Elegie an Halloween

«Ich spucke auf das Edle und auf jene, die es in nichtiger Weise bestaunen, wenn es keine Lust erzeugt.» (Epikur)

Ich schätze mal, dass ich der einzige Mensch in diesen Breitengraden bin, dem die Redundanz des Literaturbetriebs auf die Nerven fällt. Kaum zappt man sich mal in eine Lit.-Sendung ein, so fallen auch schon die gängigen Namen, jene, die einem auch schon ins Auge sprangen, als man die Zeitung aufschlug. Aber hier steht natürlich der Neid Pate, und im Grunde weiß ich, dass es mir noch mehr missfallen würde, wenn dort Bücher von Autoren besprochen würden, die mir schwer am Herzen liegen und deren Werk ich bewundere. Es ist dann ein wenig so, als müsste man einen hart ausgebuddelten Schatz plötzlich mit 10000 zufällig vorbei stolpernden Spaziergängern teilen. Das gefällt mir ebenfalls nicht. Man sieht: Es st nicht ganz einfach.

Dann geh ich ins Netz und werfe einen Blick auf die Heimseite des Gesichtsbuchs und dort erhascht mich ebenfalls der Neid und dann der Depro, und ich weiß nicht mal warum. Vielleicht weil da überhaupt nichts drin ist? Nichts, außer dem vielstimmigen elektronischen Gewisper, dem Geräusch das atomisierte Partikel erzeugen, wenn sie zwischen Null und Eins hin und herflickern. Vielleicht. Normalerweise begeb ich mich dann auf den Weg ins Geisteszentrum, aber heute ist trainingsfrei. Der HImmel ist grau, und der Wind hat der Linde bereits das letzte Blatt vom Ast gerissen, und dann lese ich noch, dass der Schauspieler Bruno Ganz fürchterliche Angst vor dem Tod hat. Das wiederum finde ich gut. Aber warum ich das tue, weiß ich auch nicht so genau, nur diffus, wie so viele andere Dinge. Ja, das Diffuse. Diese Gefühle. Empfindungen. Abneigungen. Verletzungen. Versagte Anerkennung. Mannsein, jawoll, warum nicht?

Denn ich lese wieder mal Nick Tosches Buch «Muddy Waters isst selten Fisch», Artikel, Reportagen, Interviews, ein Autor für den mein Herz schlägt wie kaum für einen anderen, und der in «Ödipus Tex» eine Männergruppe schildert die in einem Camp ihre Männlichkeit sucht, ja nachgerade Erlösung, und er, der Reporter Tosches, ihnen seine Story eines akuten Impotenzanfalls auftischen wollte, und dann von anderen die allertraurigsten Geschichten zu hören bekam, dass er, der coole Tosches um sie weinen wollte. Weinen um diese Männer, die von ihren Vätern vergewaltigt, zum Spaß erhängt, gedemütigt, geschlagen, verprügelt wurden; und später, als sie dann selber Väter waren, der Vater daherkam und  ihre Tochter vergewaltigte. Tosches: «Um manche diese Männer möchte ich weinen. Ich kapiere nicht, warum sie ihre Väter nicht umgebracht haben. Andererseits weiß ich aber auch nicht, wie das ist, wenn man fühlt, was sie gefühlt haben.»

Mehr Mitgefühl ist nicht möglich.

Somit wären wieder am Anfang. Nick Tosches Bücher werden hierzulande keine Renner. Sorry, Nick, aber das ist mir nur recht. Aber mein Freund Dobler liebt ihn auch. Er hat sogar das Nachwort dazu geschrieben.

Und außerdem ist «Hello Wien», und meine kleine Tochter hat beim Versuch «Grufties» zu sagen, einen neuen Ausdruck kreiert: «Knuffties». Yeah!

Spiegelbilder

«Da wandte ich mich, zu betrachten die Weisheit und die Tollheit und die Torheit.» (Prediger Salomo 1.2.12)

Die Spiegel im Geisteszentrum lügen. Sie schmeicheln mir. Sie zeigen mich aber genauso, wie ich mich fühle: Größer. Schlanker. Muskulöser. Stark. Für mein Alter in Topverfassung. Ich traue ihnen nicht. Denn ich schätze, Spiegel die mich (und die anderen), kleiner und dicker erscheinen ließen, wären dem Geschäft abträglich. Aber es besteht die Möglichkeit – sie ist nicht allzu groß, zugegeben -, dass alle anderen Spiegel lügen, jene, die mich nicht so vorteilhaft aussehen lassen. Immerhin fühle ich mich genauso, wie ich im Spiegel des Geisteszentrums reflektiert werde. Schwierig. Irgendwie. Denn wir sind nicht in der Lage uns von außen zu sehen, und selbst das Kameraauge lügt, und produziert letztendlich eine Vorstellung des Fotografen. Bildern ist nicht zu trauen. Bilder sind Abbilder.

