Der Autor als Jukebox V.

Gudrun Sperzel-Völk wünschte sich einen Blog zum Thema: Kann man Waffen mögen, ohne militant zu sein? Und wozu hat man überhaupt Waffen? Und was ist so schön an Waffen?
Der Autor dankt und schreibt.

Ich bin bewaffnet. Schon immer. In der dritten Schublade meines Schreibtisches, rechtshändig, liegt die «Daisy Power Line, Model 45 CO2». 14 Schuss im Magazin, die CO2-Kartousche ist im Griff eingelegt und ich bräuchte nur die Schraube hochzudrehen, ein Vorgang von zwei, drei Sekunden, und ich wäre in der Lage vierzehn 4,5 mm Blei innerhalb weniger Sekunden irgendwo hin zu pumpen. Außerdem verfüge ich über ein rasiermesserscharfes «Buck-Knife». Das liegt auch in der dritten Lade.

Über die «Daisy Powerline» habe ich eine kurze Story geschrieben. Sie erschien in «Das Flackern der Flamme bei auffrischendem Westwind» (Songdog Verlag) Sie heißt:

Was Epikur mich lehrte

Sie hatten mich eingekreist. Auf einem dreckigen Parkplatz, hoch über der Stadt. Vier junge Kerle in Springerstiefeln. Die italienische Sonne brannte auf ihre kurz geschorenen Köpfe.
Sie kamen näher. Ich schwitzte vor Angst und Hitze. Dann wagte einer einen Angriff. Ich bekam ihn mit dem linken Arm zu fassen und nahm ihn in den Schwitzkasten. Mit der Rechten zog ich die Daisy Power Line, Model 45 CO2 und drückte die Mündung gegen sein rechtes Nasenloch. Die andern lachten.
„Is doch nur ne Luftpistole! Nur ne lächerliche Luftpistole. Spielzeug.“
„Noch ein Schritt und du siehst, was ne Luftpistole kann“, sagte ich in gebrochenem Italienisch. Der Bursche grinste und kam ganz dicht heran. Ich drückte ab. Der Junge im Schwitzkasten bäumte sich auf, schrie, wie ich noch nie jemanden hatte schreien hören. Ich ließ ihn los, und er fiel in den Dreck.
Blut spritzte aus seiner Nase. Der nächste versuchte nach der Pistole zu treten, aber ich war schneller und schoss ihm ins Gesicht. Er ging in die Knie und schlug die Hände vor seine blöde Visage. Die beiden anderen blieben unentschlossen stehen. Ich musste schnell weg, denn wie Epikur lehrte, war ein großer Schmerz immer ein kurzer Schmerz. Ich sprang über eine kleine Mauer, rannte einen Hügel hinunter und war froh, dass ich den alten Griechen gelesen hatte.

Es gibt Leute, die finden diese Geschichte komisch. Ich auch.

Aber warum habe ich eine Waffe? Ich meine, es ist eine Waffe, auch wenn ich damit nur sehr schwer einen Menschen ernsthaft verletzen könnte.
Ich hatte, seit ich denken kann, eine Schwäche für alles was schießt. Warum? Keine Ahnung.
In der Schweiz hat beinahe jeder Mann, ein Gewehr zu Hause. Mein Vater hatte noch den alten Karabiner, mit dem sechsschüssigen 7,65 Magazin. Er stand im Elternschlafzimmer in der Ecke neben dem Schrank. Wenn niemand zu Hause war, spielte ich damit. Ich wusste auch, wo er die Munition aufbewahrte. Es war eine schwere, nach Waffenöl riechende Blechkiste. Sie war versiegelt. Wenn man sie öffnete, kam es bei der nächsten Inspektion raus, und mein Vater hätte gewaltigen Ärger bekommen. Die Munition war für den Kriegsfall.

Als ich sieben war, zeigte ich den Soldaten (damals waren zu jeder Zeit und überall Soldaten), die im Schulhof irgendwas übten, wie man eine Maschinenpistole auseinander nimmt und wieder zusammensetzt. Und zwar in der vorgeschriebenen Zeit. Keine Ahnung, warum ich das konnte. Aber ich mochte die Verschlüsse, die Federn und die Schwere des glänzenden, nach feinem Waffenöl duftenden Metalls. Ein Gewehr in der Hand zu haben, ist etwas erhebendes. Es ist ein Ding, das funktioniert. Es ist ein aufregendes Gefühl den Druckpunkt des Abzugs zu suchen, den Atem anzuhalten bis es vorbei ist.

