Notwehr-Demos unterm Halbmond

Die Schweiz hat wieder einmal bewiesen, dass Timing ihr Ding nicht ist.
Jetzt hat der Souverän des Alpenstaates doch glatt durchgesetzt, dass ein Minarett-Verbot in der Verfassung festgeschrieben wird. Die Empörung ist allerorten groß. In Schweizer Städten wird fremdgeschämt was das Zeug hält, und in den islamischen Ländern werden von den regierungen Notwehr-Demonstrationen verordnet.
Das muss man verstehen.
Denn just in dem Moment, wo der sanftmütige und grundgütige Revolutionär Ghaddafi seine Schweizer Gäste business-class-mäßig nach Hause entlässt, in allen muslimischen Ländern christliche und jüdische Gotteshäuser nicht nur gebaut, sondern auch erwünscht sind; der feinsinnige Kunstfreund aus dem Iran, Herr «ich will doch Israel nur vernichten»-Ahmadinejad sein Atomprogramm das Klo runterspült, die Todestrakts mit den politischen Oppositionellen öffnet, jetzt wo die Beschneidung der Frauen ab sofort eingestellt und die Burka in europäischen Städten abgelegt wird, ja, und sogar eine Bibel im Gepäck eines Touristen kein Grund mehr ist, in den Knast zu wandern, jawoll, genau zu diesem Zeitpunkt, wo islamische Konvertiten in Pakhistan und Afghanistan nicht mehr des Todes sind, justament jetzt kommt das unselige Bergland daher und stellt die alte Asymetrie wieder her. Nur halt verdreht.

Man weiß nicht, was die Eidgenossen da geritten hat.
Da wird die Außenministerin wieder zu Kreuze kriechen und antichambrieren müssen. (Aber darin hat sie ja Übung.) Die Industriellen werden schäumen und sich die Politiker vorknöpfen.

Und in den muslimischen Ländern wie Ägypten und Indonesien wird man wohl ein paar Notwehr-Demonstrationen abhalten müssen, um der Welt zu erklären, wie beleidigt man ist.
Beleidigt ist man ja immer, man erklärt es nur nicht so oft.
Vielleicht müssen ein paar Schweizer Fahnen brennen und ein paar Steine und so, auf die Botschaften fliegen, nur so zum Zeichen, um zu zeigen, dass man voll friedlich ist. Niedliche Notwehr-Demos, eben.

Sunday moaning comin› down – Poetry

Jörg Herbig (*1975) kommt selten zum Reisen, und deshalb träumt er sich oft weg. Manche seiner Tagträume hält er anschließend in Liedern, Erzählungen, Zeichnungen und Hörspielen fest. Aber seine Gedichte, so sagt er, hätten häufig einen Tagebuch-Charakter.

Auf dem Opernplatz

Trotz Eiseskälte treiben sich
Ein paar Skater auf den Treppen
Herum, springen die Stufen
Herunter, rutschen das Geländer
Entlang, stürzen zu Boden, stehen
Auf, wischen sich den Schweiß
Von der Stirn, trinken Wasser
Am Brunnen veranstalteten
Exil-Iraner eine schwach besuchte
Kundgebung gegen die Unterdrückung
Der Frauen in ihrem Heimatland
Plakatwände informieren über die
Hintergründe, die Teilnehmer sind
Leise, halten nur ihre Schilder hoch
Vor der U-Bahnstation begrüßt ein
Großer Mann eine kleine Frau mit
Einem langen Kuss, anschließend
Überreicht er ihr ein Geschenk
Lächelnd verschwinden sie Arm in Arm
In Richtung Wohngebiet, weg von den
Straßencafés, weg von der Einkaufsmeile
Kaum ein Mensch interessiert sich für
Den anderen, nur den Überwachungskameras
Hoch über den Köpfen der Passanten
Entgeht nichts…

Der Notwehr-Hass-«Schang» in Wien

Jean Ziegler ist ein guter Mensch. Vor dem «Gutmensch-sein» bewahrt ihn etwas, das nicht so gut ist, und seiner Güte das Beste beschneidet: Ideologie. Man könnte auch sagen, Jean Ziegler ist die Alice Schwarzer der Armen.

