Eine gehaltene ungehaltene Rede

Am 29. September, im Zuge des «Wortlaut» Literaturfestival in St. Gallen, wurde (u.a.) von den Schauspielern Diana Dengler und Marcus Schäfer diese kleine Rede – vom Pelikanerker des «Saiten»-Büros auf die Schmiedgasse hinaus – gehalten.

Muss wirklich gesagt sein, was einmal gesagt werden muss?

Ein Protest gegen mich selber.

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Anwesende, liebe St. Galler und Innen!

Was einmal gesagt sein muss, muss einmal gesagt werden. – So sagt man. Aber warum eigentlich?
Warum soll das, was bislang nicht gesagt wurde, auf einmal gesagt werden? Wo war denn jenes Besagte, das einmal gesagt werden musste, bisher? Wo hat es sich herumgetrieben? Hat es sich gar versteckt? Wollte es zuwarten, bis eine bestimmte Konstellation eintrifft, dass – im Wortsinne – die Sterne günstig standen um ans Licht zu treten?
Sammelte es sich?
Wartete es noch auf Zulauf von anderen Dingen, die auch einmal gesagt werden mussten?
Fühlte es sich allein? War es schwach? Kränklich? Oder feige? War es seiner nicht sicher? Waren die Erwartungen zu hoch? Zweifelte es? Musste denn das, was einmal gesagt werden muss, auch wirklich gesagt werden? Und wenn es denn endlich gesagt ist, was wäre dann gesagt?
Oder anders formuliert: Was würde sich ändern?
Muss sich denn etwas ändern? Konnte das, was einmal gesagt werden musste, nicht einfach so gesagt werden, gewissermaßen absichtslos, als – sagen wir – normale Freundlichkeit unter Zivilisierten?
Und wer sagt, dass sich etwas ändern muss? Warum kann es nicht einfach so weiterlaufen wie bisher?

Nicht perfekt, diese Welt, aber sie funktioniert doch, oder?

Und wenn das, was einmal gesagt sein muss, nicht gesagt würde, was wäre dann?
Wäre es so wie jetzt, wo sie sich, verehrte St. Galler und Innen, gerade dieses Gedankenkonglomerat anhören oder wäre es doch ganz anders. Und wenn es anders wäre, wie wäre es dann?
Und wenn sie, anststatt sich diese Worte anzuhören, einfach weitergingen, und das, was einmal gesagt werden muss, ungehört in der Gasse verhallen würde, wäre es dann trotzdem gesagt? Gilt das Gesagte auch, wenn es kein Ohr findet, in das es fallen kann?

Schwer zu sagen.

Die Ankündigung, dass nun endlich einmal gesagt werde, was vielleicht schon lange gesagt werden müsste, weckt Erwartungen. Der Zuhörer/in stellt sich auf Schwerwiegendes ein. Vielleicht gar Ungeheuerliches. Auf eine bislang verborgene Wahrheit. Eine hässliche Wahrheit vielleicht, eine, die sich nun, jedwelchen Kostüms beraubt, nackt und unappetlich präsentiert.

Wie beim Striptease der Kaberettistin Christine Prayon, die sich zu Sinatras Song „I did it my way“ auszieht oder besser gesagt, sich von einem äußerst erotisierenden und verwirrend androgynen Wesen, in etwas ganz anderes verwandelt. Abgeschminkt und entbättert, bis hin zum Glasauge, das sie herausnimmt und einem Zuschauer zuwirft, um darauf, am Ende des Songs, als gebeugtes, einäugiges Wesen mit roter Clownnase, Haarnetz und antidesign Unterwäsche dazustehen, hässlich, mittleiderregend, frierend. Zum Erbarmen. Oder zum Fürchten.

So ähnlich könnte man sich die Wahrheit vorstellen.

Aber muss es denn, wenn etwas einmal gesagt werden muss, gleich die Wahrheit sein?
Gibt es keine Lügen, die einmal gesagt werden müssen? — Vermutlich nicht.

