Neue Roman-Synopsis


Ich arbeite zur Zeit am 3. Blumberg-Roman – Titel: Alte Schule.
Anstelle der üblichen kurzen Inhaltsbeschreibung –der Synopsis –, liefere ich einen Beipackzettel, wie er in Hinkunft bestimmt gefordert wird:

Der Roman kann Spuren von Gewalt enthalten, von Mord, Totschlag, Schussverletzungen, Leichenfäule, abgetrennte Körperteile, von moralischer Verkommenheit, Rachedurst, Hass, Dummheit und Inkompetenz; und von alten weißen Männern. Außerdem Darstellungen (hetero) sexueller Handlungen, möglicherweise Cunnilingus und Fellatio, Fingering und auch spezielle Küsse; ganz bestimmt enthält der Roman Spuren von Schusswaffen aller Art, Darstellung von Aas und anderen toten Tieren, zudem wird Alkohol getrunken und Fleisch (nicht Bio) verzehrt, sowie Tabak konsumiert und illegale Drogen; es werden Witze über Bauern und Sportler gemacht, über Leserinnen und Leser, über Dörfer, Polizisten und Autofahrer – und es kann ganz massiv regnen.

Für etwelche Fragen zum Gebrauch, wenden Sie sich bitte an den/die Cancel-Culture-GauleiterIn oder den Woke-Beauftragten Ihres Vertrauens.

Im Reich des Euphemismus

Wir nehmen gerne zur Kenntnis, dass man übergewichtige, adipöse Menschen nicht mehr als „Übergewichtig“ zu bezeichnen hat. Sie sind „Mehrgewichtig“. Und ziemlich stolz darauf.
Es ist uns daher ein Anliegen, auch unsererseits Vorschläge zur Beseitigung unangebrachter Zuschreibungen und Titulierungen zu liefern. Somit sind einige weitere, als Problem erkannte Zustände, endgültig getilgt. Für weitere Vorschläge haben wir natürlich offene Ohren. Cheerio!

Adipositas (Fettsucht) = Mehrgewichtig
Alkoholiker = Mehrtrinker
Neo-Nazi = Moderner Rechtsabbieger
Antisemit = Judenkritisch
Spielsüchtig = Spielfreudig
Rachsüchtig = Gerechtigkeitssucher
Sexsüchtig = Koitusenthusiast
Kaufsüchtig = Wirtschaftsfreundlich
Raucher = Nikotinbedürftig



Wandern und Alkoholismus (Mehrtrinker)

«Drahtig, athletisch, sportlich – die Liste an Attributen, die man Wandernden gemeinhin zuschreibt, ist lang. Das Wort Alkoholiker ist bislang für die meisten eher nicht dabei gewesen. Genau dieses fehlende Bewusstsein wollen die Österreicher Hanger und Blaha schaffen, indem sie offen mit dem Thema Wanderer-Alkoholismus umgehen. 

Hanger und Blaha erklären darin, dass ihnen bewusst ist, wie emotional das Thema diskutiert wird. Dennoch scheuen sie diese Auseinandersetzung nicht. Denn «solange es keine Bilder von Alkoholikern auf Wanderwegen gibt, werden alkoholisierte Menschen sich nicht trauen zu wandern». Sie wollen dem Wort Alkoholiker, das zeitlebens gegen sie verwendet wurde, seine negative Konnotation nehmen. Es solle einfach nur mehr eine Eigenschaft beschreiben, ohne zu beleidigen: «So wie blond, groß oder klein.» Sie wollen sich auch nicht dafür rechtfertigen müssen.

Bedürfnisse alkoholisierter Wanderer sichtbar machen

Die beiden Männer leidenschaftliche Wanderer. 
Und es für sie nicht mehr hinnehmbar, dass sie bei einer Einkehr schief angesehen werden, wenn jeder ein oder zwei Liter Wein trinkt. Ganz zu schweigen von den Kommentaren, die Anwesende tuschelnd austauschen. „Es braucht“ so Blaha, „endlich eine offene Diskussion über die Bedürfnisse von Alko-Wandern.“
Er nennt konkret „Rabatte bei alkoholischen Getränken, freie Alka-Seltzer bei Heurigen und Alkoholiker gemäße Speisen, sowie eigene, richtig ausgestattete Rauschauschlafplätze.“

„Darüber“ doppelt Hanger nach, „ muss endlich offen und ohne Tabus diskutiert werden.“

Ganz unsere Meinung!

Es ist wieder Saison


Eine kleine Reminiszenz an meine Zeit als Fitnesstrainer. Ist lange her, aber ich denke, es hat sich nicht allzuviel geändert. Seh’s im Gym. Ist wieder brechend voll. Für drei, vier Wochen. Das legt sich dann wieder. Zu meinem, und dem Glück von anderen.

