Die Winslow-Therapie (4)

„Kinder, aus dem Schlaf gerissen, klammern sich an ihre Kuscheltiere. Auch wenn Gewehre knallen. Besonders dann.»

„Versuchen Sie einmal ganz ruhig und entspannt zu bleiben“, sagte mein Therapeut, „und lassen Sie einfach dieses Bild auf sich wirken.“
Ich tat, wie mir geheißen.
„Und?“, fragte mein Therapeut.
„Nichts“, sagte ich.
„Was nichts?“
„Nichts. Einfach nichts. – Ist das jetzt gut?“
Er antwortete nicht. Ein Anflug von Ratlosigkeit. „Na gut, probieren wir einen andern : „Zwei, ein Mann und eine Frau sind nackt – aus dem Liebesakt gerissen, denkt Keller, und in einer obszönen Blutorgie geopfert.»

„ Ist gut, dass Winslow eingangs des Satzes erwähnt hat, dass es zwei waren. So wusste man gleich Bescheid, dass es sich bei einem Mann und einer Frau um zwei handelt“, sagte ich abgeklärt. Ich wollte ihn beeindrucken.
„Und was sagen Sie zur „obszönen Blutorgie geopfert“?
„Große, wahrhaftige Prosa.“
„Hören Sie, mit Sarkasmus kommen wir hier nicht weiter.»
„Kein Sarkasmus.“
„Na gut“, sagte der Therapeut, „sieht so aus, als kämen wir einen Schritt voran.“
„Wann werde ich entlassen?“
„Nanana! So weit sind wir noch nicht.“
„Und ich hab mir solche Mühe gegeben. Es tat schon fast weh.“
„Das ist ein Schritt zurück. Wenn nicht zwei.“
„Fuck yourself!“
„Jetzt sind wir wieder am Anfang. Eigentlich wollen Sie hier gar nicht raus. Stimmt’s“
Ich zeigte ihm mein Schmollgesicht.

Die Winslow-Therapie (3)

„Im Krieg gegen die Drogen geht es oft sehr persönlich zu.»

Mein Therapeut (der Neue) fragte mich, was mich an dieser Formulierung störe. Ich konnt’s ihm nicht sagen. Ich lachte nur ca. dreieinhalb Minuten. Er äußerste den Verdacht, dass mein Gelächter einen „sauren Boden“ haben könnte. „Sind Sie neidisch auf Don Winslow?“
„Ob ich neidisch bin?“, fragte ich zurück.
„Ja. Sind Sie neidisch?»
„Auf was? Auf die Schreibkunst von Winslow? Oder dass er mit solchem Bullshit durchkommt und MIllionen verdient?“
„Ja.“
„Na klar bin ich neidisch. Ich bin arm. Wie kann man da nicht neidisch sein?“
„Sagen Sie es mir.“
„Ich bin auch neidisch auf Sie.“
„Sind Sie? Warum?“
„Sie sitzen vor armen neidischen Menschen und tun nichts anderes als Fragen stellen, die dann die armen neidischen Menschen selber beantworten müssen, während ihr verdammter Taxometer tickt und tickt, und sie sich die Zeit vertreiben können, indem sie sich ausrechnen, wieviel diese Frage wieder gebracht hat.“
„Das glauben Sie?“
„Sehen Sie? Schon wieder? Das war vermutlich ein glatter Fünfer.“
„Und was fühlen Sie dabei?“
„Dass es im Krieg gegen den Psychokrieg oft sehr persönlich zu geht.“
„Na, sehen Sie, geht doch. Die Stunde ist leider um.»

Die Winslow-Therapie (2)

„Die Kugel lässt Keller wie einen Kreisel herumwirbeln.»

