Covi-Diary (13)

Zuerst dachte ich, dass man die Toten auch schon unter Qurantäne gestellt hatte, aber dann sah ich, dass das Tor zum St. Marxer Friedhof weit offen stand. Also ging ich hinein. Wollte ich schon immer mal tun. Vor vielen Jahren schon, als der Friedhof an meiner Laufstrecke lag. Aber da ich am Laufen war, lief ich immer vorbei. Heute nicht. Schon beim Tor wird einem schriftlich mitgeteilt, dass dies der letzte noch bestehende Biedermeierfriedhof in Europa sei.

So sieht’s aus. Das ganze Areal. Und sobald sich der Frühling durchgesetzt hat, wird man nur noch Blätter und Äste sehen. Und dieses Foto wär einfach grün.

Ich bestaunte unter anderem ein verdammtes Monument von einem 1837 gestorbenen Kutscher, ein Grabmal wie von einem Fürst, 3 Meter hoch, wuchtig, massig, massiv. Ein fuckin’ Kutscher!
Aber vermutlich kutschierte er nicht unserereiner, sondern die Mätressen des Hofstaates oder gar des Kaisers, und ich musste wieder einmal an den wunderbaren kleinen Roman von Josph Roth denken, „Die Geschichte von der 1002. Nacht“, an die „Mizzi Schinagl“ die in einem Hurenhaus auf der Wieden gearbeitet hat, und die Geliebte des Schah von Persien wurde. Warum? Nur weil sie einer edlen Dame ähnlich sah, auf die der Schah ein Auge geworfen hat, und die er begehrte. Und da man in Wien dem Schah nichts abschlagen wollte, unterjubelte man ihm die Mizzi Schinagl, die „Auf der Wieden“ zuhause war, wie ich. Das ist halt eben auch Wien. Lebendig auf einem Biedermeierfriedhof. Und Joseph Roth.
Und schinageln ist das rotwelsche Wort für „arbeiten“, ein Wort, das wir in den siebziger Jahren von den Jenischen übernommen hatten, wir, die abgesprungenen Kinder des aufstrebenden Proletariats, wir, die wir unsere Väter verraten haben, und von ihnen verraten wurden.
Long time ago. Sowohl 1837, Mizzi und auch die Siebziger. Lange her, aber noch nicht verblasst.
Als ich dann weiterging, beschloss ich wieder Joggen zu gehen. Zumindest einen Versuch zu starten um herauszufinden, was mein rechtes Knie dazu meinte, ob es einverstanden war oder ob es das gar nicht ab konnte.

Und sonst? Das Übliche. Mehr Infizierte, mehr Genesene, mehr Tote, mehr mehr.
Was soll’s? Stehen wir’s halt irgendwie durch, nicht?

P.S. Wie ich Banause eben erfahren habe, liegt Mozart auf dem Friedhof.
Asche auf mein Haupt!