Was sonst noch gut ist

Nieselregen, Nebel, Krähen in Bäumen, Tage ohne Sonne, Tage mit wenig Sonne, menschenleere Parks, leere Fitnessstudios, Typen die 5er-Kombinationen in Sandsäcke hämmern, ein «Falter» ohne dieses durchgenüchterte Feuilleton von der Wildheit einer sackwarmen Marronitüte, Kinos die bereits um 14 Uhr Filme in OmU zeigen, Youporn, amerikanische Sitcoms von Chuck Lorre, Filme von Stefan Georg Troller, Menschen denen man nicht erklären braucht wer Guy Clark ist, keine Menschen, leere Supermärkte, Leute, die einem das «Zeit»-Magazin reichen, wenn man mit dem Lift stecken geblieben ist, das gottverdammt wilde Karniggel das mit uns die Wohnung teilt und alle Bewohner schon mal gebissen hat; Cowboyboots aus Alligatorleder, Anzüge aus Texas, (vermutlich) Georg Bush als Privatmann, Aufrichtigkeit, Diskretion, tolldreiste Lügen, der plötzliche Wetterumschwung in den Bergen, Schnee, ein dickes Bündel Banknoten, das Geld von anderen ausgeben, Buchbestellungen von Amazon, ein perfektes Blutbild, der erste Drink des Tages, japanisches Essen, mediterranes Essen, dunkelblütige Weine aus dem Languedoc, saufen bis man randvoll ist, Kokain, Opium und Meth, Sport treiben, ein linker Haken der genau trifft, ein Österreicher der einen begangenen Fehler zugibt, ein unerwartet gute Autorenlesung, einen neuen Autor entdecken, intelligente Zeitgenossen, Humor, Selbstironie, Leute, die eine Geschichte rechtzeitig zu einem Ende bringen und Leute, die einem nicht mit Aufzählungen, von : was sonst noch gut ist, langweilen …

Traurigkeit ist gut

Niemand kann das Wort «traurig» so schön hinschreiben wie der großartige Maxim Biller. Keiner kann mit diesem Wort die vielen Formen seines Zustandes evozieren wie er, aber keiner hatte es so wunderbar drauf, die Romane und Stories mit dieser beinahe jazzigen Traurigkeit zu tränken wie Hemingway, und niemand weckt ihn mir diese mitleidlose Verlorenheit wie der ewige Nick Drake, und kaum etwas empfinde ich so tröstlich wie die vitale, starke Traurigkeit eines guten Countrysongs. Und wer wusste mehr über Melancholie, als Jörg Fauser?

Wo ist sie hin? Die Traurigkeit in den Büchern. Die Melancholie und die Verlorenheit?
Mit ihr verschwand auch der Humor und die Klugheit.

In der neuen Literatur – von schönen, blutjungen Frauen rausgepowert – wird unterm Dirndl wieder gejodelt, und wenn da einer «brunzt» und «Fut» sagt, dann ist das nicht Werner Kofler, der das räudige Idiom seiner verblödeten und rohen Heimat verzweifelt benutzte, sondern dann ist es Pop. Und lustig. Und geil. Wie die Literaturverweser mit ihren Viagraständern bei den Interviews.

Traurigkeit zählte einst zu den 8 Todsünden. Sie wurde im 7. Jahrhundert durch Trägheit und/oder Überdruss, ersetzt.

Das waren noch Zeiten, wa?

Neid ist gut!

Wer hierzulande etwas kritisiert, zumal von unten nach oben, gilt als «neidisch». Von oben nach unten heißt dieser Neid «sachliche Kritik». So.

Die Neiddebatte. Die berühmte Neidkultur in diesen Landen. «Wir haben eine Neidkultur», sagen die Reichen und Schönen. Was meinen die damit? Sie meinen damit, dass der Neid der anderen eine Todsünde ist, und ihre Gier Zier.

Aber von Anfang an: Wir stammen alle von Kain ab. Abel hatte keine Zeit Nachkommen zu zeugen. Kain war neidisch auf Abel, weil Gott, das Arschloch, Abels Opfer mit Wohlwollen entgegen nahm, und Kains nicht. Aber Gott konnte man keins mit der Axt überbraten, der Arsch zeigte sich ja nie. Also war Abel dran.

Kain hatte einen guten Sinn für Gerechtigkeit. Es gab keinen verdammten Grund, warum Abels Opfer besser sein sollte, als seines. Okay? Gott war ungerecht. Das Leben war ungerecht. Kain war neidisch. Und der Neid ist emotionale Rebellion gegen die Ungerechtigkeit.

