Forsaken

Dieser Tage könnte ein schwacher Charakter wie ich, wieder mal der Versuchung erliegen, die Ösi-Tagespolitik zu kommentieren.

Denn es begab sich, dass der Parteichef und Vizekanzler, des zur Partei geronnen Superstillstands, der ÖVP-ler Josef Pröll aus der Politik schied. Der Vorstand des Stillstands hat nun einen neuen Stillsteher berufen. Die hauseigenen Analysen ihres Nichttuns sind brillant. Es wissen alle Bescheid. Endlich Strukturreform, keine Klientelpolitik mehr, und so weiter und so fort, man weiß es, man fühlt es, man riecht es, es ist unter den Fingernägeln, klebt unter den katholischen Vorhäuten und in den adrett frisierten landingstripes, kurz: es ist überall: Aber, und nun kommt dieses wunderbar süße Aber, dem ein Bonmot von Hermann Hesse folgen soll: «Sie könnten wohl, aber sie können nicht.»

Tja.

Nun gebärden sich alle in der Stillstandspartei wie Junkies nach dem Flash. Sie erzählen sich mit glühenden Augen und Highballverve, dass sie jederzeit damit aufhören können (mit dem Stoff, dem Klüngeln, dem Stillstehen, dem Kadavergehorsam usw.), und gleich morgen, jawoll morgen, werden sie es tun.

Aber es wird weitergehen wie bisher. Sie werden nicht mal die Ausreden austauschen.

Nein, wir sind nicht politikerverdrossen. Wir hassen sie nicht.

Sie kosten uns nicht mal mehr ein kaltes Arschgrunzen.

Unsere Verachtung ist einfach schon zu tief.

Danke, Markus Lüpertz!

Gestern, am 9. April, starb der Drehbuchautor, Regisseur, Schauspieler und New Yorker, Sidney Lumet. Er wurde nur 86 Jahre alt, und ich bin schwer der Meinung, dass bestimmte Menschen – große Künstler, Sportler, Philosphen – ihren Todeszeitpunkt selber aussuchen dürfen sollten, um zumindest, wie Hiob, mit vielen hundert gelebten Jahren, lebenssatt zu sterben. Aber dem ist nicht so, und somit erübrigt sich jede Frage nach Gott. Womit wir beim Thema wären.

Am 25. April wird Markus Lüpertz 70 Jahre alt. Zu diesem Behufe befrug man den Meister nach diesem und jenem, eine der launigen Plaudereien des Künstlers mit sich selber hob an, leider etwas durch die Fragen der Journalistin dialogisiert. Aber so erfuhren wir, dass Lüpertz nicht an Gott glaubt, an kein höheres Wesen als ihn selber, und auf die Frage, was er denn tun würde, gäbe es Gott doch, antwortete der Meister: «Ich würde mich mit ihm anlegen.»

Zwei Sätze später hörten wir, dass Herr Lüpertz sein Talent von Gott bekommen habe. Und dann kam gleich noch mal Gott, und dann noch mal. Das war ein bisschen viel Gott für einen Atheisten, und ich fragte mich schon, ob der Mann mit dem Spazierstock gar nicht aus dem tschechischen Liberece stammte, sondern gar aus Wien oder zumindest der hiesigen Philosphie des «Entweder-und-Oder» anhing, dem launigen Credo des Weltverbandes der Opportunisten?

Seine Sätze bimmelten nach. Aber dann verstand ich den Schmäh: Der Künstler wollte damit luschige Spießer meiner Provenienz etwas provozieren. Das war’s. Ist ihm vollumfänglich gelungen. Nun verstehe ich auch die Wiener besser. Und mich selber auch. Danke, Markus Lüpertz.

Müll ist gut und lustig

Ich bin alt genug, um mich an eine Zeit zu erinnern, als es noch keinen Müll gab. Meine Großeltern hatten keinen Mülleimer. Wir hatten allerdings schon einen kleinen «Ochsner», einen Kübel aus verzinktem, dicken Blech, schwer, stabil, unzerstörbar, und vor allem, fast immer leer. Es gab irgendwie nichts, was man hätte wegschmeißen können. Hinten im Garten stand ein großer Komposthaufen, und die Müllhalde der Gemeinde war unser Spielplatz. Da gab es Ratten zum Jagen, und tolle Dinge zu entdecken, aus denen man irgendwie Trampoline oder Seifenkisten bauen konnte.