Nun war er also in Wien und predigte den «vernünftigen Hass» auf den Westen. Vernünftiger Hass. Der ist gut. Als würde man von «gemütlichen Massakern» sprechen oder «friedliebender Aggression». Bullshit. Schang Ziegler hat kein Abo auf Nonsens-Sprüche, aber doch einige davon auf Lager. Sein Werk besteht genau genommen, aus Anekdoten.
Eine seiner Lieblingsanekdoten ist jene, als Che Guevara in Genf war, und der junge Schang ihn in der calvinistischen Bankenmetropole herumkutschierte und dem Che gestand, dass er auch ein kämpfender Revolutionär sein wolle, um die unterdrückten Völker Lateinamerikas zu befreien. Darauf hatte Che weise geantwortet, dass sein Platz hier sei, inmitten dieser Geldpaläste, und er die Revolution hierher tragen soll. Das tat er dann auch. Und tut es immer noch.
So enstanden eine Reihe Bücher.

Schang Ziegler ist ein lauter, leidenschaftlicher Mann, der gerne alles wiederholt. So entsteht der Eindruck, dass seine Sätze bereits abgepackt sind. Die meisten haben ihr Ablaufdatum schon überschritten, andere müffeln schon ein wenig. Und so verfährt er halt wie jene Supermärkte, die das abgelaufene Hackfleisch frisch verpacken und eine neue Etikette draufpappen. Merkt eh niemand, bei der herrschenden Fleischgier. Und schaden tut’s auch nicht, solange man das Zeug noch einmal richtig erhitzt.

Herr Ziegler sprach im besetzten Audimax zu den Studenten. Die mochten ihn. Als Ideologe hat er auf alles Antworten, auch wenn sie vielleicht Faktenmäßig herausgefordert sind, und einige so falsch, dass nicht mal das Gegeteil davon wahr ist.

Am Mittwoch abend war Herr Ziegler in den «Club 2» geladen, wo über den «Hass auf den Westen» diskutiert wurde. Es war sehr interessant zu sehen, wen die Redaktion für den «Nicht-Westen» hielt. China, Indien, Russland, Süd-und Zentralafrika, das war alles Westen. Nicht-Westen war, tja, was wohl? Genau. Die arabischen Länder. Nordafrika und der nahe Osten. Und so waren auch die Diskussionspartner geladen: Außer Ziegler auf seiner Couch: Karim El-Gawahry ORF-Korrespondent in Kairo, der iranische Schriftsteller Bahman Niramand; als Neutraler sozusagen im Sessel, der Ost-Korrespondent Fritz Orter, und als «Westen», der «Standard» Journalist Eric Frey und Barbara Kolm vom Hayek-Institut. Fein.
Und so dauerte es gefühlte 3 Sekunden, bis der Fernsehzuschauer bereits Gaza, Massaker, Palästina, Israel, Kriegsverbrechen zu hören bekam.
Hatte irgendjemand etwas anderes erwartet?
Ich nicht.
Die Linke liebt den Zionismus. Da ist nach 89, wenigstens noch ein Fetzen Fleisch auf dem Knochen geblieben. Da gibt’s noch was zu benagen.

Ziegler redete dann auch nicht soviel, weil ihm Frey und die Hayek-Lady in die Parade fuhren und einige Facts zu seinen Anekdoten und Wiederholungen beisteuerten. Dafür kamen der ägyptische ORF-Mann und der iranische Schriftsteller gut zu Wort, und so durften wir erfahren, dass WIR an allem schuld sind. Ganz besonders fein war das Bekenntnis des Schriftstellers, dass die Amis ihn, über die Ami-Marionette Schah, daran hinderten, im Iran westliche Denkungsart zu verbreiten. Nun, bei Chomeni und Ahmadinejad gings dann irgendwie auch wieder nicht, und da waren auch die Amis und der Westen daran schuld. Vermutlich auch an der Vertreibung Bani Sadrs. Eigentlich an allem. Die ewige Klage des Islam.
Mich erinnern diese Elegien immer an das Stück «Arbeit macht frei» des Akko-Theaters, in dem Moni Youssef sagte: «Israel is the best soccer-team of the world, and I don’t know, why we always loose».

Will ich damit etwa sagen, dass im Westen alles paletti ist? Mitnichten. Aber Ideologie ist einfach Scheiße!
Und für die Sklaverei waren auch nicht nur die bekackten, grausamen Weißen verantwortlich. Es waren auch Schwarzafrikaner, Brüder, die ihnen andere Schwarzafrikaner zuführten und verkauften. Auch Frauen waren glühende Nazis gewesen.
Und viele Antifaschisten hatten Pistolen in ihrer Schubladen, weil sie wussten, dass sich der Faschismus nicht nur mit guten Worten bekämpfen ließ. Gut, das gehört nicht hierher.
Aber irgendwie doch.