Heute wollen uns die Politiker, die Appeasmentideologen und Moraltheologen verkaufen, dass Neid nicht gut sei. Wir sollen nicht neidisch sein. Auch wenn das Leben andere auf Händen trägt und sie mit Anerkennung und Reichtum ausstattet, während wir keinen Job finden und vom Fusel saufen eine kaputte Leber haben. Nur kein Neid, heißt es.

Es heißt auch: «Das muss man neidlos anerkennen.»
Aber warum «neidlos»? Das schmälert doch die Anerkennung nicht, wenn ich eine Leistung «neidvoll» würdige. Im Gegenteil. Aber ich rede hier von Leistung. Das ist falsch. Wenn einem ein Erbe zufällt, steht dahinter keine Leistung. Und so verfällt es sich mit fast allem. Keine Leistung. Nur Standort-Glück.

Das Leben ist ungerecht. Der Neidische weiß Bescheid. Neid ist wie Angst: In Maßen eine gute Sache.

Ich gestehe: Ich wäre gerne ohne Neid. Aber ich wäre auch gerne gelassen, reich und beliebt. Gutaussehend, jung und der beste Schreiber der Welt. Bin ich es?

Und darum sage ich, ein Wort Gordon Geckos aus «Wall Street» abwandelnd: «Neid ist gut!»

Er verhindert, dass wir uns mit den Ungerechtigkeiten abfinden.

Stinkweckennotar

Wer sich in letzter Zeit ein wenig an die Öffentlichkeit (österreichische) begab, zufällig Schweizer ist (wie ich), der konnte was erleben, der kriegte was zu hören. You know, die Schweizer Banken. Die Schweine. Ein ganzes Volk, das von den hinterzogenen Steuern anderer Staaten lebt. Skandal!
Neulich hat sich Kollege Alex Capus ein bisschen darüber beklagt, dass er nun als Schweizer in Sippenhaft genommen wird. Er, als Sozialdemokrat. Wegen der Banken. Das versteh ich.
Aber mir gefällt’s.
Endlich ein «bad guy»-image. Als Schweizer! Aber hallo, das musst erst mal zsammbringen! Und ich gönn’s ja den Österreichern. Nach Jahren der Haiderei, wo sie im Ausland mit jenem Mann gleichgesetzt wurden, der ein ganzes Bundesland zum österreichischen Griechenland gemacht hat. Sollen sie sich ruhig ein wenig abreagieren.
Natürlich verheimliche ich ihnen nicht, dass Österreich, zusammen mit Luxemburg, in der EU den automatischen Informationsaustausch der Banken mit Boykott belegt hat, um in der Steuerfluchtsache konkurrenzfähig zu bleiben. Aber das ist halt nicht so interessant wie die Schweizerbandidos.
Wie auch immer: Ich finde den Gegenwind erfrischend.

Als ich dann gestern, ziemlich patriotisch gestimmt, den late night talk von «Giacobbo/Müller» guckte, kam ich gerade recht, um den süsselnden billigen Jakob des linksbayrischen Songwritertums, den Konstatin Wecker, ans Piano marschieren zu sehen. Ich dachte nur: Jetzt kommt’s: Die Banken. Aber er ging in seinem Intro darüber hinaus, clever, denn er zog die Bundeskanzlerin Merkel heran (Achtung! Selbstkritik!), erklärte dem Publikum was ein Anagramm ist, und das Bundeskanzlerin zu «Bankenzinsluder» wird. Well done, Burli.
Der Schmäh hat zwar einen Bart wie ein koranverteilender Salafist auf dem Bamberger Marktplatz, aber das Schweizer Publikum (das ja wahnsinnig langsam ist, wie man im Ausland weiß), kennt ihn womöglich noch nicht.

Daraufhin gab ich mir eine Minute Zeit und bastelte auch ein Anagramm zu Konstatin Wecker: «Stinkweckennotar». Der volle Wegschmeißer, oder?

Dann gabs vom Bayern noch ein bisschen Häme für die USA, ein bisschen christliche Rhetorik für 7-Jährige, Lebensweisheiten aus dem hausschweineren Poesiealbum und fertig war der linke Liedermacher.

Und auch wenn ich nach Weckers Auftritt Lust auf einen Parteibeitritt zur SVP verspürte, so wusste ich doch, dass es meine Pein nicht lindern würde. Denn auch diese Partei hat immer recht.

Ich würde nur einer Partei beitreten, die darauf besteht, Unrecht zu haben. Diese Partei gibt es bereits. Sie heißt: Rock’n Roll.

Und da bin ich bereits Mitglied.

So läuft es hier

Ein Mann, der eine 15-Jährige mehrere Male vergewaltigt hat, wird schuldig gesprochen und kriegt eine teilbedingte Strafe. Er geht keinen Tag ins Gefängnis, da er für die paar Monate «Unbedingt», die «Fußfessel» umgebunden bekommt.

