Was ihr wollt

Heute vor einem Jahr verfasste ich an dieser Stelle einen Speech an die kleine Gemeinde, komplett mit Foto. Dieses Jahr nicht. Warum? Hat sich nichts wesentliches geändert. Der 31. 12. ist immer noch der Welttag der Amateursäufer, und denen gehen wir Profis gewissenhaft aus dem Weg. Außerdem kann ich Betrunkene nicht ab. Lärm schon gar nicht, und viele Menschen noch weniger. Also nahm ich stattdessen ein Bad, und dachte wieder einmal daran, dass ich immer hübsch weiter trainieren muss, und zwar bis ans Ende meiner Tage, damit ich es auch in meinen reiferen Jahren noch schaffe, meine Körpermassen aus der Wanne zu stemmen. Bauch und Oberarm müssen immer in einem bestimmten Verhältnis zu einander bleiben. Sonst ist Essig, wie man so sagt, und man findet mich eines Tages verhungert in einer leeren Wanne. Geschieht anderen, täglich, wie man so hört.

Dann sah ich ein Leonard Cohen Konzert in 3Sat und hatte dabei allerlei unnütze Gedanken an die Vergänglichkeit, und weinte ein bisschen vor Rührung, als Cohen «So long Marianne» anstimmte.

Aber sonst? Ein feines Jahr. Darfur ist befriedet, die muslimischen Reitermörder vertrieben, der Nahe Osten ein Paradies, Russland feiert die Menschenrechte und öffnet die Knäste für die inhaftierten Journalisten und Künstler. Ein Homosexueller wird Außenminister (Russland). In Österreich wurde Karl-Heinz Grasser verknackt, und die Innenministerin weihte ein Asylheim ein. Ute Bock bekam endlich den großen österreichischen Staatspreis verliehen und ist für den Friedensnobelpreis nominiert, der Kanzler tat irgendwas nützliches, und im Heimatort von Christoph Blocher wurde das neueste Minarett gebaut, und ein Imam verurteilte den islamistischen Terror und mahnte Integration an.

Wohin man blickt: Lautere Freude.

Und auch ich kam nicht zu kurz. Wurde doch mein allseits gelobter Roman «Die Katzen von Kapsali» für den Deutschen Buchpreis nicht nur nominiert, sondern erhielt ihn auch. Und den Schweizer Buchpreis dazu. Kleiner Wermutstropfen: Aus verlegerischen Gründen musste er in «Tauben fliegen auf» umbenannt, und unter meinem Pseudonym «Melinda Nadj Abonji» herausgegeben werden. Dies brachte auch eine kleine Geschlechtsumwandlung mit sich, aber so was ist heute kein Problem mehr. Man switcht da einfach hin her.

Auf geht’s. Das 2011 wird gut. Und höllisch. Wie immer.

«Wutbürger»

Wer in Deutschland in den Foren der online-Zeitungen (z.B. «Süddeutsche») mitposten will, der muss sich an eine «Nettikette» halten. Die im Näheren zu beschreiben ist öd, aber man kann sagen, dass sie persönliche Untergriffe und Diffamierungen weitgehend verhindert, die Diskussion versachlicht, und vielleicht auch den einen oder anderen «Wutbürger» der des Wortes nicht so mächtig ist, einfach außen vorlässt.

Nicht so in Österreich. Gäbe es hier Nettikette, die Foren wären verwaist. Anonym den antisemitischen und/oder rechtsnational-autoritären Drecksack raushängen zu lassen, gehört hier zum guten Ton. Und wer sich gerne graust, der kann sich mal im «Standard online» bei den Postings über Michail Chodorkowski umsehen. Da wird er gut bedient. So viel schlecht verhohlener Hass. Auf was ? Auf alles, könnte man sagen. Auf die Reichen, den Westen, die Moderne, die USA, die Juden, das Kapital, die Intelligenz und Menschen die keinen Schweinsbraten mögen. Jedenfalls, so wie sich der Chodorkowski «aufführt», goutiert man den russischen Oligarchen gar nicht. Man mag ihn eher im Gewande des Zuhälters mit Pelzschlampe in Kitzbühl, wo er sich mit den Mitzuhältern einen Wettstreit liefert, wer an einem Tag mehr Euros rausblasen kann. Oder sonst mag man ihn als Geschäftsmann österreichischer Unternehmen, aber man schätzt es gar nicht, wenn er der Moderne anhängt, natürliche Autoritäten (wie Putin) in Frage stellt, der Meinung ist, dass das Volk verblöde, und dann noch Kontakte zur «Ostküste» unterhält. In diesem Fall ist der Oligarche ein willfähriger Handlanger des CIA.

