Dicke Bücher, dünne Bücher

Ich habe einen Freund, der sich bei mir immer über meine dünnen Bücher beschwert. Für ihn ist ein Buch erst ein Buch, wenn es zumindest 400 Seiten hat. Das ist sein gutes Recht. Meine Ansicht aber ist, dass es verdammt wenige Autoren gibt, deren Intelligenz ausreicht, um auch nur 200 Seiten voll zu machen. Mich schrecken dicke Bücher ab. Und wenn ich dann den ersten Absatz gelesen habe, weiß ich meistens auch warum.

Zu den schönsten, aber auch verzweifelsten Gefühle des Lesers gehört die süße Panik, wenn er immer wieder die noch verbleibenden, ungelesenen Seiten überprüfend, feststellen muss, dass sie einfach dahinschwinden, wie die Zerquetschten eines angebrochenen Hunderters in der Rio-Bar.

Aber mal ehrlich: Wie oft halten wir solche Bücher in den Fingern?

Noch mal Politik

Falls es da draußen – außer mir (aber ich bin ja hier drin) – noch andere Irre gibt, die nicht anders können als sich für Politik (auch Ösi-Poli) zu interessieren, denen möchte ich den Artikel des Schriftstellers Karl-Markus Gauss im «Standard» ans Herz legen.

http://derstandard.at/1315005672346/Schuessel-Ruecktritt-Wolfgang-Schuessel-

und-der-Geist-aus-den-Flaschen#forumstart

Und den anderen Ängstlichen – wie mir selber -, mit den Worten des großen Filmproduzenten Eric Pleskow, des x-fachen Oscar-Gewinners, zurufen: «Nicht die Schlechtigkeit der Menschen macht mir Angst, sondern ihre Dummheit!»

Sarkasmus? Nein danke!

Vor einigen Jahren sagte ein berühmter Sohn dieser Stadt – er schrieb gerade an einem Buch – zu mir: «Ich möchte nicht mehr zynisch sein.» Ich verstand nicht genau, was er damit meinte, ich meine, ich verstand es schon, aber irgendwie auch nicht. Denn damals war ich noch ein normaler, nicht mehr ganz junger Autor, der Romane über Typen schrieb, die irgendwie viel arbeiteten, viel tranken, viel lachten, Schwierigkeiten mit Frauen hatten, und deren Probleme oft nur darin bestanden, irgendwie anständig über die Runden zu kommen. Da war nichts zynisches dabei. Aber ich fand den Zynismus meines berühmten Kollegen gut, denn der war gscheit und echter Dichter und berühmt und irgendwie cool versoffen.

Heute, viele Jahre danach, weiß ich, was er meinte, und ich schließe mich ihm an: Ich möchte nicht mehr sarkastisch sein (müssen). Aber es ist unendlich schwer, vor allem, wenn man wie ich, ein angeborenes Interesse an Politik hat und in Österreich lebt.

Heute hat im Zuge der Telekom-Affäre (Korruption, Korruption, Korruption), der frühere Bundesbenediktiner, Wolfgang Schüssel, sein Mandat als Nationalrat zurückgelegt. Mit anderen Worten: Er ist zurückgetreten. (He stepped down, wie es im angelsächsischen heißt) Unschuldig ist er. An allem. Natürlich. Was sonst. Ist denn Österreich nicht international bekannt für seine Rücktrittskultur? Treten hier nicht beinahe täglich ÖVP-Leute zurück? Einfach nur, weil sie vergessen haben ihre Schuhe zu putzen?

Sehen Sie. Ich schaff es nicht, meinen Sarkasmus zu zügeln. Ich glaube, mein Bekannter hätte es mit seinem Zynismus auch nicht geschafft. Aber er hat die Notbremse gezogen, und einfach sein Buch nicht fertig geschrieben.

Das kommt für mich nicht in Frage. Ich bin irgendwie ein bisschen verzweifelt…

Das mit dem Denken kriegen wir auch noch hin…

Wer gerne kranke, kaputte Arschlöcher in einem kranken, kaputten Land in Aktion sieht oder lallende Crackhuren in verdreckten mexikanischen Hütten, der kann sich richtig freuen. Denn der neueste österreichische Film bedient diese Gelüste auf’s Vortrefflichste. Zum einen mit «Michael» von Markus Schleinzer, der uns mit viel Liebe und Kunst vorführt, wie ein krankes Arschloch, ein Pädophiler, sich einen Jungen hält, ihn schlägt, einsperrt und missbraucht. Das muss man, falls man’s nicht selber erfahren hat, einfach gesehen haben.