Aber was noch wichtiger ist: kann die Wahrheit überhaupt gesagt werden? Und wenn man diese Frage verneint – was nicht wenige, aus unterchiedlichen Gründen, tun – was wäre es dann, was endlich einmal gesagt werden muss?

Müssen Tabus gebrochen werden?
Noch mehr.
Bis alle Tabus entabuisiert sind. Bis auf das Tabu, dass es keine Tabus mehr geben darf.

Keine Toleranz den Intoleranten! Nichts als Hass, dem Hass!

Inwiefern unterscheidet sich das, was endlich einmal gesagt werden muss von: „Man wird doch wohl noch sagen dürfen.“
Muss endlich einmal gesagt werden, dass „man doch wohl noch sagen dürfen darf“?

„Man wird doch wohl noch sagen dürfen“, ist die im steifen Political-Correctness-Wind knatternde Fahne der Denkverweigerer. Die Stadarte der selbsternannten und selbstmitleidigen Opfer von „PISI“.

Aber was heißt hier Opfer?

Wer, frage ich, ist denn keines? Ist die Welt nicht bevölkert mit 7 Milliarden Opfern? Und sind nicht die erbarmungswürdigsten Opfer unter uns – die Täter?

Denn wir nötigen sie doch mit der Schuld, die sie auf sich geladen haben, zu leben. Und warum, fragen sie anklagend, habt ihr uns nicht daran gehindert Täter zu werden? Was kann ein Täter dafür, dass er ein Täter ist? Nichts.

Denn der Täter ist ein Opfer. Und sein Opfer ist der eigentliche Täter, weil es durch sein Opfersein, den Täter zum Täter macht, was diesen, wie wir nun wissen, zum wirklichen Opfer punziert.

Es gibt politische Parteien, die diese obskure Dialektik zu ihrem Parteiprogramm erkoren haben.
Aber dies nur nebenbei.

Musste dies, werte Zuhörer/Innen, einmal gesagt sein? Hätte ich es mir nicht verkneifen sollen um stattdessen über Dinge zu reden, von denen ich etwas verstehe?
Wäre in dieser herzzerbrechenden Welt nicht ein Protest angebracht?
Was spräche gegen einen Protest gegen etwas, von dem ich viel verstehe? Wie wär‘s mit einem Protest gegen mich selber? Warum denn nicht. Müssten wir nicht in Permanenz gegen uns selber protestieren?

Gegen die Zumutung, uns selber sein zu müssen?

Jawoll, sage ich. Ich protestiere gegen die Zumutung mich selber sein zu müssen. Ich protestiere auch gegen meinen Bewegungsdrang, der mich nicht nach dem Pascalschen Motto leben lässt: „Dass des Menschen Leid daher rührt, dass er nicht ruhig in seinem Zimmer sitzen kann.“

Ich erhebe meine Stimme gegen meinen Idealismus und meine indifferente Haltung dem Geld gegenüber, die es mir schwer machen, ein akzeptables Einkommen zu erwirtschaften und dem Staat – zum Wohler aller – Steuern zu zahlen.

Ich protestiere gegen mein Desinteresse an Konsumgütern aller Art. Ich gefährde damit Arbeitsplätze.

Auch protestiere ich dagegen, dass ich Fußgänger bin, und kein Auto besitze. Ich mache mich damit schuldig an den Werkschließungen der Autoindustrie.

Ich erhebe meine Stimme gegen meine Entscheidung Nichtraucher zu werden. Denke ich denn nicht an die Tabaksteuern, die dem Staat und somit der Allgemeinheit entgehen? Und: Will ich denn ewig leben, und der Rentenversicherung auf der Tasche liegen?

Auch mein Vegetarismus verdient heftigen Protest, denn er gefährdet das Einkommen der Fleischfabrikanten.

