Vierter

Ich sehe mir Skirennen an. Deswegen gelte ich als anachronistisch. In gewissen Kreisen. Vielleicht auch ein bisschen als reaktionär. Oder vaterländisch. Mir egal. Ich zolle dem Mut und dem Können der Fahrer (Läufer, wie man früher sagte) mehr als nur Respekt. Ich mag zum Beispiel Bode Miller. Er hat dem Sport den Trachtenjanker runtergerissen. Und ich mag es, wenn die Österreicher verlieren. Dies ist ein (bedauerlicher) Atavismus.

Einst wollte ich selber so einer werden. 10 Winter übte ich dafür. Jeden Tag. Katastrophale Ausrüstung und vermutlich auch mangelndes Talent beendeten die Karriere. Aber vor allem der Wille, mich dem Willen anderer zu unterwerfen. Es ist nicht leicht, ein Sportass zu werden. Die Bereitschaft sich zu schinden ist unabdingbar. Und noch mehr wird die Bereitschaft, sich von anderen schinden zu lassen, verlangt. Da haperte es auch.

Außerdem wurde ich in jedem Skirennen der ganz frühen Tage, Vierter. Vom Rennen bis zur Preisverteilung vergingen Stunden. Auf dem Gabentisch lagen allerlei nützliche und nicht so nützliche Dinge. Skibrillen, Wachspackungen, das neuste Skistockmodell usw. Und es lagen auch Dinge zu Essen auf. Landjäger Würste, zum Beispiel. Und weil alles so lange dauerte, kriegte ich immer großen Hunger. Und als ich dann als Vierter dran war, entschied mein Magen. Ich brachte nie etwas mit nach Hause.

Das war, im Nachhinein, sehr vorausschauend. Was hätte ich mit all dem Krempel nur angefangen, später, als ich jede zweite Woche umzog? Das habe ich richtig Glück gehabt. Sonst würde ich Gästen immer wieder die alten, verschrammten Skistöcke zeigen, die an einem Silkfaden in meinem Arbeitszimmer hängen würden. «Das sind die Skistöcke, die ich damals im Winter 64 im Habkernrennen gewonnen habe. Ich wurde 3.»

Na klar. Ich würde lügen. Wer gibt schon gerne zu, dass er Vierter wurde?

Da kann man wieder einmal sehen, was der Hunger und die Voraussicht der Menschheit Gutes getan haben: Niemand muss sich langweilige Renngeschichten anhören, und noch besser: Niemand wird belogen.

Lügen ist süss

Der Ex-Finanzminister von Austria ist ein interessanter Typ. Slick, nennt man Burschen wie ihn, nicht smart, nicht klug, aber slick; einer, bei dem man sich Schmiergelpapier um die Greifer binden muss, um ihn zu kriegen. Aber dies ist nicht der Punkt. Sache ist, dass dieses slicke Kerlchen, seit es den ersten Satz gesprochen hat, lügt. Und zwar den ganzen Tag lang. Ich schätze, dass auch seine Träume voll der Lüge sind, denn die Lüge ist sein Lebensprinzip.

Aber da kann er nicht mal was dazu. Er ist Kärntner. Und das Kärtnersein steht einer solchen Existenzausformung nicht breitbeinig im Weg. Ich denke, Karlheinzi hat gelernt, dass die Leute gerne Lügen hören, Gesülze, das an der Realität kaum anstreift. Aber es hört sich eben klasse an. Vermutlich hat Karlheinzi schnell gecheckt, dass die Wahrheit mitunter ein roher Brocken ist, den niemand gerne auf die Hühneraugen geknallt kriegt.