Aber ich glaube sowieso nur ans Schreiben.

Lernt kochen

«Ist’s nun nicht besser für den Menschen, dass er esse und trinke und seine Seele guter Dinge sei bei seinem Mühen? (Prediger Salomo 2.3.24)

Gefängnisrevolten im Film, und vielleicht auch in Wirklichkeit, nehmen ihren Anfang in der Kantine. Einer meckert über den Fraß, und los geht’s. Wenn das Fressen nicht stimmt, stimmt in Gemeinschaften – freiwilligen oder erzwungenen, nicht mehr viel. Wenn in Kindergruppen, in Horts, Ferienlagern und All-inclusive-Hotels Konflikte ausbrechen, werden sie meist über das Essen artikuliert. Essendiskussionen sind das untrügliche Zeichen dafür, dass der Wurm drin ist. Wenn der Fraß in Ordnung ist, ist (fast) alles in Butter.

Das ist interessant, und nicht verwunderlich. Aber ich sage nicht warum… Lernt kochen.

Irischer Dichter

«Alles Mühen des Menschen ist für seinen Mund, aber sein Verlangen bleibt ungestillt.» (Prediger Salomo, 6.7.7)

Als ich mich heute, schwer beladen mit leeren Flaschen, zum Elisabethplatz begab, wo ich mir die letzten Zeugen meiner seichten Ausschweifungen vom Hals schaffen wollte, dachte ich bei mir: Es wär doch fein ein irischer Schriftsteller zu sein. Als Andrew McNyman, genannt «Andy the drinking eye», würde ich launige Stories über mein launiges Leben als trinkenden, rauchenden, musizierenden und ewig Berauschten zum Besten geben; dort drüben, im Pub, wo ich mich in aller Ruhe süß vergiften würde, und derweil den schönen Ladies auf die Hintern kucken.

Aber es ist nicht, wie ich es will. Dafür sah ich ein paar Möbelpacker, die nach den Regeln der Kunst einen Laster beluden, und da musste ich daran denken, dass ich selber mal ein solcher Kerl war. Es war eine gute Zeit, mit gutem Geld für harte Arbeit, und der Einsicht, dass sich kaum je mal einer verbesserte, sondern fast alle von Groß nach Klein umzogen, und dass sich niemand einzubilden brauchte, er sei ein Individuum und etwas einzigartiges, denn die verdammten Steckdosen waren in allen Wohnung am gleichen Platz, links und rechts, wo die Nachtkästchen zu stehen kamen. Ich vermochte nicht mehr einzusehen, warum die einen ihren Krempel aus der einen, und die anderen ihren aus der anderen Wohnung schleppen ließen, denn sie besaßen fast idente Sachen, wobei der eine ein Klavier hatte, und der andere eine Topfpalme aus Hartgummi.

Aber ich war jung und schön und stark und hatte Geld in Taschen und mächtigen Appetit. Auf alles und jede.

Zum Teufel mit den irischen Dichtern!

Zahnbürsten, Sekt und Koffer

«Weil das Urteil über böses Tun nicht sogleich ergeht, wird das Herz der Menschen voll Begier, Böses zu tun.» (Salomo, 7.8.11)

Als Autor und Verleger von Poetry bin ich, fast möchte man sagen naturgemäß, sehr reich. Und ich werde immer reicher. Aber da ich meinen Erfolg nur mir selber, meinem Geschick, meinem Genie und meinem Fleiß verdanke, verspüre ich keine rechte Lust dem Staat davon etwas abzugeben. Steuern sind gut, ja, aber warum soll ich sie zahlen? Ich krieg auch kein Arbeitslosengeld, wenn mal nichts läuft, oder?

Nun, ich habe ein kleines Köfferchen. In dieses Köfferchen tu ich mein Geld, und fahre damit nach Liechtenstein. Manchmal auch in die Schweiz. Ich gebe dieses Köfferchen meinem Mann des Vetrauens, einem gewissen Herrn «IchmachdasschonfürSie», und wie sein Name schon sagt: Er macht es für mich.