Zur Zeit kann man in den Foren gerade die Diskussion über einen anderen «Skandal» verfolgen. Ein Gericht hat entschieden, dass es ungesetzlich ist, einen 14-Jährigen aus 1,80 m Distanz, mit einem Schuss in den Rücken zu töten. Auch für einen Polizisten. Und auch, wenn der Junge ein Dieb war. Dieses Urteil wird hier von vielen «Wutbürgern» als Skandal empfunden.

Es brodelt im «Wutbürger». In Deutschland mag er auf die Straße gehen, in Österreich wird er bei den nächsten Wahlen die Nazisschen an die Spitze bringen.

Ein guter Film

Gestern, als ich wieder mal einen richtig guten Film sah, wurde mir bewusst, wieviel Müll es auch in dieser Hinsicht gibt. Bullshit, wie zum Beispiel «Das Leben der anderen», von diesem großen, «fleischigen Menschen»(©Sophie Rois) Donnermurcks, ein Kerlchen, dass so lange mit seinem OSSI durch die Gegend tingelte, und ihn vor Publikum übers lockige Fleischhaupt stemmte, bis der OSSI Druckstellen hatte. Er erinnerte mich schwer an jenen griechischen Halbidioten, der mit einem, von der Harpune durchbohrten Fisch tagelang die Buchten um Stoupa abklapperte, um mit dem armen Tier anzugeben.

Whatever, ich sah einen großartigen Film. Und an was erkennt man den großartigen Film auf ersten Blick? An den Liebesszenen, natürlich. Der große Regisseur zeigt uns entweder pornomäßig alles, oder er zeigt uns gar nichts, und lässt unsere Fantasie und die eigenen Erfahrung zum Zuge kommen. Aber er lässt uns nicht leiden, in dem wir zwei Schauspielern beim Tun-als-ob zuschauen müssen. Der gute Regisseur zeigt uns auch nicht minutenlang, wie zwei sich küssen, weil er weiß, dass das einfach nicht zum Aushalten ist, und jeder vernünftigen Ästhetik entbehrt.

Der gute Regisseur zeigt nur, was er unbedingt muss und lässt die Leute kluges Zeug reden: «Verdammte Scheiße, was reden Sie da? Ich bin 65. Ich stehe jede Nacht drei Mal auf, um einmal zu pissen!»

So jetzt wisst ihr Bescheid, Donnermurckse!

Das beliebteste (Streit)Thema aller Zeiten

Wenn ich mich noch vor einigen Monaten anschickte meinem Lieblingslokal (Anzengruber) einen Besuch abzustatten um dort Freunde zu treffen und mir die Lampe zu füllen, so legte ich größten Wert auf mein Outfit. Es sollte möglichst schon lange getragen und bereits leicht muffig sein. Und jene Jacke musste mit, bei der ich seit längerem eine Generalreinigung angedacht hatte (aber es dann doch nicht machte). Denn, wir pflegten (und pflegen) im Anzengruber zu sitzen, Stunde um Stunde, und zu löten was Kolben und Zinn so hergeben. Und wenn ich dann frühmorgens die Wieden hochtrampelte wie ein Flachlandsherpa nach dem Zahltag, und mich zu Hause aus den Kleidern schälte, fragte ich mich immer: Soll ich die noch waschen oder gleich verbrennen?

Der Duft war betörend. Als hätte ein betrunkener Koch ein Schnitzel im Aschenbecher paniert und dann in Budweiser gegart. Wobei der kalte Rauch-Geruch alles andere übertünchte.

Nun darf man nur noch im abgeteilten Billardzimmer und Fernsehzimmer pofeln. Das Lokal ist jeden Abend so voll wie zuvor. Es ist große Klasse. Man könnte ins Anzengruber gehen und danach in der selben Kluft, gleich in den Kreißsaal wechseln, um dort das Baby einer fanatischen Nichtraucherin zu entbinden. Nur zum Beispiel.

Ich habe selber etwa dreißig Jahre geraucht, bis ich vor 10 Jahren aufgehört habe. Es ist unglaublich, wie sehr einem der Rauch auf die Nüsse gehen kann. Ich muss gestehen, dass ich mich heute manchmal dafür schäme, was ich den Nichtrauchern damals angetan habe. Aber weder damals noch heute gilt dies bei Rauchern als Argument. Sie verstehen nicht, dass ihre Sucht den anderen einfährt, wie ein olfaktorischer Tinnitus. Ihre Argumente sind meist ein wenig kindisch. Abgase sind noch schlimmer etc. etc.

