Haut doch ab nach Moskau!

Wenn in den siebziger -und frühen achziger Jahren herauskam, dass ich nicht beim Militär war, und den Dienst gar verweigert hatte, dann bekam ich was zu hören. Vor allem von der Belegschaft der kleinen Bau -und Zimmermannsfirmen, für die ich damals oft gearbeitet habe. Aber auch sonst. Am Stammtisch, in der Kneipe, auf der Straße.

Dienstverweigerung galt damals in der Schweiz als Kapitalverbrechen. Für Lehrer bedeutete es faktisches Berufsverbot. Uns anderen wurde angeboten, uns bei der Kastration mit einem rostigen Dosendeckel behilflich zu sein. Aber am meisten hörten wir: Hau doch ab nach Moskau! Oder simpel: Moskau einfach!

Heute würden sie das nicht mehr sagen. Denn diejenigen, denen das damals ein Herzensanliegen war, wünschen sich schon längst selber Zustände wie in Moskau.

Wenn man sich die Postings und den Boulevard zur Causa «Merkureinbruch» – bei dem ein 14-jähriger Einbrecher von der Polizei mit einem Schuss in den Rücken getötet wurde – durchliest, wird eines deutlich: Die Mehrheit hat die Schnauze voll. Sie hat die Schnauze voll, und zwar von Freiheit, Demokratie und jeglicher Verantwortung für das eigene Leben. Sie wünscht sich einen Burschen wie den Pröllenen Örwin, einen väterlichen Autoritärling, der bei jeder Fussgängerstreifeneinweihung zugegen ist, und den Leuten die Hand schüttelt. Einer Art heterosexueller und väterlicher Haider.

Sie wünschen sich, dass endlich «a Ruah» is, dass diesen Unruhestiftern, Nestbeschmutzern, uneinsichtigen Gutmenschen die noch immer unbequeme Fragen stellen, endlich das Maul gestopft wird.
Man möchte wieder unter sich sein. Man will endlich wieder alles sagen dürfen, was da an brauner Sosse durch die zwei Gehirnwindungen gequirlt wird; schimpfen, schimpfen nach Herzenslust und zwar so wie einem der Schnabel gewachsen ist. Über Ausländer und Außenseiter, Gutmenschen, Schwule, Lesben, Juden, Muslime und Künstler. Man möchte nicht mehr gestört werden. Geführt, will man sein.
Ich verstehe das.

Früher war es die Kirche, die den niedrigsten Instinkten der Menschen eine Kralle anlegte. Aber unter dem deutschen Papst hat sie andere Probleme, und tendiert selber in diese Richtung. Wer hat nicht langsam den Eindruck, dass wer nicht katholisch ist, nur noch peripher der menschlichen Gattung zugerechnet wird?

All diesen Gutmenschen-Hassern würde es in Russland gut gefallen. Da kriegen freche, fragenstellende Journalisten eine Kugel in den Kopf. Und nicht nur jugendliche Einbrecher.

Wenn man den Erzählungen von überlebenden Wiener Juden, vom Tag nach dem Anschluss 1938 zuhört, gibt es in einer Sache immer Deckungsgleichheit: Das Staunen darüber, dass plötzlich alle, Nachbarn, Bekannte, Geschäftsleute usw. über Nacht zu bekennenden Antisemiten geworden sind. Über Nacht.

Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass es beim nächsten Führer wieder so sein wird. Linke, Gutmenschen, Ausländer, Künstler, Journalisten (jene die nicht der Dichand-Schule angehören) habt acht.

Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich am Liebsten schreien:
Haut doch ab nach Moskau, Spießer!