Es ist schon vorgekommen, dass irgendwas schief läuft. Undichte Stelle bei der Bank oder korrupte, geldgierige Datenverkäufer unter den Mitarbeitern usw., und dann hab ich ein Problem. Kein großes, den hier ist Österreich. Steuerhinterziehung ist kein Pappenstiel, oh, no Sir, das kann Knast bringen. Aber auch nur, wenn man blöd und/oder arm ist. Aber das trifft ja auf mich nicht zu. Wenn’s denn nicht mehr anders geht und der Hut brennt, mach ich eine Selbstanzeige. Dann zahl ich halt die Steuern. Das war’s. Und wenn ein Dieb im Supermarkt erwischt wird, gibt er einfach die geklaute Zahnbürste und den Sekt zurück, und man lässt es auf sich beruhen. Man kommt nicht in den Knast und wird dort von Schwerkriminellen durchgefickt und geschlagen. Das Blöde ist halt nur, dass das zweite nicht funktioniert. Denn schließlich haben wir Knäste, und die müssen auch belegt werden. Man denke nurschon an die Arbeitsplätze, oder?

Aber es muss einmal gesagt sein: Es ist ein gutes System. Da gibt’s nix zu husten. Es ist gut zu mir, jedenfalls. Aber ich habs auch verdient. Ich bin schließlich kein armes Schwein, dass es nötig hat, eine Zahnbürste zu klauen. Und wozu so einer auch noch Sekt saufen muss? Hätt er halt nicht geklaut, dann wär er auch nicht vergewaltigt worden. Oder?

Tja.

Nationalfeiertag! Lasst uns die Füße vertreten

«Die Weisheit macht den Weisen stärker als zehn Gewaltige, die in der Stadt sind.» (Prediger Salamo 6.7.20)

Heute ist österreichischer Nationalfeiertag. Gefeiert wird der Beschluss des Bundesverfassungsgesetzes über die österreichische Neutralität. Ein Tag, wie geschaffen um sich die Füße zu vertreten. Zumindest in Wien. Wie der 1. Mai. Aber seit der sozialdemokratische Bundeskanzler Gusenbauer in einen «Kronenzeitungs»-Reklameanorak gewandet, in Kitzbühl beim «Hahnenkamm» auf der Tribüne die Federn spreizte, mag ich den 1. Mai nicht mehr so richtig begehen. Stattdessen gönn ich mir, und den Kindern (so sie willens sind), den Staatsfeiertag. Wir pilgern zum Heldenplatz und ziehen uns die scharfe Heeresschau rein. Dort habe ich letztes Jahr meinen ersten «Eurofighter» gesehen. Und ein Schweizer, dessen Vater die Schneiderei in einem Zeughaus leitete, hat seit frühester Kindheit ein inniges Verhältnis zu herumstehendem, und auf Hochglanz poliertes, Kriegsgerät. Am Liebsten war mir die 150mm Haubitze. Ich mochte es, in ihre Mündung zu blicken und die eingefrästen Rillen des gedrehten Laufs zu berühren.

Ich halte diese Heeresschau am Nationalfeiertag für eine Schrulle. Man würde so eine Aktion eher den Eidgenossen zutrauen, deren Armee, bis vor Kurzem zumindest, die heiligste aller Kühe war. Aber die lassen’s an ihrem Nationalfeiertag am 1. August nur krachen, und feiern damit einen nicht genau datierten Brief, der den Bund von 3 Minikantonen besiegelte. Nicht etwa die Bundesverfassung von 1848, die die moderne Schweiz begründete. Aber wer möchte in der Postmoderne denn noch modern sein? Und vorher schon gar nicht. Patrioten sind nicht modern. Patrioten wollen Emotion, und Emotion ist niemals modern.

Sei’s drum. Vielleicht machen wir auch einen kleinen Abstecher ins Zelt der «Grünen». Die haben mit dem Heer nur die Tarnfarbe gemein.

Kohelet

Heute Morgen habe ich mir mal wieder eingeschenkt. Im Geisteszentrum. Hartes Training. Hohe Intensität, keine Pausen. In der Garderobe hätte ich beinahe in den Spind gekotzt. Der Kenner weiß nun, dass ich mir ein wirkungsvolles Training gegönnt habe. Wer danach nicht kotzt, ist nicht richtig aus sich rausgegangen. (Achtung, Kalauer)

Als ich nach Hause ging und das Palais Schönburg passierte, schritt ich über glitschiges und gelb-braunes Ahornlaub. Ich erinnerte mich augenblicklich an meine Schulzeit. In den Herbstferien zogen wir los und sammelten Walnüsse auf der «Höhenmatte». Manchmal halfen wir etwas nach, und ballerten die Nüsse mit Stecken runter. Dann gingen wir nach Hause, breiteten sie auf dem Dachboden auf Zeitungen aus und ließen sie trocknen. Kiloweise. So war das. Das Telefon war aus einem Material das Bakelit hieß und war im Flur auf eine Holzplatte festgeschraubt. Für den Hörer brauchte man einen Waffenschein, so schwer und hart war der. Und in der Wählscheibe konnte man sich einen Finger brechen. Das Benutzen dieses Dings war so teuer, dass man es nach einer Reise in die nächste Stadt nur zweimal klingeln ließ. Damit wussten die Zuhause gebliebenen, das alles in Ordnung war. So war das.

