Wenn die Sonne scheint

Heute scheint die Sonne, und gestern tat sie’s nicht, schon viele Tage nicht, und ich dachte, macht doch nichts, dann bleibts halt so grau und man sieht den Kahlenberg nie wieder, und überhaupt, nie mehr weiter als 100 Meter, ist doch blunzen, schließlich ist Winter und die Sonne macht mich immer ein wenig melancholisch, weil ich dann an das Licht im Appenzeller-Land denke, und dies ist so formidabel, dass mir bereits die Vorstellung davon einen kleinen Stich versetzt, und ich mich rückhaltlos frage, warum in drei Teufels Namen ich eigentlich in dieser Stadt lebe. Aber die Antworten sind so vielfältig wie die Gründe, warum ich fast alle zugeschickten Manuskripte ablehne. Und wenn hier wieder mal die Sonne scheint, ist es vielleicht ähnlich wie in Los Angeles wenn’s dort regnet; und gestern tat es dies in einem Film, und ich mag Filme über Los Angeles wenn es regnet, denn dann denke ich an Raymond Chandler, John Fante und Charles Bukowski, und das, werte Leser, das tut einfach nur gut…

Mein Leser, Frau Jelinek und ich

Ich habe einen Leser. Manchmal begegnen wir uns zufällig auf der Straße. «Wieder was Neues in Arbeit?», fragt er dann, und ich sage ihm, was momentan gerade so anliegt. Wenn es was Neues gibt erwirbt er das Buch, und sagt mir später, dass er es gelesen hat. Ich glaube, er glaubt, dass er mein einziger Leser ist. Knapp daneben.

Heute sagte er etwas über Elfriede Jelinek, von der gerade ein neues Stück in München uraufgeführt wird, «in Deutschland!» wie mein Leser lautstark bemerkte. Und dass sie wieder einen Haufen Preise erhalten habe und so weiter. Es ist nicht schwer zu erraten, er mag Elfriede Jelinek nicht. Ich hingegen habe einiges für sie übrig. Obschon ich ihre Bücher nicht lese. Nur mal so ein bisschen. Aber ich bin froh, irgendwie, dass es sie gibt. Das neue Stück geht (auch) um ihre Jugend, die ein Horror war. Aber ein richtiger. Ich stelle mir vor, wie es für sie war, und es ist richtig schlimm. Meine Jugend war überhaupt kein Horror. «Deswegen hat sie den Nobelpreis gekriegt, und du nicht», sagt Henk dann immer. Aber ich, und auch Frau Jelinek, wissen, was wichtiger ist.

Mein Leser wollte richtig vom Leder ziehen, aber ich ließ ihn nicht. Er sagte dann: «Da les ich doch lieber ihre Bücher.»

Interessant ist, dass ich manchmal ganz ähnlich Dinge bermerke und so heftig beschreibe wie meine Kollegin. Aber das scheint ihn nicht zu kümmern. Es geht nicht um den Inhalt, sondern um die Form. Wenn Frau Jelinek und ich völlig idente Texte schrieben, dann würden sich viele über ihren erzürnen, während sie mir vielleicht auf die Schulter klopfen würden. «Passt!», würden sie sagen.

Aber das hat mir schon mal ein ehemaliger Freund verraten: «Solange du hier unbekannt und arm bist, kannst du dir alles erlauben. Aber dann trachten sie nur noch danach, dich fertig zu machen.»

Vierter

Ich sehe mir Skirennen an. Deswegen gelte ich als anachronistisch. In gewissen Kreisen. Vielleicht auch ein bisschen als reaktionär. Oder vaterländisch. Mir egal. Ich zolle dem Mut und dem Können der Fahrer (Läufer, wie man früher sagte) mehr als nur Respekt. Ich mag zum Beispiel Bode Miller. Er hat dem Sport den Trachtenjanker runtergerissen. Und ich mag es, wenn die Österreicher verlieren. Dies ist ein (bedauerlicher) Atavismus.

Einst wollte ich selber so einer werden. 10 Winter übte ich dafür. Jeden Tag. Katastrophale Ausrüstung und vermutlich auch mangelndes Talent beendeten die Karriere. Aber vor allem der Wille, mich dem Willen anderer zu unterwerfen. Es ist nicht leicht, ein Sportass zu werden. Die Bereitschaft sich zu schinden ist unabdingbar. Und noch mehr wird die Bereitschaft, sich von anderen schinden zu lassen, verlangt. Da haperte es auch.

Außerdem wurde ich in jedem Skirennen der ganz frühen Tage, Vierter. Vom Rennen bis zur Preisverteilung vergingen Stunden. Auf dem Gabentisch lagen allerlei nützliche und nicht so nützliche Dinge. Skibrillen, Wachspackungen, das neuste Skistockmodell usw. Und es lagen auch Dinge zu Essen auf. Landjäger Würste, zum Beispiel. Und weil alles so lange dauerte, kriegte ich immer großen Hunger. Und als ich dann als Vierter dran war, entschied mein Magen. Ich brachte nie etwas mit nach Hause.