Ich protestiere gegen meine Unabhängigkeit. Sie macht unbeliebt. Wer mag schon Menschen, die machen und sagen, was sie wollen?

Ich protestiere gegen meine Freiheit von Schulden. Sie macht mich verdächtig und kreditunwürdig.

Ich wende mich gegen meine Mildtätigkeit. Meine Spende in die Hand des Bettlers fehlt vielleicht einem Kapitalisten auf dem Konto.

Ich protestiere gegen meine Zweifel. Gegen meine Gleichgültigkeit allem Religiösen gegenüber. Gegen den fast überzeugten Agnostiker und gegen meine Gebete die ich manchmal spreche, ohne an Gott zu glauben.

Ich protestiere gegen meine Versuche ein guter Mensch zu sein. Wird dadurch nicht derjenige diskriminiert, der es nicht versucht oder dem es nicht so gut gelingt?

Ich protestiere ganz allgemein gegen die Zumutung des Älterwerdens und gegen die Unausweichlichkeit des Todes.

Ich protestiere ebenfalls gegen die Schmach, ein Mensch, und mich selber  zu sein zu müssen.
Ich protestiere.

Das musste vielleicht einmal gesagt werden.
Oder auch nicht.

Danke für Ihre werte Aufmerksamkeit.

A.N.

Aufpassen!

In der Garderobe des Geisteszentrums. Ich zog mich nach dem Training um, und ein Afrikaner kam herein, sein Spind lag so ziemlich neben meinem, und er begann sich ebenfalls umzuziehen. Er hatte geschwitzt, wie ich auch, und als ich angezogen war und an ihm vorbei ging, dachte ich wieder daran, was mein Vater gesagt hatte. Da es im Geisteszentrum viele Dunkelhäutige gibt, muss ich oft daran denken, was mein Vater vor über 50 Jahren gesagt hatte. Er hatte es nicht nur einmal gesagt, sondern immer wieder mal, bei Gelegenheit, wiederholt.

In meinen Ohren klang es, als hätte er gesagt, dass Bälle immer rund sind, und der Regen niemals von unten kam, dass Menschen Ohren hatten und Beine, und ich hatte keinen Grund daran zu zweifeln. Er sagte nämlich, dass «der Schweiß der Neger anders riecht als unserer. Er stinkt.»

Ich weiß. Es ist rassistischer Unsinn, es ist nicht wahr, aber manchmal, wenn ich an Afrikanern vorbeigehe, denke ich daran. Das ist perfid. Und es beweist, dass wir die Worte, die wir zu unseren Kindern sprechen, mit Bedacht wählen sollen.

Dass ich nach über 50 Jahren noch immer daran denke, gibt mir zu denken. So einfach ist das also? So simpel funktioniert Rassismus?

Und auch wenn ich weiß, dass es nicht wahr und einfach nur rassistisch ist, auch wenn es dutzendemale durch die Wirklichkeit widerlegt wurde, ich denke noch immer an die zwei Sätzchen meines Vaters. Er hätte das nicht tun sollen, finde ich.

Und ich bin mir leider ziemlich sicher, dass ich die zwei Sätzchen zu meinen Kindern auch schon gesprochen habe. Nicht dieselben, aber irgendwas wirds schon gewesen sein.

Aber um aus einem Kind einen Rassisten zu machen, braucht es offenbar mehr als nur zwei, gelegentlich, eingestreute Sätze. Das ist beruhigend. Aber vielleicht nicht wahr …

Stephan Alfare las im «BiB»

Das «Café Club International» ist eine sympathische Räucherkammer im «BoBo»-Viertel Wiens, dort beim Brunnenmarkt, ebenda, wo die Alteingessenen zu murren beginnen weil die Mieten steigen, und man anstatt Schüsse, nur mehr die aufgekratzten Stimmen der Vergnügensucher hört. Aber im «Café Club» ist es immer noch so, wie es schon immer war, im Wienerbeisl. Am Besten, man fischt sich die Ausgehklamotten noch mal aus dem Wäschehaufen, denn im «CCI» tagt jede Nacht die internationale Vereinigung der Kettenraucher. So riecht man dann auch.