So hat er begonnen zu lügen, und weiter zu lügen und dann hat er schlichtweg nie mehr damit aufgehört. Und weil er zwar ein slickes Kerlchen, aber nicht wirklich klug und smart ist, merkt er’s nimmer. Er redet und sülzt und treibt Blasen, und er glaubt sich jedes seiner Worte, und weil er gelernt hat, dass auch andere ihm glauben, ist für ihn alles Tipptopp. Falls ihm jemand mal nicht glauben will, dann ist dies ein böser Mensch, einer, der ihn vernichten möcht. Dann lässt er treuherzig seine Äuglein rollen, so, wie› schon Karlheinzi getan hat, damals, in Vatis «teitschkärntner» Autohaus. Denn dann kam Mutti und alles war wieder gut.

Er ist zum Schießen. Eigentlich.

Aber er sollte sich mal untersuchen lassen. Und die, die ihn gewählt, und in diese Position gehievt haben, auch.

Die steuerhinterziehende Föhnfrisur

Wenn man aus den Medien vernimmt, dass ein Finanzminister während seiner Amtszeit Steuern hinterzogen hat, und ca. 6 Jahre später nach allerlei Beschuldigungen der Staatsanwalt und dem dazugehörigen Druck, eine Selbstanzeige erstattet hat, weiß man, in welchem Land man sich befindet. Nein, es ist für einmal nicht Russland. Dort gäbe es keine Selbstanzeige.

Vielleicht, und das ist mein Wunsch, dringt dies auch bis zum öffntlich-rechtlichen deutschen Fernsehen durch, und ich muss mir die Föhnfrisur nicht auch noch bei meinen Lieblingsnachbarn anschauen. Ich hege die Hoffnung, dass man ein solches Verhalten dort als nicht legitim ansehen wird.

Hier? Eher nicht.

Brava, Gianna!

Gianna Nannini bekam mit 54 Jahren ihr erstes Kind (vermutlich auch ihr letztes).

Das erinnerte mich daran, dass das Rock’n Roll-Tier noch immer lebendig ist.

Ungehorsam, voller Überraschungen, auf Konventionen pfeifend, sich seinen eigenen Pfad trampelnd, dem Exzess immer noch ergeben, der Härte, der Zartheit, und mit allzeit bereitem Stinkefinger.

Ich hör es brüllen!

Die Vergnügungen meiner Familie

Neulich gings um Tautologien. Das ist der Stoff, aus dem in unserer Familie die Gesprächsthemen gewoben sind. Wir sitzen dann da, alle vereint, und sprechen über die Etymologie und Definitionen der Worte. Andere Vergnügungen können wir uns nicht leisten. Und wenn wir lachen wollen, schalten wir österreichische Kultursendungen ein. Pure Satire. Die armen Profisatiriker, sagen wir dann alle im Chor.

Also. Das Fremdwörterlexikon zur Hand. «Tautologie: Überflüssige Doppelung eines Begriffs.»

Boshaft und beckmesserisch wie wir in unserer Familie so sind (alle), lachen wir hämisch über diese Definition. Sie ist nämlich auch eine Tautologie. In unseren Augen. So kleinlich sind wir.

Zum Beispiel versteht in unserer Familie niemand, warum Sportreporter immer wieder sagen: «Der Knoten ist geplatzt!»

Ein Knoten platzt nicht. Ein Blinddarm, ja. Ein Kondom, meinetwegen. Aber ein Knoten geht auf, bitte sehr.

Und dann noch die Buchbesprechung im Ösi-TV: «Ein ungeahntes Rätsel…»

Aber da liegen wir schon alle auf dem gewienerten Parkett, und halten uns die Bäuche vor Lachen, und Mutti ist froh, dass wir für unsere TV-Gebühren so reichlich was zum Wiehern bekommen.

Einfach Klasse!

Linksautonome

«Linksautonome», ist in allen Schweizer Zeitungen zu lesen, «verprügeln den SVP-Nationalrat Hans Fehr».

In den achtziger Jahren verkloppten Linksautonome und «Antifas» gerne Teddys, «weil das Faschos sind». («Faschos» waren so ziemlich alle. Außer ihnen, natürlich. Aber Teddys waren proletarische Faschos, und das kam bei den Bürgerkindern nicht so gut. Darum gab’s was auf die zwölf.)

