur wegen der wunderbaren Schilderungen seiner Erlebnisse und Erfahrungen, sondern auch wegen seines Kommentars zu den kleinen Hipster-Arschlöchern der Sendung „Aspekte“, die nicht mal den Anstand aufbringen, sich vom Sendeturm zu stürzen.
Wir können unserem Freund und Kollegen nur beipflichten.
Grundgütiger. Seht euch das an… Oder eben nicht.

http://www.franzdobler.de