Über den Witz in die Einöde

Manchmal erzählt meine kleine Tochter Witze. Sie wird sieben. Ihre Witze sind unddannunddannunddann-Geschichten. Lang. Sehr lang. Mit schaler, vorsehbarer Pointe. Wenn überhaupt Pointe. Hauptsache: lang. Ich glaube, dass sie glaubt, dass der Witz eines Witzes in der Länge der Story liegt. So wie es Kollegen gibt, die glauben, der Wert und die Güte ihrer Arbeit läge in ihrem zerdehnten Ego. Schale Bücher. Aber immer nur ich, ich, ich. Kollegen, die Zeitungen nur lesen, wenn ihr Name drin steht. Kollegen, deren Kommunikationstext nur aus- «Ich hab grad eine tolle Cd rausgebracht. Und ein Krimi ist auch erschienen. Wie war dein Name nochmal?»- besteht.

Sie sind im besten Fall bemitleidenswert. Und vor allem: Sehr, sehr, sehr langweilig. Wie die Witze meiner kleinen Tochter. Aber die übt noch.

Der Lieblingswitz eines Freundes, einer, der ganz oben auf meiner Liste steht:

«Bück dich Fee, Wunsch ist Wunsch!»

Das sind perfekte Proportionen, Kollegen!

Zurück bleiben

Als erstes, am vergangenen Sonntagmorgen, die Nachricht von Christof Schliengensiefs Tod. Der Zufall wollte es, dass ich gerade mit Freunden von ihm zusammen war, aber damit nicht genug: In letzter Zeit häufen sich schlechte Prognosen in meinem Bekannten-und Freundeskreis. Vor einem Monat starb ein Dichter, mit dem ich zwar nicht befreundet, aber doch bekannt war, er starb nicht unerwartet, wie es so schön heißt, sondern sein «Ablaufdatum» war durch seine langjährige Krankheit längst besiegelt und er sah seinem Ende auch ziemlich taff und offenen Auges entgegen. Dann las ich von einem anderen Dichter einen Nachruf, in welchem dieser beschreibt, wie der Sterbende ihn angerufen habe, um sich zu verabschieden. » «Ich möchte mich von dir verabschieden. Wir sehen uns nicht mehr. Als ich bei deiner Lesung war, hast du ja gesehen, dass es mir schlecht geht. Leberkrebs im Endstadium. Der Leichenschmaus wird im Wirtshaus Huber sein. Es wird Kalbsnierdln geben.»

Leider überlieferte der Nachrufschreiber nicht, was er darauf geantwortet hat. Was soll man da nur antworten? Was geht einem durch den Kopf?

Mach gut. Bis bald. Wir sehen uns in der Hölle. So schlimm wird’s doch nicht sein. Grüß mir Jimi Hendrix. Gib Gott eins die Fresse, wenn du ihn siehst. Ich freu mich schon auf die Kalbsnierndln. Ich esse keine Innereien…

LESUNG in WALD (AR)

Zum 5.Mal findet im Atelierhaus der Schlesingerstiftung (Birli) eine Dichterstubete statt.

Am 21. August 2010 um 20.15 Uhr.

THOMAS MEINECKE (München) liest aus seinem neuen Roman JUNGFRAU

und

ANDREAS NIEDERMANN (Wien) liest Krimi-Schund (Pulp Fiction)

zudem, wie immer, ein Gulasch. Diesmal: Erdäpfelgulasch mit Steinpilzen.

Neuerscheinung im Herbst 2010 bei Songdog

Im Herbst 2010 erscheint bei Songdog «Die Katzen von Kapsali» (Ein langer, autobiografischer Kurzroman) von Andreas Niedermann.

ISBN 978-39502890-2-2 / 110 Seiten /Softcover

Subskriptionspreis bis Ende August: € 12.- / CHF 20.- (Ladenpreis € 14.- / CHF 25.-) versandkostenfrei.

Zu beziehen bei: verlag@songdog.at

oder im Buchhandel.