Notwehr-Hämorrhoiden

Seit gestern ist die Welt eine bessere. Die Nachrichten sind voll der frohen Kunde. In der Schweiz ein bisschen voller als anderswo, aber auch hier und in Germany, ist man frohen Herzens.
Roman Polanski ist frei!!!
Nicht frei eigentlich, aber gegen 4,5 Millionen CHF Kaution, in sein Chalet ins schöne Berner Oberland entlassen. Die schnöde Justiz hat sich erweichen lassen den schnöden Auslieferungsantrag der schnöden Amis auszusetzen, auf die Wartebank zu schieben.
Machen wir ein Fass auf, Freunde des alkoholiserten Jungmädchen-Sex!

Schon bei seiner Verhaftung in Zürich, warf sich die ganze Kulturerei in die Bresche und verlangte von der Justiz, sie möge doch nicht walten, wie sie zu walten habe, sondern…irgendwie anders tun, halt. Schliesslich ist Polanski ein Genie! Und die Sache (Vergewaltigung einer Minderjährigen) schon mehr als dreißig Jahre her, und selbst das Opfer verlange nur noch nach Ruhe und nicht nach Gerechtigkeit, und außerdem habe die Sache ein Gschmäckle, weil gerade die Auseinandersetzung Schweiz-USA in Sachen Bankgeheimnis stattfinde, und es sei eine Schande für das Land, und man könne doch nicht, und andere Länder hätten auch nicht, und so weiter und so fort, ein vielstimmiger Chor der Empörung erhob sich, und das hatte schon was, aber ich fragte ich mich auch, was, wenn ich zum Beispiel das Arschloch gewesen wäre, der die Kleine mit Dope und Boose gefügig gemacht hätte? («Alte Männer wollen jungen Mädchen ficken.» R.Polanski)
Oder ein anderes, unberühmtes Arschloch?
Gelten die Gesetze für berühmte Arschlöcher nicht so sehr, wie für unberühmte, normal verhämorrhoidete? War es das, was uns die Kulturnis mit ihren Aufrufen sagen wollten? Auch wenn’s z.B. die eigene Tochter gewesen wäre?
Und als kleine Zwischenfrage: Sollte man denn die Schweizer Beamten in ihrem Pflichtgefühl unterschätzen?

Jedenfalls zeigte uns gestern 3Sat den erleichterten Grass-Bücher-Verfilmer Volker Schlöndorf, der nicht müde wurde zu betonen, dass es «Zum Lachen wäre, wenn es nicht zum Weinen ist». Dabei lachte er bereits die ganze Zeit über, und befand, dass Herr Polanski doch auch minderjährige Kinder habe, und man doch bitte, bitte, an die denken solle, wenn man deren Vater wegsperre, da solle man doch gefälligst anfangen…
Gut gesagt, fürwahr, ein Modell, wie man auch in künftigen Verbrechensprozessen verfahren könnte, das war ausbaufähig. Freiheit für Kinderficker mit eigenen Kindern! Zum Beispiel.
Aber mit Menschen die Bücher von Günther Grass verfilmen, muss man ein wenig nachsichtig sein und sie nicht gleich überfordern.

Nun, die Sache ist für Roman Polanski noch nicht durch.
Ich möchte nicht, dass er sein Leben im Gefängnis beendet. Das wäre ein Jammer.
Aber, so sind die Gesetze in diesem Leben: Man muss sich den Konsequenzen seiner Taten stellen.
There’s no other way out!
Auch wenn man berühmtere Hämorrhoiden hat, als ich und andere Arschlöcher.
(Dabei hab ich nicht mal welche!)

Notwehr-Justiz

Heute ist ein großer Tag für die österreichische Justiz. Es sich hat wieder einmal gezeigt, dass Justitia wirklich eine Augenbinde trägt, eine Augenbinde die vielleicht aussieht wie eine abgelegte Slipeinlage der Innenministerin, aber immerhin, eine Augenbinde.