Mir gehörten verschiedene Luftpistolen, Schleudern und Bögen. Ich schoss damit auf das leere Vogelhaus im Garten, auf Tulpenblüten und dies und das. Manchmal legte ich auf Vögel an. Ich wusste, dass ich sie töten könnte. Ich war und bin, ein verdammt guter Schütze. Ich wollte die Vögel nicht töten. Aber es war so ein Gefühl. Der Vogel saß auf dem Ast und wusste nicht, dass, wenn ich es wollte, er gleich tot herunterfallen würde. Dies war ein sehr seltsame, irgendwie fremde Empfindung. Sie machte mir ein wenig Angst.

Ich habe nie ein Tier getötet. Nur einmal habe ich mit einem Pfeil auf einen Frosch geschossen und ihn am Bein erwischt, so dass er in die Erde genagelt war. Ich hatte einen solchen Schock, dass ich meinen kleinen Bruder beauftragte, diesen Pfeil wieder herauszuziehen. Ich war zu feige, es selbst zu tun. Danach habe ich es nie wieder getan.

Nur dreißig Jahre später, mit der Daisy, habe ich eine Taube abgeknallt. Man weiß sofort, dass es eine Sünde ist. Es machte keinen Sinn, denn die anderen Tauben nervten immer noch, mit ihrem Gegurre und Gebalze und ihrem ekelerregenden Flügelschlagen.
Töten ist nicht schön. Ich glaube, dass es ziemlich furchtbar ist. Einmal sah ich einen Film über einen Jäger der einen Elefanten erlegte. Der Mann war fertig. Er weinte, stöhnte und atmete laut und es war ihm bewusst, dass er eine Todsünde begangen hatte.
Ich kann mir aber vorstellen, dass es Männer gibt, die süchtig danach sind.
Der Vater einer Freundin, ein Kärtner, knallte Rehe an der Futterkrippe ab. Aus dem Auto. Er schnitt ihnen dann die Köpfe ab und legte sie in Eimer mit Ameisensäure. Wegen der Trophäe. Überall im Haus und in dert Garage und der Werktstatt stolperte man über diese stinkenden, faulenden Köpfe in der Säure. Es war äußerst seltsam. Ich verstand es nicht.

Aber sein Waffenschrank war großartig.

Als ich ein Hippie war, lehnte ich Waffen ab. Ich verweigerte den Armeedienst an der Waffe und wurde zu Gefängnis verurteilt. Es dauerte sehr lange, bis ich mir eingestehen konnte, dass ich nicht der Pazifist war, für den ich mich hielt. Ich mag Waffen. Und die Armee verweigerte ich, weil ich mich nicht rumkommandieren lasse, und weil mich der kratzende, schwere Wollstoff auf der Haut verrückt macht.

Ja, und meine Messer in der Küche sind rasiermesserscharf und werden immer nachgeschärft. Wenn ich das große auf eine Tomate lege, fällt es durch sie hindurch. Das gibt mir ein verdammt gutes Gefühl. Ich mag Dinge die funktionieren. Ich mag Mechanik und die Schwere des Metalls. Ich mag die Präzision in Wort und Tat. Ich mag den Geruch nach Kordit.

Warum? Keinen Schimmer. Warum mag jemand laue Sommernächte und manikürte Nägel? Warum mag jemand Geschichten von Dan Brown und Pariser mit Noppen und Erdbeergeschmack? Und warum ist man hierzulande unfähig, etwas ordentlich zu Ende zu bringen, ohne auf halbem Weg abzubrechen?

Tja,…

Der Autor als Jukebox lV.

Gewünscht und bezahlt wurde von Frank ein Blog zu folgendem Thema: Ihre Meinung bzgl. Honorierung Ihrer Arbeit und Ihre ehrlichen Gedanken über die nur-gratis-Konsumenten .
Der Autor dankt und spielt.

Ich bin arm. Seit mehr als fünfzig Jahren. Verlässlich und beinahe ohne Unterbrechung. Die Armutspausen waren angefüllt mit harter Arbeit. Und mit harter Arbeit, meine ich harte Arbeit. Also wenn in meinen Taschen die Scheine knisterten, klebte auf ihnen mein Schweiß.