Zu diesem Buch:
„…Ich wollte ein Buch über die Jobs schreiben, mit denen ich über all die Jahre mein Geld verdient habe. Es müssen an die 50 gewesen sein. Es sollte sehr schnell und assoziativ geschrieben werden. Ich fing damit an, und mit einem Mal, war da auch dieser spontane Trip nach Griechenland. Das war in Ordnung. Ich nahm ihn mit hinein. Und auch diese drei Katzenbabys, unten, im Süden von Kythira, die ich gesäugt und aufgepäppelt habe. Eigentlich gegen meinen Willen. Aber damals geschah beinahe alles gegen meinen Willen, und da konnte ich auch drei Katzenbabys das Leben retten. Danach taten sie etwas, das mich sehr berührt hat, und das mir seither wie eine Art Gleichnis für mein Leben, und das meiner Freunde, erscheint…“

LESEPROBE

Im Morgengrauen erreichten wir Belgrad. Ich war beeindruckt. Die Hochhäuserplatte der Vorstädte. Die Zigeuner am Straßenrand. Der Müll. Ich hatte nicht wirklich eine Vorstellung, wo genau ich mich befand. Auf einer Raststätte mit Lastwagen ließen sie mich raus. Sie wollten nach Norden. Über Ungarn nach Wien. Ich wollte einen Lastwagenfahrer fragen, ob er mich mitnahm. Richtung Westen. Österreich. Italien. Schweiz. Egal. Ich besaß noch drei Schachteln Zigaretten und eine Flasche Ouzo, die ich mir auf dem Fleischmarkt in Athen gekauft hatte. Mein Trost für hungrige, traurige Stunden. Für Trübsal und Pech. Gegen Regen und Unbill aller Art. Es war Ende Oktober. Das merkte man hier noch nicht so. Ich meine, ich wusste nicht, wie Oktober in Belgrad auszusehen hatten. Ich hatte meinen Schlafsack. Ich wusste nicht, wie lange ich noch unterwegs sein würde. Das konnte Tage dauern. Oder noch mehr Tage. Ich besaß nur noch Hemd und Hose und Stiefel. Unterhosen und Socken waren unterwegs verloren gegangen. Dylan war noch da. Auch mein Notizbuch. Von meinen spanischen Botines löste sich die Brandsohle. Ich glaube, Wien gab mir noch etwas Geld, als wir uns zum Abschied küssten. Sie sagte es sei für das Buch mit den Gedichten, dass sie hiermit gekauft habe. Sie war cool. Kein Rumgedruckse, keine Versprechungen von wegen, wir werden uns wieder sehen und Schmu. Ich war nicht so cool. Ich war Coolness nicht gewohnt. Mecki offenbar auch nicht. Er keifte wegen irgendeiner Sache rum. Ich konnte mir gut vorstellen, wie es jetzt im VW-Käfer weiterging, wenn sie allein waren. Dann sprach ich einen freundlich aussehenden Trucker an. Die Kiste hatte österreichische Kennzeichen. Er sagte, er könne mich bis Maribor mitnehmen. Gut, sagte ich. Keine Ahnung, wo Maribor lag.

Ich bin kein Kämpfer, ich bin ein Aufgeber.

Gestern meinte ein SVP-Politiker in der Television: «Aber der Nöldi Forrer ist eine Kämpfernatur!» Nun, der Nöldi Forrer ist ein «Schwinger», was eine schweizerische Abart des Ringens ist, und die «Kämpfernatur» Nöldi hat gerade Verletzungspech.

Finde ich gut und unterhaltsam, wenn mir gesagt wird, dass ein Kampfsportler eine Kämpfernatur hat, und nicht etwa nur Hausmänner, Kleinkinder, Talkgäste, Adabeis, Menschen die, falls sie gerade hingefallen sind, sich wieder erheben. Oder gar Musiker, denen eine Saite riss, Grippe-Rekonvaleszente und Schlagersternchen denen ein Fingernagel abgebrochen ist. Das musste wieder mal gesagt sein. Auch, dass der Papst in Wirklichkeit katholisch ist. Vergisst man allzu leicht.

Überhaupt: Die Welt ist voller Kämpfer. Kämpfernaturen wohin das Auge reicht. Sie tun mir irgendwie leid. Diese «Aufgeben-tut-man-nur-einen-Brief-Typen»: Ich kann mich nicht erinnern, dass es in meiner Jugend Kämpfernaturen gab. Außer Kämpfer, natürlich. Aber wenn alles Kämpfer sind, wer ist dann keiner? Nun gut, ich oute mich. Ich bin kein Kämpfer. Ich bin eher so ein Sliding-Typ. Kämpfen langweilt mich eher. Wozu sollte ich kämpfen? Ich gebe lieber auf. Aufgeben ist cool. Komplexer, gewissermaßen. Ich habe das Rauchen aufgegeben. Die Drogen (Meistens). Das Nie-Geld haben. Das Sandalentragen. Das jeden Tag einen Roman lesen. Das Kinderlos sein. Das Ohne-Führerschein-fahren. Das geriatrische Binge-drinking.