Und diesem international vereinigten Zigarettenrauch entsteigt die Literatur. «BiB» heißt das, «Buch im Beisl». Ganz hinten, in einem äußerst bequem möbilierten Raum las gestern der Autor Stephan Alfare aus dem Manuskript seines neuen Romans. Und wie er das tat!

Mit einem Mal hatte ich das Gefühl, dass es lohnend sein könnte, an Lesungen zu gehen. Verrückt.

Alfare schaffte es, seiner Stimme diesen «bösen» Qualtingertouch zu verpassen, eine gewisse Gefährlichkeit, wie ein durch die geschlossenen Zahnreihen gepresstes «Verpiss dich!», und das kam erstens richtig gut, und zweitens rangierte der Text in der höchsten Risikoklasse, denn Alfare schilderte uns ein Stück Leben aus der Sicht eines Pädophilen, der eine 9-Jährige begehrt. Nichts leichter, als sowas zu vergeigen, und nichts schwerer, als es auf die Reihe zu bekommen. Und, meiner Seel, er kriegte es hin. Wie? Ich weiß es nicht. Aber als es zu Ende war, wusste nicht nur ich, dass wir da einen Fetzen schöner und wahrer Prosa gehört haben. Das macht glücklich.

Eigentlich hätte ich rüber in die Kirche gehen sollen, um die Glocken zu läuten. Aber wir läuteten nur mit den Gläsern, hatten es gut, und als man wegen des Rauchs nichts mehr sehen konnte, gingen wir.

Hervorragend.

http://www.buchimbeisl.at

Rechte Helden

Gegen einen steirischen FPÖ-Politiker ist kürzlich eine Anzeige eingebracht worden. Er soll etwa beim Reinigen des vereinseigenen Kachelofens bemerkt haben: «Diese Arbeit erinnert mich jedes Mal an meinen Großvater. Der war in Mauthausen und hat auch die Asche aus dem Ofen geholt … Das ist eine gute Arbeit.»

«Ich distanziere mich zu 100 Prozent von diesen Anschuldigungen!», meinte der Beschuldigte.
Ich weiß zwar nicht, wie man sich von Anschuldigungen distanzieren kann, aber so ist das halt, man muss es ja nicht so genau nehmen, oder?
Dann fügte er noch hinzu: «Ich verfüge über 120 eidesstattliche Erklärungen von Mitgliedern, die das Gegenteil beweisen.»

Das ist doch toll. 120 Mitglieder! Die das Gegenteil beweisen!
Also:
«Diese Arbeit erinnert mich nie an meinen Großvater. Der war nicht in Mauthausen, und hat auch nie die Asche aus dem Ofen geholt… Das ist eine Scheiß-Arbeit.»

Na dann. Der österreichische Verfassungsschutz hat eh nur 3 Jahre gebraucht, um der Sache nachzugehen. Nun wurde sie zu 125% aufgeklärt.

Die Blockredaktion gratuliert.

Keine Gewalt ist auch keine Lösung

In einer Talkrunde im russischen TV stand Lebedev – ein Milliardär und Besitzer des britischen Independent – auf, und selchte einem Mitduskutanten der gerade sehr erregt geäußert hatte, dass er, anstatt mit Milliardären zu diskutieren, lieber mal einen verprügeln wolle, zwei saubere rechte Gerade aufs Ohr, worauf der Getroffene über den Podiumsrand purzelte und etwas verdutzt auf den in Boxstellung wartenden Lebedev kuckte. Das war schön, fand ich, es hatte eine bestimmte Würde, war elegant und stilvoll. Einem Maulhelden, der von Prügel redet was reinzutun, ist so falsch nicht.