Inzwischen hat sich das ein klein wenig verändert.

Aber wer jetzt denkt, dass ich zu einer Elegie über das Müllwesen anhebe, der irrt. Müll muss sein. Vor allem PET-Müll. Der stammt von den Gemüse -und Obstverpackungen. Die sind nötig. Zumindest hier. Wer täglich einkaufen muss (wie ich), der ist konfrontiert mit zahlreichen weiblichen Zeitgenossen, die sich in den Supermärkten benehmen wie an «Billig und Gut’s» Wühltischen. Das unterste wird nach oben gekehrt. Kein Apfel, kein Fenchel, keine Pflaume bleibt unangetatscht, ungedrückt. Deswegen ist Müll gut. Und irgendwie lustig ist er auch.

Las ich doch heute, dass die ISS-Weltraummission gefährdet war, weil chinesicher Müll im All herumschwirrte und auf Kollisionskurs zur Sonde war. Man überlegte bereits, wie man die 3-köpfige Besatzung auf russische Sojus-Dinger umsteigen lassen könnte. Aber trotz der Enge die da oben herrscht, wischte der Müll noch mal vorbei und alles ging gut aus. Ich denke, wenn man uns machen, und genug Zeit lässt, werden wir es schaffen auch das All zuzumüllen. Gott soll einfach aufhören all die Sterne und Planeten zu betatschen. Irgendwer sollte ihm das mal sagen…

«Scheiß drauf!»

Franz Dobler verwandte sich in seinem überaus lesenswerten, aber leider sehr unregelmäßig geführten Block dafür, dass es eine Kulturbehörde geben müsse, die einen Finderlohn für im Netz gefundene «Spitzensätze» auslobe. Okay, aber diese Behörde sollte auch einen Preis für «Weise Worte von alten, dicken Männern» verleihen.

Gestern Nacht sah ich den Preisträger im TV. Seine Name ist Carlo Pedersoli. Er ist 81 Jahre alt und hat gerade seine Autobiographie herausgegeben. Ein bewegtes Leben, fürwahr. Ein italienischer Schwimmer, der in den Fünfzigern an Olympia teilnahm, ein Hüne und Beau, ein Modellathlet, ein Kerl. Inzwischen baumeln seine berühmt gewordenen Tränensäcke so dicht über den Mundwinkeln, dass er sie irrtümlich mit seinen geliebten «Spaghetti vongole» verschlucken könnte.

Carlo Pedersoli, den niemand unter diesem Namen kennt, aber unter seinem Alias «Bud Spencer» weltberühmt ist, gab der Sendung «TTT» ein Interview. Der Mann, der dem Autor dieser Zeilen in den siebziger Jahren endlich Gelegenheit verschaffte, mal so richtig unter seinem Niveau zu wiehern und sich wegzuschmeißen, der Dicksack, der in seinen Spitzenzeiten ein Double brauchte um aus einem Auto auszusteigen, verhalf mir, einem erbarmungswürdigen, an geistiger Phimose leidenden Hypochonder, der außer Bergmann, Fellini, Godard und Konsorten nichts gelten ließ, zu nassen Hosen im Kino («Vier Fäuste für ein Halleluja»). Jawoll, dieser Mann ist nicht nur groß und stark, sondern auch ein sehr brauchbarer Philosoph. Er steht in einer Reihe mit den großen Stoikern. Mit Mark Aurel, Zenon von Kition und dem Faustkämpfer Kleanthes, dem von Thom Jones in «Ruhender Faustkämpfer» gehuldigt wurde.

Perdersoli, nach seinem Lebensmotto gefragt, antwortete: «Scheiß drauf! Wie immer es auch kommen mag: Scheiß drauf!»

Er fügte bedauernd hinzu, dass leider zu wenige Menschen mit dieser Einstellung unterwegs sind, und wie wunderbar es wäre, wenn sich das ändern würde.

Darüber werde ich in meinem Yogakurs meditieren.

Auf seinem Grabstein steht (vielleicht): «Carlo Pedersoli 1930 – 20.. Er war Bud Spencer und hat darauf geschissen.»

Bravo, Carlo. Ti amo!

Schmach und Schande

Das Land Salzburg, vertreten durch die Frau Landeshauptmann Burgstaller (SPÖ), hatte Jean Ziegler als Redner zur Eröffnung der Salzburger Festspiele geladen. Und nun wieder ausgeladen. Er soll einen Literaturpreis von Gaddafi angenommen haben. Ziegler bezeichnet dies als Lüge und Gaddafi als «Psychopathen», vor dem die Welt geschützt gehört.

