Dichterstubete. 3 x kurz, 3 x lang, 3 x kurz

«So eine Dichterstubete ist schön, macht aber viel Arbeit». Um mit einem abgewandelten Wort Karl Valentins zu sprechen.

Diesmal hatten wir den famosen Storyteller Alex Capus und den fehlerfrei und speedig slammenden Poeten Etrit Hasler zu Gast (dessen Vortrag von meiner 11-Jährigen Tochter als ziemlich cool empfunden wurde), zwei feine Herren, die auch mit 3-5 Mal soviel Publikumsandrang fertig geworden wären. Ich übrigens auch. Vielleicht nicht die Gulaschküche, aber da gab es ja Hilfe, und auch das hätten wir gepackt, ein paar Kilo Mehlige und Festkochende liegen noch unter dem Küchelnregal. Ebenso getrocknete Steinpilze, Liebstöckel, Muskat, Majoran, Paprika, Zwiebel; und das eigens für den Anlass geschärfte Armeekochmesser blinkte vor Zuversicht.

Also, wir hätten’s gepackt. Ohne Frage. Aber es hat wieder nicht sollen sein.
Wald liegt halt eben doch hinter den sieben Hügeln, wie St. Gallen oder Wien. Nur Woodstock scheint sehr zentral zu sein und von überall her erreichbar.

Aber ich will nicht klagen. Will ich ja nie. Aber ein wenig darüber nachdenken schon.

Voraus geschickt sei, dass es wieder ein Abend vom Feinsten war, die reine Freude, und niemand weinte, weil es nichts zu trinken gab; die 3 Dichter stubeten einmal drin und gar zweimal draußen im Garten, an dem langen, langen Tisch: drei mal kurz, dreimal lang, drei mal kurz. Die Pfadis unter uns horchen jetzt auf und spitzen die Ohren: SOS. Save our Souls.

Als gegen 16 Uhr schon etwa 10 Menschen anwesend waren, dachte ich für einen Moment an Verkehrschaos und Sessel -und Platzknappheit, aber die Herrschaften kamen, blieben ein Weilchen und gingen ein Weilchen. Einige blieben bis zum netten Ende, gegen halb 4.

Hab ich schon gesagt, dass es mir sehr gefiel? Ich glaube schon. Und als wir nur noch zu dritt waren, meine Frau, Alex Capus und ich, fragte ich den Alex nach seiner Einschätzung, warum auch sein hell klingender Name, seine Fama und Ruhmredigkeit nicht wie sonst die Massen heran gelockt hatte? Seine Antwort gab mir zu denken. Vor allem, weil sie vermutlich ziemlich frei von wohlfeiler Spekulation ist. Er meinte, so etwa im Sinne, dass es vor allem der Veranstalter ist, der Leute heran bringt, und nicht die Akteure.

Das ließ mich schlucken. Aber den Wahrheitsgehalt kann man ja an jeder Kneipe überprüfen. Es ist immer der Wirt, die Wirtin, die das Ding machen. Und das braucht auch seine Zeit. Etablierungszeit. Die hat so eine Artistlein in Residence natürlich nicht.

(Nachtrag. Ich möchte niemandem die Meinung von «On the road»-Leseprofi Franz Dobler vorenthalten: «aber auch der capus hat nur halb recht, das ist meine erfahrung, und man sollte keine der beiden hälften, von denen man gern eine vergisst, vergessen».)

Das ist irgendwie nicht nett. Aber andererseits, ich gestehe es, wohnt in dieser Einsicht auch etwas Tröstliches. Denn in der Frage, warum nicht die Massen herpilgern, kann nun eine Fehlerkomponente ausgeschlossen werden, an dieser Schraube wird nicht mehr gedreht. Es sind nicht die Namen. Das finde ich gut. Und als methodisch Arbeitender, fällt mir da auch einiges von den Schultern.