Don Winslow ist wieder in Form, und wir sehen seinen Protagonisten wie der „wie ein Kreisel herumwirbelt.“
Man könnte jetzt beckmesserisch einwenden, wie man sich das vorzustellen hat, aber mein Therapeut ist dagegen. Er vertritt neuerdings die Ansicht, dass ich das einfach hinnehmen soll (wie ein Mann, wie er hinzu fügte), und mich nicht andauernd von solchen Kleinigkeiten irritieren lassen darf.
Da hat er wohl recht.
Es ist nur leider so, dass ich des Lesens mächtig bin, und die bildhafte Sprache Winslows Bilder erzeugt, die mich so irritieren, dass ich nicht mehr weiterlesen kann.
Ich denke, ich werde den Therapeuten wechseln.

Die Winslow-Therapie (1)

Die Therapie hat angeschlagen. Wie im Witz. „Du warst doch beim Psychiater. Hats was gebracht? Scheißt nicht mehr in die Hosen?“ „Doch. Aber jetzt machts mir Spass.»

So ähnlich lief es bei mir. Mein Therapeut riet mir,  Spass an meiner Beckmesserei  zu haben.
Resultat? Die schönsten Don Winslow Stilblüten auf den ersten 10 Seiten:

„Blut fließt ihm in die Augen, und er sieht im wahrsten Sinn rot…»

Therapie, ma subito!

„Keller hörte ein Baby schreien.
Oder glaubte es zu hören, während sein Hubschrauber mit gedrosselten Rotoren über die Bäume des Dschungeldorfs fliegt.»

Don Winslow, Das Kartell

Mein Freund sagte mir, dass er Don Winslow liest. So dachte ich, okay, schau ich mir das mal an. Don Winslow, ein Prediger, der seine Kanzel in Verlagshäusern erbaut hat. Er ist erklärter Gegner von Donald T. Das ist auch gut für’s Geschäft.

Dann las ich die ersten zwei Sätze. Und das war’s. Hubschrauberrotoren können nicht gedrosselt werden. Sie rotieren in derselben Drehzahl, ob auf dem Boden oder in der Luft.
Aber das sind natürlich Kleinigkeiten, die nur ein Beckmesserarsch wie mich stören, mir leider sofort die Lust nehmen, weiterzulesen.
Meine erste Sitzung beim Therapeuten ist schon anberaumt…

Vielleicht wäre auch ein Lektorat bei Winslow nötig?

Jörg Fauser zum 75.

Am 16. Juli 1987 feierte der Schriftsteller und Dichter Jörg Fauser seinen 43. Geburtstag. Er überlebte ihn nur um wenige Stunden, und starb auf einem Autobahnkreuz in München. Aber das alles ist bekannt.

Franz Dobler hat den Autor gebührend gewürdigt. Ich würd’s auch tun, aber mein Freund und Kollege hat’s schon getan. Besser und konziser, als ich es könnte. Hier:

https://www.br.de/nachrichten/kultur/joerg-fauser-75-geburtstag-schriftsteller-franz-dobler,RWITZ0C

Ich erhebe mein Glas!

Und das auch noch:

https://taz.de/Joerg-Fauser-Gesamtausgabe/!5606963/

Büchners Preise

Ich bin zur Zeit in der Schweiz, wo man vor ein paar Tagen keinen Radiosender anwählen konnte ohne sofort das Jubeln über den Schweizer Büchnerpreisträger Lukas Bärfuss zu vernehmen. Endlich wieder einer von uns! Und was für einer! Nach Frisch, Dürrenmatt, Muschg.

Von Frisch und Dürrenmatt habe ich so ziemlich alles gelesen. Von Muschg? Nichts. Von Bärfuss ein bisschen was. Und so kam ich nicht umhin mich zu fragen, warum dem so war.