Nun, es wäre nicht uninteressant zu erfahren, wie viele der noblen Festspiel-Gäste schon um eine Audienz bei dem irren Camper aus Libyen angesucht, und deswegen beim Herrn Haider selig antichambriert haben, um vielleicht ein paar nette Waffen oder so, an den Schnurrbärtigen zu bringen. Aber hier will das niemand wissen. Und eigentlich hat bis vor drei Wochen auch noch niemand etwas von Herrn Gaddafi gehört. Vermutlich.

Es war äußerst fürsorglich von Frau Burgstaller Ziegler wieder auszuladen. Sie möchte ihn – wie sie betonte -, doch nur schützen. Das ist die SPÖ! Wie wir sie kennen und lieben. Sie schützt uns vor uns selber. Und ihre Gewerkschaften und Innungen schützen uns vor Gewerbefreiheit und billigen Handwerkern die ihren Job verstehen.

Die Schriftstellerin Elfriede Jelinek und ihre Kollegen Scharang und Turrini schrieben einen Protestbrief an die Ausladerin: «Wir empfehlen den Salzburger Festspielen, sich diesmal selbst auszuladen und den Festspielsommer mit der Schmach und der Schande zu verbringen, mit der sie sich überhäuft haben.»

Mir persönlich gefällt die Stelle wo: «…Schmach und Schande…» vorkommt. Angemessene Worte, biblischer Tonfall, Pathos. Schmach und Schande. Das ist irgendwie rührend. Als würde man einem herzigen Murmeltier zurufen, es soll sich nach dem Kacken den Arsch auswischen.

Schmach und Schande!

Um dies zu empfinden, müsste man doch Ehre und Scham haben?

Oder ist dies schon wieder ein Irrtum?

Irrtümer

Vor dem Secondhandladen, einen Steinwurf vom Geisteszentrum entfernt, stand heute morgen ein Bauarbeiter vor der Tür. Er rauchte und schien auf etwas zu warten. Vielleicht auf Zement, Steine, Werkzeug, den Kollegen oder den holden Feierabend.

Er war etwa so alt wie ich, und als ich ihn so dastehen sah, fiel mir wieder ein, wie oft auch ich so dagestanden hatte, in zementverkrusteten Klamotten, rauchend, wartend, verkatert, gelangweilt, gequält, pleite, voll von Gedanken an Flucht und Selbstmord, und ich dachte heute morgen: Oh Mann, das könntest du sein.

Und als ich das dachte, dachte ich ans Meer, und wie lange ich es schon nicht mehr gesehen, gerochen, gehört hatte. Und dann dachte ich, wenn ich an seiner Stelle wäre, könnte ich mir vermutlich einen Urlaub leisten. Jedes Jahr. Und er hat vielleicht ein kleines Häuschen im Hinterland der dalmatinischen Küste, ein Auto, und kann mit seiner Familie ans Meer fahren. Aber seine Kinder waren bestimmt schon erwachsen und haben selbst Kinder, und er würde den Enkeln beim Buddeln im Sand zusehen, und seine Frau würde sie mit Sonnenöl einreiben. Feine Sache. Zumindest dieser Aspekt.

Aber ich dachte auch daran, wie es gekommen war, dass ich nicht so ein Leben lebe. Und wie ich alles dran gesetzt habe, einem solchen Leben und Arbeiten zu entkommen, und wie viele Anläufe ich gebraucht habe, und wie schmerzlich und spannend es war, dem Trott zu entrinnen, den Chefs, den Firmenfesten, den stupiden Kollegen, die nichts als Muschis und Autos in der Marille haben, und Urlaub und Häuselbauen und Vorwärtskommen, und den Sprüchen von Haider und Co., und dem Hass auf alles Geistige, Intellektuelle.

Ich dachte daran, wie wir damals den «einfachen Mann» verehrten, das Volk, den Arbeiter, und sie uns verachteten und nur an den angestrebten Urlaub in der Südsee dachten, und nicht an die ausgebeuteten Kollegen überall auf der Welt. Das war schmerzhaft. Aber es machte heil. Es war ein ganz normaler Irrtum. Einer von vielen.

Heute bin ich elitär. Das ist der nächste Irrtum.