Zum anderen zeigt uns Meister Glawogger am Venediger Lido, seinen neuesten Dok-Film «Whores› Glory», und vor allem auch sich selber; posierend mit seidig gebürsteter Altmännermähne, 4,75 Tagebart und angetan mit schwerem Goldgeschmeide, so dass jeder gleich auf Anhieb erkennt: Aha, ein Künstler oder: Aha, ein Zuhälter, und fürwahr, Glawogger könnte so ein bisschen beides sein, warum auch nicht?, anstatt die Nutten selber zu knallen, schau ma sie im Kino an, da haben wir was gespart und sauber ist es auch.

Und natürtlich irrt die New York Times, wenn sie Wien als «Welthauptstadt der «feel-bad-movies» bezeichnet, denn das Gegenteil ist wahr. Es sind «feel-good-movies». Wo sonst, als im Angesicht solch freundlich und gekonnt aufbereiteter Horrorstories kann man sich als waches, an den Problemen der ganzen Welt interessiertes Individuum fühlen, als Mensch unter Kinogehern, einer, der sich den heutigen Problemen stellt?

Und wie die Filmemacherin Barbara Albert treffend anmerkte: «…manchmal wollen wir dem Zuschauer auch weh tun und ihn zum Denken anregen…»

Was wieder einmal trefflich gelungen ist.

(… und nichts ist schöner, als wenn der Schmerz nachlässt. Das mit dem Denken, kriegen wir dann auch noch hin…)

Und zum Glück gibt es auch noch Aki Kaurismäki.

A bisserl Korruption gehört halt dazu

Eigentlich mag man’s ja nicht mehr kommentieren, aber wie heißt es so schön: Eins geht noch. Aus Nostalgie.

Man hat schon gedacht, es wird nicht mehr, aber nun hat Österreich doch endlich wieder das, was es selber als «Skandal» oder «Riesenskandal» bezeichnet. Aber natürlich ist es kein richtiger Skandal, denn ein Skandal ist es, wenn ein korrupter Politiker von einem Gericht verurteilt wird, das ist ein Skandal. Dieser Skandal ist eine so genannte «Erregung», ein kurzes, schnelles Hochkochen des Grolls, bevor man wieder zur Tagesordnung übergeht. Nun, um was geht’s? Ach ja, da ham einige Politiker, Manager und Lobbyisten bei der teilverstaatlichten Telekom die Aktienmärkte a bisserl manipuliert und sich bereichert, und einige notorische Politos waren auch nicht faul, und haben die Ladenkasse für sich und die Freunderl geöffnet gehalten. Zur freien Entnahme.

Das wäre eine Wahnsinnsschweinerei, eigentlich. Aber isses das? Man tut jetzt so, als wäre es das, aber man hat auch vor 2 Jahren ein Gesetz, das Beamtenkorruption unter Strafe stellt, wieder ausgehebelt. Warum? Tja.

Der erregte österreichische Wutbürger, dem man ins Börserl gelangt hat, wird bei der nächsten Wahl hauptsächlich jene Partei wählen, die ihre Fingerchen am längsten im Trog hatte. Warum? Schwer zu sagen. Weil er’s halt mag, vermute ich. A bisserl korrupt sollt ma scho sein, oder. Besser korrupt als Ausländer. Oder so.

Vor nicht allzulanger Zeit hat jemand den Vorschlag gemacht den «Wiener Charme», also jene Mixtur aus weinerlicher Unterwürfigkeit, Hinterhältigkeit und schlecht verhohlener Verachtung, zum Weltkulturerbe zu machen. Bin ich dafür. Mach ma doch a Packerl, und nehmen die Korrumpiertheit auch mit hinein. Des wär schön…

Paradigmenwechsel???

Wer letzte Samstagnacht für einmal das gute Buch, an dem er sich festgelesen hatte, aus der Hand legte und gegen 23 Uhr der Television die Ehre gab – und zwar auf ARD, der erfuhr unglaubliches. Es standen zwei Schwergewichtskämpfe im Boxen auf dem Programm, und der Kenner leckte sich beim Lesen der Namen die Lippen: Ruslan Chagaev versus Alexander «Sascha» Povetkin und als Zugabe Robert Helenius gegen Sarhai Liakhov.

