Perfekte Satire

Gestern konnte ich wieder mal so richtig lachen. Ein Komiker brachte das Kunststück zustande. Er heißt Karl-Heinz Grasser, formerly known as KHG, Finanzministerdarsteller im Ruhestand, Mister Nulldefizit, und großherziger Öffner der Staatskasse für all seine Freunde; ein Mann, der schon aus genetischen Gründen unfähig scheint, die Wahrheit zu sagen. Und sei es nur die korrekte Uhrzeit. Ja, er tut uns ein wenig leid, der Staatskomiker, der für die Schwiemu mit dem Geldköfferchen in die Schweiz und nach Liechtenstein unterwegs war – als amtierender Finanzministerdarsteller wohlgemerkt-, und nun ist er a bissi – gesetztechnisch- unter Druck geraten, und dann hat er auch noch diese Frau an seiner Seite, dieses Swarowski Hammerweib, eine allseits unterschätzte Intelligenzbestie, die uns, dem gewöhnlichen Fußvolke, den fast unbezahlbaren Rat andrehte, in der Krise doch nicht faul zu sein und Gemüse auf dem Balkon zu ziehen. Einfach Spitze!

Und wenn man ihn jetzt so sah, an der Promi-Gala, sah man auch, dass der Abstand zu den Tischnachbarn bemerkenswert war, da war viel Luft dazwischen, aber so ist das in seiner Welt: Jetzt hat er keine Kasse mehr, die er für die Freunderl öffnen kann, jetzt, wo die Staatsanwaltschaft hinter seinem Arsch her ist, gilt er nur noch als Sicherheitsrisiko. Da steht keiner mehr in der Schlange für ein Foto. Aber dies ficht den KHG nicht an, denn er erzählte uns treuherzig, wie sehr er vom Taxifahrer als Finanzminister gelobt, und von einer «älteren Dame» auf der Straße, vermisst wird. (Er weiß nicht, dass es keine «älteren Damen» mehr gibt, nur noch ältere Herren, die wie ältere Damen aussehen, die wie ältere Herren aussehen.)

Wie gesagt, da musste ich seit langem wieder einmal laut und herzlich lachen. Als würde man Werbung aus den fünfziger und sechziger Jahren anschauen: Perfekte Satire.

Marroni auf dem Autodach

Wie trübe! Bei dem Nebel hätte man nicht mal Lust, sich sinnlos zu betrinken. Wobei mir das Wort «sinnlos» am Besten gefällt. Gestern Nacht hörte ich zum ersten Mal einen Mani Matter Song auf wienerisch. Ich fragte mich, ob so etwas eigentlich nicht verboten ist? Bei uns kredenzt ja auch niemand «Angsoffen unterm Christbaam» auf Nidwäldlerisch. Und dann war es auch noch mein Lieblingssong vom Matter: «S Liäd vo dä Bahnhöf».

Aber es war bei weitem nicht das Schlimmste. Wie mein Kollege C.B. (nein, nein nicht Hank!) richtig bemerkte, gibt es einen Typus Musiker in seinen Fünfzigern, die sich superteure Instrumente besorgen und dann glauben, dass eine Rockerkarriere jederzeit noch zu machen sei. Herauskommen tut eine unglaubliche eitle Lethargie, ein Verbrechen an jedem ehrlichen Rocker, wie z.B. dem würdevollen, stimmgewaltigen Al Cook.

Aber wie gesagt. Nebel. Very kühl. Und nur die russische Saatkrähe aus der Rainergasse weiß sich zu helfen, und ist immer gut für einen Jux: Ich traf sie – auf dem Weg ins Geisteszentrum – an, als sie sich gerade eine weggeworfene Marroni auf dem Dach eines BMWs zurechtlegte, um dann mit beeindruckend wuchtigen Schnabelhieben die Schale zu entfernen und zum Kern vorzustoßen. Dass dabei der eine oder andere Hieb daneben ging, versteht sich von selbst. Putana Madonna, Dio rospo e sporcata miseria, die versteht es, sich echt zu amüsieren…

Der gute Mensch von Torri

Es gab mal eine Zeit, da war ich ein guter Mensch. Und es erschien mir leicht, ein guter Mensch zu sein, ich half wo ich konnte, und hatte doch ein schlechtes Gewissen. Vermutlich, weil ich katholisch erzogen worden bin. Wir Kathos machen ja immer etwas falsch. Es sind eine ganze Menge Gebote zu beachten, und wenn man seinen Eltern nicht gehorcht, ehrt man das Alter nicht, und das ist einfach nicht okay, denn es steht geschrieben: Du sollst Vater und Mutter ehren, auf dass es dir im Alter gut ergehe.» Lauter so Sachen.