Das war, im Nachhinein, sehr vorausschauend. Was hätte ich mit all dem Krempel nur angefangen, später, als ich jede zweite Woche umzog? Das habe ich richtig Glück gehabt. Sonst würde ich Gästen immer wieder die alten, verschrammten Skistöcke zeigen, die an einem Silkfaden in meinem Arbeitszimmer hängen würden. «Das sind die Skistöcke, die ich damals im Winter 64 im Habkernrennen gewonnen habe. Ich wurde 3.»

Na klar. Ich würde lügen. Wer gibt schon gerne zu, dass er Vierter wurde?

Da kann man wieder einmal sehen, was der Hunger und die Voraussicht der Menschheit Gutes getan haben: Niemand muss sich langweilige Renngeschichten anhören, und noch besser: Niemand wird belogen.

Lügen ist süss

Der Ex-Finanzminister von Austria ist ein interessanter Typ. Slick, nennt man Burschen wie ihn, nicht smart, nicht klug, aber slick; einer, bei dem man sich Schmiergelpapier um die Greifer binden muss, um ihn zu kriegen. Aber dies ist nicht der Punkt. Sache ist, dass dieses slicke Kerlchen, seit es den ersten Satz gesprochen hat, lügt. Und zwar den ganzen Tag lang. Ich schätze, dass auch seine Träume voll der Lüge sind, denn die Lüge ist sein Lebensprinzip.

Aber da kann er nicht mal was dazu. Er ist Kärntner. Und das Kärtnersein steht einer solchen Existenzausformung nicht breitbeinig im Weg. Ich denke, Karlheinzi hat gelernt, dass die Leute gerne Lügen hören, Gesülze, das an der Realität kaum anstreift. Aber es hört sich eben klasse an. Vermutlich hat Karlheinzi schnell gecheckt, dass die Wahrheit mitunter ein roher Brocken ist, den niemand gerne auf die Hühneraugen geknallt kriegt.

So hat er begonnen zu lügen, und weiter zu lügen und dann hat er schlichtweg nie mehr damit aufgehört. Und weil er zwar ein slickes Kerlchen, aber nicht wirklich klug und smart ist, merkt er’s nimmer. Er redet und sülzt und treibt Blasen, und er glaubt sich jedes seiner Worte, und weil er gelernt hat, dass auch andere ihm glauben, ist für ihn alles Tipptopp. Falls ihm jemand mal nicht glauben will, dann ist dies ein böser Mensch, einer, der ihn vernichten möcht. Dann lässt er treuherzig seine Äuglein rollen, so, wie› schon Karlheinzi getan hat, damals, in Vatis «teitschkärntner» Autohaus. Denn dann kam Mutti und alles war wieder gut.

Er ist zum Schießen. Eigentlich.

Aber er sollte sich mal untersuchen lassen. Und die, die ihn gewählt, und in diese Position gehievt haben, auch.

Die steuerhinterziehende Föhnfrisur

Wenn man aus den Medien vernimmt, dass ein Finanzminister während seiner Amtszeit Steuern hinterzogen hat, und ca. 6 Jahre später nach allerlei Beschuldigungen der Staatsanwalt und dem dazugehörigen Druck, eine Selbstanzeige erstattet hat, weiß man, in welchem Land man sich befindet. Nein, es ist für einmal nicht Russland. Dort gäbe es keine Selbstanzeige.

Vielleicht, und das ist mein Wunsch, dringt dies auch bis zum öffntlich-rechtlichen deutschen Fernsehen durch, und ich muss mir die Föhnfrisur nicht auch noch bei meinen Lieblingsnachbarn anschauen. Ich hege die Hoffnung, dass man ein solches Verhalten dort als nicht legitim ansehen wird.

Hier? Eher nicht.

Brava, Gianna!

Gianna Nannini bekam mit 54 Jahren ihr erstes Kind (vermutlich auch ihr letztes).

Das erinnerte mich daran, dass das Rock’n Roll-Tier noch immer lebendig ist.

Ungehorsam, voller Überraschungen, auf Konventionen pfeifend, sich seinen eigenen Pfad trampelnd, dem Exzess immer noch ergeben, der Härte, der Zartheit, und mit allzeit bereitem Stinkefinger.

Ich hör es brüllen!

Die Vergnügungen meiner Familie

Neulich gings um Tautologien. Das ist der Stoff, aus dem in unserer Familie die Gesprächsthemen gewoben sind. Wir sitzen dann da, alle vereint, und sprechen über die Etymologie und Definitionen der Worte. Andere Vergnügungen können wir uns nicht leisten. Und wenn wir lachen wollen, schalten wir österreichische Kultursendungen ein. Pure Satire. Die armen Profisatiriker, sagen wir dann alle im Chor.

Also. Das Fremdwörterlexikon zur Hand. «Tautologie: Überflüssige Doppelung eines Begriffs.»

Boshaft und beckmesserisch wie wir in unserer Familie so sind (alle), lachen wir hämisch über diese Definition. Sie ist nämlich auch eine Tautologie. In unseren Augen. So kleinlich sind wir.