Hartz lV-Empfänger, Notstandshilfebezieher oder Ausgesteuerte sind im Vergleich zu mir, Privilegierte. Ich habe wenig, bis kein Verständnis für ihr Geseire, so wie sie nicht verstehen können, dass einer tut was ich tue. Wir leben auf verschiedenen Planeten.

Ich arbeite ziemlich viel. Meine Produkte werden von der Gesellschaft nur in homöopathischen Dosen verlangt. Da kann ich leider nichts dagegen tun. Ich kann auch nicht einfach aufhören, dieses Produkte herzustellen. Na ja, könnte ich schon. Aber was dann?

Arbeiten lernte ich als Kind. Ungern. Aber ich musste meine Zigaretten bezahlen.
Ich lernte, dass die brennensten Wünsche nie erfüllt werden. Oder erst dann, wenn die Erfüllung auch schon egal ist. Um nicht als Idiot dazustehen, und um ein wenig Würde zu bewahren, wird man, ohne es zu wissen, Buddhist. Man wünscht sich nichts mehr.
Auch Jesus war ein wenig Buddhist, als er sagte: «Was sorgt ihr euch um morgen? Jeder Tag sorget für sich selber.»
Da lag er ziemlich richtig. Aber so eine Haltung erfordert Vertrauen. Nur sein «Vater»-Gequatsche, fand ich nicht so gut.

Das Armsein ist nicht so schlimm, wenn man keine Wünsche hat. Materielle Wünsche.
Epikur hatte zum Thema auch was beizusteuern:
«Bei einem freien Leben kann man nicht viel Geld erwerben. Denn dies ist keine leichte Sache, wenn man sich nicht in die Knechtschaft des Pöbels oder der Gewalthaber begibt. Dafür aber hat man alles in dauernder Fülle; sollte man aber zufällig auch einmal viel Geld haben, dann lässt sich auch dies leicht so aufteilen, dass man die gute Gesinnung des Nächsten gewinnt.»

Soweit Epikur.

Da mir das «Haben» nicht sonderlich viel bedeutet, und ich am liebsten ohne Gepäck reise, ist so eine Armut relativ. Ich mag gerne Cds und Bücher, Wein und Sportgeräte, Waffen und gute Messer. Und natürlich gutes Essen. Aber sonst halte ich es 100% mit Epikur. Vor allem was die Knechtschaft anlangt, den Pöbel und die Gewalthaber.

Ich höre zur Zeit eine Cd von Guy Clark. Ich habe sie gekauft. Das kann ich mir nicht oft leisten, so eine Cd. Oder ein Buch. Ich weiß, dass ich die Musik auch ohne Bezahlung haben könnte, aber ich zahle lieber. Dafür gibt es verschiedene Gründe. Von denen hat ein Fünftel damit zu tun, dass ich daran denke, dass Guy Clark auch was haben muss. Und all die Leute die in der Musikindustrie krüppeln und ihre Familien ernähren müssen. Die anderen 4/5 der Gründe haben mit anderen Dingen zu tun.

Ich jogge manchmal am Sonntagmorgen hinter dem Arsenal. Da hängt am Wochenende nur die «Kronenzeitung» aus. «Presse» oder «Standard» kommt da gar nicht erst hin.
Da sieht man die Leute aus dem Gemeindebau, wie sie ihren Hund auf den Gehsteig kacken lassen, während sie eine Kronenzeitung klauen. Zu Hause lesen sie darin einen hetzerischen Artikel über ausländische Diebe, der sie in Rage bringt. Dann schimpfen sie auf das «ausländische Kroppzeug» und wählen die Nazis. Ist doch nur konsequent, oder?

Ich war selber mal ein Dieb. Manchmal war ich gezwungen mein Essen zu klauen, wenn ich nicht hungern wollte. Manchmal hungerte ich, wenn mir die Courage zum Stehlen fehlte. Einmal klaute ich aus Hunger, Kohlsprossen in den herbstlichen Gärten. Aber ich würde niemals eine Kronenzeitung klauen.
Nur: Klauen ist klauen. Ich habe den Eindruck, dass das heute kaum mehr jemand so sieht. Heute klauen alle. Aber ein Ladendieb wird von der Polizei – aus Notwehr – mit Schüssen in den Rücken erschossen, während die Kinder der Polizisten aus dem Netz geile Musik gratis herunterladen, sprich klauen. Aber das ist in Ordnung so. Denn die einen dürfen, und die anderen sterben. Der österreichische Spießer darf die Kronenzeitung klauen und sich über die ausländischen Diebe aufregen. Das steht so in der «Krone»-Verfassung.