Als ich noch ein guter Mensch war, kam einmal ein sardischer Schafhirte zu mir, und klagte sein Leid. Es war in der Zeit, als ich in Italien lebte (als Gast von Freunden), und der Schafhirte, der Pietro, der mit seiner Schafherde durch die Gegend zog, hatte aus irgendwelchen Gründen seine Unterkunft, und auch den Unterstand für seine Herde verloren. Eine verworrene Geschichte, die er mir in seinem sardisch gefärbten Italienisch vortrug. Ich gab mir keine Mühe sie zu verstehen, aber ich bot ihm eine ungenutzte, halb verfallene Scheune auf dem Anwesen meines Freundes (der irgendwo unterwegs war) an. Als Übergangslösung.

Pietro war, wie bereits erwähnt, Sarde. Und er stand in meiner Schuld. Und diese Schuld musste ich nun abbüßen. Ich mag keine Schafe. Weder ihre Wolle, den Charakter, nicht ihr Fleisch, nicht zu reden von der Milch und dem Käse, den Pietro daraus herstellte. Zwei, drei Male brachte er mir am Sonntagmorgen Schafsköpfe. Sie schwammen in wäßrigem Blut in zerkratzten Plastikbecken, und ich musste mit dem großen Messer ihre Schädel spalten, das Hirn entnehmen und es mit Salbeiblättern in einem Bierteig wälzen und in Olivenöl herausbacken. Die Kopfhälften kamen mit Olivenöl und Kräutern in den Ofen. Das machte ich, weil ich ein guter Mensch sein wollte. Meine italienischen Freunde aßen gerne Schafsköpfe. Und vor allem das «Cervello», das Hirn.

Und wenn ich Pietro zufällig in der Dorfosteria begegnete, musste ich mich auf seine Kosten betrinken. Aber so richtig. Da kannte er kein Pardon. Und wenn ich andeutete, dass ich vielleicht nach Siena müsste, dann musste ich gleich in sein winziges, nach Schaf duftendes Auto steigen. Wenn ich gesagt hätte, der und der hätten mich schief angeguckt, dann hätte Pietro sein scharfes Messer, mit dem er die Schafe schlachtete, geholt, und den Typen die Kehle durchgeschnitten.

Es war ein bisschen anstrengend. Die Sarden, fand ich heraus, waren in der Toskana nicht wahnsinnig beliebt. Vielleicht ihrer Dankbarkeit wegen, aber vermutlich nicht.

Als er dann mit seiner Herde weiterzog, hörte dieses Schafshirnfrittieren auf, und ich musste auch keinen Schafskäse mehr verschenken.

Das nächste Mal, werde ich bei einem sardischen Weinbauern ein guter Mensch sein.

Herr Bushido krieschte das Reh, oh yeah!

Herr Bushido hat das Reh gekriegt. Den Inti-Bambi. Aus den befleckten Pfoten von Sarrazin, oder was? Die Burda Penunze. Na ja, wir bauen alle ab. Ein bisschen zumindest. Ich auch. Aber ich arbeite wenigstens, darf ich zu meiner Verteidigung anführen (Eigenartig. Als würde der Umstand, dass man arbeitet, irgend etwas anderes erklären, als dass man ein Versager ist und zu blöd um Lobbyist zu werden). Ich meine richtig arbeiten. Nicht nur so blogmäßig rumschmieren und gscheit daherreden. Ich lebe im Verborgenen und versuche hinter den Sinn des Lebens zu kommen. Bislang noch ohne Erfolg. Und die Zeit wird knapper. Jeder Tag mehr, ist ein Tag weniger, wie schon der große Hanns-Dieter Hüsch wusste, der Dan Blocker der Kleinkunst oder vielmehr der Sokrates des Hiphop. Oder was auch immer.

Heute habe ich für die Kinder Buchteln gebacken. Ich glaube nicht, dass Herr Bushido Buchteln kann. Krisch isch dafür a Reh? Nee! Rehbraten kann ich auch. Noch besser ist allerdings mein Hirschpfeffer. Mit Spätzle, Rotkraut und mit Preiselbeeren gefüllte Birnenhälften. Dazu einen Pinot Noir aus der Bündner Herrschaft.