Wer bereits, wie ich, durch die Klitschko-balabala-Maschinierie, diese ins Obszöne aufgeziegelte Prä-und After (ja, genau, dieses After!)-Show-Geschwurbel, dessen Berichterstattung schon gefühlte Monate vorher begann und Wochen später endete – und zwar, bis auch Uschi Glass ihren Kater absorbiert hatte-, schon mürbe war, dem erschien dieser jähe, unangekündigte Boxabend wie der Vorbote eines Paradigma-Wechsels. Denn weder Povetkin noch Chagaev gelten als Blinker und Blender und Freund großer Worte, sondern als Männer, die es vorziehen im Ring die Fäuste sprechen zu lassen. Und seit dem letzten Klitschko-fight (siehe Blog vom 3. Juli: Klitschko versus Haye. Boxen, bye bye), bei dem die Ringluft so schwer verletzt wurde, dass im Hospital über 1000 Löcher vernäht werden mussten, dürfte die Ringluftversicherung offenbar unbezahlbar geworden sein, und man besann sich wieder auf’s richtige Boxen. Es war wie ein Wunder.

Zwei Klassfights, von vier Klasse-Jungs, die einander nichts schenkten, und uns Zuschauer alles.

Einziger Wermutstropfen: Auf 3Sat gab’s zur selben Zeit eine Doku über den Autor Wolfgang Hilbig. Aber das ist der Unterschied zwischen Boxen und Schreiben: Ein Kampf, dessen Ausgang man kennt, verliert an Attraktivität. Beim Buch ist es umgekehrt. Zumindest manchmal.

Ich war krank und das war gut so

Ich hatte das nicht unzweifelhafte Vergnügen von Noro-Viren niedergestreckt zu werden. Man könnte es auch eine Magen-Darm-Grippe nennen, aber das klingt irgendwie Scheiße und zum Kotzen, und dies sind auch die nennenswerten Auswirkungen eines Noro-Viren-Niederschlags. Dieser Treffer fällt dich wie ein Blitz und du gehst zu Boden wie ein Boxer der den Hammer nicht kommen sieht, und sich nicht auf den Einschlag einstellen kann. Das ist fürchterlich beschissen. Und wenn du’s nicht besser wüsstest, würdest du glauben, dass du jetzt dran bist, lang vor der Zeit, aber da du es besser weißt, stehst du, besser gesagt, liegst du die zwei Tage durch, schläfst, döst, träumst irre, und versuchst den quälenden Durst zu bekämpfen, was am besten mit Cola gelingt, und liest dabei Maxim Billers «Der gebrauchte Jude», und freust dich darüber, dass einer deiner Generation ein solch klasse, hemingwaysches Prachtstück Literatur schreiben kann, klug, ein bisschen melancholisch, noch klüger, und wahr und kompromisslos und fern jeder Geschwätzigkeit. Der Beweis, dass kurze Romane einfach die besseren sind. Wie kurze, heftige Krankheitsanfälle. Oder wie Epikur sagte: «Ein großer Schmerz ist ein kurzer Schmerz.»

Gesetzbuch und Ganovenehre

Jenen, die gerne wieder mal in schlichten, schönen, aufrichtigen, gültigen und wahren Worten lesen möchten wie es in unserer Gesellschaft zugeht, denen möchte ich empfehlen, das eben erschienene grüne, dünne Büchlein aus der Edition Occidente in die Hand zu nehmen. Der Essay des legendären Hobos und Einbrechers Jack Black erschien erstmals in den 1930-er Jahren in Harper’s Monthly Magazine und heißt «Gesetzbuch und Ganovenehre». Übersetzt von Florian Vetsch und Axel Monte sind die 48 Seiten ein 1 Stundengenuss erster Güte, und dann bleibt das Büchl als Nachschlagewerk auf dem Tisch liegen. Garantiert.