Ein weiser Bekannter bemerkte kürzlich: «Alle wollen gut verdienen und alles umsonst haben.»

Ich nicht, zum Beispiel. Warum? Weil ich weiß, dass jemand dafür zahlen muss.
So wie meine Armut der Preis für meine große Freiheit ist. Siehe Epikur.

Morgen Abend lese, spiele und singe ich in der «Roten Bar» im Wiener Volkstheater. Die Akteure bekommen dafür € 100.-. Für die Gage kaufe ich mir bei meinem Freund Gerhard Lunzer Wein. Aber meine ältere Tochter braucht auch eine neue Jacke. Vielleicht muss mein Freund bei mir ein paar Bücher kaufen, damit ich meiner Tochter eine Jacke kaufen kann.
Die kann ich leider nicht aus dem Internet herunterladen.
Den Wein auch nicht.
Aber sobald das möglich ist, bin auch dafür, dass alles umsonst ist…

Für weitere Coins und Wünsche:
Bankverbindungen:
EU:
Andreas Niedermann
Raiffeisenlandesbank NOE-Wien BLZ 32000 Konto 04835096
IBAN AT62 3200 0000 04835096 BIC: RLNWATWW

Schweiz:
Andreas Niedermann
Raiffeisenbank Lütschinentäler Konto 13748.22
IBAN CH9080837000001374822
(BC: 80837, Postkonto: 30-7593-5, SWIFT/BIC: RAIFCH22)

Mauern sollten nur im Juli fallen

Vor zwanzig Jahren als die Mauer fiel saß ich, zusammen mit tschechischen Dissidenten, unten im Wiener «Nachtasyl». Die Tschechen hörten in nervösem Schweigen Radio Prag. Auf dem Wenzelsplatz versammelten sich jeden Tag 50’000 Leute zu Demonstrationen.

Ich war in einer bemitleidenswerten Verfassung, gerade auf dem Sprung nach Nirgendwo, wieder mal unbehaust, da ich meine Wohnung über dem Wiener «Nachtasyl» aufgegeben hatte und auf die Abreise nach München wartete, wo ich aus meinem gerade erschienen Roman lesen sollte.

Die Tschechen waren ernst und nervös. Was in Deutschland geschah, war hier unten völlig bedeutungslos.
Ich empfand es als Dammbruch, und es machte mir irgendwie Angst. Ich dachte, sowas sollte besser an einem schönen Juliabend geschehen, als in einer trübsinnigen Novembernacht. Außerdem war ich gerade dabei mich zu Tode zu saufen, und die Ereignisse draußen bedrängten mich und ich fühlte mich entsetzlich. Soviel Emotion überall. Alle Welt schien auf den Beinen zu sein. Die Züge waren voll, und rollten durch die Dunkelheit.

Die äußeren Geschehnisse und meine desolate Verfassung amalgierten. Ich hatte das Gefühl mich aufzulösen, zu dissoziieren. Ich fuhr nach München, ich fuhr nach St. Gallen, ich fuhr nach Zürich, ich fuhr ins Berner Oberland. Wieder nach Zürich, wo mir jemand sagte, dass er diesen Mauerfall nicht so gut finde. Nur Löcher darin, hätte er sich gewünscht. Nicht gleich alles weg.

Manchmal sah ich im Fernsehen die Menschenmenge. Überall diese Menschenmengen. Im Taumel. Verbrüderungen. Gesinge. Jubel. Tränen.

Ich betrachtete all dies mit einer gewissen Fassungslosigkeit. Menschenmassen waren mir ein Gräuel. Das wird euch noch leid tun, dachte ich, und fuhr weiter mit den Zügen durch die Nächte. Überall roch es nach einem der Ester mit denen man Kerzen parfümierte um die Menschen auf Weihnachten einzustimmen und ihre Börsen zu öffnen.

In Wien kehrten bereits die ersten Ex-Dissidenten von ihren Tschechienbesuchen zurück. Enttäuscht bis auf die Knochen. Desillusioniert. Sarkastisch.