Vielleicht ergibt sich ja für der Erfinder der Dichterstubete weiterhin die Gelegenheit, sein Ding zu machen und an seiner Fama zu arbeiten, bis der Ruhm von Woodstock vollkommen verblasst ist.

www. = Woodstock-Wien-Wald

Woodstock
Woodstock

Morgen, am 15. August 2009, jährt sich das legendäre Woodstock-Festival zum 40-sten Mal.
Wir, hier im Birli, begehen den Feiertag mit der 2. Dichterstubete.
(Anfahrtsplan unter www.songdog.at/veranstaltungen

"Birli" Wald

So wie es im Moment aussieht, wird uns das berühmt gewordene Schlammbad erspart bleiben. Es ist schönes Wetter angesagt. Leider, werden nun viele sagen. Aber sie seien getröstet.
Das «Birli» verfügt über einen Garten, und dort wird eine Heurigenbank und ein Heurigentisch stehen. Es wird burgenländische Weine geben. Und Erdäpfelgulasch mit Pilzen. Nach der Original-Rezeptur des Komponisten, Autors und Pilzesammlers Günther Rabl.

Natürlich wird es, für Geneigte, auch Literatur geben. Vorgetragen von Alex Capus, Etrit Hasler und mir.

Alex Capus muss man den Literaturinteressierten nicht vorstellen. Der Romancier, Erzähler und Bestsellerautor ist ein Fixstern am Literaturhimmel. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt.

Alex Capus› Heimatort ist übrigens Trogen (ja, das ferne Trogen). Er schrieb: «Mein Urgrossvater Bruderer ist 1870 wegen Lehrerüberschuss ausgewandert, ins solothurnische Schwarzbubenland, wo Lehrermangel herrschte.»
Wer mehr wissen möchte: www.alexcapus.de
(Alex Capus war 8 Jahre alt, als Jimi Hendrix in Woodstock seine Gitarre in «Star spangeld banner» wie ein Maschinengewehr rattern ließ.)

Der Poet Etrit Hasler, der sich hier mit seinen eigenen Worten vorstellt, weiß vermutlich nicht, was Woodstock ist:
E.H. geboren 1977 in St.Gallen. Lebt als Lyriker, Slampoet, Journalist und Lokalquerulant in seiner Geburtsstadt, der er nie wirklich entkommen konnte. Hunderte von Auftritten, diverse Förderpreise, aber bisher nur zwei eigene Veröffentlichungen, zuletzt das lyrisch-musikalische Crossover-Projekt «Notaufnahme» mit Synthie-Genie The Hollow Man.

Es ist mir eine große Freude, die beiden Kollegen hier im Birli begrüßen zu dürfen.

Und zum Schluss möchte ich für all jene, die sich immer schon gefragt haben, was dieses vermaledeite www. wohl bedeuten mag, ein Geheimnis lüften. Viele werden es bereits erahnt haben.
www. ist die Abkürzung für: Woodstock-Wien-Wald.
Alles klar?
Kommen Sie! Schauen Sie sich das an.

Ein Verleger schmeißt hin!

Wer sich auf der Homepage des Amman Verlags umsieht, stößt unter der Rubrik «Presse» auf eine endlos lange Liste von Preiszusprechungen an Autoren des Hauses. Das macht neugierig. Und einen wie mich, etwas neidisch.
Man gestattet uns einen (staunenden) Blick in die Welt der Literatur, die aus hunderten von Preisangeboten besteht. Preisgekrönte Autor/Innen en masse!

Viele Namen sagen, einem Ignoranten wie mir, natürlich nichts. Bei einigen klingelts. Man hat den Namen schon gehört. Von anderen hat man auch schon Bücher in der Hand gehalten. Schön.
Aber ich dachte, wie damals im Stall von Bauer Spahni: Soviele Kühe. Und an den Plätzen von einigen besonders prachtvollen Euterträgerinnen waren die eingeheimsten Prämierungen angebracht. Stoffvignetten. Blau und rot und weiß. Wie auf den Flugzeugen der Briten. Oder Franzosen.

Ich schätze mal, die Fama der preisgekrönten Kühe von Bauer Spahni machte vor allem in Rosshäusern und der näheren Umgebung des Schwarzenburgerlandes, die Runde.
Der Künstler Peter Kamm bezeichnete Kunstmessen einmal als «Huhn und Schwein» für Künstler. Das ist nicht falsch.