Ich schätze, wenn wir ihnen ihre Sucht nachsehen und uns einschwallen lassen, werden wir sie auch – ein wenig zumindest, nicht mehr ganz ernst nehmen und vielleicht auch verachten. Ich glaube, sie wissen das. Und das macht sie muffig. Versteh ich. Aber es gibt keinen Genussraucher, der jede Stunde eine Zigarette braucht.

Ferien

So Feiertage haben etwas töteliges. Sie machen auch die Großstadt zu einem St. Gallen am Sonntagmorgen um halb acht. Keiner auf der Straße der einen überfahren will oder über den Schutzweg winkt. Und da der Regen den Schnee weggewaschen hat, gibt es auch keine Schneeschaufelkratzgeräusche um 6 Uhr in der Früh. Meine Oropax, reine Gewohnheit. Ich frage mich, was sie alle machen? Freund und Feind. Sitzen und Fressen? In den geschenkten Büchern rumblättern? Die Verwandtschaft abklappern und bei denen Sitzen und Fressen und in geschenkten Büchern rumblättern?

Ja, und was mach ich eigentlich?

Ich mache Ferien. Bezahlten Urlaub. Seit mehr als 35 Jahren, zum ersten Mal. Eine Premiere für Wien. Es ist beinahe nicht zu glauben. Ich musste erst nachfragen, ob das denn auch wahr sei, dass der Zähler einfach weitertickt, wie bei einem Taxi, das auf einen Kunden wartet, der sich schnell Kippen drücken ging.

Fein wär jetzt noch, wenn ich einen Literaturpreis bekäme. Dann könnt ich mir einen neuen Lap kaufen, einen, auf dem man die neusten Flash Player runterladen könnt. Zum Beispiel. Oder iTunes 10- Oder auch nur 9. Das schöne Teil ist 5 Jahre alt und ich kenne Leute, die kriegen einen Lachanfall, wenn ich ihnen die Nummer des Betriebssystem nenne. Sie können nicht glauben, dass es noch so einen verirrten Dino gibt, der die letzten Panthers, Tigers und Pumas und wie sie alle heißen, überlebt hat.

Aber solche Typen die da lachen, die kriegen auch keinen Literaturpreis. Das ist schon mal sicher. Aber vermutlich haben die auch Jobs, in denen sie mehr als 10 Stunden pro Woche arbeiten. Das habe ich auch. Aber meistens werde ich nur für 10 Stunden bezahlt. Aber ich will mich nicht beklagen. In bezahlten Ferien schon gar nicht.

Wie sagte Liam Clancy zu Bob Dylan?

«Denk dran: Keine Furcht, kein Neid, keine Niedertracht!»

So wollen wir’s halten.

Schafft die Bauern ab!

Es war schon immer das Privileg der Rechten, der Despoten und Faschisten auf die Künstler hinzuhauen, sie zu desavouieren, zu verunglimpfen und lächerlich zu machen. Siehe Hitler, Mussolini, Franco, Berlusconi, Putin, Haider-FPÖ und Ahmadinejad. Jetzt ziehen sich auch Mörgeli und Brunner, von der CH-SVP, diesen Stiefel an.

Aber die beiden haben natürlich nichts gemein mit den oben Genannten, sondern sie sind lupenreine Demokraten, also Anhänger der «Die-Mehrheit-bestimmt-ohne-wenn-und-aber-über-die-Minderheit-Diktatur», und sie wissen nur allzu gut, dass dies beim intellektuell herausgeforderten Teil ihres Wählerklientels (und davon gibt es nicht zu knapp) ziemlich gut kommt, wenn man Künstler als «verhätschelte Staatskünstler» tituliert.

Denn merke: Niemand braucht Kunst und Künstler. Sie sind lästig und kosten viel. So etwa wie … Die Bauern.

Die braucht auch niemand. Und in der Schweiz sind sie, laut OECD-Studie, die höchst subventionierte Spezies in Europa. Aber wozu? Damit sie mit ihren, von Staatsknete gepushten Produkten die 3. Welt Meier machen können? Auf dass jene Menschen, ob des Preisdumpings, nicht mehr in der Lage sind, sich ihre eigenen Produkte zu leisten?

Im Ernst: Landwirtschaft in der Schweiz ist hoch gespritzte Luxus-Folklore. Wie ein diamatenbesetzes Alphorn aus 5000-jähriger Mooreiche. Und das soll uns als Kultur verkauft werden?