Ich versuche, es einfach laufen zu lassen.

«Du musst dich einfach weigern zu verlieren.» (Cus D’Amato)

Vielleicht ist es mir einfach egal…

Wie reich ist eigentlich Bob Dylan? Oder Bono? Von Madonna wissen wir, dass sie ungefähr 400 Millionen schwer ist. Von den dreien gibt es zwei, die ziemlich nerven. Ich sage jetzt nicht wer, nur soviel: Bob Dylan ist es nicht.

Ich schätze, Mr. Dylan ist das, was man als «schwerreich» bezeichnen kann, und wenn wir uns fragen, was sich ändern würde, wäre B. Dylan so arm wie ich, würden wir wohl zu folgendem Schluss kommen: Vermutlich weniger als wir denken. Möglicherweise würde er in kleinen Clubs auftreten oder als Studiomusiker arbeiten. Ich will damit sagen, dass dem Meister die Penunzen vermutlich blunzen ist. Na ja, vielleicht nicht ganz: Er kann sich jedes Paar Stiefel, das ihm gefällt, einfach kaufen.

Frau Madonna fällt des öfteren unangenehm auf, weil sie mich anpumpen will. Ebenso Herr Bono. Sie sind beide der Meinung, dass ich die Welt retten soll, und die Welt retten heißt: Geld in Hilfsprojekte pumpen, die sie initiiert haben oder für saugut befinden. Man fragt sich nur, warum sie selber nicht den einen oder anderen Fünfziger (Millionen) rüberschaufeln? Bob Dylan macht das nicht. Warum?

Nun, vielleicht tut er’s ja, und schweigt darüber. Nur, er pumpt mich nicht an.

Es könnte aber auch sein, dass er – wie der große Alice Cooper – der Meinung ist, dass Rock und Politik einfach nicht zusammen passen. Was im Übrigen auch meine Ansicht ist.

Da es sich nun begab, dass Bill Gates und Warren Buffet, die geldgewichtigsten Männer dieses schönen, traurigen Planeten, andere geldgewichtige Männer aufrufen die Hälfte ihrer Vermögen zu spenden, fragt sich der Rest der Welt: Was führen die Burschen nur gegen uns im Schilde? Dürfen wir sie nun nicht mehr guten Gewissens hassen? Ist das überhaupt Charity oder nur ein übler PR-Gag, und letztendlich doch eine Ente? Oder haben diese Jungs, denen selbst die Nierensteine in purem Gold erblühen, erkannt, dass ein Mensch nackt auf die Welt kommt und sie auch, gleich dem polnischen Bauern und Hirten, der im Angesicht des nahenden Todes seine Frau anwies, die Schafe zu den Wölfen in den Wald zu treiben, auch nackt wieder verlassen soll? Ist es einem noblen Gefühl für Mäßigung geschuldet oder erkennen die Herren eine gewisse Obszönität darin, wenn ein einzelner Mensch das Bruttosozialprodukt eines Staates als Vermögen besitzt?

Ich gestehe: Ich habe nicht die leiseste Ahnung.

Vom Schiff aus würde ich sagen: All das wäre möglich. Und es ist den Neigungen des Betrachters überantwortet, daraus seine Schlüsse zu ziehen.

Es ist vielleicht seltsam: Aber ich neide keinem der Jungs den Raps. Aber jene österreichischen Kleptokraten, Lobbyisten genannt, jene Expolitiker, Schmieranten und Strauchdiebe, die so nonchalant in die Staatskasse langen, als wär’s eine Schale mit Erdnüssen, die würde ich gerne beim Steinekloppen und in Fussfesseln sehen. Aber da ist der Volkswille davor, denn es werden jedes Mal jene Parteien gewählt, die diese Leute, wenn nicht aktiv unterstützen, so doch gewähren lassen.

Und sonst? Nicht viel: Bill Gates verhält sich zu Karlheinz Grasser, wie Bob Dylan zum Nockalm Quintett, Billi Holyday zu Madonna.

