Liebe Gemeinde

2009 verfasste das Bloggerteam eine kleine Rede für die «Liebe Gemeinde».
Zufällig habe ich sie wiedergelesen. Ich finde, sie passt auch dieses Jahr. Vielleicht für die nächsten Jahre auch. Das ist gut so.

Liebe Gemeinde,
so sieht es aus. Wer Bilanz ziehen mag, mag Bilanz ziehen; wer nicht, der nicht.
Wir wissen aus Erfahrung, dass gute Vorsätze den Weg zur Hölle pflastern. Lassen Sie das Vorsetzen und Vorsätzen. Nehmen Sie sich nicht vor, mit dem Pofeln aufzuhören, denn Sie werden es nicht schaffen. Süchte wird man nur mit übergroßem Leidensdruck los.
Begeben Sie sich nicht auf das Pflaster der Vorsätze, sondern direkt in die Hölle. Dann werden sie einiges schaffen. Vorher nicht.
Nehmen Sie sich gar nichts vor. Aber da auch dies ist ein Vorsatz ist, lassen Sie es. Lassen Sie alles fahren. Kommen Sie nach Wien und lassen Sie sich von betrunkenen Grenzdebilen aller Herrenländer die Trommelfelle mit Krachern (inzwischen verboten!) Meier machen, trampeln und rempeln Sie sich durch den Silvesterpfad, saufen Sie sich die Hucke voll, und seien Sie lustig, wenn Sie’s nötig haben lustig zu sein. Chacun à son gout, wie der Berner Oberländer sagt.

Wir hier, liebe Gemeinde, wir machen einfach weiter unseren Job.
Uns Autoren ist es vollkommen blunzen was für ein Jahr ist. Wir stehen auch diese Feiertage durch. Mit all den Amateursäufern und ihrem lächerlichen Zwang zur Fröhlichkeit und zum Kauf von Glücksbringern. Wir glauben nicht ans Glück. Wir Autoren glauben ans Schreiben und an die Arbeit. An Großzügigkeit, Rache, Herzensgüte und Nassrasur. Wir glauben daran, dass man sich tüchtig verirren, und trotzdem wieder auf den Weg kommen kann. Wir glauben an Drogen und Alkohol. Manchmal an die Liebe.
Und wir glauben vor allem daran, dass wir uns bemühen müssen gute Menschen zu sein. Wir glauben an die Freiheit und an gute Gedichte, und an die grundgütige Wirkung von rotem Wein aus dem Languedoc, bersteinfarbenen Getränken und viel, viel Sport.

So, liebe Gemeinde, sieht es aus. Aber das sagte ich bereits. Aber ich sags gerne noch einmal:

Liebe Gemeindemitglieder, bleiben Sie uns gewogen.

Wir hier – auch die Grant- und Meckerecke-, wünschen allen und allinnen die guten Willens sind, ein feines und trainingsreiches neues Jahr.
Prosit.

Ihr Bloggerteam

1.Seite-Bücher

Seltsame Knipper im Geisteszentrum. Typen mit Baseballkappen über die sie die Kapuzen ihrer Hoodies gezogen haben. Keine Ahnung von Training. Nicht mal den Fahrradergometer konnten sie richtig einstellen. Vielleicht haben wir aus der Ecke was zu erwarten, nächstes Jahr, wer weiß? Vielleicht schmiedet in Ösi-County bereits die Homiejugend an guten Vorsätzen und hilft den schmucken Weg zur Hölle noch schöner zu machen?

Scheiß der Hund drauf!, wie der alte Hirte zu sagen pflegte.
Zuhause nahm ich wieder mal McCarthys «All die schönen Pferde» aus dem Regal und las die erste Seite. Weiter bin ich nie gekommen. Es ist ein klassisches «1.Seite-Buch».

Ein «1.Seite-Buch» ist ein Buch, dessen erste Seite so gottverdammt gut ist, dass man einfach nicht weiterlesen mag, weil man fühlt, dass es besser nicht werden kann. Und diese erste Seite ist angefüllt mit einer solch kraftvollen und suggestiven Prosa, dass man vor ihr stehenbleibt wie vor einem gewaltigen Gemälde von Jackson Pollock oder für uns Konservative: Breughel der Ältere. Man mag da gar nicht mehr weg und sich den Rest der Ausstellung ansehen.