Denunziationen eines Fitnesstrainers

Sie kommen immer Anfang Januar. Jedes Jahr. Da stehen sie dann in der Lobby herum, mit diesem Schrecken im Gesicht. Verlegen, schuldbewusst und einige fast verzweifelt ratlos. Manche kommen gleich zur Sache, andere drucksen herum, und wieder andere finden keine Worte für das, was ihnen widerfahren ist. In ihren Gesichtern spiegelt sich der Schock einer bitteren Wahrheit. 

Ein Fitnesstrainer lebt von Menschen, die sich in Form bringen wollen. Aber noch mehr von jenen, die der Meinung sind, dass die reine Mitgliedschaft ausreicht, um fit zuwerden, und dass das Training dabei nur eine Statistenrolle spielt. Das sind die, die jedem Gym die liebsten sind. Davon lebt das Gewerbe. Von den Karteileichen. 

Aber diejenigen, die Anfang Januar kommen, meinen es ernst. Zumindest glauben sie, dass sie es ernst meinen. Es ist die hässliche Wahrheit, die ihnen den Ernst in Stimme und Augen schrieb. Aber wenn man sie ein wenig besser kennt, und weiß, dass wir hier in einem bis zu den Sackhaaren des Teufels katholischen Land leben, fällt man nicht mehr so leicht auf all die ernsten Mienen hinein. Sie wollen nämlich kein Training. Sie wollen einen Ablass. Am besten ein Schnäppchen, einen Schnäppchen-Ablass. 

Die Friseurin, die gleich um die Ecke in ihren „Salon-Gerda“ die Mumifizierung ihrer Freundinnen vorantreibt, stöckelt äußerst vorsichtig die steile Treppe hinunter. Sie sieht aus wie Hansi Hinterseers Vater; aber welche Friseurin in diesem Alter tut das nicht? Sie hat es verdammt eilig, dreht sich auf den Absätzen, deutet auf ihren Hintern, zupft an ihrem weißen Flausch-Pullover, tätschelt ihre Hüften. „Das muss weg!“, sagt sie. „10 Kilo müssen weg.“

„Fein“, antworte ich mit ziemlich viel Anti-Entmutigungsgel in der Stimme. „Um Fett loszuwerden, gibt es genau zwei Möglichkeiten.“

„So?“, sagt sie erstaunt. 

„Ja“, sage ich. „Verbrennen oder absaugen.“

„Oh“, macht sie. Ihre Augen blitzen jetzt. Sie sind blau, voller Ungeduld und (noch) heiterem Ärger. Aber sie können mich nicht täuschen. Nimm mir das schwabbelige Zeug von meinem Hintern, fordern diese Augen, und mach schnell, Mann.

„An was haben sie denn so gedacht?“, frage ich. 

„Na ja“, sagt sie, „Bewegung?“ 

„Bewegung ist schon mal gut“, nehme ich den Faden auf. „An wieviel von dieser Bewegung hätten Sie denn gedacht, gnädige Frau?“

„Was ist denn so in zwei Wochen drin, wie viele Kilos?“

„Zwei Wochen, Kilos?“, sage ich und denke: Der ist gut, der ist echt gut. Den merk ich mir.

Ich setze ihr die Sache auseinander, führe sie in klaren, verständlichen Worten in die komplexe Problematik ein, mit der sie es jetzt zu tun bekam, weil sie sich über Weihnachten vollgestopft hat. Meine kleine Exkursion in ein Spezialgebiet der Anthropologie endet mit der Bemerkung, dass ein leidlich gut trainierter Mensch in einer halben Stunde Radfahren ca. 250 Kcal. verbrennt, was in etwa einem Glas Bier entspricht. Um ein Kilo Fett zu abzubauen, hätte dieser halbwegs trainierte Körper etwa 12 Stunden in die Pedale zu treten. 

So über den Daumen gepeilt.

Jetzt ist sie schockiert. Und beleidigt.
  Ich kann ihre Gedanken lesen.

Wie spricht dieser Mensch mit mir? So sollte man nicht mit einer potentiellen Kundin reden, nein, so nicht!

Ich sehe sie an. Jetzt ist sie sauer auf mich. Schwer beleidigt. Als hätte ich sie eine fette Schlampe genannt. 