Der 17-Jährige Einbrecher des Merkur-Markts in Krems, dessen Beine von einer notwehrigen Beamtin glatt durchschossen wurden, und den man in großzügiger Weise auch noch an einer Erfahrung der besonderen Art partizipieren ließ, nämlich, seinen 14-Jährigen Kumpel sterben zu sehen, drückte diese Justitia nur 18 Monate Knast rein. Nicht viel, wenn man bedenkt, dass dieser «Bursch» auf zwei seiner Einbruchstouren, doch Süßigkeiten und Getränke erbeutet hatte. Und sowas machte der natürlich gewerbsmässig, is eh kloa, und da gehört ein Riegel vor, versteht sich von selber.

Der Bursche war auch noch geständig, was sich strafverschärfend ausgewirkt haben muss. Ein richtiger Verbrecher muss lügen, was das Zeug hält. Oder sind die Lügner die Polizisten? So wie jener Beamter, der dem 14-Jährigen aus 1 Meter 80 Entfernung eine Kugel in den Rücken notwehrte, (in anderen Ländern sagt man einfach «abknallen» dazu) der nun nicht verstehen kann, dass jeder Sachverständige auf einen völlig anderen Tathergang kommt, wie er selber. Er versteht die Welt nicht mehr. Sie hat sich gegen ihn verschworen. Teufels Werk!

Jedenfalls, das Land hat wieder Grund stolz zu sein. Die Justiz arbeitet einwandfrei und mit Slipeinlage. Und wie schnell!

Mehr Grund stolz zu sein, wird es in ca. 5-6 Jahren (oder 10, 20 jahren) geben, wenn der notwehrende Killer – dem die Sachverständigen nachwiesen, dass er das Kind einfach abgeknallt hat -, eine bedingte Geldstrafe von € 7,50 ausfasst, und dem Gericht unter Tränen klagen wird, wie sehr er darunter leidet, dass ihm Gott keine andere Wahl ließ, als den Burschen zu erschießen.

Ich schätze mal, dass uns dann allen zusammen, das eine oder andere Tränchen die Wange runterkullern wird, oder?

Immer ist Notwehr!

In Wien wurde wieder einmal ein Mann von der Polizei erschossen. In Notwehr.
Der Mann drohte nach einem telefonischen Streit mit der Freundin mit Suicid. Sie verständigte die Polizei, und wollte am Telefon auch einen Schuss gehört haben.
Die Beamten und die Freundin wurden in die Wohnung des «ruhig wirkenden» Mannes eingelassen. Während der eine Beamte vor der Türe den Amtsarzt verständigte, befand sich der andere zusammen mit der Frau und dem Mann in einem Raum. «Und plötzlich zog der Mann eine Pistole.» Es war, wie sich nachher herausstellte, eine Gaspistole. Aber das ist auf den ersten Blick nicht zu erkennen.
Der Beamte zog ebenfalls und drückte zweimal ab.

Okay, dumm gelaufen. Notwehr? Vielleicht. Und wenn ja, aus Dummheit. Und wenn nicht schon wieder gemauert und gelogen wird, dann müsste doch dem Hinweis der Freundin, einen Schuss gehört zu haben, nachgegangen worden sein.
Oder muss man annehmen, dass es sich bei den Beamten, wieder einmal um die ortsüblichen Genies gehandelt hat? Männer, die «eh alles im Griff haben»? Die es deswegen nicht für nötig befinden, den Mann zu perlustrieren? Und wo hatte der die Waffe plötzlich her? Taschenspielertrick?
Und wenn er doch auf den Beamten anlegte, wieso hatte der noch Zeit seinen eigen Waffe zu ziehen?

Wir werden es mit großer Wahrscheinlichkeit nicht erfahren. Das Lügen und Mauern ist längst zu einer Zwangsneurose der Exekutive geronnen. Wie ein Krimineller hält jener Beamte von Krems, der einen 14-Jährigen «in Notwehr» in den Rücken schoss und tötete, an seiner Version des Tathergangs fest, obschon alle Sachverständigen diese widerlegen. Er tut dies, weil er gelernt hat, dass man mit Lügen am Besten durchkommt.

Diese Exekutive hat ein massives Problem. Zugespitzt formuliert, befindet sie sich gegenüber dem Bürger in einem andauernden Zustand der Notwehr. Und dieser Bürger, der das Vorgehen der Polizei billigt, will nicht sehen, dass auch er eines Tages das Opfer einer «Notwehr-Aktion» sein kann.

Aber Hauptsache, die Schnitzel sind billig und der Gspritzte schmeckt!