Und so nehme ich von Zeit zu Zeit dieses Buch aus dem Regal und lese beglückt und mit der Welt ausgesöhnt, die erste Seite …

Verachtet!

Wer sich in letzter Zeit ein bisschen in der deutschsprachigen Presse umgetan hat, dem wird ein neues Phänomen nicht entgangen sein: Es sei, so liest man nun immer wieder, nicht angezeigt, Politiker zu verachten. Das nütze nur der Rechten, und so weiter und so fort.

Ich halte diese Ansicht für eine milde Form von Schwachsinn. Umgekehrt wird ein Schuh draus, wie man so sagt. Es sind die Politiker, die den Wähler verachten. Politiker die bereits lügen, wenn sie nach der Uhrzeit gefragt werden; Politiker, die niemals, nie und nimmer auch nur den Anschein erwecken, dass sie die Verantwortung für ihre Handlungen übernehmen wollen; Politiker, die mit uns reden, als wären wir zurückgebliebene Kinder; Politiker, die jedes gegebene Wort brechen; Politiker, die ausnahmslos Klientelpolitk betreiben und nur die Interessen ihres eigenen Wähleranteils verfolgen; Politiker, denen es egal ist, dass sie verachtet werden.

Verachtet werden Figuren, die sich verächtlich benehmen.
Wer sonst?

Das Sprüchemuseum (33)

34 Prozent der österreichischen Erwachsenen sagen: «Zu Weihnachten zu beten ist wichtiger als zu Weihnachten Geschenke zu bekommen».

Ergebnis einer Umfrage des Linzer Market Instituts.

Wir sagen: Wichtiger als beten und Geschenke, erachten wir gutes Deutsch. In einem 12-Wörter-Satz 4 Mal «zu» zu benutzen ist uncool. Aber ansonsten zählen wir uns auch zu den 34 % Betern. Wir beten, dass das Gebete und Geschenke bald ein Ende finden möge …

«Punkrock und Verbrecher»

Heute erreichte uns die Nachricht, dass der «Gentleman-Räuber» Ronald «Ronnie» Biggs diese Welt verlassen hat, just an jenem Tag, an dem Keith Richards seinen Siebziger begeht. So kanns gehen. Ob die beiden Ereignisse in irgendeinem Zusammenhang stehen? Keine Ahnung. Aber wenn einer es wissen könnte, dann ist es bestimmt Franz Dobler, denn solches zu wissen, miteinander zu verknüpfen sind seine Spezialität und gehören zu seinem Job.

In seinem neuesten Buch «The boy named Sue» Aus den Memoiren eines zerstreuten Musikliebhabers (erschienen bei der Edition Tiamat) gibt es eine Story «Punkrock und Verbrecher» in der der Autor ein Rudel Punks am Münchner Hauptbahnhof beobachtet. Und natürlich weiß Franz Dobler um die Verbindung von Ronnie Biggs und Punk und daraus zieht er seine Schlüsse. Und man muss es einfach sagen: Wenn Dobler Schlüsse zieht, sind es die richtigen. Und besser als «richtig» ist nur «klug», und vielleicht noch «gscheit» und vor allem: «humorig».

Ach was! Dieses Buch ist ein Hammer. Ganz frühe Sachen (Memoiren, hearst!!!), wie der Text über Chet Baker, erschienen in der Zeitschrift «Ziegelbrennen», den ich die Ehre hatte, 1989 an der letzten «Sage und schreibe» Veranstaltung in München zu lesen, und ganz frisch memoriertes, wie die Reminiszenzen an verflossene Filmtage mit Freund Hubl Greiner (der übrigens dabei ist, einen Film über diesen Autor fertig zu stellen) werden vorgestellt, und man muss verdammt nochmal kein Musikfreak sein, um das Buch zu mögen.
Es reicht schon, wenn man Lust auf kluge, humorvolle und machmal auch traurige Unterhaltung hat.

Franz Dobler
THE BOY NAMED SUE
Aus den Memoiren eines zerstreuten Musikliebhabers
190 Seiten  /  14 Euro
Edition Tiamat

Songdog singt für: «Mehr war nicht drin»

Ich begegnete den Gedichten von Florian Günther zum ersten Mal im Regionalexpress von Schweinfurt nach Nürnberg. Ich steckte im überfülltesten Zug, den die Welt je gesehen hat und an jeder Haltestelle rückten nochmal massige, schwarze Menschentrauben nach, bis dann im sonnig fröhlichen Haßfurt, ein Punkerpärchen mit Baby zustieg und seinen Kinderwagen  – wie den Korken auf die Flasche – in den Zug drückte.

