Dumme Floskeln, mal andersherum

Lesen Sie wieder mal ein schlechtes Buch.
Gönnen Sie sich was, und gehen Sie beschissen Essen.
Träufeln Sie ein shitty Olivenöl über die Pasta.
Geniessen Sie den dreckigen Sandstrand bei Regen und Sturm.
Haben Sie endlich mal miesen Sex.
Vertrauen Sie auf Ihr Unglück.
Sehen Sie sich das Problem in energischer Unruhe an.
Seien Sie ungeduldig.
Überpacen Sie.
Seien Sie maßlos und gierig. Voller Neid und Niedertracht.
Und falls Sie zu sterben gedenken:
Schlafen Sie kriegerisch ein.

Wie ich einmal versuchte

Fortuna aufs Kreuz zu legen, und sie mich tüchtig in den Arsch trat.

Wenn es um Fußball geht, bin ich zurückhaltend. Ich bin kein Fan. Ich verstehe das Fandasein nicht, ist mir fremd wie Leute, die ihr Essen fotografieren.
Aber.
Es gibt doch Clubs, die meine Sympathie haben. Sagen wir es so: Sie sind mir nicht gleichgültig. Zu diesen Clubs gehört u. a. Dortmund. Die Sympathie für diesen Club ist vermutlich auch zu einem gut Teil der Antipathie des Club Hollywood geschuldet, und auch der Sympathie für einen Anhänger und Kenner und dieses Clubs: Klaus Bittermann.

Und mit diesem saß ich letzten Samstag in einem Wettbüro in der Invalidenstraße Wien, und wir sahen uns das letzte, alles entscheidende Spiel gegen Mainz an.

Ich hatte am Abend zuvor die Wettquoten studiert. Ich bin kein Wetter, aber als ich sah, dass für Mainz die Quoten 10 : 145 stand, kam mir die Idee einen Zehner auf den Mainzer Sieg zu setzen. Wenn Dortmund schon nicht gewinnt, und nicht Meister wird, dann soll wenigstens ich gewinnen.

Und prompt geschah es, dass Mainz 2:0 in Führung ging, weil die Dortmunder einen katastrophalen Stiefel zusammen kickten. Dortmund schoss dann doch den Anschlusstreffer, während im Parallelspiel Bayern den Kölnern jenes Unentschieden versemmelte, das Dortmund ebenfalls die Meisterschaft gesichert hätte.

Also: Die Meisterschaft für Dortmund war, ohne Sieg, dahin. Die Schale schwamm bereits auf einer Welle des Gegröhls nach München, und es ging in die Nachspielzeit. Dortmund fehlten 2 Kisten. Und ich, wäre ich ein Optimist und nicht ein tiefgläubiger, realistischer Pessimst, hätte ich mich schon auf meine € 145.- freuen können. Hätte. Aber ich ahnte, dass Fortuna meine Schlaumeierei nicht durchgehen lassen würde, ging pinkeln, und als ich aus dem Keller kam, brachen die letzten Sekunden der Nachspielzeit an. Sekunden, Freunde, Sekunden, bei 2:1.

Muss ich ausführen was dann geschah?
Es fiel das sinnloseste Tor des Fußballjahrs. 2:2. Es nütze niemandem, es änderte nichts, die Schale war so dahin, wie mein Gewinn.

Fortuna: Fuck you! For all times!

Ego obstrepere, ergo sum!

(Ich lärme, also bin ich)

Unter meinem Fenster zersägt ein Bauschloch 20/20 Fichtenblaken, und lässt die Stücke in die Mulde donnern. Er hat eine Kettensäge mit 60 cm Schwert. Der Lärm in der engen Gasse ist abartig. Aber das Bauschloch ist happy. Die Säge ist stumpf, wie ich sehen kann. Meine Kettensäge wäre in einem Viertel der Zeit durch.
Aber das ist dem Bauschloch recht. Denn so kann er länger herumlärmen, und lärmen gibt ihm das gute Gefühl richtig hart zu arbeiten.

Das ist hierzulande, bei den Bauschlöchern, das Gesetz: Viel Lärm = viel Arbeit. Sie sind zu abgestumpft und zu dumm, um sich um ihr Werkzeug zu kümmern, es z.B. zu schärfen, bevor sie anfangen. Sie könnten es nicht mal. Sie wissen gerade mal, wie man das Ding startet, und den Motor mit viel Zwischengas sinnlos aufheulen lässt. Es würde niemals ihre Matschbirnen streifen, dass mit einer scharfen Kettensäge auch der Verbrauch von Sprit reduziert würde. Weniger Belastung durch Lärm und Abgase.
Andererseits hätten sie dann mehr Zeit, vor meinem Fenster sinnlos rumzubrüllen. Mit den Kollegen oder in ihre Phones zu schreien.