„Um wirklich abzunehmen, genügt Bewegung alleine nicht“, führe ich weiter aus. „Sie müssen auch was bei der Ernährung ändern, und außerdem ist ein Krafttraining zu empfehlen.“

Jetzt reicht es ihr. Die Welt ist ein Wespennest voller Lügen! Was faselt dieser Kerl da? Das ist doch der Gipfel der Frechheit! Da komm ich hier herunter, arglos und hoffnungsvoll und möchte nichts anderes, als in einer nützlichen Zeit mal die 10 Kilo wieder loswerden, die mir diese Festtage auf die Problemzonen appliziert haben. Gezwungenermaßen. Was soll man denn machen? Überall wo man zu Besuch ist, muss man fressen, was kann ich dafür? Und was bekomme ich von diesem Trainerverschnitt zu hören? Ist doch ein voller Abturner, oder!? Der kriegt schließlich Geld dafür. Und teuer ist der Laden ja auch noch. Was bildet der sich eigentlich ein? 

Das alles sagt sie natürlich nicht laut. Noch nicht. Aber, als sie wenig später das Studio verlässt, ist sie demoralisiert und gleichzeitig wütend. Ich werde sie nicht wieder sehen, aber das macht nichts, denn schon bemüht sich der nächste Kunde in den Laden.

Er ist Kellner in einem Lokal in der Nähe. Mitte vierzig. Der stämmige Körper verrät den ehemaligen Sportler. Er hat beschlossen, dass die Waage zuviel anzeigt. Da liegt er sicher nicht ganz falsch. Das Hemd spannt um Brust und Bauch. Das Kinn kriegt Zuwachs, einen Doppelgänger. „Muss weg“, sagt er unwirsch. 

„Was kann ich für Sie tun?“, frage ich vorsichtig. Es ist wieder die gleiche Geschichte wie bei der Friseurin. Es muss schnell gehen. „Gut“, sage ich, „aber Bewegung und Krafttraining alleine sind nicht genug … Die Ernährung …“, flechte ich etwas zu zögerlich ein, denn schon fuchtelt er mit der Hand in der Luft herum. 

„Esse nur Salat und Gemüse“, sagt er mit einer Stimme, die keinen Widerspruch duldet. 

Salat und Gemüse? denke ich, oh ja, die Geschichte kenne ich. Die hab ich selber in Petto. 

Ich kenne mich also aus, was Selbstbetrug anlangt.

„Na, dann ist ja alles in Ordnung“, sage ich zu meinem Kellner. „Gemüse ist gut. Sehr gut sogar.“ 

„Bin trotzdem zu schwer“, sagt er und sieht mich dabei an, als hätte ich damit etwas zu tun.

„Gewicht allein ist nicht Ausschlag gebend. Viel wichtiger ist der Anteil von Magermasse. Knochen und Muskeln.“

„Was?“, ruft er aus.

„Schauen Sie,“ sage ich erfreut, denn jetzt streifen wir eines meiner Lieblingsthemen. „Mike Tyson ist ca. 180 cm groß und hat ein Kampfgewicht von über 100 kg. Das entspricht einem Bodymassindex von ca. 31. Der Ex-Schwergewichtsweltmeister würde also als schwer übergewichtig gelten, bereits an der Schwelle zur Adipositas …“

„Ja, und?“

 „Nun“, doziere ich weiter, während ich unter die Buddel greife und nach dem Foto von Tyson fische. Ich halte es ihm unter die Nase.

„Ist dieser Mann übergewichtig?“ 

Das Foto zeigt einen furchteinflössenden Mike Tyson, in der Form seines Lebens; austrainiert, muskulös, ein Körper wie ein Baumstamm.

„Blöde Frage, natürlich nicht“, sagt er.

„Aber laut Bodymassindex ist er’s“, triumphiere ich.

„Was hat das mit mir zu tun?“

„Lassen Sie sich nur nichts einreden“, sage ich.

Er zieht an seinem weißen Hemd, stopft es in den Hosenbund.

„Und jetzt?“, fragt er.

„Ist alles okay. Sie ernähren sich richtig, sind als Kellner in permanenter Bewegung, da kann ja nichts sein!“

Er beäugt mich misstrauisch. 

„Aber ein bisschen Krafttraining könnte doch nicht schaden, oder?“

„Nur nicht übertreiben.“

„Na gut. Ich komm dann nächste Woche wieder.“

„Fein, dann sehn wir uns.“

„Und wie heißt das Ding da, dieser (ich verstehe) Bodybuildinginzest?“

„Bodymassindex“, sage ich. Oben ging die Tür.

„Bodymassinsex?“

„Perfekt.“

Er stapft die Treppe hoch. Er hatte jetzt eine Geschichte mit Mike Tyson. Das würde reichen. Ich werd ihn nicht wieder sehen. Macht nichts. Da steht doch schon die nächste Kundin vor der Theke. Sie sieht sich unsicher um.

„Was kann ich für sie tun?“

„Na ja“, sagt sie.

„Alles klar“, sage ich.