Ein Musikalienhändler trickst und betrügt mit den teuren Geigen seiner reichen Klientel und fasst, geständig und reuig, sechs Jahre Gefängnis aus.

Was könnte das heißen, in diesem schönen Land?

Vergeh dich ruhig an den jungen Frauen der Unterschicht, aber vergreif dich nicht am Eigentum der Reichen.

So jetzt wisst ihr, wie’s hier läuft.

Bettlerin mit Hund

Heute las ich, dass gestern im ORF, bei «Die große Chance», ein Hund den Talentwettbewerb gewonnen hat. Das ist in dieser Stadt nur konsequent. Denn besser als ein Hund, sind nur zwei Hunde. In Wien ist der Hund dem Menschen der wahre Mitmensch. Der Sandmann, der feuchte Träume zu misanthropischen Untertanen bringt: gehorchend zu befehlen. Nun denn. Wer hat etwas anderes erwartet?

Als ich heute aus dem Geisteszentrum kommend zum Supermarkt ging, sah ich die rumänische Bettlerin nahen, die den Platz auf der Treppe des Kaufhauseingangs einnehmen wollte. Ich gebe ihr nie etwas, weil ich zweimal Zeuge geworden bin, wie sie meine junge Lieblingsbettlerin ganz fürchterlich angeschissen und niedergebrüllt hatte, und da ich sehr nachtragend bin, kriegt sie nie was. Obschon sie immer mit picksüßer und falscher Stimme grüßt. Nie. In alle Ewigkeit.

Heute aber, hatte sie einen Hund dabei. Einen kleinen Köter, der aussah wie eine Mischung aus Pitbull und Lumpi, und sie hieß ihn neben sich Platz nehmen.

Das war, fand ich, eine echte Innovation und eigentlich – in der Wirtschaftswelt – preisverdächtig. Verdammt, da musste man drauf kommen. Bettlerin mit kleinem Hund! Das war einfach Klasse!

Als ich an ihr vorbei ging, grüßte sie wie immer, und heute sagte ich nicht nichts, sondern heute lächelte ich und sagte: «Bravo! Gute Idee.»
Aber kriegen tat sie nix.

Wir sehen das einfach falsch

Nach dem Kampf erklärte Ex-Champ Henry Maske dem Publikum den Kampf, den es gerade gesehen hatte. Es hatte einen vorwärtsdrängenden, unermüdlich Aufwärtshaken schlagenden und nie zurückweichenden Firat Arslan gesehen, der den amtierenden Weltmeister im Cruisergewicht, Marco Huck, bereits in der 3. Runde beeindruckt hatte, und der für uns, das Publikum, nach 12 Runden als der klare Sieger feststand.

Aber wir sahen es falsch. Denn obschon, so Maske, Arslan wie der sichere Sieger aussah, konnte er nicht der Sieger sein, denn wir, das Publikum verstünden das Boxen – leider, leider – nicht richtig. Wir hatten ja nicht normales Boxen gesehen, jenes Boxen, wo der gewinnt, der mehr Treffer landet, sich besser verteidigt und den Kampf macht, sondern wir sahen eben ARD-Sauerland-Boxen. Und da kann nicht sein, was nicht sein darf.
Und Kommentator Henry Maske hat schon in der DDR gelernt: Wes Brot ich ess, des Lied ich sing. Und er sang sehr schön das Sauerland-Lied.

Als sich der fassungslose Arslan über den Betrug beschwerte, und auch die ARD dafür verantwortlich machte, wohlgemerkt, nach einem 12 Runden-Kampf und verständlich aufgebracht, putzte ihn der ausgefressene, aus seinem Anzug quellende Waldemar Hartmann kaltschnäuzig herunter und verwahrte sich gegen die Kritik. Die ARD war, nach Hartmanns Aussagen, nur die Filmkamera, die das alles aufzeichnete, ein neutraler Berichterstatter.

Jawoll, so dummdreist kann man uns kommen, wir haben es nicht anders verdient.
So wie wir auch Schauspieler wie Jürgen Vogel verdient haben. Vogel, der zum Urteil befragt, nichts mehr vom Boxen verstehen wollte – aber in Talkshows damit angegeben hatte, Thaiboxen gemacht zu haben-, wurde von einer kleinen Amnesie überrascht, die ihm bestimmt wieder, beim nächsten Sauerland-Spezialboxen, die Einladung an den Ring sicherte.

24 Stunden später, heute Nacht, wird auf demselben Sender nicht geboxt aber gequatscht werden. Politiker werden in den Sesseln Platz nehmen und werden uns Halbkoffern versichern, dass in Deutschland jeder, mit Fleiß und Anstrengung, etwas erreichen könne.

Haben wir gerade gesehen.