Nun, Verleger Egon Amman hat hingeschmissen. In den Feuilletons von FAZ, NZZ, Süddeutschen wurde deswegen viel geraunt und viel gelobt. Ein erfolgreicher Verlag. Ein wichtiger.
1000 Bücher in nicht ganz 30 Jahren. Das ist eine Menge Holz.
30-40 Titel im Jahr. 9 Mitarbeiter.

Darf man ein bisschen rechnen?
Mit Mieten und Löhnen sind das mindestens 30 Tausend pro Monat. Muss also jede Neuerscheinung monatlich einen 1000-er hereinjassen. Ein Buch kostet, sagen wir mal 30 Franken.
Im deutschsprachigen Raum, so wurde mal errechnet, gibt es 80.000 Leser. Also Menschen, die sich regelmäßig Belletristik kaufen. Um die Fixkosten des Ammanverlags zu bestreiten, müssten die Leser jeden Monat etwa 1000 Bücher aus dem Amman Stall kaufen. Nur umsatzmäßig gerechnet. Wenn man die anderen Kosten, Autorenhonorare, Buchhandel-und Vertriebsprozente, Druckosten usw. mit einrechnet, fallen auf die 80.000 Leser jeden Monat ungefähr 3-4 Tausend Ammanbücher.
Diese Rechnung ist natürlich insofern Mumpitz, als da noch ganz andere Rechnungen angestellt werden müssen, aber trotzdem kann sie einen Eindruck vermitteln, um was es in einem solchen Unternehmen geht. Und da verwundert es niemanden, dass, laut Süddeutscher Zeitung, Amman jedes Jahr 500.000 Euros einer Mäzenin erhielt. Erhalten musste.

Dass man in den einschlägigen Zeitungen den Amman Verlag als «erfolgreichen» Verlag bezeichnete, erscheint mir im Hinblick auf diese massiven Zuwendungen, als irrwitzig. Und es stellt sich die Frage, ob man nicht auch die Manager diverser Banken, die ihre Unternehmen in die staatliche Subvention getrieben haben, nicht auch als «erfolgreich» bezeichnen müsste? Ich frage.

500.000 Euros sind eine Menge Holz. Damit könnte der eine oder andere Kleinverleger durchaus etwas anfangen. Auch zu seinem Ruhm, und der Ehre von Autoren. Und jetzt, da Amman dicht macht, raunt es wieder, und einige sehen den Untergang des Abendlandes bedrohlich nahe. Schuld sind laut Egon Amman auch: «…Techno und Rap, Pop, Glamour und Fun schieben sich vor das Ernstere. Zerstreuung, Abenteuer, Fantasy…»
Das ist sicher nicht falsch. Aber, so what?
Wann, bitte, war denn das Ernstere so gefragt? Wann hatte es denn Hochkonjunktur? Wer soll denn all die Bücher lesen? Die Ernsten, und die anderen? Und warum?

Menschen, die sich für Literatur interessieren, sind eine Minderheit. Man muss sie nicht schützen. Sie wird nicht aussterben, auch wenn sich das viele wünschen mögen.

Ein Problem des Verlagswesen besteht darin, dass es durch den Absatzrückgang einzelner Bücher, immer mehr Titel auf den Markt wirft. Werfen muss. Das ist Kapitalismus pur.

Und bei 500.000 Miesen im Jahr, macht jeder andere Betrieb auch dicht. Ohne, dass der Untergang des Abendlandes nahe ist.

Haut doch ab nach Moskau!

Wenn in den siebziger -und frühen achziger Jahren herauskam, dass ich nicht beim Militär war, und den Dienst gar verweigert hatte, dann bekam ich was zu hören. Vor allem von der Belegschaft der kleinen Bau -und Zimmermannsfirmen, für die ich damals oft gearbeitet habe. Aber auch sonst. Am Stammtisch, in der Kneipe, auf der Straße.