Das wird jetzt den ganzen Morgen so gehen. Vielleicht geht auch noch der Nachmittag dabei drauf. Möglicherweise geht’s morgen weiter. Und den Rest der Woche auch.
Seit drei Jahren ist das der Sound vor meinem Fenster, hinter dem ich sitze, und versuche zu schreiben.

Und es ist kein Ende in Sicht. Im Sommer wird noch die irre Hitze dazu kommen. Dann ist es perfekt: Hitze und Lärm, das hat das Bauschloch gern!

Man sagt mir, dass die Leute auch nur ihren Job machen.
Ja, sage ich dann: Jeder beliebige Folterknecht und Serienkiller auch!

Erinnerungen an H.R. Fricker (1947-2023)

1980, zurück von Frankreich, wieder einmal in Basel – diesmal im letzten Haus der Stadt gestrandet – auf der Bahnpost Nachtschichten schiebend, und noch immer durch und durch romantisch auf einen Coup als Bahnräuber, oder doch lieber auf eine Existenz als Künstler hoffend, machte ich bei einer von Hans Ruedi Fricker initierten Kunstaktion mit.

Ich weiß nicht mehr genau, um was es sich drehte, aber wir schrieben uns Postkarten. Einmal, an das erinnere ich mich, schrieb er mir, dass er es „großartig finde, dass mein Name das feministische Programm enthielte“ : Nieder mit dem Mann!

Ich musste ihn da korrigieren. Es hieß nämlich: Nie der Mann (für was auch immer). So wollte ich es verstanden haben, und so passte es auch besser.

Es dauerte fast dreißig Jahre, bis wir uns live begegneten. Es war 2009 auf der Straße von Wald nach Heiden, kurz nach dem „Kaien“. Er brachte seinen Toyata Jeep neben mir zu stehen, und fragte, ob ich der „Berliner» sei, der gerade im Birli (in der Villa der Schlesinger Stiftung) wohnte, und ob er mich mit nehmen könne.
Ich lehnte ab, weil ich zu Fuß gehen wollte, aber wir unterhielten uns gut, mitten auf dieser einsamen Straße, er im Jeep ich auf dem Bordstein balancierend. Er versprach, mich zu besuchen.

Ich wusste, dass er ein Künstler war, einer der mit Sprache arbeitete, einer, dessen Arbeiten ich kaum verstand, aber der mich beeindruckte, einfach aus dem Grund, weil er sie machte. Und ich mochte ihn. Seine gute Laune, seine Freundlichkeit, seine Begeisterung für die Kunst.

So trafen wir uns hin und wieder. Er wohnte ja nicht weit weg. Einmal besuchte ich ihn in seinem Trogener Schulhaus mit meiner damals fünfjährigen Tochter Ella, und wir sahen zu, wie sie sich ein ganzes Kistchen Erdbeeren einpfiff.

Einmal kam er zu einer „Dichterstubete“ im Birli, nur um mir zu sagen, dass er leider nicht kommen könne. Dafür überreichte er mir einer seiner „Da“-Tafeln.

Eine Weile hing sie an meiner Tür wenn ich „da“ war, bis es mir zu blöd vorkam, und ich sie nicht mehr aushängte.

Er zeigte mir im steilen Friedhof von Trogen, das von den drei riesigen und schönen Mammutbäumen beschattete Grab seiner so jung verstorbenen Tochter, und sein eh schon trauriges Gesicht wurde noch etwas dunkler und trauriger.

Ein ander Mal zog er das Hemd aus, um mir die Operationsnarben an seiner Brust zu zeigen. Herzsachen. Herzinfarkte. All sowas. Er lächelte dabei.

Dann schlug er mich breit Facebook (Fazebok, wie er es nannte) beizutreten. Ich wollte nicht, aber er ließ nicht locker: „Ich hetze all meine Freunde auf dich!“
Okay. Dann war ich bei Fazebok und hatte innerhalb einer Woche etwa 250 „Freunde“. Das meiste waren Künstlernde. Sie schienen ständig irgendeine Banalität zu posten, und ich fragte mich eine Weile, wann sie denn ihre Kunst machten, und dann schloss ich das Ding wieder.
Für immer.

Ja, für immer.
Hans Ruedi Fricker starb am 6. Mai 2023 in Trogen.
Wird auch er im Schatten dieser schönen Mammutbäume liegen? Direkt neben seiner Tochter?
Ich hoffe es.
Da werde ich ihn besuchen.