DRAFT One

Unter der Rubrik «Verwalten» finden sich 60 «Drafts», Entwürfe, geschriebene Artikel, die, aus was für Gründen auch immer, nicht veröffentlicht wurden. Ich werde sie wieder lesen. Einen nach dem anderen, und entweder löschen oder veröffentlichen. Hier ist der erste. Vom 18. September 2009. Er ist immer noch gültig. Finde ich.

Ein Autor beklagt sich bei seinem Verleger, dass dieser so wenig von seinen Büchern verkauft hat. Recht hat er. Der Autor. Ändern lässt es sich deswegen aber nicht.
Neulich wurde ich auf der Straße angesprochen: «Jetzt sind Sie berühmt.» sagte eine wohlmeinende, weibliche Seele. «Warum?», fragte ich.
«Sie waren groß in der Zeitung!»
«Ja, dann!», sagte ich.
Was haben die beiden Dinge mit einander zu schaffen?
Nun, sehr viel. Sie betreffen die Außenwahrnehmung dieser Welt. Sie beleuchten die unterschiedlichen Soziotope, die wir alle bevölkern.
Da gibt es z.B. den Dichtersoziotop. In dem wird alles wahrgenommen und aufgesogen, was so an Dichtung passiert. Das ist eine Menge. Man kann darin ohne weiteres ein Leben verbringen, ohne jemals einen Fuß in den Kampfsport Soziotop gesetzt zu haben. Und vermutlich wird einem nicht mal langweilig dabei.
Vor vielen Jahren, habe ich mich eine lange Zeit mit den verschiedenen Aspekten der Ernährung befasst. Das heißt, ich habe eine Menge darüber gelesen und verschiedenes ausprobiert. Es war das zentrale Thema meines Daseins. For a while. Später habe ich drei Jahre hauptsächlich damit verbracht, mich für einen Triathlon aufzubauen und auch eine Menge darüber gelesen und mein Leben bestand zur Hauptsache aus Trainieren. Schwimmen, Radfahren, Laufen. Im Zuge dieses Trainings stieß ich auf Bodybuilding und nun las ich einen Haufen über Trainingsmethoden und Anatomie. Dann lernte ich das Boxen. Und überall traf ich auf Menschen, denen die Beschäftigung mit diesen Dingen zentraler Lebensinhalt war. Und oft auch der einzige.

Ein Schriftsteller der übers Schreiben spricht, ist unerträglich. Und vermutlich ein schlechter Autor. Ein Triathlet der ungefragt über Schwimmtechniken spricht, ebenso.

Heuchelei ist keine Todsünde

Es gibt Bücher, die legt man nach dem ersten Satz weg. Zu Recht. Es gibt Filme, denen man nach 10 Sekunden Trailer die Katastrophe ansieht. Wie neulich, bei der «Vermessung der Welt» von Buck und Kehlmann. Dieses Filmprojekt ist übrigens eine hübschee Studie wie Korrupto-Kapitalismus (Tautologie?) funktioniert: Hier werden «konservative Millionen» (Kehlmann) aus Fördertöpfen für Filmmüllereien verblasen, und der eine oder die andere mag sich fragen, ob denn in Deutschland keine Dramaturgen ansäßig sind? Zumindest welche, die in der Lage sind ein Drehbuch zu lesen? Vermutlich schon. Aber wo der Raps blüht, blüht auch Schweigen.

Das ist das eine. Das andere ist das – ins Kraut schießende – deutsche Hitlerfilmbusiness. Das ist komisch. Richtig komisch bei Dani Levi, unfreiwillg komisch bei Bernd Eichingers «Untergang», und nur noch semmelknödelblödkomisch bei «Rommel», aber immerhin zum Lachen. Stellenweise.  Johannes Silberschneider, als Hitler aufgebrezelt, macht richtig Laune. Das muss man sich geben: Da macht einer allen Ernstes mit angeklebtem Schnurrbart, Seitenscheitel und Hitlersprech auf Hitler! Als hätte es Helge Schneider in dieser Rolle nie gegeben. Es ist dies die Parodie einer Parodie einer Parodie. Bravo! Well done.

Ich finde es langsam an der Zeit, die Story von «Eva Braun» in die Kinos zu bringen. Wo bleibt denn die Gleichstellung der Frauen? Nach Bruno Ganz als Hitler, Tom Cruise als Stauffenberg und dem Tukur’schen Rommel, wie wärs da mit Veronika Ferres als Eva Braun?

There’s no business like Hitlerbusiness.
Und dazu ein Denkmal für die ermordeten Romas und Sintis einweihen, während zwei Straßen weiter frierenden Flüchtlingen die Schlafsäcke wegenommen werden.

Nicht weiter schlimm. Heuchelei ist ja keine Todsünde.