In Ösi-County läuft sowas anders. Da kriegt der Maulheld eine Streifmaulschelle, kredenzt fußballmäßig eine Schwalbe, und geht, als er sieht, dass Kameras da sind, zu Boden.

Und im Standard lesen wir dann den erschütternden Kommentar von Lisa Mayr, die es schon immer gewusst hat. Einmal Asi immer Asi, und hört euch nur mal die Rapptexte an: «Schlampe, Ficken, Hure, Schwuler.»

Ja, schlimm. Man fragt sich allerdings, ob die Dame sich schon mal «Braunschlag» angekuckt hat, die ORF-Serie, die neueste Niedertrachtsshow zur Primetime, mit «Oaschloch und Oaschpudern, Wixxer, Ficken» und alles was das österreichische Idiom so an SM-Feuchtgebietssprech aufzubieten weiß.

Könnte es sein, dass dies nun plötzlich Kunst ist, der Prolosprech aus Ösistan? Und man hier einfach keinen Piefke verträgt, der es auch mit dieser Kunst versucht?

Alles gegen die «gsunde Watschen» bei Kindern, alles gegen die Kinderficker aus den Kirchen und die Missbraucher in den Heimen, alles gegen die Frauenprügler, aber nichts gegen einen gepflegten Fight, und die gut gezapfte Ohrfeige unter Männern.

Denn: Keine Gewalt ist auch keine Lösung.

Götters, fuck you all!

Wenn die Götter dich verarschen wollen, dann schicken sie dich ins Geisteszentrum, dich, den klaustrophoben 5/7-Misanthropen, lassen dich in der fast leeren Garderobe einen Spind wählen; und wenn du dich dann umziehst, kommt einer reingeschlurft und dieser eine hat natürlich seinen Spind genau deinem gegenüber, und der Manno zieht sich ebenfalls um, und ihr steht Rücken an Rücken und irgendwann seid ihr beide für Sekunden nackt, und wenn einer von euch sich bücken würde, würden sich die nackten Ärsche berühren, und ihr wisst das natürlich und jeder will es krampfhaft verhindern, und wenn du es geschafft hast, heil aus der Situation rauszukommen und den Göttern grimmig grinsend den Finger gezeigt, dein Training hinter dich gebracht hast, und du dich dann in der Garderobe wieder umziehen willst, kommt natürlich ein Manno rein und es ist, claro, der Mann, der auch seinen Spind genau dir gegenüber belegt hat, und die Arschprallgeschichte geht von vorne los, während du dir überlegst, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass in einer solch geräumigen Garderobe, mit über hundert Spinden, ausgerechnet die zwei Spindbesitzer die deinem gegenüber stehen zur selben Zeit mit dem Training fertig sind wie du, und wenn du das getan hast, weißt du, dass die Götter dich verarschen wollen, aber ganz groß, und das nur, weil sie wissen, wie sehr du diese Situationen hasst, sie wollen dir eine reinflöten und dir zeigen, dass du ein Nichts bist, und dass du ihnen tausendmal den Finger zeigen kannst, und sie werden dir, gegen jede Wahrscheinlichkeit, beim nächsten Mal wieder einen Arsch liefern, einfach so, weil es ihnen gefällt, wenn du leidest.

Trotzdem: Götters, fuck you all!

Der Sport, das Herz, die Gerechtigkeit

Gestern nacht im Ernst Happelstadion, bei Österreich- Kasachstan, stand ich zum ersten Mal in meinem Leben neben einem Menschen der beim Abspielen der Nationalhymne die rechte Hand auf seine linke Brustseite legte.

Fürwahr, ich bin ein vaterlandsloser Geselle, und so sehr ich auch in mich hineinhorche, ich kann dieses Hand-aufs-Herz-Gefühl nirgends aufspüren, da bleibt alles kalt.