Dienstverweigerung galt damals in der Schweiz als Kapitalverbrechen. Für Lehrer bedeutete es faktisches Berufsverbot. Uns anderen wurde angeboten, uns bei der Kastration mit einem rostigen Dosendeckel behilflich zu sein. Aber am meisten hörten wir: Hau doch ab nach Moskau! Oder simpel: Moskau einfach!

Heute würden sie das nicht mehr sagen. Denn diejenigen, denen das damals ein Herzensanliegen war, wünschen sich schon längst selber Zustände wie in Moskau.

Wenn man sich die Postings und den Boulevard zur Causa «Merkureinbruch» – bei dem ein 14-jähriger Einbrecher von der Polizei mit einem Schuss in den Rücken getötet wurde – durchliest, wird eines deutlich: Die Mehrheit hat die Schnauze voll. Sie hat die Schnauze voll, und zwar von Freiheit, Demokratie und jeglicher Verantwortung für das eigene Leben. Sie wünscht sich einen Burschen wie den Pröllenen Örwin, einen väterlichen Autoritärling, der bei jeder Fussgängerstreifeneinweihung zugegen ist, und den Leuten die Hand schüttelt. Einer Art heterosexueller und väterlicher Haider.

Sie wünschen sich, dass endlich «a Ruah» is, dass diesen Unruhestiftern, Nestbeschmutzern, uneinsichtigen Gutmenschen die noch immer unbequeme Fragen stellen, endlich das Maul gestopft wird.
Man möchte wieder unter sich sein. Man will endlich wieder alles sagen dürfen, was da an brauner Sosse durch die zwei Gehirnwindungen gequirlt wird; schimpfen, schimpfen nach Herzenslust und zwar so wie einem der Schnabel gewachsen ist. Über Ausländer und Außenseiter, Gutmenschen, Schwule, Lesben, Juden, Muslime und Künstler. Man möchte nicht mehr gestört werden. Geführt, will man sein.
Ich verstehe das.

Früher war es die Kirche, die den niedrigsten Instinkten der Menschen eine Kralle anlegte. Aber unter dem deutschen Papst hat sie andere Probleme, und tendiert selber in diese Richtung. Wer hat nicht langsam den Eindruck, dass wer nicht katholisch ist, nur noch peripher der menschlichen Gattung zugerechnet wird?

All diesen Gutmenschen-Hassern würde es in Russland gut gefallen. Da kriegen freche, fragenstellende Journalisten eine Kugel in den Kopf. Und nicht nur jugendliche Einbrecher.

Wenn man den Erzählungen von überlebenden Wiener Juden, vom Tag nach dem Anschluss 1938 zuhört, gibt es in einer Sache immer Deckungsgleichheit: Das Staunen darüber, dass plötzlich alle, Nachbarn, Bekannte, Geschäftsleute usw. über Nacht zu bekennenden Antisemiten geworden sind. Über Nacht.

Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass es beim nächsten Führer wieder so sein wird. Linke, Gutmenschen, Ausländer, Künstler, Journalisten (jene die nicht der Dichand-Schule angehören) habt acht.

Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich am Liebsten schreien:
Haut doch ab nach Moskau, Spießer!

Wandern auf verbotenen Pfaden

Gestern war Wandern. Wie aufregend!, werden jetzt viele erregt ausrufen, und wahrlich, wahrlich, das war nicht nichts.
Schon lange wollte ich jenes «Speicher» besuchen, das in meinem Westfenster prangt und dessen Straßenbeleuchtung die Nächte erhellt, und das ich hin und wieder mit meinem Fernglas für 9,95 CHF beobachte, bass erstaunt, dass es solch gute Gläser gibt, und zwar um den Gegenwert eines Glas Rotweins in jeder beliebigen Kneipe.

Würde man die Tobel zu Speicher überbrücken, wäre man in 10 Minuten am Hauptbahnhof. Aber so einfach ist das nicht. Zuerst geht’s runter zu Moosbach und Goldach, und dann wieder rauf. Und das «wieder rauf», war denn auch der Grund, warum wir uns entschlossen bis «Zweibruggen» zu wandern und dann mit dem Bus, der hier Postauto heißt, zurückzufahren.