Aber zu all dem ist zu sagen: Ich weiß nicht, wie es sich wirklich verhält.

Vielleicht ist es mir einfach egal.

Jetzt hör ich mir die Songs von Guy Clark an…

Was machst du gerade?

Ich habe mich breitschlagen lassen. Jetzt bin ich dabei. Bei Facebook. Es ist ein wenig seltsam. Ich weiß nicht so recht. Bereits vor einigen Monaten machte ich einen Beitrittsversuch. Da sagte mir Facebook, ich solle mir Freunde suchen. Aber ich wollte keine Freunde. Ich habe ja schon welche. Damals brach ich die Aktion ab. Diesmal nicht. Jetzt habe ich noch mehr Freunde.

Kürzlich war ich zu Besuch bei Freunden. Meine Familie und ich wohnten für ein paar Tage bei ihnen. Das war richtig gut. Wir kochten zusammen, leerten einige schöne Flaschen und die Mädchen bastelten Armketten aus Plastikperlen. Solche Freunde haben ist schön.

Ich weiß also noch nicht so recht, was ich bei Facebook soll. Aber es wird sich weisen.

Am besten gefällt mir die Frage: «Was machst du gerade?»

Ich bin jedes Mal versucht: «Ich schreibe gerade Ich schreibe gerade, zu schreiben.

Das wär auch schön. Oder so.

Schulferien-Blues

Es ist Ferienzeit. Auch meine Töchter haben Schulferien, und weil wir in Wien leben, haben sie 9 Wochen davon. Da mag nun die eine oder der andere jubeln, aber wer nicht jubelt sind die Eltern dieser Kinder mit 9 Wochen Ferien. Ich kenne niemanden der darauf besteht, dass er halbwüchsige Kinder 9 Wochen lang Tag um Tag betreuen darf. Wer Kohle hat, deponiert die Gören für 3 Wochen oder so, in einem Lager. Wir anderen haben das Vergnügen mit sich langweilenden Mädchen und Buben zu Hause. Ich versichere Sie, es ist furchtbar geil. Manchmal kann man sogar etwas von der anfallenden Arbeit erledigen. Ich z.B. reise zur Zeit «en famille» durch die Gegend, und wir zerstören dabei gemeinsam die Wohnungen von Freunden und Verwandten. Auf dass wir nie wieder eingeladen werden.

Und warum hat man in Ösi-County soviel Schulferien? Wo es doch niemand will? Na klar, weil die Bauern in Wien die Hilfe der Kinder für die Heuernte brauchen! War das so schwer? Und auch ein bisschen weil die Lehrer es so wollen. Und was Lehrer wollen, das wollen sie eben, und dann bekommen sie es auch. Sonst tun sie motzen, drohen und dann streiken. Sie können streiken solange sie wollen, denn sie sind unkündbar. Pragmatisiert, nennt sich das. Der mächtigste Mann in Ösi-County, neben dem eben verschiedenen Sankt Dichand, ist der Herr Neugebauer, der Mann mit den 3 Doppelkinns. Er ist der Gewerkschaftsboss der Beamten. Sein Wort ist Gesetz. Wenn seine Leute nicht kriegen was sie wollen, wird mit Streik gedroht. Seine Leute sind unkündbar. Wie gesagt. Und weil diese Leute so mutig für ihre Interessen einstehen und Arbeitskampf betreiben, reise ich in diversen Ländern herum, gebe viel Geld aus, verdiene kaum was und gehe der Menschheit auf den Senkel.

Die Hoffnung, dass in Ösi-County auch eines Tages zivile Ferienzustände herrschen, ist etwa so groß, wie ein zu erwartendes Schuldeingeständnis eines hiesigen Politikers (oder Privatperson). Sie tendiert so ca. gegen Null.

Und erst wenn man in Kärnten an das Haider-Marterl pinkeln kann ohne gleich totgeschlagen zu werden, ja erst dann, sind die Chancen auf 1,2 % erhöht.

«Frankreichs Polizei im Blutrausch»

das ist der Titel eines Videos auf Youtube, das derzeit überall diskutiert wird. Es zeigt die Einsatzkräfte der Pariser-Polizei bei der Räumung eines von Immigranten besetzten Geländes. Man sieht, wie sie Schwangere und Mütter mit Kleinkindern wegzutragen versuchen. Das ist nicht schön mit anzusehen, mehr noch, es rührt uns an, und es ist auch klar, warum es das tut.  Aber war der Einsatz der Polizei deswegen brutal? Haben sie geschlagen oder die Frauen und Kinder verletzt? War die Polizei gar im «Blutrausch», wie es der Titel des Videos suggerieren will?