Einmal habe ich geträumt, das Upper Dan das 9. Rennen gewinnt. Und als ich eine Woche später die Rennzeitung aufschlug, war Upper Dan tatsächlich im 9. Rennen gelistet. Ich fuhr nach Maienfeld. Upper Dan war krasser Außenseiter, und ich hatte mein Geld in den 8 Rennen vorher verlocht. Ich hatte noch einen Zwani. Ich dachte an den Traum. Was sollte ich tun? Dan hatte kaum Chancen das Ding zu gewinnen. Es ist nur ein Traum, sagte ich mir, ein dummer, ein blöder Traum. Andererseits. Wann träumte man schon mal sowas? Träumen, und dann nicht setzen? Das ging nicht. Ich legte den letzten Schein hin. Dan lief das Rennen nach Hause. Die Quote war phantastisch. Ich hatte nun ein paar Hunis in der Tasche.

Ich ging in den Ochsen in Krummenau, und gab mir den Hirschpfeffer und den besten Fläscher Pinot Noir, und Aperitiv und Digestiv, den Armagnac. Es war irre. Ich fühlte mich besser, als hätte ich einen Lottosechser. Das lag vielleicht daran, dass man, hat man einen Lottosechser, ’n ganzes Weilchen auf die Auszahlung warten muss. Da hast du einen Sechser, bist aber so pleite, dass du dir nicht mal n Bier in der Stammkneipe leisten kannst. Verstehst du? Ohne, dass du den Zettel rumzeigst und Kredit beantragst. Und was dann los ist, kannst du dir ja vorstellen. Aber beim Pferderennen krichste dat allet bar auf die Kralle, und ab geht’s. In den Krummenauer Ochsen, zum Hirschpfeffer.

Rehrücken gab’s auch, Herr Bushido. Für’s nächste Mal.

P.S. Ich finde diesen Link zur «FAZ» (Ich schreibe wie…) so Hergottsackspunikel, dass ich auch weiterhin meine Blogs analysieren werde. Das verschafft der «FAZ» die nötigen Klicks, und sie kriegt fett Werbeeinnahmen. Oder so.

http://www.faz.net/f30/aktuell/WriteLike.aspx

(Diesen Block schrieb der Autor im Stile Melinda Nadj Abonji)

Unterschreibt das.

Jetzt ist auch die heimische Verlags-und Autorenbranche aufgetaut, es hat nur ein halbes Jahr gedauert. Am 4. Juni bloggte ich unter dem Titel:«Die österreichische Post: Der einzige Auftragskiller, der von seinen Opfern bezahlt wird.» und beschrieb, wie die Ösi-Post dem Winzig-Verlag Songdog nicht nur seit Jahren die Buchformate diktiert, sondern ab Mai 2011 die Tarife so umgebaut hat, dass der Versand eines durchschnittlichen Buches nach CH oder D, nicht mehr irre € 3,60 kostet (langsame Post) sondern wahnnsinnige und komplett durchgeknallte € 13,40. Ein Buch.

Auf das hin, musste ich meinen booklooker Versand einstellen. Ich war nahe dran, alles hinzuschmeißen.

Nun sind auch die Kollegen aufgewacht. Keine Ahnung, was die bis dahin gemacht haben. Aber jetzt wird protestiert. Unterschriften gesammelt. Es mutet ein bisschen an, als würde ein Dorf Unterschriften sammeln um damit einen Mafia-Killer zu überzeugen, ein liebenswertes Gemeinschaftsmitglied zu verschonen.

Die Ösi-Post ist die teuerste Post der Welt.

Es wird nichts nützen, aber unterschreibt trotzdem. Subito, per favore.

«Ab sofort wird der folgende Aufruf bzw. die folgende Unterschriftenliste zur Unterstützung verbreitet. Unterstützungen durch Einzelpersonen und Organisationen (Vereine, Veranstalter, Verlage etc.) bitte per Retourmail mit Bekanntgabe des Namens, der Tätigkeit und eines Absenderortes an die Adresse gr@literaturhaus.at senden.»