Zum Beispiel versteht in unserer Familie niemand, warum Sportreporter immer wieder sagen: «Der Knoten ist geplatzt!»

Ein Knoten platzt nicht. Ein Blinddarm, ja. Ein Kondom, meinetwegen. Aber ein Knoten geht auf, bitte sehr.

Und dann noch die Buchbesprechung im Ösi-TV: «Ein ungeahntes Rätsel…»

Aber da liegen wir schon alle auf dem gewienerten Parkett, und halten uns die Bäuche vor Lachen, und Mutti ist froh, dass wir für unsere TV-Gebühren so reichlich was zum Wiehern bekommen.

Einfach Klasse!

Linksautonome

«Linksautonome», ist in allen Schweizer Zeitungen zu lesen, «verprügeln den SVP-Nationalrat Hans Fehr».

In den achtziger Jahren verkloppten Linksautonome und «Antifas» gerne Teddys, «weil das Faschos sind». («Faschos» waren so ziemlich alle. Außer ihnen, natürlich. Aber Teddys waren proletarische Faschos, und das kam bei den Bürgerkindern nicht so gut. Darum gab’s was auf die zwölf.)

Apropos achziger? Wo sind eigentlich diese Linksautonomen heute?

Wer in Zürich eine Wohnung mieten möchte – wie man so hör t-, wird möglicherweise den ein oder anderen kennen lernen.

Letztes positives Schreiben

Als österreichischer Hobby-Starkoch vergehe ich mich zur Zeit lustvoll am Heiligtum der österreichisch-böhmischen Küche: Den Mehlspeisen. Die Grundlage für viele dieser Teile ist ein sogenannter «Germteig», eine süsser Hefeteig, aufgefettet mit kiloweise zerlassener Butter und all solchem Zeuch.

Gestern verließen Germknödel meine Manufaktur. Eine Premiere. Man könnte sagen, es waren Germknödel für Blinde. Sie schmeckten ausgezeichnet (wie man mir allseits versicherte), sahen aber Scheiße aus. Köpfen von Riesenchampions nicht unähnlich, über die ein kulinarischer Irrläufer Mohnzucker gestreut hatte. Und eine Eingeborene gestand mir, dass dies die ersten Germknödel waren, die sie zu Gesicht bekomme. Germknödel «fatta in Casa», notabene, und nicht die von IGLO. Die kennt jeder. Außer mir.

Nicht schlecht, fand ich. Meine ersten waren’s auch. Und ich muss sagen: Gar nicht übel, diese Kombination von Teig und Pflaumenmus (Powidl), Mohnzucker und Butter. Kein Wunder, dass die Mehlspeisen berühmt und die Esser übergewichtig sind.

Jetzt habe ich gerade «Buchteln» am Laufen.

Und jetzt reicht’s mit der positiven Schreiberei.

Ab Morgen geht’s wieder zur Sache…

Positives Schreiben V.

Wenn ich die Schweizer Nationalhymne höre, empfinde ich etwas. Denken tu ich auch was: Könnt das nicht ein wenig schneller gehen? «Trittst im Morgenrot daher…» Ja, da seh ich ihn, er tritt gerade aus dem Stall, in seinem genagelten Schuhen und in den Armeedrillichhosen, diesem unzerstörbaren Gewebe, gegen das die 1. Original Levis aus Segeltuch sich ausnahm, als wäre sie aus Seidenpapier. Und dann das kragenlose Hemd, hellblau, mit weißen und roten Fäden durchwirkt, und die gleißende Sonne, die über die Grate steigt, wie am ersten Schöpfungstag, das ist es, was ich sehe. Und dann die weiteren Worte: Hochherrlicher, Göttlicher, Ewiger, DU. Beten, knien und vor allem: «Wenn der Alpenfirn sich rötet, betet, freie Schweizer, betet.» Ja, das geht mir nahe, dieses Pathos, das ist Poesie, das muss man dem Burschen erst mal nachmachen, Sapperlot aber auch. Da atmet man gleich tiefer, und die Brust schwillt, und ich bin auf unerklärliche Weise ein wenig stolz, und deswegen etwas peinlich berührt. Ja. Auch ich. Ein Auserwählter. Wie jeder andere, jeder beliebigen Nation auch, wenn er seinen Hymnen-Song hört.

Aber der Mann meiner Vorstellung hat was ganz anderes zu tun. Er betet nicht auf der Alp im Morgenfirn. Er karrt die Kuhscheiße aus dem Stall. Zum Beispiel. Warum soll er beten? Weil er frei ist? Zu seinem Ex-Herrn, der ihm die Freiheit geschenkt? Aber so weit ich die Geschichte kenne, hat der Mann im Drillich seine Freiheit erkämpft.

Und wenn die Sonne über den Graten prangt, dreht er sich um, geht zurück in den Stall und sagt: «He, Murat, wenn du fertig gemolken hast, dann mach den Stall fertig, und sieh zu, dass du dieses Mal nicht wieder mit dem Mistbesen die Krippen auswischt, sonst schieb ich dir den Stiel in den Arsch!»