Vater-Kultur

Manchmal kommt mir mein Vater in den Sinn. Er ist tot.
Als ich ihm, als etwa 5-jähriger Junge gestand, dass ich Polizist werden wollte, sagte er: „Nein. Du gehst aufs Gericht.“
Das tat ich dann auch. Aber nicht so wie er’s von mir erwartet hat.
Es schien, als wolle er sich opfern, für all das, was er nicht getan hatte, weil er nicht wurde, was seine fette katholische Mutter von ihm verlangte: Priester werden. Er wurde Vater von vier Söhnen, und starb allein und voller Enttäuschung. Über alles. Auch über seine Söhne. Aber wenn man von allem enttäuscht wurde, dann eben auch von allem.

Ich hatte keine besondere Beziehung zu ihm, wir teilten nur die Liebe zur Literatur, und, in gewissen Maße, die zu Alkohol. Ansonsten war da nicht viel. Eher peinlich, würde ich sagen. Ich war ungern mit ihm allein, was zum Glück nicht oft vor kam. Er war ein Erwachsener. Und Erwachsene bedeuteten nichts anders als: Der Spass ist vorbei. Erwachsene waren Arschlöcher. Außer ein paar Onkels und Tanten, und ein paar coole Ausnahmen.

Wie auch immer. Mein Vater verlor nie ein Wort des Lobes für mich. Als ich einmal mit einer 1. Platz Medaille, die ich erschwommen hatte nach Hause kam und sie ihm präsentierte, sagte er nur, ohne sie eines Blickes zu würdigen: „ Es ist Zeit. Geh schlafen.“ Vermutlich war der erste Platz einfach nicht gut genug. Er konnte einem leid tun, so eingesperrt in sich selber, wie er war. Aber dass er doch so ein Arschloch war, fiel mir gar nicht auf, da ich sofort nach der Schule aus dem Elternhaus verschwand und nie mehr zurück kam.

Warum ich über meinen Vater schreibe? Einfach: Es gibt ganz Kulturen, die auf den Vater aufbauen. Und den Vater des Vaters. Und dessen Vater. Und dessen. Und so weiter. Wir wissen alle, welche Kultur ich meine. Sie hat sich nicht mehr weiter entwickelt. Sie ist im Mittelalter stehen geblieben, wie ein Wecker, dessen Getriebe verrostet ist.

Es ist vielleicht ein wenig verwunderlich, dass niemand darauf gekommen ist, dass der Vater ein Idiot sein könnte. Und dessen Vater auch. Und dessen ebenfalls, Solls ja geben. Idioten kommen vor. Und so geht’s weiter mit der Idiotie, denn der Vater ist das Maß aller Dinge.

Und da ich selber Vater bin, weiß ich, dass es nicht so schwer ist, einer zu werden. Es ist schwieriger ein Buch zu schreiben, oder ein Baugerüst zu errichten.

Aber wir haben gelernt, unsere patriarchalisch sich gebärdenen Väter nicht allzu ernst zu nehmen. Und jetzt, wo wir selber welche sind, wissen wir, dass es nicht so leicht ist, sich den Respekt der Kinder zu verdienen.

Und das ist auch verdammt gut so.