Apropos achziger? Wo sind eigentlich diese Linksautonomen heute?

Wer in Zürich eine Wohnung mieten möchte – wie man so hör t-, wird möglicherweise den ein oder anderen kennen lernen.

Letztes positives Schreiben

Als österreichischer Hobby-Starkoch vergehe ich mich zur Zeit lustvoll am Heiligtum der österreichisch-böhmischen Küche: Den Mehlspeisen. Die Grundlage für viele dieser Teile ist ein sogenannter «Germteig», eine süsser Hefeteig, aufgefettet mit kiloweise zerlassener Butter und all solchem Zeuch.

Gestern verließen Germknödel meine Manufaktur. Eine Premiere. Man könnte sagen, es waren Germknödel für Blinde. Sie schmeckten ausgezeichnet (wie man mir allseits versicherte), sahen aber Scheiße aus. Köpfen von Riesenchampions nicht unähnlich, über die ein kulinarischer Irrläufer Mohnzucker gestreut hatte. Und eine Eingeborene gestand mir, dass dies die ersten Germknödel waren, die sie zu Gesicht bekomme. Germknödel «fatta in Casa», notabene, und nicht die von IGLO. Die kennt jeder. Außer mir.

Nicht schlecht, fand ich. Meine ersten waren’s auch. Und ich muss sagen: Gar nicht übel, diese Kombination von Teig und Pflaumenmus (Powidl), Mohnzucker und Butter. Kein Wunder, dass die Mehlspeisen berühmt und die Esser übergewichtig sind.

Jetzt habe ich gerade «Buchteln» am Laufen.

Und jetzt reicht’s mit der positiven Schreiberei.

Ab Morgen geht’s wieder zur Sache…

Positives Schreiben V.

Wenn ich die Schweizer Nationalhymne höre, empfinde ich etwas. Denken tu ich auch was: Könnt das nicht ein wenig schneller gehen? «Trittst im Morgenrot daher…» Ja, da seh ich ihn, er tritt gerade aus dem Stall, in seinem genagelten Schuhen und in den Armeedrillichhosen, diesem unzerstörbaren Gewebe, gegen das die 1. Original Levis aus Segeltuch sich ausnahm, als wäre sie aus Seidenpapier. Und dann das kragenlose Hemd, hellblau, mit weißen und roten Fäden durchwirkt, und die gleißende Sonne, die über die Grate steigt, wie am ersten Schöpfungstag, das ist es, was ich sehe. Und dann die weiteren Worte: Hochherrlicher, Göttlicher, Ewiger, DU. Beten, knien und vor allem: «Wenn der Alpenfirn sich rötet, betet, freie Schweizer, betet.» Ja, das geht mir nahe, dieses Pathos, das ist Poesie, das muss man dem Burschen erst mal nachmachen, Sapperlot aber auch. Da atmet man gleich tiefer, und die Brust schwillt, und ich bin auf unerklärliche Weise ein wenig stolz, und deswegen etwas peinlich berührt. Ja. Auch ich. Ein Auserwählter. Wie jeder andere, jeder beliebigen Nation auch, wenn er seinen Hymnen-Song hört.

Aber der Mann meiner Vorstellung hat was ganz anderes zu tun. Er betet nicht auf der Alp im Morgenfirn. Er karrt die Kuhscheiße aus dem Stall. Zum Beispiel. Warum soll er beten? Weil er frei ist? Zu seinem Ex-Herrn, der ihm die Freiheit geschenkt? Aber so weit ich die Geschichte kenne, hat der Mann im Drillich seine Freiheit erkämpft.

Und wenn die Sonne über den Graten prangt, dreht er sich um, geht zurück in den Stall und sagt: «He, Murat, wenn du fertig gemolken hast, dann mach den Stall fertig, und sieh zu, dass du dieses Mal nicht wieder mit dem Mistbesen die Krippen auswischt, sonst schieb ich dir den Stiel in den Arsch!»

Positives Schreiben lV.