Die Räder kamen auf meine Füße zu stehen. Und das war gut so. Denn so entstand vor meinem Gesicht eine Lücke, die ich mit Florian Günthers Buch «Mir kann keiner» füllte.

Was mich erstaunte: Die Stimmung im Zug war kein bisschen gereizt oder aggressiv, eher ruhig, gelassen und freundlich. Solidarisch. Und so stand ich da, die Gedichte direkt auf der Nase und bald wurde mir klar, dass diese Gedichte genau von diesen Leuten hier handelten. Von Alten und Punkern, von Türken und Beamten, von Reisenden, Ausflüglern und Typen mit Bierdosen in den Händen, jungen drallen Frauen in kurzen Kleidern und Mackern im Muscleshirt, von Eltern mit ihren Kindern. Von uns. Und es war in etwa auch die gleiche Stimmung. In den Gedichten, wie im Zug.
Später, im Flugzeug nach Wien, fragte ich mich, ob die Stimmung die ich wahrgenommen hatte, nicht vielleicht eine Projektion von Günthers Gedichten waren? Und wenn es so wäre: So what? Wie genial!

Florian Günthers Gedichte sind verdichtete Kurzgeschichten. Kein Wort zuviel, aber nie karg oder spröde, sondern immer prall und voll Leben. Nie belehrend. Jedes Wort hat seinen eigenen Sound, und wer ein bisschen Ahnung vom Schreiben hat, weiß, wieviel Arbeit hinter diesem scheinbar mühelos Hingworfenen steckt.

Letztes Jahr hat Florian Günther einen wunderbaren Fotoband (Reisen ohne weg zu müssen) herausgebracht, und gerade eben ist im Peter Engster Verlag ein weiterer Gedichtband erschienen. «Mehr war nicht drin», 74 Gedichte.

Eins ist sicher: er ist noch besser geworden. Als Dichter, und vermutlich auch als Berliner und Friedrichshainer. Klarer, und einen Tick weicher, und freundlicher. Aber immer noch zeigt er uns die Dinge und Typen und Frauen wie sie sind, und indem er sich eines Urteils enthält, wird klar: Dieser Mann ist nicht nur ein Dichter, sondern auch ein Menschenfreund, ein Humanist. Er versteht uns. Und mich erinnert jedes Gedicht daran, dass ich mich verdammt noch mal zu bemühen habe …

Florian Günther
«Mehr war nicht drin»
74 Gedichte

Verlag Peter Engstler, 2013
128 Seiten, Broschur

Preis 14,80 Euro
ISBN 978-3-941126-53-4

Schmankerln aus Niederösterreich

«Mir gehen die Scheiß-Asylanten sowieso am Oasch, aber schuld sind die Pressefritzen, die gehören aufgehängt, de san wia de Juden!»

Ausspruch des Gföhler Bürgermeisters. ÖVP (Regierungspartei)

«Sie gehören ja aus dem Verkehr gezogen und sterilisiert, damit sich so etwas nicht auch noch weitervermehrt. Ihre Redaktion gehört angezündet und eingeäschert und das Hetzblatt ‹Profil› verboten.»

Josef Schlögelhofer, Lehrer und ÖVP-Gemeinderat aus dem Stiftsgymnasium Seitenstetten. Post zu einem kritischen Bericht über die Lehrergewerkschaft im Magazin «Profil».

Wohlgemerkt: Das stammt nicht von 1941, sonder von 2013.

Wer braucht schon die Neonazis, wenn’s die ÖVP dasselbe, öfter und zuverlässiger, und als Regierungspartei, liefert?

Am 6.12. erscheint der SUPERBASTARD extra#1

Dem Songdog Verlag wird die Ehre zuteil, dem Augsburger Dichter und Sänger Benedikt Maria Kramer bei der Herausgabe des SUPERBASTARD unterstützend zur Hand zu gehen.
Es ist inzwischen die 5. Nummer die so unter die Leute kommt.
Berühmt auch die Superbastard-Lesungen in Augsburg! Genau wie früher, als Lesungen auch dem Kneipenpersonal Spaß machten, und die mitunter auf der Notaufnahme ausklangen …
«…was ursprünglich eine kleine Sondernummer werden sollte, hat sich in den letzten Wochen zu einem rund 90 Seiten dicken superbastardextra entwickelt. Das liegt nicht daran, dass wir alles drucken, sondern an den vielen verdammt guten Texten, Gedichten und Fotografien, die unsere Redaktion erreichten.