Sunday moaning comin› down – Poetry

Jerk Götterwind, (*1967), z. Zt. wohnhaft in Groß-Gerau/Süd-Hessen, Sänger der misantropical Peace Punkband DISANTHROPE, bastelt nebenbei noch am ElektroNoiseProjekt STUBENHOCK@.

Die Sache mit dem Krebs
Für Ilse, die kurz danach verstarb
Ein Hundeleben: 1996 – 12.10.2009

Mir brennt die Sonne
In die Fresse als
Gibt es kein Morgen
An meiner Seite
Hechelt die Hündin
Wie sonst nur was
Menschen wuseln
An uns vorbei
Und würdigen uns
Keines Blickes
Obwohl

Ich manchmal den
Eindruck habe dass
Die alte Hündin
Kokett wie sie ist
Immer noch einen
Augenaufschlag wert ist

Sie steckt alles weg
Trotz Lungenkrebs
Blasenkrebs und
Harnröhrenkrebs
Ist ihr Lebenswille
Nicht gebrochen und
Ihr Spieltrieb bringt
Mich auch jetzt noch
An den Rand des Wahnsinns

Doch nach der Diagnose
Frage ich mich wie ich
Es aushalten soll
Ganz ohne sie nachdem
Sie mich schon über
12 Jahre begleitet

Wir werden kämpfen
Sie und ich und
Natürlich auch meine
Frau der sie keinen
Moment von der Seite
Weicht als wüsste sie
Wie wenig Zeit ihr
Noch bleibt

Ihr Name ist
Ilse

Erinnert euch

Magie und Verlust. «Das Haus»

Heute haben die Mädchen zum ersten Mal, seit ich wieder zurück bin, davon gesprochen. Vom «Haus». Sie fingen damit an, als wir auf der Couch rumlümmelten und berühmte Dialoge von berühmten Zeitgenossen nachspielten.
«Jetzt hör mal auf, Ella!»
«Warum?»
«Weil’s nervt!»
«Ja, und du schimpfst!»
Das konnte sehr lange so lange weitergehen. Wenn man’s zuließ. Aber irgendeine sagte dann, das «Haus», und «schade» und so, und das Gespräch kam genau in dem Moment auf den Punkt, an dem ich es auch zu vermissen beginne.
Ja, es fehlt mir.

Am 25. Oktober um 8 h 22 sperrte ich es das letzte Mal zu und versenkte den Schlüssel im Postkasten, der dort Briefkasten heißt. Seither war hier einiges los gewesen, naja, «Buch-Wien», eine Lesung mit includiertem Auftritt als James Taylor Interpret, eine Jörg Fauser Lesung mit dem Verleger Alexander Wewerka, eine Menge neuer Bekanntschaften, eine Menge Gläser, einen Hauch Schweinegrippe und die brutale Überzeugung, dass ich an COPD leide, der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung, dann das Ausforschen der Symptome, die sich aber, o Wunder, sofort verflüchtigten, als ich wieder in den Gym ging, um dort das zu tun, was ein Mann dort tun muss. Frauen auch. Aber anders.

Ich gebe zu, dass ich Wochen, bis Monate gebraucht habe, um mich mit dem sicheren Verlust des «Haus» abzufinden. Ja, Verlust. Eigentlich startete der Countdown, als ich begann es zu mögen. Also ziemlich genau, nachdem ich es das erste Mal betreten hatte. Dann sagte ich mir: «Fein, fein. Noch ganze 11 Monate. Wow!»
Dann, irgendwann einmal, ließ ich hinten das «Wow!» weg, und schon bald dachte ich: «Nur noch 6 Monate. 5, 4, 3.
Bei 2 Monaten angelangt, ging ich in Wochenrechnungen über, dann Tage.

Es war seltsam. Es war schmerzlich. Ich las die Gedichte von Raymond Carver «Gorki unterm Aschenbecher». Einige handelten von Menschen denen vom Arzt gerade eröffnet wird, dass sie noch drei Monate zu leben haben. So irgendwie fühlte ich mich auch. Gefangen in einer Frist, die gnadenlos verstreicht. No way out. Jeder Tag mehr, ist ein Tag weniger. Man kann nichts dagegen tun.
Ich fragte mich, wann der Zeitpunkt kommen würde, wann ich es akzeptieren könnte, der Moment einer leidlichen Erlösung.

Er kam ganz plötzlich. Und zwar in Heiden auf dem Postplatz, als ich auf den Bus wartete. Ich saß auf einer Bank, eine Woche vor der Abreise, und die Trauer war weg, aufgebraucht oder irgendwie ausgetrunken, die Flasche der Traurigkeit leer und ich wieder schlagartig nüchtern.