Als ich so darüber nachdachte, fiel mir dieses Foto von Bärfuss in die Hände.
Nun, Herr Bärfuss wuchs 30 Kilometer von dem Ort auf, an dem ich zumindest zur Schule gegangen bin. Berner Oberland. Und Berner Oberland ist „Stündelerland“, in Protestantenhand. Eine der vielen Sektenkirchen neben der anderen. Methodisten, Baptisten, Heilsarmee und wie sie alle heißen. Wer hier nicht refomiert ist, ist Immigrant. So wie meine Familie. Katholiken. Das waren die, die mehr als zwei Kinder hatten. In all meinen Klassen gab es nicht mehr als zwei oder drei. Und mein Sitznachbar und Rangelkumpel, war Jude. Aber was hat das mit Bärfuss zu tun?

Ich habe herausgefunden, dass eine gute Methode bei Netflix einen unbekannten Film auszusuchen, die Beantwortung der Frage ist: Möchte ich mit diesen Schauspielergesichtern einen Abend verbringen? Es ist eine gute Methode. Sie funktioniert. Und nun habe ich mich in Verdacht, mit Büchern genauso zu verfahren. Was einigermaßen primitiv ist. Aber so ist es nun einmal.

Und wenn ich mir das Foto von Bärfuss ansehe, sehe ich die Lehrer die ich hatte, den oder besser, die Vikare. Faktisch humorlos, moralische Sicherheit verströmend, Strenge, Gehorsamkeit heischend auf der Grundlage ihrer moralischen Überlegenheit, die aus der Zerquältheit ihres Geistes ans Licht der Welt, und in die Herzen der Menschheit dringen musste.

Kein Welttheater wie bei Dürrenmatt, keine schweren Rotweine und die ungeheure Belesenheit und Klugheit eines Welterklärers. Und auch keine bitteren Einsichten  in die eigene Unzulänglichkeit eines Max Frisch und die gelassenen Kommentare zur Verfassheit seines Heimatlandes.

So gesehen ist natürlich die Wahl der Jury für den Büchnerpreisträger nur folgerichtig. Deutschland braucht Verbündete im Kampf um die moralische Überlegenheit, mit der sie die restliche Welt drangsalisiert. Seit 1945 weiß man in Deutschlanf was Sache ist. Moralisch. Die Polizei in eine Schülerlotsentruppe verwandelt, die Armee eine Lachnummer, und die Russen wären an einem Tag in Berlin, außer sie müssten dazu die Bahn nehmen. So könnte die Invasion abgewehrt werden.

Muschg rühmte im Interview seinen jüngeren Kollegen, nannte ihn mutig, weil er in einer großen deutschen Zeitung, vor Jahren, die Verzwergung der Schweiz aus seiner Sicht thematisert hatte. Ist das mutig? Heute? In einer Zeit, wo man einen Scheißsturm auslösen und Morddrohungen einsammeln kann, wenn man gesteht, dass man Schnitzel mag und Frauenfußball nicht so.

Ja, der Büchnerpreis. Der wichtigste Literaturpreis in deutscher Sprache. So heißt es allenthalben. Ja, Büchner. Was blieb von ihm, außer „Friede den Hütten, Krieg den Palästen.“ Ein Spruch, den wir vor 40 Jahren gerne mal auf Transparente malten. Long time ago.

Ein großer Preis fürwahr. Zumindest die Dotierung ist mit fünfzigtausend nicht übel. Reicht nicht für einen Palast, aber auch nicht mehr für eine Hütte.

Er ist Bärfuss zu gönnen. Wer könnte was gegen ihn sagen? Er hat ja selbst recht, wenn er sagt, dass er nicht recht hat. Wie meine Lehrer. Wie mein Vikar. Wie die vielen Millionen anderen.

Céline schrieb an Henry Miller: „Verstehen Sie es, sich ins Unrecht zu setzen.“
Das ist rätselhaft und irgendwie interessant.

Ich mag Célines Gesicht. Und das von Miller sowieso…

Frauensport

Letzte Woche die Klage der Frauen über den Stellenwert des Frauenfußballs, und dass die Kickerinnen viel weniger verdienen als die Kicker.
Diese Woche die Klage einer Radrennfahrerin, dass sie nicht von hrem Sport leben kann, sondern die Unterstützung ihrer Familie braucht. Was für ein verdammtes Unglück!

