Denkt daran

Ende der siebziger Jahre war ich in Griechenland einige Zeit mit einer zehn Jahre älteren Wienerin unterwegs. Sie arbeitete für eine linke Wiener-Zeitung, und redete von ihrer Mutter als „Muttertier“. Einmal fragte sie mich, ob es in der Schweiz auch soviel Antisemitius gäbe, wie in Wien.

Ich hatte keine Ahnung, von was sie sprach. Antisemitismus? Ich wusste darauf nichts zu antworten, denn mir fehlte jede Definition davon. Während des Sechstagekriegs 1967, verkauften wir, von der Schule initiert, Jaffa Orangen; und Moshe Dayan mit seiner Augenklappe war sowas wie ein Popstar. Außerdem hatte Israel die „zweitbeste Armee“. Nach der unseren – der ungeprüften – natürlich.

Einer meiner Freunde in der Schule, und mein Sitznachbar, war Jude. Nicht, dass ich, oder die anderen das gewusst hätten. Aber er verließ mit mir, dem Katholiken, den Schulraum, wenn die anderen Religion hatten. Es war eine durch und durch protestantische Gegend. Er war halt irgendwas anderes als protestantisch, und auch nicht katholisch. Wen interessierte das?

Später dann, als ich mit Kommunisten Umgang hatte, hörte ich oft: Israel, der zionistische Büttel des US-Imperialisten. Und natürlich waren alle Palästina-Fans.

In meiner kleinbürgerlichen Verwandschaft hörte man auch hin wieder: «So ein fettes Jüdli“, und man meinte damit, dass man in die Schweiz geflüchtete Juden „abgezogen“ hatte. Oder zumindest daran gedacht hatte, es zu tun.

Mein Vater redete oft über Juden. Seinen Ex-Chef, zum Beispiel, den er der Geldgier bezichtigte. Wie alle anderen Juden auch. Oder er brauchte bestimmte, aus der Armee mit in den Alltag eingeschleppte Ausdrücke, wie „gestampfte Juden“, für eingelegte Sardinen.
Außerdem, befand er, dass sie stanken. Wie Schwarze.

All das kriegte ich mit, aber ich konnte es nicht einordnen. Es gab kein Wort dafür. In der Schweiz gab es dieses Wort „Antisemitismus“ schlicht nicht. Nie habe ich es gehört. Und somit existierte es auch nicht. Gelesen habe ich es in Büchern, aber die Wienerin in Griechenland war die erste, die es für mich aussprach.

Inzwischen lebe ich ja schon Dekaden selber in Wien, und weiß genau, was gemeint ist.
Und ich weiß auch, dass wenn der Anisemitismus und der Hass auf Juden hochkocht, nicht nur sie in Gefahr sind, sondern auch Demokratie und unsere Art zu leben. Unsere fuckin Freiheit.

Denkt daran. Vergesst es nicht.