Einer der französischen Menschrechtsaktivisten befand, dass man sich nicht wundern dürfe, wenn die Menschen in der Banlieu, nach Sichtung dieses Videos, gewalttätig werden.

Er machte auf mich den Eindruck, dass er es begrüssen würde.

Wie hiess es in alten Zeiten? «Das erste Opfer eines Krieges ist die Wahrheit.»

Bericht einer 1. Autorenlesung

Die  Autorin Gudrun Völk, deren Début «Miststücke» gerade bei Songdog erschienen ist, hat die Erlebnisse und Erfahrungen ihrer 1. Lesung in einen kleinen Bericht gepackt.Dieser Bericht ist nicht ganz unexemplarisch, und diese Erlebnisse können, in der Art zumindest, immer wieder mal vorkommen. Muss nicht, aber kann. Die schlechtesten sind es jedenfalls nicht…

1. Lesung im Cafè Echternacher Hof an der Mosel

Während ich versuche, die leckere Gewürzmischung meiner Schwester Gertraud für die Kartoffel nachzumachen, dusche ich noch mal, sehe in den Spiegel, sehe eine Hexe mit faltigem Dekolleté, ach so, das bin ja ich, und überlege, was ich denn nun schreiben soll. Meine erste Lesung muss ich schon irgendwie festhalten. Lilly erzählt mir von ihrem Schüler VZ- Dialog, wobei ich die Art des Dialogs schwer anzweifle, was den philosophischen Hintergrund betrifft. Gleich kommt Besuch, wir haben wahnsinnigen Kohldampf, weil wir wegen der Hitze den ganzen Tag nix gegessen haben.

Seit gestern sind wir zurück aus unserem Urlaub an der Mosel. Die typischen Moseltouristen sind wir zwar nicht, aber wer je im Echternacher Hof gewesen ist, wird ohne zu zögern einen zweimonatigen Indientrip mit allen dazugehörigen Bum shankas gegen zwei Wochen Hoffmann-Scheuer-Sperzel-Völk-Familientreffen an der Mosel eintauschen

Mein Ex-Schwager und alter Freund, Chris, war auch für eine Woche da – eine Woche der Superlative. In Indien gibt es angeblich mehr Österreicher als in Österreich! Vor allem die Intelligenz wandert aus. Natürlich nicht nur nach Indien. In Anbetracht der 8 Mill. Einwohner Österreichs, stellt sich die Frage, wie einsam sich die Zurückgebliebenen fühlen müssen! Oder ist Österreich ein Land, in dem nur mehr Ausländer leben?! Chris sorgt immer für Unterhaltung. Nicht, dass ich nichts zu sagen habe, aber wer mit Chris an einem Tisch sitzt, erstarrt unweigerlich zur Salzsäule. Wenn dann noch die Oma ihren echten Alzheimer raus lässt, glaubt man sich in einem dadaistischen Theaterstück. Wobei die Oma für den Refrain sorgt:

Sind denn die Türen auch alle abgeschlossen, in der Scheune brennt noch Licht, soll ich morgen Frühstück machen. Rolf, ihr Sohn, der Freund meiner Schwester, ist der Antagonist:

Nein, Mutter, Frühstück machen seit Jahren wir, das Licht bleibt an, wir sitzen ja noch hier. Fünf Minuten später der gleiche Refrain:

Sind die Türen abgeschlossen, in der Scheune brennt noch Licht, ….

Ich habe meine erste Lesung ganz bewusst an diesem Ort angesetzt. Selbst wenn noch ein paar mehr Zuhörer mehr da sein sollten, Chris und die Oma würden mich auf jeden Fall toll finden. Er, weil er die Abwanderung der Intelligenz aus Österreich bestätigt sähe, und sie, weil es ihr endlich möglich wäre, ihr Lied vor Publikum anzustimmen. Obendrein würde mir dieser Umstand alle 5 Minuten eine Zigarettenpause einfahren.