Und ich machte weiter mit dem was ich tat, bis ich, kurz vor dem wirklichen Finale, damit aufhörte und wieder etwas anderes begann.

Ich habe Berlin nie mit Mauer gesehen.
Vollkommen wurscht!

Sunday moaning comin› down – Poetry

H.P.Gansner (*1953 in Chur, GR), lebt als freier Schriftsteller und Publizist in Genf und Hoch-Savoyen. Im Frühling 2010 erscheint im Songdog Verlag sein Gedichtband «herz».

doppelschicht

im morgengrauen
entsteigt der minör
blinzelnd dem schacht

auf dem nachttisch
häuft sich das geschaffene
einer schlaflosen nacht

kohlschwarze zeilen
auf hellem papier
mit den linien

für den tag sind gemacht
damit wird jetzt
unverzüglich – damit

sie ja nicht verlösche –
die glut des kommenden
tagwerks angefacht –

Hey Mister, that’s me upon the Jukebox

Nächste Woche wird, so wie’s zur Zeit wenigstens aussieht, die Jukebox spielen.

Bis es soweit ist, möcht ich es nicht verabsäumen eine Veranstaltung am 11. November 09 im Volkstheater (Rote Bar) Wien, zu bewerben, bei der meine Wenigkeit ebenfalls zugegen sein wird. Und zwar nicht nur als Mitautor der brandneuen «Rock Stories» (LangenMüller, München) sondern auch als Vortragender, und für einmal auch nicht nur als Textlesender sonder als gitarrespielender Singer. Die Interessierten mögen den Link anklicken:

http://www.volkstheater.at/home/spielplan/632/The+Literats:%22Rockstories%22+-+on+the+Road+again

Es ist nicht Ironie, aber ein gewisser Zufall spielt eine Rolle, dass ich, da ich über James Taylor geschrieben habe, auch einen Song von ihm geben werde, und zwar: «Hey Mister, that’s me upon the Jukebox» .

Ja. James Taylor. Warum?
Tja…

Nur Kleinigkeiten

Auf dem Weg ins Geisteszentrum kämpfe ich mit meinem Grant. Es ist ein Wienergrant. Den gibt es nur hier in dieser Reinheit und Ausformung. Er verwandelt uns alle, nach und nach, in resignierte Masochisten.
Nun, ich sagte: Kämpfen. Ich kämpfe dagegen an. Die Götter haben mich auf dem Prüfstand. Sie fordern Gelassenheit und Souveränität, Übersicht und die Halbierung der Betablocker-Dosis.
Aber vielleicht sind es gar nicht die Götter.

Was einen wie mich permanent aufbringt? Kleinigkeiten. In Permanenz.

Eine oder zwei kleine Geschichten:
– Ein Bekannter (Schweizer) war mal Juror beim Bachmann-Wettwerb. Als seine Nominierung bekannt wurde, erhielt er hunderte Manuskript-Zusendungen aus allen deutschsprachigen Ländern. Da er aber seine beiden Favoriten schon gewählt hatte, schickte er den Einsendern ein vorgedrucktes, bedauerndes Ablehnungsschreiben. Daraufhin, so erzählte er mir, erhielt er aus Österreich eine Menge Postkarten von Autoren die sich dafür beedankten, dass er sich – wennn auch ablehnend – bei ihnen gemeldet hatte.

– Ein Buch mit der Postadresse : XY, Lagerstraße 1, 1030 Wien, kommt zurück zum Verlag. Falsche Adresse. Die Adresse stimmte. Ich schickte das Buch wieder los. Es kommt wieder zurück. Falsche Adresse. Ich recherchierte: Der Name stimmte. Richtiger Bezirk. Richtige Hausnummer. Und dann sah ich es: Es hieß nicht LagerSTRAßE, sonder LagerGASSE!
Kostete mich 3 mal 1,25 €.
Das ist wahre Bosheit.
Ich habe selber lange bei der Post gearbeitet. Und ich weiß was für ein Wichser da am Werk war. Solche Dinge passieren einem hier jeden Tag. Kleinlicher Terror. Missachtung, Unfreundlichkeiten in Permanenz. Nie was wirklich Großes, nur dieser Kleinshit, als würde man die ganze Zeit über mit kleinen Aluminiumkügelchen aus dem Blasrohr beharkt.