Henk’s Blog

QUATSCH MIT HENK UND HASS VOM FASS

«Poetry is a wet rag in the sink!», pflegte der alte, leider viel zu früh dahingeschiedene Chazz zu sagen, aber da mein Englisch so damisch ist, weiß ich nicht wirklich was das heißt, was aber auch vollkommen wurscht ist, denn hier ging es nicht um Poetry, sondern um eine Buchpremiere. Schon wieder, mag der angewiderte Leser sagen, aber dies ist mein gottverdammter Job: Auf Sossaieti-Iwents rumzuhängen und danach scharf zu bloggen.

Diesmal wär’s dem Meister wohl lieber gewesen, ich hätte mir ein Bein gebrochen. Und beide Arme dazu, damit ich nicht mal ein Taxi hätte rufen können, um bei dem Iwent aufzulaufen. Denn Meister Niedermann war selber geladen, und wie ich das Burschi kenne, steht der nicht drauf, wenn er auf Afterraiting-Partys beobachtet wird.

«Geschlossene Gesellschaft» stand in serifenlosen Lettern auf dem Pappschild in der Glastüre. Serifenlos, angewiderter Leser, serifenlos. Und grad nochmal: Serifenlos. Ist zur Zeit einer meiner Lieblingsworte. Macht die Buchstaben klar, halbwegs modern und schlank. Und als ich mich reingeschlichen hatte (was nun wirklich kein Kunststück war, denn ich hängte mich unbemerkt an die kleine Niedermanndelegation), bemerkte ich sofort, dass «serifenlos» sehr gut passte. Alle schlank. Bis auf Niedermann, der wieder mal auffallen musste. Nun, wo waren wir hier überhaupt?

Buchpremiere von «Österreich ist schön, oder?» Eingewandert aus der Schweiz. Herausgegeben von Christoph Brändle, Czernin Verlag, Wien.

Das konnte was werden! In den Stuhlreihen, dunkle, serifenlose Anzüge der Grauen Panther. Ich meine, selbst in der Schweiz werden sie alt oder gerade dort, was mitunter ein Jammer ist, finde ich, den diese Graue Pantherfraktionen sind überall. Auf dem Jungfraujoch genauso wie am Rheinfall, im Schwimmbad, im Zug, in der Kneipe, in der Sauna, überall diese gutgelaunten Öldies, die Vormittags um halb 10 im Zug schon mal eine Flasche Sekt köpfen, und sich eine schöne Reise prosten. Ich meine, die warn schon überall auf der Welt. Was für eine Generation! Keine hatte es so gut wie sie. Sie kannte nur einen Weg. Nach oben. Stetig. Ohne jede Unterbrechung. Und in der Krise gingen sie in Rente. Keine der bisherigen Generationen hatte es so gut wie sie. Niemand. Und da kannste zurück gehen bis zum Prediger Salomo. Oder so.

Aber bevor ich die katastrophalen Missstände anprangere, muss ich leider auch noch loben. Der Botschafter und der Verleger fassten sich in ihren Reden so kurz, dass ich aus den Augenwinkeln erkennen konnte, wie Niedermann zusammenzuckte und seine Visage vor Neid kantige Serifen kriegte. Denn so, wie die sprachen, wollte er schreiben. Aber das man muss man halt können. Klar, kurz, bildhaft.

Der Herausgeber visierte dann mit seinem Beitrag eher die Mittelstrecke an. Und schön geholleit wurde ebenfalls, wenn auch zu lange. Die Hollereirin verpasste bei ihrem Akkordeon ein ums andere Mal den Moment um den Balg zur Ruhe kommen zu lassen, und so ging’s immer weiter. Oder vielleicht ging ihr die Armkraft aus, und der linke Ärmel konnte den Balg nicht halten, was weiß ich denn schon…

Und dann kam’s. Katastrophe. Unerfahrene Caterer. Anstatt sich choreografieren zu lassen, und bereits während der letzten Töne mit den Drinks in den Saatl zu strömen und sich zu positionieren, ließ man das Publikum alle zu Ausgang ziehen, wo es ein mordsmäßiges Gedränge gab. Ich sah wie Niedermann schimpfte und fluchte. Gerade auch, weil er sich einbildet, so was viel besser zu können. Na ja, der kann halt alles besser. Glaubt er.