Dass Sibylle Berg von ihrem Scheiben ganz gut leben kann und ich nicht, und deswegen andere Dinge tun muss um zu leben, ist natürlich nur Geschlechtergerechtigkeit. Geschieht mir recht. Warum bin auch alt und männlich und weiß und schreibe über Dinge, die halt kaum jemand interessieren. Umgekehrt gilt das natürlich nicht. Eh kloa!

Ich finde man sollte eine Quote andenken: Wer sich ein Fußballspiel der Männer ansieht, muss sich danach ein Fußballspiel der Frauen ansehen. 50/50. Natürlich sollte meine fußballspielende Tochter genau gleich viel verdienen wie Ronaldo. Versteht sich auch.

Eine andere Lösung wäre vielleicht, dass sich die Frauen, die ja 50% der Bevölkerung ausmachen, sich auch die Fußballspiele und Radrennen der Frauen ansehen. Und es nicht den Männern überlassen.
Ich gehe so ziemlich jede Wette ein, dass die Gehälter der Kickerinnnen durch die Decke gehen.

Masse = Kapital.

Wolfgang Pohrt

Ich sitze im Haus in den Bergen, draußen sieht aus es wie Herbst (Halleluja!) und es hat so um die 10 Grad. Ich lese Wolfgang Pohrt, in der wunderhübschen Gesamtausgabe von Klaus Bittermanns Edition Tiamat, und verstehe nicht, warum es Menschen gibt, die Wolfgang Pohrt nicht lesen.

Der Stoff ist so gut, dass man alle paar Minuten aufspringen möchte, um die Glocken zu läuten.
Den Job haben zu meinem Glück die drei Esel übernommen, die neben dem Haus grasen.

Tagebuch eines schreibenden Landmanns (4)

Dann war plötzlich dieser kleine, fast winzige Vogel im Raum. Er war unter dem Fliegengitter hindurch geschlüpft und stieg sogleich auf, um durch das obere Fenster wieder nach draußen zu fliegen. Das Fenster war geschlossen und ohne Leiter nicht zu erreichen. Fand ich nicht cool. Ich mag Vögel nicht besonders.

Vögel sollen draußen ihr Ding machen. Hat ihn die ungewöhnliche Hitze hier oben irritiert? Es ist so heiß, dass es selbst auf dem Jungfraujoch in etwa 3500 Metern sechs Grad hat. Das Silberhorn ist aper. Hab ich noch nie so gesehen. Die Berge sehen traurig aus, ohne den Schnee, als hätte man sie vergewaltigt und nackt im Fels stehen lassen.
Aber zurück zum Vogel: Ich holte im Schuppen die Leiter. Natürlich hatte es sich der Kleine inzwischen anders überlegt und flog hinauf ins Gliger, kackte auf die Bücher, als ich nachkletterte. Aber als Ex-Rinder-und Kälberhirte wusste ich, wie man Viecher in die richtige Richtung treibt. Der Kleine schaffte sein Ärschchen raus. Fenster zu. Mission accomplished.

Danach rauf ins Dorf, zum Einkaufen. Fitnesstest. Mit Bravour bestanden. Mein Schrittzähler verzeichnete den Aufstieg als 39 Stockwerke. Pas mal, n’est ce pas?

Schreiben und kochen. Das Hemingway Pensum: 500 Worte. Jack London schrieb tausend pro Tag. Und dann der erste Drink. Und dann tot mit vierzig. Also nur 500 plus no Drink. Spießertippen.

Nachmittags wird die erste der etwa 5 Tranchen gemäht. Das Gras steht sackhoch. Minimum. Das wird mich fordern. Den schweren Motor des Fadenmähers auf dem Buckel, im steilen Sauhund stehend.

Halleluja!