Fein. Zuerst nässten wir uns alle im Gras die Turnschuhe und Socken ein. Die teilweise nackten Beine der Mädchen wurden von Brennnesseln gegen Rheuma behandelt, und wir pflückten wilde Himbeeren und glänzend schwarze Brombeeren. Eine Joggerin, aus dem Stamme der Bergziegen, kam uns entgegen, ich fragte sie nach dem Weg und erfuhr, dass es den Weg nicht mehr gebe, er sei deswegen, wenn es ihn noch geben würde, gesperrt. Aber, so sagte die freundliche Läuferin nachdem sie unsere Physis in Augenschein genommen hatte, mit ein bisschen Klettern, ginge das schon.

Dann waren wir im Wald. Unten der Moosbach. Der Weg war gleichzeitig auch eine Art Bachbett für Sturzfluten, und dann stießen wir auf ein Schild, das uns die Sperrung des Weges verhieß. Nun gut. So was ist spannend. Selbst für halbwüchsige Mädchen, die sich sonst gerne in Mecker -und Schmollposen gefallen. Es war feucht und es war warm und es war steil und der Pfad schmal und überwuchert. Ich schnitzte uns einen Weg mit dem Armeesackmesser.

Dann, unten im «Chaschteloch», bei der Hochzeit von Goldach und Moosbach, fehlte die Brücke. Überhaupt gab es sehr viele Brücken, auch welche, die nur halb fehlten. Wir tappten durch die Goldach, und weiter vorne stießen wir bereits auf das nächste Schild, das uns wieder die Sperrung des Weges verkündete. Allerdings, das muss auch gesagt werden, auf dem gesperrten, weggespülten Wegen gab es einigen Publikumsverkehr. Und das gefiel mir.

Ich gestehe, dass ich mir nicht wirklich sicher bin, dass ich ohne die Infos der Joggerin nicht dafür plädiert hätte, umzukehren. Weiß nicht. Der Kinder wegen. Aber vielleicht auch nicht.
Aber schön war auf jeden Fall, dass hier Verbotstafeln so selbstverständlich ignoriert wurden, und man die Sache zumindest eigenem Augenschein unterzog.

Dann mussten wir unsere nassen Schuhe und Socken ausziehen (warum eigentlich?) und ein Stück des weggespülten Weges durch die kalte Goldach waten und uns Furten suchen. Das macht Freude und Laune, und in Zweibruggen kam nach 10 Minuten der Bus, der hier Postauto heißt.

Dann, als wir über «Nasen» nach Hause wanderten, dachte ich an Bier. Ich trinke kaum Bier, weil Bier nur in verrauchten Kneipen schmeckt oder sonst nach körperlichen Aktionen. Und nun hatte ich mich wieder mal in Verdacht, dass der eigentliche Grund für die 3-stündige Wanderung in meiner «Ich hab wieder mal Lust auf ein Bier» Laune zu finden war.
Biertrinken ist gesund.
Für die ganze Familie.

Der Tod ist verzogen

Bauer Heeb schnappt sich den Mäher und schneidet eine Runde Gras. Ich sehe ihm zu, wie er den Mäher das Tempo diktieren lässt, und zwischen den Holmen die abschüssige Straße runterläuft. Heute denke ich, der hat’s gut, denn Arbeit ist gut, sie hindert einen daran, nachzudenken. Oder wenn schon nicht am Nachdenken, so doch daran, übere traurige Dinge zu sinnieren, wie über den Tod von Willi Deville, der uns mit 58 Jahren verlassen hat, und dessen Album «Crow Jane Alley» eines meiner liebsten ist. Es ist ein Jammer. Wie schrieb Jack Kerouac in einem langen Gedicht über Charlie Parker? «…und so verbleichen wir der Reih nach / in der Zeit.»

Gerade vor ein paar Tagen wollte ich das Album anhören, aber es liegt in Wien, und so forschte ich bei Youtube nach, fand aber nicht die Songs die ich gebraucht hätte. Ja, gebraucht. Denn manchmal braucht man Songs, als Antidot gegen die täglich auf einen niederregnende Scheiße an Zumutungen, Dummheit und Niedertracht, auf dass die Kunst uns ein wenig erquicke.