Ich zischte dann ein paar Gläser hervorragenden Syrah aus dem Wallis, beobachtete die serifenlose Gesellschaft und sah dem erklärten Vegetarier Niedermann zu, wie er 250 kleine Berner Würstel in den Wanst stopfte. Aber so ist der: Ein falscher Fuffi, ein Pretender und ganz und gar nicht serifenlos.

Schon wieder Buchpremiere…

Heute Abend findet im Museumsquartier Wien eine Buchpremiere statt. Der Schriftsteller und Dramatiker Christoph Braendle hat bei Czernin einen Band mit Texten, Zeichnungen, Bildern usw. von in Österreich eingewanderten Schweizern herausgegeben. Titel: «Österreich ist schön, oder?»

Der Czernin Verlag und die Schweizer Botschaft laden heute ein. Auch der Autor dieser Zeilen ist mit von der Partie. Er ist schließlich auch einer der Migros.

Das wäre nicht weiter schlimm. Aber Henk hat angerufen und mir mitgeteilt, dass er nicht im Sinn habe, durch Abwesenheit zu glänzen. Seine Name steht nicht im Inhaltsverzeichnis. Aber ich fürchte, er wird einen Weg finden sich unter die Gäste zu mengen. Und ich kann ihm nur schlecht verwehren, darüber einen Society-Blog zu verfassen. Was immer auch dabei rauskömmt. Oder?

Ein guter Ort für Kinder

Für Kinder sind Bezugspersonen äußerst wichtig. Es ist gut für ihre Entwicklung. Schlecht ist, zum Beispiel, ein häufiger Lehrerwechsel. Das ist gar nicht gut, darin sind sich die meisten Pädos einig. Und nun zu etwas ganz anderem.

Der Feuilletonchef des Falter, Klaus Nüchtern, hat den Staatspreis für Literaturkritik bekommen. Folgerichtig. Wer sonst, wenn nicht er? Wenn man böse sein möchte (und ich möchte es ganz besonders), könnte man sagen, na klar, Hans Dichand ist ja kürzlich verstorben.

Wo ist mein Problem? Tja, wenn ich das so genau wüsste. Vermutlich «ist dieser Preis einfach nur der letzte Nagel in der Pragmatisierungskiste beim Falter», wie ein Poster schrieb. Das ist vielleicht mein Problem: Ich bin kein Kind mehr. Ich vertrage schon den ein oder anderen Wechsel.

Nun, wäre Österreich ein Kinderland, es wäre ein hervorragendes Land. Ein Land voller Kontinuität. Wobei hier Kontinuität auch als Euphemismus für Pragmatisierung, respektive Stillstand, durchginge. Das Vorbild für das kulturelle Österreich gibt die Sendung «Kulturzeit» in 3 Sat. Die Schweizer und die Deutschen haben ihre Moderator/Innen schon gewechselt. Öfter. Österreich hingegen bleibt kontinuierlich. Der österreichische Moderator Ernst A. Grandits ist ein paar Jährchen älter als ich, und wenn ich mich benehme, fleißig weiter zu Fuß gehe, trainiere, nicht zu viel schlucke und so weiter, werde ich vielleicht noch einen anderen Ösi-Moderatoren erleben. Wenn ich Pech habe, ist es Klaus Nüchtern. Könnt ich mir gut vorstellen. Denn wo soll er sonst hin, der Gute? Man bleibt am Besten einfach mal kleben und rührt sich nicht.

Hat man nicht eine Ewigkeit gebraucht, bis man mal an den Trog gelassen wurde? Da zieht man den Rüssel nicht mehr freiwillig aus der Molke. Wer in Wien irgendwas ergattert, der gibt es nicht mehr her. Sei es ein Theater, ein Job oder eine Wurstsemmel.

Darum bleibt Wien eben Wien.

Für Menschen die sich gerne wie Kinder behandeln lassen, ist es ein hervorragender Ort.

Henk’s Blog

QUATSCH MIT HENK UND HASS VOM FASS

1. Gewohnte Welt:

Also. Ich lag wie meistens in der sozialen Hängematte, wartete auf das Eintreffen der Notstand-Marie, und bildete mich weiter. Diesmal war es «Die Odyssee des Drehbuchsschreibers» von Christopher Vogler, ein feines Büchelein, das mir zu einem fulminanten Start ins Leben eines Scriptschreibers verhelfen soll, denn ich habe vor, endlich reich und äußerst berühmt zu werden. Aber da ging das Telefon. Niedermann war dran. Wer sonst sollte mich stören, und meine Karriere behindern?