Block Nr. 500

Block Nr. 500. Tja. Sollte, wie angekündigt, der letzte sein. Für eine Zeitlang wenigstens. Weiß aber nicht so recht. Man kann nicht einfach aufhören. Glaub ich zumindest. Ray Chandler hat mal gesagt, dass er, wenn’s mit dem Schreiben nicht hinhaue, auch aufhören können wolle. Wie wir wissen, hat es hingehauen. Sein schmales Werk ist längst Weltliteratur. Ich fand das immer eine reife Einstellung. Wie oft hab ich selber mit dem Schreiben aufhören wollen? 10 Mal? 20 Mal? Wie andere mit dem Rauchen. Mit dem Poffizeln wollt ich nur einmal aufhören, und dann hab ich es auch gemacht. Ich mag nicht abhängig sein. Von nichts. Ich denk immer, wie’s wär, ins Gefängnis gehen zu müssen, weil ich irgendeinem verdammten Lügenfritzen die Fresse poliert habe, und dann von irgendwas abhängig wäre. Zigaretten, Drogen, Alkohol, Sex, Fernsehen oder Schreiben.

Falls es mir beschieden ist, den Knast zu entern, dann häng ich mir Rubin «Hurrican» Carter an die Wand, der berühmte Boxer, der jahrelang unschuldig im Gefängnis saß. «Wenn sie dich wegen der Zigaretten unter Druck setzen, hör auf zu rauchen. Wenn es das Essen ist, hör auf zu essen. Wenn sie dir Bücher wegnehmen, schreib. Wenn sie dir den Stift wegnehmen, züchte Kakerlaken.»

Aber ich übertreibe wieder.

Und wenn wir schon bei Boxern sind: Nach der schlechten Nachricht vom Gesundheitszustand von Muhammad Ali, hab ich vernommen, dass auch «Smokin» Joe Frazier im Sterben liegt. Leberkrebs. Das wird nicht wieder. Das könnte ein richtiges Scheißjahr werden, dieses 2012. Mit oder ohne Blog.

Block Nr. 499

GRIECHISCHE GESCHICHTEN 3

In Gythion mietete ich ein Zimmer, und als ich den Fensterladen öffnen wollte, sah ich, dass das Fenster ein Fake war. Ich war eingemauert. Die hatten einfach zwei Läden und einen Fenstersturz auf die wand geschraubt. Ein beschissenes Gefühl. Ich hatte noch nicht bezahlt und konnte fliehen. Die Vermietervettel hatte kein Verständnis dafür, dass ich nicht in einem fensterlosen Raum nächtigen wollte. Ich ging in ein Lokal am Hafen und bestellte einen 20-Sterne Metaxa, und der Wirt wollte mir einen ranzigen Raki andrehen. Als ich reklamierte schrie er auf Deutsch, dass er kein Betrüger sei. Ich ließ mich nicht beeindrucken. Und dann schenkte er mir den Fusel, so, dass es alle im Lokal hören konnten, aber ich ließ ihn natürlich stehen.

Ich freundete mich mit dem jüdischen Besitzer eines Reisebüros an, und er riet mir mit dem Taxi zum Strand zu fahren. Er sagte mir auch, was es kostete. Und so war es auch. Ich fuhr mit dem Taxi zu Strand, und ließ mich wieder abholen. Ich bezog ein überteuertes Zimmer, und sah einem Typen zu, der hingebungsvoll einen riesigen Kopffüßler auf die Hafenmauer klatschte. Immer wieder. Bis er reif für den Grill war. Der Kopffüßler.

Am nächsten Tag stieg ich in die Fähre nach Castello (Kreta). Beim Halt in Antikithyra enterte ein Clan Zigeuner das Schiff. Die Männer hockten sich auf den Boden und nahmen ihr unterbrochenes Kartenspiel wieder auf. Die Kinder strichen mit hungrigen Augen um mich herum, und ich gab ihnen meine Bananen und den Rest des Obst. Sie schoben es in die Laube wie Soldaten Patronen ins Magazin. Als ich auf Deck ging, nahm ich meine lächerliche Tasche mit. Es war einfach besser so.