Auszug: «Der Kodex der Verbrecher beruht auf denselben Grundlagen wie der Kodex der Gesellschaft: Schutz von Leben und Eigentum. Obwohl der Kodex der Unterwelt gegenüber der Oberwelt keinerlei Verpflichtungen anerkennt, ist er innerhalb seiner eigenen Grenzen absolut unerbittlich. Schulden werden pünktlich bezahlt, jede Übertretung vergolten…»

Gesetzbuch und Ganovenehre von Jack Black. Edition Occidente, 48 Seiten, ISBN 978-3-9813130-7-9

Der Kaputtnik

Natürlich habe ich, ganz neidischer Kaputtnik, unrecht. Jean Ziegler hat recht. Der Papst auch, die Katholen sowieso. Aber wie können beide recht haben? Der Papst will, dass wir uns vom Materialismus abwenden, von der Hurerei, der Gier, dass wir den Zusammenhalt hochhalten, den familiären, den glaubensgemeinschaftlichen. Dagegen lässt sich nicht viel sagen. Jean Ziegler ist Materialist. Ein Ideologe, wie der Papst. Er will, dass diejenigen, die ihren Reichtum auf Kosten von Schwachen und Ohnmächtigen angehäuft haben, diesen wieder umverteilen. Beide haben recht. Beide nerven. Sagt zumindest der Kaputtnik. In Madrid halten die einen, die Katholen, Antiabtreibungsplakate hoch, die anderen, die Indignierten, kontern mit Kondomen, die sie wie Kreuze beim Exorzismus den Plakaten entgegenstrecken. Der Kaputtnik grient. Der Manichäismus, der Dualismus dieser Welt, geht ihm auf den Sack. Und ebenso die Aussicht in eine Double-dip-Rezession hineinzulauern. Der Kaputtnik weiß, dass mit einem Schlag alles aus sein kann (und höchstwahrscheinlich auch sein wird). Die Krise, you know. Die wir jetzt als verdammte Teuerung wahrnehmen. Man könnte wieder mal die apokalyptischen Poeme des großen C. H. Bukowski aus den Sechzigern lesen. Da kriegt man Gänsehaut.

Oder sich an Louis-Ferdinand Destouches halten, der einmal, sinngemäss, sagte, dass die Welt so ein trauriger Ort sei, weil alle immer recht haben. H. Miller riet er:»Verstehen Sie es, im Unrecht zu sein.» Aber das ist lange her. Alles. Heute predigen alte Männer den Aufstand des Gewissens und andere alte Männer den Verzicht. Junge Männer plündern und morden, und wenn man die Glotze anwirft, sieht man nur noch Unterschichtsfernsehen. Übergewichtige Halbidioten die rumbrüllen und/oder sich darüber beklagen, dass ihnen die Gesellschaft nicht frei Haus den neusten Flachbildschirm liefert.

Aber auch für einen Kaputtnik wie mich, gibt es heitere Momente voll stiller Freude und Genugtuung. Nachstehender Link bescherte ihm solche. Er führt zur FAZ, und dort zu einem Test. Man kopiert einen seiner Text hinein, und die Maschine sagt einem, wie welch berühmter Schriftsteller/In man schreibt. Ich schreibe zum Beispiel wie Göethe, Rainer Maria Rilke, Nietsche und Maxim Biller.

Diesen Blogeintrag z.B., schrieb ich wie Rainald Götz. So à la «Loslabern», schätze ich. Mal sehen, ob mich das wirklich aufbaut…

http://www.faz.net/f30/aktuell/WriteLike.aspx

Katholischer Ballermann

Der von Coca Cola gesponserte vagabundierende Ballermann der Katholen («Den Glauben feiern»), der sogenannte Weltjugendtag, zeigt gerade in Madrid, wie kreativ der Papst und der Vatikan mit dem Problem der Krise und dem Aufstand der indignierten Jugend umzugehen weiß: Man hetzt die reiche katholische Jugend aus aller Welt auf die Plätze der Protestierenden, besetzt sie mit Hilfe der Polizei, unterhalten mit spießigen Darbietungen und dem, was in meiner Jugend Jazzmesse hieß, und lässt nebenbei, als «Slutwalk der Keuschen», die Jeansminiberockten Jungfrauen auf den Asphalt knien, während sich die Bullen mit ihren Knüppeln auf den arbeitslosen Körpern der Indignierten austoben dürfen. Das ist doch echt mal was anderes, oder?

Wir freuen uns auf den katholischen Ballermann in den Riot-verseuchten Gebieten von Liverpool, London und Birmingham, wo der als Papst verkleidete Jürgen Drews («der König von Mallorca und überhaupt») «Ein Himmelbett im Minenfeld» rappt.