Seit der Wohnraum in diesem Land für ganz normale Handwerker und den Mittelstand bald nicht mehr leistbar ist, da überall, an den feinen Örtchen und Plätzchen teurer Wohnraum für die ausländischen Geschäftspartner von Proponenten der reichsten Partei, der SVP, geschaffen werden muss, sollte man nun endlich auf diese Subi-Bauernfolklore verzichten, und stattdessen ordentliche und bequem erreichbare Parkplätze vor die Luxusappartements bauen.

Schafft endlich die Bauern ab!!

Künstlerisches Weicheiertum

Der bayrische Schriftsteller Oskar Maria Graf (1894-1967), in dessen Vita es von Gelegenheitsjobs, Verhaftungen und «revolutionären Umtrieben» nur so wimmelte, ging 1933 ins «freiwillige» Exil und strandete schließlich in New York. Da seine Bücher von den Nazis nicht verbrannt, sondern nachgerade empfohlen wurden, platzte ihm der Kragen, und er ließ verlauten:

„Verbrennt mich! Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, dass meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirne der braunen Mordbande gelangen. Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein wie eure Schmach!“

Ein Klassiker. Und nun kommt’s: Die Kollegen und Kolleginnen aus der Schweiz, Mitglieder von «Kunst und Politik», ziehen sich diesen «Graf-Stiefel» an, um auf eine Polemik der SVP-Politiker Mörgeli und Brunner zu antworten. Das hört sich dann so an:

Verhätschelte Staatskünstler

Offener Brief an SVP-Parteipräsident Toni Brunner und an Christoph Mörgeli, Verfasser des Textes

Sehr geehrter Herr Brunner, sehr geehrter Herr Mörgeli

Im neuen Parteiprogramm der SVP werden Pipilotti Rist, Christoph Büchel und Mike Eschmann als ‹Verhätschelte Staatskünstler› namentlich genannt. Die Liste scheint mir sehr unvollständig zu sein. Auch ich bin ein verhätschelter Staatskünstler und möchte genannt werden. Darf ich Sie freundlich bitten, mich in Ihr Parteiprogramm aufzunehmen?

Jawoll, das ist unverkennbar der grantig-bayrische-Graf-Sound, ohne Zweifel! Jo mei! Verhätschelter Staatskünstler? Ja. Auch ich bin einer, bittschön, und wären Sie so freundlich, bitte sehr, dem Rechnung zu tragen? Bitte.

Was soll man dazu sagen?

Vielleicht: Hergottsack! Gahts no, ihr Weicheier?!

Oder: Toni Brunner ist ein hochsubventionierter, verhätschelter Amateur-Staatsbauer.

Fremdschämen, ist das Wort 2010.

Saubere Arbeit

Ich bin ein obszön gut bezahlter, berühmter Kolumnist, der eine Kolumne zu verfassen hat, und dem partout nichts einfallen will. So sitzt er da, der Kolumnist, starrt mit leerem Blick in seinen schon viel zu oft beschriebenen Hinterhof, und denkt zurück an seinen letzten Arztbesuch. Ach nein, der gibt auch nichts her. Der alte, nazioide Trachtenkadaver, der ihm an der Supermarktkassa so auf die Pelle gerückt war, so dicht, dass Mord in der Luft lag? Ach nein, hamma alles schon. Ja, aber Weihnachten steht doch vor der Tür? Toll! Lassen wir sie dort stehen. Die Weihnachtskolumne ist schon vorbereitet. Drei Klicks und das Ding geht online.

Da hätten wir noch die abgehörten Telefonate zwischen dem österreichischen Ex-Finanzminister und einem Freunderl-Lobbyisten. Ganovengespräche. Wie lügt man am Besten bei Befragungen. Aber der Finanzminister ist ein Schmalzkringel, und 30 % der Ösis würden ihn wieder haben wollen. Und Lobbyist? Ist ein Traumberuf. Eigentlich ist es ein Skandal. Aber was heißt das schon? Ein Skandal wäre hier, wenn jemand die Hundekacke, in der er gerade getreten ist, an dem Defäkierer abstreifen würde. Das wär ein Skandal. Doch nicht, dass der Finanzminister ein Ganove ist, der die Staatskasse für seine Freunde geöffnet hielt. So was ist nur normal. Würde jeder so machen. Mal ehrlich …

Der Kolumnist, dem nichts einfällt, denkt sich: Eigentlich hat die Bevölkerung alles verdient, was ihr geschieht. Sie hätte die Möglichkeit es zu ändern, aber sie tut es nicht.

Bist wieder mies drauf, wa? Zu wenig Anerkennung? Zu wenig Wein? Oder zu viel Wein?