Mitten in der Nacht erreichten wir den Hafen von Castello. Wir gingen von Bord. Einige Autos warteten. Die Zigeuner schwangen sich auf ihre Pritschenwagen mit den tausend bunten Plastikeimern, die sie zu verchecken versuchten. Innerhalb von 3 Minuten war ich allein in der Dunkelheit und sah den letzten Rücklichtern der Wagen nach, die die anderen Passiere abgeholt hatten. Nur mich holte niemand ab. Es war zwei Uhr morgens, als im Zentrum ankam. Völlig leere Straßen. Nirgends ein Hotel. Ich schnürte durch die Hauptstraße und traf auf zwei angenudelte Nachtschwärmer, die mir verrieten, dass der Ort doch ein Hotel hatte. Ich fand es. Es war ein großes Hotel. Die Rezeption war leer, aber als ich klingelte erhob sich ein alter Kerl von einem Sofa und kam rübergeschlurft. Er gab mir einen Zimmerschlüssel und ich fragte ihn, gythionmäßig, ob ich gleich zahlen soll. Da blickte er mir außergewöhnlich lange in die Augen, und meinte, dass ich das morgen beim Auschecken erledigen könne. Nach der Gythionscheiße war das Vertrauen eine Wohltat. Er hielt mich für eine ehrliche Haut. Irgendwie hatte er auch recht.

(Diesen Blog schrieb ich wie Uwe Johnson)

Block Nr. 498

GRIECHISCHE GESCHICHTEN 2

Von Aeropoli fuhr täglich ein Bus nach Gythion (oder wöchentlich? Monatlich?). Diesmal war er voll mit Rucksacktouristen. Mir blieb ein Doppelsitz. Und den hätte ich niemals geteilt. Nicht mit einem dieser Bonbon-Rucksack-Buckler mit der Isomatte vorm Arsch, und der herauslugenden Wasserflasche.

Der Fahrer, ein Schlaks der aussah wie ein alter Esel mit Schnauzbart, ging durch den Mittelgang um zu kassieren. Aber er stockte schon bei der ersten Reihe. «Thio kosja», sagte er und bekam zur Antwort: «How much?» – Er wiederholte völlig ungerührt sein griechisches «Zweihundert». Die Backpackers, ein holländisches Paar, sahen sich ratlos an. Blickten hilfesuchend nach hinten. Niemand. Schulterzucken. «Thio kosja!» Das konnte dauern. Und es dauerte.

Irgendwann hob der Alte vier Finger. Ich sah, dass sie ihm, wie erlöst, achthundert Drachmen einhändigten. Die Preisinfo verbreitete sich wellenmäßig durch die Reihen bis ganz nach hinten. Vierhundert. Allgemeines Börsengenestel. Mit unbewegter Miene zupfte der Fahrer dem Jungvolk die Scheine aus den Fingern.

«Tetra kosja ja ena?», sagte ich, und hob fragend die Augenbrauen. Vielleicht hatte ich Glück, und es war so etwas wie griechisch? Oder zumindest schlechtes Deutsch in griechisch («Vierhundert für einen?»). Ich streckte ihm zweihundert hin, er nahm sie und kassierte den Rest Backpackers ab. Dann kam er zurück, gab mir ein Ticket und … ein paar Hunderter. Ich war zu verblüfft, um zu reagieren. Und schon hockte er hinter dem Lenkrad und drehte den Zündschlüssel.

Es war mein Anteil. Schweigegeld. Ha,ha, und was jetzt? Die Sache aufklären? Ich konnte Backpackers nicht ausstehen. Und jetzt hasste ich sie ganz besonders, weil sie so blöde waren, und mich in diese Lage gebracht hatten. Ich hatte mich gerade bestechen lassen. Nun war ich ein kleiner, fieser Korrupto. Das war ihre Schuld. Und dafür, versuchte ich mir einzureden, mussten sie büssen. Das kostete. Ich hatte ihr Geld in den Händen. Ich steckte es in die Hemdtasche. Es verdarb mir ein wenig die Fahrt. Die Backpackers hatten keinen Schimmer und plapperten. Das Geplapper machte es mir noch leichter, sie zu hassen. Sie waren entschieden selber schuld. Und trotzdem. Es war irgendwie anstrengend korrupt zu sein. Schnell geschehen, nachhaltig in der Wirkung.

Ich denke, beim zweiten Mal wird’s dann leichter. Wie man aus informierten Kreisen so hört. Mal sehen.

(Alexa Henning von Lange-Style)

Block Nr. 497

GRIECHISCHE GESCHICHTEN

Anfang der neunziger Jahre. In einer Hafenstadt im Norden Kretas. Ich hatte ein Ticket für eine nächtliche Überfahrt nach Piräus gekauft, und mir den Luxus eines Bettes in einer 4-er-Kabine geleistet. Das war hinausgeschmissenes Geld, wie sich herausstellte. 3 dicke Griechen kamen rein, warfen sich in Klamotten auf die Betten und schnarchten los. Aber so richtig. Es machte mich verrückt. Es war wie im Knast. Ich bastelte mir aus Klopapier und Olivenöl Ohrstöpsel. Half’s was? Ein bisschen.