2. Ruf des Abenteuers

«Hör zu, mein lieber Henk, schwing die Hufe, es gibt einen Job für dich. Hol dir den Fuffi ab, und dann geht’s los: Society-Blog. Im Rabenhof. Buchpremiere von…»

Den Rest hab ich nicht mehr verstanden, vor allem, weil ich den Störer nicht ausreden ließ. «Wie wär’s wenn du mal mit dem Kristall vom letzten Mal rüberkommen würdest?» Er sagte: «Du hast die Kohle bekommen, aber du warst besoffen und kannst dich nicht mehr erinnern.»

3. Zurückweisung des Rufs

«Leck mich, Niedermann!»

4. Die Meinung des Mentors

Na ja, ich ging dann in mich. Aber da war nichts. Wie bei den meisten. Darum finden sie sich auch nicht. Weil da nichts ist. Wie bei mir. Aber ich fragte mich, was der alte, leider viel zu früh dahingeschiedene Chazz dazu gemeint hätte, und ich hörte ihn fragen: «Magst du es, wenn viele, mittelalterlich Menschen, vorwiegend aus der Kulturbranche, in schwarzer Kleidung in einem dunklen Saal sitzen und atmen?» Natürlich nicht. «Magst du es, wenn fremde Menschen dir aus fremden Büchern vorlesen und du dabei die Schnauze halten sollst?» Was ne Frage. «Magst du Kohle, mit der du dir ne Extra-Flasche «Four Roses» kaufen kannst?» Ich bestellte ein Taxi.

5. Das Überschreiten der Schwelle

An der Kasse im Rabenhof hatten sie gerade ein Problem mit dem Ticketdrucker. Ich fragte irgendwas, und die beiden Girls fanden die Frage «cool», und ich finde Girls cool, die Henk’s Fragen cool finden, und da standen wir Coolen, und warteten auf den schwuchtigen Drucker, damit er mir für die 15 Nudeln ein Ticket rausratterte. Der Fuffi war damit schon fast durch, und Niedermann hatte mir noch eine Zusatzaufgabe aufgebürdet: Ich sollte einen berühmten Schauspieler nach dem Schluss von «Der Aufschneider», einem Fernsehfilm fragen, über den er sich in seinem Blog ganz schön das Maul zerissen hatte («Der Schluss aller Schlüsse» vom 17. April 2010). Ziemliche Hacken für’n Fuffi. Da wird noch nachverhandelt werden müssen.

6. Proben, Verbündete, Feinde

Ich kaufte mir einen Plastikbecher voll pannonischer Naziplörre (burgenländischer Zweigelt), und begab mich in den Theatersaal. Der war voll, wie der Mund von John Holmes Filmpartnerin. Und ich abgestieselter Oldie hatte angenommen, dass so eine Lesung wie’n Rockkonzert funktioniert: Man steht rum und schlückelt die Plörre. Aber da war natürlich Bestuhlung. Nummeriert.

Dann ging’s auch schon los. Mit Dylan. Nix gegen Dylan. Obschon der alte Chazz mal gesagt hatte, dass dem Dylan «noch der Pisspott Amerikas am Arsch hängt». Naja, da hat er’s gerade schwer gehabt, der Chazz, also wie gesagt, nichts gegen Dylan. Und während Dylan sein Girl besang, flickerte irgend so’n Artsy-Fartsy-Movie ab, und an 4 Tischen hockten vier Gestalten im Dunkeln, und als Dylan durch war, ging ein Spot an und irgend so’n Meister fing an, uns zuzutexten.

Es ging um einen Typen, der mit Taxis durch die Gegend fuhr, «boshafte Kämme» oder sowas einpackte, nach Zürich flog, sich im «nervenden Gate E» verhedderte, Hotels und überhaupt die Stadt hasste, das Fressen in der Kronenhalle beschissen fand, in «moderat geheizten» Zimmern SMSse an eine Carmen schrieb, die nicht rausfinden durfte, dass er heimlich Dylan hörte. Oder so. Im meine, der Typ hatte echt Probleme. Und ich hatte die ganze Zeit über ein völlig unerkärliches Bedürfnis immer wieder mal: «Wo woar mei Leischtung!» rauszuproleten. Aber ich verkniff es mir, dachte an den Four Roses, und hielt den Rand.