Vielleicht, denkt sich der berühmte Kolumnist, sollte ich wieder mal «The Allman Brothers Band» auflegen? «Live at Fillmore East». Ein Klassiker. Manchmal brauchen alte Kerle Rockmusik. Sie hilft gegen allerlei Beschwerden. Seine siebenjährige Tochter kennt Lady Gaga und Katy Perry. Und dann denkt der Kolumnist darüber nach, was seine Enkel mal hören werden, wenn sie nicht im Strumpf sind, und Lady Gaga bereits in einem Altenheim für Prominente in Nordschottland auf das stumpfe Grün der Highlands starrt, während sie der Dinge harrt, die da kommen werden …

Dann holte er den Nagelknipser heraus und schnitt sich die Fingernägel. Saubere Arbeit. Kann sich sehen lassen.

Die Gammler von heute

Als ich früher so herumgammelte, Magen und Taschen leer, übernachtete ich manchmal in Bahnhöfen, in Wartesälen. In besonderer Erinnerung ist mir jener von Firenze, weil hier eine besonders scharfe Bahnpolizei darüber wachte, dass Strolche meiner Provenienz, sich da nicht ein Gratisschlafplätzchen auftaten. Und ja: Es gab eine Menge Rucksacktouristen, die wohl das Gewicht der Welt auf dem Buckel trugen, aber deren Brieftaschen, so sie eine besaßen, dünn und schmal war, wie das Lächeln der Polizisten. Ich trainierte mir an, sitzend, die Arme auf meiner Tasche gekreuzt, zu schlafen. Und vor allem trainierte ich mir an, sofort wach zu sein, wenn die Jungs mit den lockeren Stiefelspitzen -die sie gerne in Tramperrippen versenkten – den Warteraum betraten. Wer keinen Fahrschein besaß, flog. Aber da ich wach war, und sitzend angetroffen wurde, richtete keiner der Stiefelknechte jene verhängnisvolle Frage, die eine Nacht im Freien oder was weiß ich wo bedeutet hätte, an mich. Wach sein wirkt seriös. Sitzen ist unverdächtig. Rucksack: Alarm. Tasche: Tutto a posto! Das Aufregende daran war, dass ich wirklich bei jeder der nächtlichen Kontrollen sofort wach wurde. Wie ein verdammtes, wildes Tier. Und um weiter von mir abzulenken, suchte ich den Augenkontakt mit der Bullerei. Warum? Kein Delinquent tut das. Natürlich. Die rausgeschmissenen Rucksackies taten mir leid. Zumindest ein wenig. Aber es waren halt Amateure. Sie erhielten die Chance zu lernen.

Aber eigentlich wollte ich nur berichten, wie sehr mich die täglichen Bilder aus den Flughäfen Europas an jene Zeit erinnern. Nur mit dem Unterschied, dass heute niemand mehr eine Fahrkarte zu haben scheint. So wie die da überall rumliegen.

Gefährliche Mitglieder

Kardinal «lingua dolce» Schönborn, beklagt bitterlich die Austritte aus der katholischen Kirche. «Die größte Austrittswelle, seit der Nazizeit!»

So etwas sagt man mit Bedacht. Vor allem als Kardinal eines Vereins, der immer noch die Schwergewichtsmeistergürtel im «Schlechten-Gewissen-machen» in jeder Sakristei hängen hat. Wer austritt, soll sich wenigstens ein bisschen wie ein Nazi fühlen.

Dann sah ich in einem Talk einen hohen Kirchenmann, wie der mit heiligem Furor und unchristlicher Entrüstung von der «Sünde und Widernatürlichkeit der Homosexualität» sprach. Es war einfach großartig. Als würde sich der Chef eines Schlachthofs über die Perversität des Fleischkonsums ereifern. Man muss das nicht mehr kommentieren. Ich hätte, wäre ich in der Sendung gewesen, den Kirchenmann vielleicht geohrfeigt, und ihm damit einen Gefallen getan. Sich ein wenig wie Jesus fühlen: Verachtet, verspottet, geschlagen. Auf so was stehen die. Ich weiß das. Sie stehen aber auch auf ganz andere Dinge. Das weiß ich auch. Aber was immer es ist: Sie sind unschuldige Geschöpfe Gottes.

Ich selber bin zahlendes Mitglied in diesem gefährlichen, verlogenen und missbrauchenden Verband alter und junger Männer. Und werde es auch bleiben. Schließlich bin ich kein Nazi. Und irgendwann, in naher Zukunft, wird auch ein bisschen Reputation auf mich zurückfallen. Der Ruch der Gefahr. Vor dem muss man sich in Acht nehmen, wird auf der Straße geraunt. Wie bei einem Mitglied der Hell Angels oder Al Kaida.