Österreichische Kabarettisten sind arm dran. Die heimische Realität hat sie am Sack. Sie müssen sich fühlen wie Kunstfurzer an den landesweiten Ausscheidungen für das nationale Chiliwettfresssen. Dort stinken sie ab. Alle. Die reale Konkurrenz ist nicht sehr subtil, aber sie macht gehörig Wind und stinkt.

Die größte Kabaretteshow läuft zur Zeit im AudiMax. Tausend Leute drin, und noch mal Tausend, die rein wollen. So geschehen vor ein paar Tagen. Heimische Kabarettritter lasen die «Abhörprotokolle» des ehemaligen Finanzministers Grasser. Gespräche mit «Freunderln», wie das korrekt ösi-like heißt. Ein Wegschmeißer. Aber volle Wäsche.

Das Telefongequatsche eines Ex-Finanzministers, gegen den die Staatsanwalt sämtliche Untersuchungen laufen hat. Außer vielleicht einer Darmspiegelung. Aber wird sind ja auf postitiv getrimmt. Er hat niemanden mißbraucht. Sexuell, zumindest. Dafür gehört ihm ein lautes: Bravo!

Das deutsche Talkfernsehen lädt ihn immer wieder gerne ein. Ich glaube, als Experten. Oder vielleicht, weil er so schön gefönte Haare hat. Deswegen sollte er hier auch Bundeskanzler werden. Nie hatte ein Kanzler besser gelegtes Haupthaar.

Aber sehen wir’s positiv: Solange er und seine Strauchdiebfreunde und die vereinten Buschklepper damit beschäftigt waren in die Staatskasse zu langen, Millionengagen für nichts lukrierten, taten sie nichts schlimmeres. Zum Beispiel, Tiere schützen, Bauskandale aufdecken, Waffen an den Iran verkaufen.

Österreich ist das positive Land, in dem man den Unterschied zwischen illegal und illegitim nicht so richtig kennt. Auch der positive SPÖ Ex-Bundeskanzler. Er ist inzwischen zum Berater des Despoten aus Kasachstan avanciert. Das ist vollkommen legal.

Wie sein Freund der Gerd. Bei dem man sich immer fragt, ist er nun Frau Putin oder Herr Putin, der gerade in einem Werbestreifen für Wodka, einen Heterosexuellen spielt.

Ich finde, um einen kleinen Wermutstropfen in diesen positiven Drink einfließen zu lassen: Wenigstens im deutschen Fernsehen möcht ich die Fönfrisur nicht mehr anschauen müssen. Bitte, liebe Deutsche, bitte.

Positives Schreiben lll.

Vor zwei Tagen erhielt ich eine Mail, in der ich aufgefordert wurde Patrice Lumumbas zu gedenken, der vor 40 Jahren, unter Beteiligung des CIA und der belgischen Regierung umgebracht wurde. Das tat ich. Ich gedachte seiner, und sah mich ein wenig bei Wikipedia um. Falls ihr nicht wisst, wer Lumumba ist, tut’s ihn «wiken», dann wisst ihr’s.

Jeder Tag, ein Gedenktag. Soviel Tod in dieser Welt. Aber positiv!

Ich habe meinen Kalender vor mir liegen. Er heißt: «The Beat Goes on» (Kalendarium toter Musiker). Sieht aus wie ein Kirchengesangsbuch. Und darin sind die Todestage unserer Musikhelden verzeichnet. Jeden Tag. Mindestens einer.

Heute gedenken wir Carl Perkins (1932-1998) und Wilson Picketts (1941- 2006).

Ich möchte euch nicht vorenthalten, was die Herausgeber-Jungs von der Edition Observatör Berlin (www.tbgo.de) zu Wilson Pickett angemerkt haben: » W.P. ist einer der populärsten amerikanischen Soulsänger… er hat getrunken, gekokst, sich geprügelt, im Suff Leute überfahren und letzlich ’nen Herzinfarkt bekommen.»

Wenn das keine positive Lebensführung ist, was dann?