Aber hier, wo die Sonne es zur winterszeit kaum mehr in mein Fenster schafft, beginne ich langsam zu begreifen, dass mir die Weite des Himmels fehlt, dieses magische Licht und der Platz neben dem von den Ziegen entrindeten Haselstrauch, die Treppe auf der ich sass, mit dem ersten Glas des Tages und mich darüber wunderte, welche Wege die Sonne machte, wo genau sie den Horizont erst küsste und dann verglühte. Und der Mond, der über dem Wipfel der Kiefer hinweg wanderte, kalt und freundlich, und wie in der Nacht der Föhn einen Doppelnelson am Haus ansetzte, oh yeah, Mann, das war es, und ist vielleicht das, was Lou Reed mit «Magic and Loss» meinte: Magie und Verlust. «Das Haus.»

Only soaps and science, keep me away from violence

Ich gehöre zu jenen Leuten, die gerne medizinische «Dinge» lesen. Ich halte mich auf dem Laufenden, über das, was gerade wieder mal «im Umlauf» ist, nebst der Schweinegrippe und dem Krebs von Oskar Lafontaine. Ich habe eine Schwäche für Forschungen und deren Ergebnisse.
Die letzte geniale Erkenntnis: Männer mit weniger als 60 cm Oberschenkelumfang haben ein großes Risiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle.
Sowas finde ich klasse. Es regt mich an, beflügelt meine Fantasie, und ich denke gerne an die Forschergruppen, die sowas erheben.
Ich bin gelernter Laborant, und ich weiß, was forschen heißt, was Versuchsreihen und Vergleiche sind. Die Wissenschaft hat ihre eigene Logik. Aber sie hat eine.

Man könnte zum Beispiel erheben, wie das Verhältnis von Penislänge mit dem Wetter an der Beerdigung korreliert. Dabei käme vielleicht heraus, dass Männer mit Penislängen unter 10 cm (nicht errigiert) eher schönes Wetter an ihrer Beerdigung zu erwarten haben. Ist doch immerhin ein Trost, oder?

Oder das die Chancen von Frauen mit Brustimplantaten, sich den linken Knöchel bei einem Basketballturnier zu verstauchen, um 25,23 % geringer ist, als bei Frauen ohne Brustimplantate. Tröstlich, nicht wahr?

Ich empfinde eine tiefe Dankbarkeit für die Überbringer solcher Nachrichten, eben so für die Autoren von amerikanischen Soaps, wie «Two and a half men», «King of Queens», «Seinfeldt» usw. Oder Latenite-talker wie Harald Schmidt, und inzwischen auch für die fortgebildeten Ster-und Grissemänner.
Sie sind das Salz in der Suppe der aufkeimenden Weihnachtszeit, die hier in dieser verhaltensauffälligen Stadt schon vor zwei, drei Wochen begonnen hat, und sich dadurch bemerkbar macht, das alle U-Bahnen gepropft voll sind mit Zeitgenossen, die nichts anderes zu tun haben, als in die Läden zu strömen und die Wirtschaft in Gang zu halten, damit die Banker sie im nächsten Anlauf wieder an die Wand klatschen können.

Aber solange es noch Meldungen gibt, wie: «Gutes Essen macht attraktiver als Sonnenbräune», halten wir durch, und schnitzen frohgemut unsere Röschen aus den Karotten und dem Radi…

Sunday moaning comin› down – Poetry

Reinhard L. Stern (* 1965 ) ist nach eigenen Angaben (fast) immer unterwegs. Er hat unter verschiedenen Pseudonymen, erfolgreich, Romane publiziert.

Es regnet

Es regnet, mein Freund, es regnet
Wasser fällt aus dem Grau auf das Grün
lässt die Straße glänzen wie alten Speck
und hört sich ziemlich never-ending an.

Es regnet, mein Freund, es regnet
weißt du warum? Ich weiß es nicht.
Die Kälber stehen belämmert rum
wissen sie‘s? Ich glaube nicht.

Von schwarzen kahlen Ästen perlt‘s
Tropfen prangen wie kaltes Glas
Macht‘s dich denn traurig, Freund?

Wenn‘s hier regnet, ich sag‘s dir, Freund
freu dich, dass du trockne Füße hast
schau aus dem Fenster und mach noch ne Flasche auf.