7.Vordringen zur tiefsten Höhle

Dann wieder Artsy-Fartsy-Movie, Song, Spot auf den nächsten Typen, eben den berühmten Schauspieler. Er las uns vor, wie der Kerle, Gruber heißt er, den Rasen mähte. Ein unbedarfter Autor (wie zum Beispiel Niedermann), würde das Problem gar nicht sehen und einfach schreiben: «Am Samstag Nachmittag mähte ich den Rasen.» Nicht so unser Held. Der wusste das Rasenmäherproblem zu würdigen, ich meine, da wurde die verdammte Grausamkeit des Vorgangs nicht verschwiegen, sondern man schilderte uns sehr eindrücklich das Sterben jeden einzeln Grashalms, und was Gruber sich bei dem Mörderjob dachte. Ameisenscheiße und Affenarschloch, da könnte sich der Niedermann locker ne Scheibe abschneiden.

8. Entscheidende Prüfung

Die Lady auf dem Nebensitz bohrte mir während des ganzen Vortrags ihren spitzen Ellenbogen in die Seite. Ich überlegte, ob ich ihr meine heiße, schwielige Pranke aufs Knie legen sollte, um nun doch: «Wo woa mei Leischtung!» zu brüllen, aber stattdessen stellte ich mir vor, wie beim wackeren Gruber die Szene ins Büchel gekommen wär:

«Die Dame, links von Gruber, bohrte ihm ihren heuchlerischen Ellenbogen in die Rippen. In die Rippen, dachte Gruber. Fies. Immer in die Rippen. Er könnte jetzt aufstehen, der Gruber, und rausgehen, der Gruber, und sich im runtergedimmten Licht des Foyers von der mälzigen Schönheit einen White Russian geben lassen. Das könnte er. Der Gruber. Oder er könnte Carmen eine SMS schicken. Carmen. Wo die wohl wieder war? In Caracas. Wär möglich. Sex mit Chavez. Dezenter Bluesrock unterm Rock. Oder in Moskau. Putins Horn blasen. Diese Carmen. Dieser Chavez. Dieser Putin. Was für eine Welt!»

9. Belohnung, Ergreifen des Schwerts

Dann war der Rasen fertig gemäht. Song, Artsy-Fartsy, Spot. Aber während ich in Gedanken mit dem Ellenbogen meiner Nachbarin beschäftigt war, hatte Gruber offenbar einen Sexchange vollzogen. Der erste Hinweis darauf, war die Frau mit Clark Kent-Brille. Es gab Appplaus. Es war die Autorin herself. Sie erzählte uns von Gruber, der nach dem Sexchange eine 37-jährige Frau war, die sich von krebskranken Porschefahrern vögeln ließ und schwanger wurde. Damit schien er ein Problem zu haben. Der Gruber. Wie mit dem Dylan-hören. Nur war es in diesem Fall der Porsche. Irgendwie. Denn Gruber als Frau, stand mehr auf Volvos oder so. Verwirrend. Und daher zog ich es vor, Schluss zu machen und einen Happen essen zu gehen. Und das tat ich dann auch.

Danach fragte ich den Schauspieler, der nun die Clark Kent-Brille der Autorin trug und aussah wie der alte Johnny Depp als der noch sehr jung war, nach dem Schluss von «Der Aufschneider». Er sagte: «Es ist eine österreichische Lösung.»

Und das war genau die richtige Antwort, denn sie machte deutlich, dass Niedermann den Schluss nicht kapiert hatte, und einfach die Ironie nicht checkte (was ich im Übrigen immer wieder gesagt habe). Und dies werd ich der Pfeife so unter die Nase reiben, dass er glaubt, man ramme ihm ne Krenwurzel ins Loch.

10. Rückweg

Natürlich fand ich danach kein Taxi. Handy zu Hause gelassen. U-Bahn. (Aber diesmal ohne Ärger)

11. Auferstehung

Zu Hause lief TV. Nachrichten. Bericht von der Lesung.


12. Rückkehr mit dem Elixier

Die Autorin sagte im Interview: «Ich mag gebrochene Figuren.»

Das war mal ein Statement! «Ich mag gebrochene Figuren.» Keine Ahnung, was eine gebrochene Figur sein soll, aber man hört das ja andauernd. Dann wird’s schon stimmen. Wenn ich, in naher Zukunft, ein berühmter und reicher Drehbuchautor sein werde, und man mir ein Mikro unter die Nase hält, so hab ich meinen Spruch schon parat: «Wissen Sie, ich interessiere mich eigentlich nur für gebrochene Figuren.»