Seltsames Leben.

«…es ist alles ganz eitel. Was hat der Mensch für Gewinn von all seiner Mühe, die er hat unter der Sonne? Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt; die Erde aber bleibt immer bestehen.» (Prediger Salomo)

Immerhin. Das ist schön.

Ich tu’s schon wieder

Anfang der Neunziger lebte ich 6 Jahre lang strikte vegetarisch. In Wien. Die Topografie verdient Beachtung, da man damals in dieser Stadt noch nie von «Veget-Ariern» gehört zu haben schien. Von Arieren dagegen schon. Der eine oder die andere mochte sich vage erinnern, dass der Schicklgruber, der Stümper aus der Stumpergasse, einer gewesen war. Und für viele, war dies auch sein einziger Makel. Vielleicht noch, dass er den Krieg verloren hatte.

Es gab das sagenumwobene, mythenumrankte «Wrenk», ein Lokal, wo sich seltsame Menschen trafen um «künstliche» Schnitzel zu verspeisen. Aber sonst? Nebbich. Ich war zu jener Zeit, aus Jobgründen, darauf angewiesen in Wirtshäusern zu essen. Ich lernte mannigfaltige, aber doch immer gleiche Variationen von «Knödel mit Ei», «Salatplatte mit Ei» und «Gebackene Champions» kennen. Gerettet wurde ich hin und wieder, wenn sich die Kollegen breitschlagen ließen, einen «Chinesen» zu beehren. Eine schöne, wenn auch kulinarisch äußerst unergiebige Zeit.

Ich hielt mich auch dann noch für einen kernigen Vegetarier, als ich mit einem akuten Gichtanfall meinen Arzt kennen lernte. Er diagnostizierte «Verdrängung und Selbstbetrug». Denn ein Mann, der sich hemmungslos, und in beachtlicher Menge, neapolitanische Salsicce (reine Gichtreißer!) reinzieht, ist nicht mehr wirklich Vegetarier. Ein bemerkenswertes Phänomen, so eine Verdrängung. Am Besten gefällt sie uns in Trickfilmen: Wenn Kojote Carl über den Abgrund rast, und im schieren Nichts läuft und läuft und erst abstürzt, wenn er nach unten sieht. Man kann sagen, mein Blick in den Schlund war der Gichtanfall. Eine Erfahrung – seien Sie versichert – die man nur ein einziges Mal machen möchte. Wenn überhaupt. Von Kojote Carl wissen wir leider nicht, ob er’s geschafft hätte, denn immer hält er inne und blickt in die gähnende Leere unter ihm. Trotzdem. Er ist mein Lieblingsheld im Zeichentrick. Und doch wünsche ich ihm nicht, dass er den verdammten Roadrunner endlich kriegt. Aus selbstsüchtigen Gründen, natürlich. Es wäre das Ende.

Seit einigen Monaten lebe ich wieder vegetarisch. Zu 3/4 aus selbstsüchtigen Gründen. Ich fühle mich einfach großartig. Wie damals. Probiert es auch ein Mal…

Das Genie, das Gesetz, der Sparefroh

Ich hörte von einer Autorin, die nach einer öffentlichen Lesung auf die Frage, welche Autoren sie denn lese, antwortete: «Keine. Das tu ich mir nicht an.» Ich wusste sofort, aus welchem Land sie stammte.

Ich las in den Nachrichten, dass ein 5-Monate altes Kind abgeschoben wurde. Keine Frage, wo das war.

In Deutschland wird seit Neustem die «Deutschenbeschimpfung» durch Migros diskutiert. Man nennt es Rassismus. Diese Diskussion wird bald auch in Österreich ankommen. Aber hier wird man es gleich ordentlich machen, wie es der Brauch ist. Man könnte andenken, von Migros geäußerte Kritik an den Verhältnissen, gleich als Rassismus zu punzieren. Da würde doch einiges an Argumenten, Nachdenken und Diskussionen eingespart. Und sparen ist gut. Einer muss es ja tun. Warum nicht an dieser Stelle?

P.S. Ich habe mich geirrt!

Am 10. Okt. schrieb ich unter der Rubrik: Demokratiespiele, dass die Wiener SPÖ anyway mit der grauslichen ÖVP koalieren wird. Ich irrte. Sie geht mit den Grünen unter die «Tuchent»! Ich bin fix und foxi. Es trifft mich wie ein Hammerschlag. Das ich das noch Erleben darf. Denkt der Bürgermeister etwa an Rücktritt? Als sein Arzt, würde ich es ihm raten…