Meine Tochter (9) regte sich darüber auf, dass die Österreich-Fans die Spieler der Kasachen ausbuhten, als diese auf den Platz liefen. «Das ist unfair», sagte sie. Ist es nicht, aber unsportlich und schäbig. Diese Kinder. Kommen wir mit einem absoluten Gerechtigskeitsempfinden auf die Welt? Und verlieren es nach und nach. Wie unseren Mut?

Nun denn. Österreich zimmerte vier Kisten und alle waren happy. Bis auf die Kasachen, natürlich.

Interessant war für einen wie mich, der schon lange nicht mehr auf dem Platz war, wie live der ganze Lack runtergeht, als wärs ein Film, der nur die Totale und keine Großaufnahmen kennt.

Fußball wirkt live langsamer, Eishockey schneller. Da braucht man all seine Konzentration, um dem verdammten Puck zu folgen. Und Eishockey ist für die Ohren unglaublich spektakulär. Der Hammerschlag der Scheibe die an die Bande kracht, das kripselnde Aufreißen des Eises bei schnellen Stopps, die Rufe, das Keuchen und der rasselnde Atem. Da ist die akustische Action auf dem Eis, beim Fußball im Publikum.

Das nächste Mal gehe ich wieder zum Boxen. Da gibt’s keine Nationalhymnen. Das machen, aus unerfindlichen Gründen, nur die Deutschen, diese tamische Fahnenschwenkerei im Ring. Was soll das?

Ich hab da so meine Theorie …

«Ehrliche Prosa»

Auf «ehrliche Prosa» stieß ich in den letzten Tagen gleich dreimal, und jedes Mal blieb ich an der Formulierung hängen. «Ehrliche Prosa», was ist das?

Prosa heißt «gerade heraus». Eine Schreibweise, die sich ohne Umschweife dem Wesentlichen annimmt. Es gibt den Begriff «schnörkellose Prosa», was eigentlich eine Tautologie ist. Ebenso «klare Prosa».

Gibt es, wenn es «ehrliche Prosa» gibt, «unehrliche oder verlogene Prosa»? Oder steht das Adjektiv «ehrlich» nicht viel mehr als Attribut für den Autor? Ein «ehrlicher» Autor schreibt «ehrliche Prosa»?

Ein aufbrausender Maurer zieht eine «cholerische Mauer» hoch? Der schüchterne Zimmermann baut einen «scheuen Dachstuhl» und der schläfrige Kassier stellt eine «müde Rechnung» aus?

Es gibt den «Zwang zur Prosa», wie Jörg Fauser einmal schrieb, den Zwang zum Ausdruck. Aber den haben Vögel auch.

Und wie Hemingway sagte: «Die Gesetze der Prosa sind unveränderlich.»

Es gibt den ehrlichen Prosaisten, den ehrlichen Autor. Aber was bedeutet Ehrlichkeit für einen Schreiber? Meint man nicht eher Aufrichtigkeit?
Wenn er die Wahrheit zu schreiben versucht, ist er dann ehrlich? Ich würde einfach sagen: Er versucht ein Autor zu sein.

Gibt es also «ehrliche Prosa»?
Ehrlich gesagt, ich glaube nicht.

Neues von den anonymen Umsonstoholikern

Einverstanden, Assange hat ein Ego wie Madonna nach einem gelungenen Lifting, aber was die Kollegen von Anonymus nun in einem offenen Brief zu sagen haben, ist eigentlich nicht mal mehr zynisch, sondern ekelhaft.

Assange zum jetzigen Zeitpunkt vorzuwerfen, dass sich alles nur noch um ihn drehe, ist etwa so, wie einem Wanderkameraden der bis zum Hals im Treibsand steckt, vorzuwerfen, dass er keine Lust habe weiterzugehen.

Es gab mal eine Zeit, da nannte man sowas Verrat. Ist vielleicht lange her, aber ich erinnere mich noch. Vielleicht ist es für Leute, für die Verrat der normale Job bedeutet, eben nur Arbeit.