*LOVE CHILD* – superbastard extra #1
Songdog Verlag Wien
Paperback, 88 Seiten
€ 9,95 (zzgl. Porto und Versand)
ISBN 978-3-9503557-2-7
Gedruckt wie immer bei MARO, Erscheinungsdatum pünktlich zu Weihnachten.
Wer vorbestellen möchte, darf das gerne tun und bekommt den Sonderbastard zum Sonderpreis von 8,00 (zzgl. € 2,00 für Porto und Versand). – Bitte bis 30. November eine E-Mail an mich.

*****
Unter den Autoren finden sich einige altbekannte Bastarde wie Florian Günther, Jerk Götterwind, Michi Sailer, Andreas Niedermann, Urs Böke und Ni Gudix, aber auch Bastard-Babys wie Christin Zenker, Marvin Chlada, Constanze Ramsperger, Marcus Mohr, Susann Klossek und Marc Mrosk.
Dazu zwei exklusive Übersetzungen: Metta Victor (Aus dem Amerikanischen von Ni Gudix) und Ingvar Ambjørnsen (Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs).

Stargast ist diesmal Georg Büchner.

Außerdem … Fotografien von Deborah ParkinJacqueline RobertsFlorian Waadt und Florian Günther!

Für Liebhaber anspruchsvoller Underground-Literatur das Weihnachtsgeschenk unterm Christbaum!
Danke im Voraus und herzliche Grüße!

Benedikt Maria Kramer

Quién sabe?

In Wien gibt es zwei Dinge die man seinen Kindern außer Haus beibringt: Beobachte die Autos auf der Straße und auf dem Gehsteig die Hundekacke. Das eine ist überlebenwichtig. Das andere … irgendwie auch.

Auch wenn deine Ampel auf grün ist, schärfte ich meinen Mädchen ein, guck trotzdem. Rechne immer mit den Aussetzern, Fehlern, Drogenmissbräuchen und Blackouts der anderen. Vertraue nur dir selber. Trau nicht mal deinem Alten!

Als ich heute morgen auf dem Weg ins Geisteszentrum die 4-spurige Wiedner Hauptstraße queren wollte, kam vom Südhügel her die Ambulanz des Wegs, bretterte mit Blaulicht und Tatü über die kurvige Piste. Ein etwa 10-Jähriges Kerlchen kam auf seinem Scooter ebenfalls des Wegs und querte den Zebrastreifen, denn wir Pietoni hatten gerade Grün. Der Kleine, das erkannte ich, sah nichts, hörte nichts, er blickte traumhapert geradeaus, denn er hatte das grüne Licht erblickt und wixte nun seinem Unglück entgegen. Aber bevor es dazu kam, fuhr ich meinen linken Arm aus, diesen langen, starken Arm, und riss ihn zurück. Die Ambulanz wischte vorbei und ich sah noch, wie der Fahrer die Hand hob. Zum Dank, nehme ich mal an. Ich ließ den Kleinen los. Seine Miene war nicht einen Millimeter verrutscht. Er zockelte weiter Richtung Schule.

Ich bog in die Hartmanngasse ein und dachte, dass ich womöglich gerade einen ziemlich hässlichen Unfall verhindert hatte. Ich meine damit eine Sache, die man nie mehr vergisst und die eine Menge Leute ihr Leben lang unglücklich gemacht hätte.

Ja, vielleicht hätte es der Kleine ans andere Ufer geschafft, aber durch die Vollbremsung wäre die Ambulanz ins Schleudern gekommen und hätte mich erwischt. So hätt’s auch laufen können. Man weiß es nicht. Und man will es auch nicht wissen.

Dies bedenkend trat ich im Geisteszentrum den Ergometer in Grund und Boden um das Adrenalin zu löschen, und kam dabei zum Schluss, dass es mitunter nicht verkehrt ist, einem anderen zu helfen. Denn man weiß nie, ob es einen nicht selber erwischt, wenn man es bleiben lässt …
So ein Egoschwein war ich.