Lassen wir noch den Schauspieler und Filmemacher Peter Kern zu Worte kommen, der die Dinge auf den Punkt bringt: An Wien, wo der Faschismus in Permanenz ist, sei er krank geworden, hier verkomme er. Und dann: » Wenn ich Sie anschreie, bitte seien Sie nicht gleich verletzt. Wenn ich Sie beschimpfe, nehmen Sie es als Liebesbeweis. Bedenken Sie, ich bin Österreicher, unzurechnungsfähig, hysterisch, verlogen und undemokratisch.»

Allright, sage ich da. Nur, wenn mich jemand anschreit oder beschimpft, sage ich sehr höflich, er möge sofort damit aufhören. Andernfalls ich ihm was auf’s Maul gebe. Denn: Er möge bedenken, ich bin Schweizer, demokratisch, freiheitsliebend, korrekt, nüchtern, und vor allem einer der auch meint, was er sagt. Und tut!

Der langsamste Mann der Stadt

Auf meinen allmorgendlichen Gängen ins Geisteszentrum begegne ich ihm jedes Mal. Entweder er verlässt gerade das Haus in der Favoritenschlucht oder er ergeht sich in der Rainergasse. Mann, der ist fertig! Rekonvaleszent, würd ich sagen. Er wirkt gläsern, durchscheinend, zerbrechlich. Schätze mal, er ist in meinem Alter, nur älter. Er geht an Krücken. Gehen, ist ein Euphemismus. Er kriecht beinahe unmerklich auf zwei Beinen. Er raucht Zigaretten. Er wirkt, als wäre er mutterseelenallein. Man sieht ihm an, dass er Angst hat.
Vermutlich hat er Angst vor dem was kommt. Oder ist. Und war. Ich habe noch nie einen Mann so langsam gehen sehen.

Gestern machte er sich auf die lange Reise, die Favoritenschlucht zu queren. Der Verkehr staute sich in drei Richtungen. Er brauchte mehrere Grünphasen. Seine Schritte sind so klein, dass das menschliche Auge sie kaum wahrnehmen kann. Er hebt die Füße nicht an. Es wirkt, als überstiege dies seine Kräfte.

Ich blieb stehen und überlegte, wie ich ihm helfen könnte. Ich fand keine Lösung. Nun ja, ich hätte ihn tragen können. Aber das wär ihm vermutlich nicht recht gewesen. Mir auch nicht. Ihn am Arm packen und rüber geleiten, machte auch keinen Sinn. Vielleicht wäre ich noch über seinen Krücken gestolpert.

Es war etwas heroisches in diesen Querung. Ein Mann und die Favoritenstrasse. Meine Güte, es dauerte und dauerte. Es war so um 8 Uhr früh. Alle hatten es eilig.
Und niemand hupte!Gott verdamme mich wenn es gelogen ist: Keiner hupte! Und für einmal war es in Wien wie in der Schweiz. Schwer zu glauben.
Sonst läuft’s doch so wie einst: Ein Rollstuhlfahrer rollt in der Orangephase in den Fahrweg. Ein Bus der Wiener Verkehrslinien muss bremsen.
Daraufhin der Busfahrer, für fast alle vernehmbar: «Wos is, Oida? Host no nid gnua?»

Sunday moaning comin› down – Poetry

Jeden Sonntag wird unter dem Titel “Sunday moanin comin’ down-Poetry”, das Gedicht eines Gastautors veröffentlicht.

Florian Vetsch (*1960 in Buchs) lebt als Herausgeber, Autor, Übersetzer und Lehrer in St. Gallen. Im Songdog Verlag erschien im Frühling 2009 der Gedichtband «43 neue Gedichte».

Die wilde 13

Jim Knopf kreuzte
Die Wege meiner Kindheitsfantasien
Nur am Rande. Karlsson vom Dach
War mir wichtiger, wie er Kirschenkerne
Über die Dachrinne spuckte & überhaupt
So durch die Luft spukte, immer da
& nie – nicht unähnlich dem kleinen Muck
Dem tollen Pantoffelsegler. Auch D’Artagnan
Winnetou & Tecumseh bereicherten mein Ethos. Doch
Der unübertroffene Held hiess Huck, Huckleberry Finn
Wie er den Mississippi auf einem Floss hinunterdriftete
Mit dem Nigger Jim ins Blaue, die Maiskolbenpfeife
Schmauchend, den zerfledderten Strohhut auf dem Kopf.