Der österreichische Schriftsteller Gerhard Roth, der in seinem monumentalen Werk «Archive des Schweigens», u.a. auch verifiziert hat, dass der Film «Alpensaga», in dem die Tirolerwiesen nur noch fettgrün wuchernde Teppiche sind unter denen stinkender Abfall liegt, nicht die Ausgeburt kranker Drehbuchschreibergehirne ist, sondern die Metapher für die bare Realität; dieser Gerhard Roth hat sich nun auf der «Pathologischen» in Wien umgesehen, ergangen, wie das so schön heißt, und hat von diesem «Ergang» einen Text mitgebracht: «Dort, wo der Tod wohnt.»

Das ist hübsch. Das gefällt uns. Fettwachsleichen, eine Hymenauststellung, weibliche Geschlechtsteile in Formaldehyd, allerlei Mordwerkzeug, ganz schön gruselig; ein wenig wie auf der Geisterbahn, wenn in der Dunkelheit das ausgefranste Ende eines Seils über unser Gesicht streicht, so lieben sie ihn, die Wiener, den Tod, wie Sisi und den alten Franzl, da können sie sich delektieren, ja, dort wo der Tod wohnt.

Nur, der Tod wohnt nicht mehr dort. Er ist verzogen. Nur noch ein paar bizarre Arbeiten stehen im verlassenen Hausflur. Sein neues Quartier ist nicht mehr so spektakulär, dafür wechselt er es häufiger. Aber Gerhard Roth ist nicht mehr der Jüngste und deswegen ist es ihm vielleicht einfach entgangen oder er hat nicht auf dem Meldeamt nachgefragt, und so kam es, dass Roth in der «Patho»-Sensengasse ein wenig wirkt wie ein Tourist vor dem Schloss Schönbrunn, leicht verwirrt und geblendet von der Pracht, in die Sonne blinzelnd, und so den Portier im Livrée für den Kaiser Franz Josef hält, und die beleibte Touristin in knallengen Shorts aus Ybbs an der Donau, für Sisi.

Ja, so hätten wir ihn gern, den Tod. Schon ziemlich hinüber und museumsreif, und ein paar gsoffene Liadln beim Heurigen dazu: «Es wiad a Wein sei, und i werd nimma sei!»

Aber der Tod ist verzogen. Er wohnt jetzt in Supermärkten in der Provinz, campiert auf Autobahnraststätten und lauert hinter Polizeisperren. Er hat fleißige Angestellte in Wort und Tat. Er arbeitet nur mehr ausnahmsweise in Fettwachs. Er hat es eilig. Er bevorzugt die schnelle Kugel und das scharfe Wort. «Wer alt genug zum Einbrechen ist, ist auch alt genug zu sterben.» (Michael Jeannée, Kronendreckszeitung)
Gibt es eigentlich niemand, der diesem Unflat die Worte wieder zurück in sein stinkendes Loch drischt?
In Österreich?
Vermutlich nicht.

Der dritte Mann

Manch einer mag sich fragen, wie sich die österreichische Exekutive aus der Tötungssache, der ungerechtfertigen Ballerei in einem nächtlichen Supermarkt rauswinden wird. (Siehe Blog 5. & 6. August) Es geht hier nur um das wie, denn dass sie es tun wird, ist so sicher wie der Pröll wiedergewählt wird.

Heute kann man bereits erahnen wohin die Reise geht: Es wird das Gerücht gestreut, es hätte einen dritten Einbrecher gegeben. Der dritte Mann. Den kennen alle. Funktioniert (fast) immer. Verschwörungstheorien. (Damit ließ und lässt sich auch die Heiligsprechung von Haider durchdrücken. Haider wurde vom Mossad besoffen gemacht, und dann gezwungen in einem manipulierten Auto nach Hause zu rasen. Wer das irgendwie für hanebüchen hält, weiß nichts von österreichischen Realitäten.)