Die Fähre legte an. In Piräus war es Nacht. Ein Meer von Taxis am Pier. Davon hatte ich auch nichts gewusst. Ich musste zum Busbahnhof, den Bus kriegen, der mich rechtzeitig nach Patras zur Fähre nach Trieste brachte. Es war vier Uhr morgens. Taxifahrer keilten Kunden. Einer keilte mich. Er konnte nur griechisch. So ein bisschen konnte ich auch. Leoforio, heißt Bus. Ich wartete. Er holte sich noch zwei Mitfahrer dazu. Finstere Kerle, wie zwei Typen aus der Kneipenszene von «Sorbas the Greek».

Es ging los. Ich saß vorne. Die Typen in den abgewetzten Anzügen im Genick. Keiner sagte ein Wort. Der Tag graute und zog ein in den Müll der Athener Vorstadt. Schlote rauchten am Horizont und blinkten Rot. Der Taxameter tickte laut wie ein Filmbombe.

Am Busbahnhof hielt das Taxi. Auf dem Taxameter waren 200 Drachmen. Der Fahrer holte meine Tasche aus dem Kofferraum. «Thio Chilies», sagte er. (Zweitausend!!). «Ochi», sagte ich, «Thio Kosja». – «Thio chilies.» Die Anzüge hatten sich zu uns umgedreht und blickten finster durch die dreckige Heckscheibe. Ich hatte mein kleines Notenbündel gezückt. «Thio chilies!» Er hatte meine Tasche noch in der Hand.

Ich wurde gerade abgezogen. Was konnte ich machen? Nicht viel. Der Taxifahrer grinste wie Warren Oates in der Rolle eines Drecksacks. Die Anzüge miteinbeziehen? Vergiss es. Das war eine verschworene Gemeinschaft. Die teilten sich die Kohle. Ich meine, ich zahlte denen ihre Fahrt. Ich gab ihm die zwei Tausender. Die zwei Kerle drehten sich wieder nach vorne. Der Fahrer stieg ein, und ich stand im Morgengrauen am Straßenrand und fühlte mich gefickt.

Ich denke, ich hätte ihm nur die zweihundert geben sollen. Und dann sehen, was geschieht. Ich hätte kämpfen sollen. Zu spät.

Diese Szene geht mir in diesen Tagen oft durch Kopf und ich denke: Das habt ihr jetzt davon.

Block Nr. 496

Das neue Wort der Stunde heißt «Die Märkte». Die Märkte sagen, die Märkte reagieren, die Märkte wollen, die Märkte zittern, die Märkte. Die Märkte hat Ähnlichkeiten mit: «Die Ärzte». Wenn ich nach meiner Gesundheit gefragt werde (was zum Glück sehr selten geschieht), könnte ich antworten: «Bestens. Bis auf den Hochdruck. Aber gegen den hat mir mein Arzt Medikamente verschrieben.» Das ist allerdings die Antwort eines durch und durch bedeutungslosen, ja, schon beinahe nichtigen Menschen, denn ein wirklich angesehener, bedeutender und sozial hochstehender Mensch, wie Heidi Klum oder Karlheinz Grasser, würde sagen: «Die Ärzte haben leider einen kleinen Hochdruck festgestellt.»

Ich finde es nicht uninteressant, dass in einer globalisierten Welt, wo ein armer ägyptischer Fellache der mühsam Mungobohnensamen zieht und verkauft, eine europaweite, millionenteure EHEC-Hysterie auslösen kann, und dass es in dieser Welt, nicht mehr «den Markt» gibt, sondern nur noch «Die Märkte».

«Die Märkte». Scheue, rehähnliche, hypernervöse Tierchen, die rastlos im Unterholz herumforcheln und bei jedem Geräusch so zusammenschrecken, dass sie minutenlange Zitteranfälle bekommen und sofort große Mengen des Waldes vertilgen müssen, um den Tremor wieder unter Kontrolle zu bringen. Ja, so sind sie eben, «Die Märkte». Oder weniger vornehm ausgedrückt: Eine Ansammlung geldgeiler und ratloser Arschlöcher denen der Reis geht.

(Jetzt habe ich es geschafft: Endlich ein Friedrich Schiller-Stil.)