Das Sprüchemuseum (123)

 «Doch selbst wenn der erste Fall hierzulande auftritt, wäre Panik die falsche Reaktion.»

derstandard zur Coronavirusdebatte.

Wir sagen: Das erinnert uns an den Dialog von zwei Spaziergängern, als sie im Regen einige Huren an der Straße stehen sahen. „Bei diesem Wetter möchte ich keine Hure sein.“ Der andere: „Bei welchem Wetter wärst du denn gerne eine Hure?»

Camus (encore une fois)

Ich sitze auf dem Fahrradergometer und lese wieder einmal mein Lieblingsbuch von Albert Camus „Der Mythos von Sisyphus“. Es ist in Teilen noch immer schwierig zu verstehen, und ich lese vorsichtig und wiederholend. Neben mir, halber Meter entfernt, rappelt das Laufband unter den Schritten einer Sportlerin. Der Gym am Morgen ist eine große, freundliche, gleichmäßig laufende Maschine. Es tut gut, ein Teil von ihr zu sein.

Und wie jedes Mal, wenn ich wieder Camus lese, erinnere mich an meine erste Begegnung mit ihm. Ich war 17 oder 18 Jahre alt. Ich weiß nicht mehr, wie ich auf ihn gestoßen bin, aber damals las ich drei-vier Romane pro Woche, und irgendwie geriet Camus’ „Der Fall» in meine Hände. Ich war begierig darauf ihn zu lesen, denn eine Bekannte und ihr Freund hatten mir sorgenvoll mitgeteilt, dass verrückt wird, wer Camus liest. Eine bessere Empfehlung für ein Buch habe ich nie wieder bekommen. Nichts wollte ich mehr, als mein Bewusstsein verändern. Mit was auch immer.

Ich erinnere mich an die Verstörung, die „Der Fall“ in mir ausgelöst hat. Der Roman sog mich ein, ich konnte mich dieser gefährlichen Stimmung, die er erzeugte nicht entziehen. Er wirbelte alles was ich bisher geglaubt und gedacht hatte durcheinander, und es gelang mir nie wieder die Dinge, wie sie gewesen waren, zusammenzusetzen. Es war großartig und gefährlich. Gefährlich, weil mir die Erfahrung fehlte, um dem Roman etwas entgegenzuhalten. Ich musste das Ding schlucken und damit klar kommen.

Dann las ich auch die anderen Bücher von Camus. „Der Fremde“, „Die Pest“, „Der Mythos…“ und den Rest auch. Ich denke, ich wurde damals eine Art Existentialist. Und ich bin es noch. Aber was ist ein Existentialist? Ich weiß es noch immer nicht genau. Die Sinnlosigkeit allen menschlichen Tuns aushalten, und diszipliniert sein Bestes geben? So irgendwie …

Nichts neues unter der Sonne

Eine preisgekrönte Predigerin (fünf namhafte Preise 2019, bereits zwei weitere 2020 – und wir haben erst Anfang Februar) fragt in ihrem Wort zum Sonntag u.a: „Warum wird der Hass wieder gesellschaftfähig?“ Nun ja, warum „wieder“? War er denn jemals weg?

Und ich behaupte keck, dass der Hass, die Verachtung, die Ablehnung und auch die Verfolgung, die wir in den siebziger Jahren erleben durften, um einiges direkter, greifbarer und mitunter auch gefährlicher war, als das, was heute so von den Millenials bejammert wird.

In den Siebzigern war’s in etwa so, wie jene Szene in „Easy Rider“, als Peter Fonda und Dennis Hopper in dieses Redneck-Kaff einfuhren um dort was zu essen. Die Autochthonen wollten ihnen das antun, was man uns Typen mit langen Haaren (in der Schweiz) auch antun wollte: Kahlscheren, mit rostigen Dosendeckeln kastrieren, nach Moskau einfach schicken, verprügeln, verstümmeln, ausrotten.

Damals, ich erinnere mich gut, musste man wissen, wo man sich bewegen konnte und wo man gar nicht auftauchen sollte. Ich arbeitete hin und wieder auf dem Bau, und wenn die Kollegen erfuhren, dass ich Dienstverweigerer war, gab’s „Moskau einfach“ und schlimmeres. Tagtäglich. Jahrelang.

Einmal, als ich mit einem befreundeten schwulen Tenor in einer Landkneipe zu Gast war, wollte die Dorfjugend mir den Kopf scheren. Es gelang mir gerade noch es mit einer von einem Taschenmesser abgesäbelten Locke, gut sein zu lassen.
So war das. Damals. Und wir hatten nicht mal ein Fazebock und ein Internet um uns auszuheulen. Und keine preisgekrönte Predigerin sprach für uns. Wir mussten mit dieser Stimmung in der Bevölkerung dealen. Bis dann andere die Feinde des Mobs wurden, und dessen Hass anstachelten …

Sagte er

„Als weißer Mann werde ich angepisst, nur weil ich weiß bin. Wenn ich aber blackfacing mache, ist es auch wieder nicht recht.»