Verschwörungstheorien müssen nicht belegt werden.
Vielleicht werden sich nun alle Beteiligten und Überlebenden, vage an einen geheimnisvollen Dritten erinnern, einen, der ein großes Maschinengewehr im Anschlag, und der die Notwehrschüsse der Beamten provoziert hatte. Leider haben die dann die Falschen getroffen.
Nachtäglich lassen sich sicher auch Projektile und andere Spuren im Markt finden.

Man darf nicht so naiv sein und glauben, sowas gäb’s nur in amerikanischen Filmen. Als dummdreist Variante wird das gerne in Österreich gegeben. Das wird einfach durchgedrückt.
Man darf gespannt sein. Oder nicht.

Es gibt jedoch einen Hoffnungsschimmer: Es versammeln sich immer mehr Kinder und Jugendliche vor dem Kremser Supermarkt. Es gibt kleine Demos. Könnte da eine Jugend heranreifen, die es satt hat andauernd von der «Obrigkeit» angelogen, gegängelt und sogar wegen Nichtigkeiten zu Tode gebracht zu werden?

Niederösterreichische Notwehr!

Jener 14-jährige, der beim einem Einbruch in eine Kremser Merkurfiliale, von Beamten erschossen wurde, ist, so ergab nun die Obduktion, durch die sogenannte «Niederösterreichische Notwehr», zu Tode gekommen. Schuss in den Rücken.
Wie auch kürzlich jener Motorradfahrer, der einem Haltebefehl eines niederösterreichischen Polizisten nicht sofort nachgekommen ist. Schuss in den Rücken. Exitus. 6 Monate bedingt für den Schützen. Kleine Geldstrafe.

Warum schießen Beamte einem Motorradfahrer hinterher, warum knallen sie einen flüchtenden Einbrecher ab? Der Gebrauch der Dienstwaffe ist streng reglementiert, und ihr Einsatz nur für den äußersten Notfall vorgesehen.
Der Beamte schießt, weil er in einem Land lebt, dessen Landeshauptmann zum Tode von zwei Rumänen vermeldete: “Wer in Niederösterreich etwas anstellt, der muss eben auch mit dem Schlimmsten rechnen.”
Der Beamte schießt, weil er glauben könnte, dass sein größenwahnsinniger Landeshauptmann es als jedes Polizisten Pflicht ansieht, alles und jeden, was sich beim Anblick einer Uniform nicht gleich devot und ergeben zeigt – wenn nicht gleich zu erschießen – so zumindest mit Schüssen so einzudecken, dass der Delinquent sein Lebtag sicher ist, wer der Kaiser im Land ist.

Nun gibts Empörung. Nona. Vor allem von den Grünen und der SPÖ. Die ÖVP, und ganz klar die FPÖ, sagen nichts dazu. Warum sagen sie nichts? Weil sie wissen, dass der Großteil der österreichischen Bevölkerung dieses Vorgehen der Polizei gutheißt. Wer etwas verbricht, hat sein Recht auf Leben verwirkt. Wenn einen die Hardliner und Todesstrafeakklamierer in Texas, nicht das Fürchten lehren, dem jagen die Spießer aus Österreich die Gänsehaut über den Rücken.
Nur ein paar demokratische Spinner, vermutlich auch «amtsbekannt» finden das nicht in Ordnung.

Für mich ist es so, dass die Kugel, die den 14-jährigen in den Rücken traf, zuerst aus dem Mund von Erwin Pröll abgefeuert, und mit der Autoritätshörigkeit seiner Spießer zum Dumdum geschlitzt wurde.

Es ist anzunehmen, dass sich niemand bei der Familie des Toten entschuldigt. Es ist anzunehmen, dass die Beamten zu Hause sitzen, plärren und im Selbstmitleid baden. (Es kursiert das Gerücht, dass sie betrunken waren.)
Das kann man gut, in Pröllenland.

Wenn ihr das nächste Mal nach Österreich kommt, denkt daran, wie schnell man hier sterben kann.
It’s a diffrent country. Erst schießen und dann plärren.