Wir haben den ganzen Nachmittag rum gerödelt, am Programm gearbeitet und Essen gekocht. Vorneweg sollte es Aioli mit Weißbrot geben, und während die Leute essen, würde ich meine erste Story lesen: Ihr dürft Queen zu mir sagen. Wolfgang begleitet mich leise am Bass, und an bestimmten Stellen würde ich eine Pause machen, in der er – dem Text entsprechend – lauter werden sollte. Vornehmlich nach Worten wie Arschloch, blöder Hund und Idiot. Danach würden Chris, Wolfgang und der Drummer 5 Minuten zusammen Musik machen. Letzterer wurde ein paar Tage vorher gefragt, ob er Lust habe, an diesem Abend zu spielen. Ziemlich schnell war klar: Der Kerl braucht Alkohol, um locker zu werden. Na gut, ein Grund mehr, mit dem Lesungsort zufrieden zu sein – entweder er wird nix mitkriegen, oder er wird brüllen vor Lachen, wenn auch an unpassenden Stellen.

Nach diesen 5 Minuten wollte ich „Das Miststück“ lesen, danach würde es eine Pause geben, in der Gertraud und die Mädels die Ofenkartoffel reichen sollten. Wir hatten den Ablauf genau geplant, meine Schwester und ich.

Chris hat in letzter Sekunde vor dem Eingang eine Lotusblüte in eine Kartoffelhälfte geschnitzt, die Mädchen sollten Hollundersekt reichen, den Eintritt kassieren und die Besucher mit Kartoffeldruck auf von ihnen bevorzugten Körperstellen beglücken. Wir rechneten mit 0-30 Personen. Sowohl die Ofenkartoffeln, als auch das Aioli würden reichen.

Chris unterhielt uns während der Arbeit mit Geschichten aus Österreich – die Menschen dort sind alle mit 20 bereits Frührentner und drogenabhängig. Ich stellte mir vor, wie die österreichische Intelligenz kopfschüttelnd von außen auf ihr Land sah. Gott sei Dank, lebten die meisten Österreicher ja in Indien! Auch an meine armen Eltern zuhause dachte ich. Die mussten sich doch ziemlich fremd fühlen: alle weg, und die, die noch da waren, 20-jährige Frührentner, der Rest wahrscheinlich Inder.

Die zweite Runde sollte dann mit Musik eingeläutet werden und den Besuchern etwas Erholung von meiner schweren Kost verschaffen – sowohl von den Ofenkartoffeln, als auch den vielen Arschgesichtern aus der vorhergegangenen Story. Als Letztes lese ich dann „Kalifornien!“, und zum Abschluss bekommt jeder ein Eis am Stiel – passend zur Geschichte. Und dann: Applaus und Open End mit Musik.

Wir warteten also erwartungsvoll, schweinemäßig geil herausgeputzt – vom kleinen Schwarzen bis zum kussechten Lippenstift war alles da. Auch unsere Mädchen, Marie und Lilly, haben sich unglaublich schick gemacht – hammersexy und zuckersüß!!

Der Drummer hat nur Wasser bekommen, dafür wollte er nun Chris überreden, mit ihm noch schnell einen durchzuziehen. Ich habe mich im Hof hinten verschanzt, um von da aus auf die Bühne zu gehen, wenn denn der Raum voll war. Es kam aber niemand, also mischte ich mich wieder unter meine Familie. Wir ergaben immerhin, zusammen mit dem Drummer, 10 Personen. Die Oma hatte Lippenstift aufgetragen und sich eine Perlenhalskette umgelegt, die Tage später noch im Lokal rum lag, weil sie die irgendwann zwischendurch unpassend fand. Kein Wunder. Ihre Perücke saß, wie immer, total schief, aber ansonsten benahm sie sich ganz gut.

Es kamen dann doch noch ein paar Leute: ein Schwulenpärchen – zwei wirklich hübsche, interessante Männer – eine stockbesoffenen Astraltante in weitem Kittel, und zwei Winzerinnen, die etwas betreten in die Runde guckten.

Während ich die erste Story las, musste ich dauernd zur Astraltante schauen, die sich das Aioli ständig ins Gesicht stümperte und den Mund als Empfänger immer erst nach mehrmaligem Anlauf fand. Ich war so verwirrt, dass ich vergaß, an den Arschlochstellen auf Wolfgangs Bassgehämmer zu warten. Als die Musiker dann gemeinsam ihre geplanten 5 Minuten spielten, war klar, dass ich die jetzt stoppen musste, wenn ich mir „Das Miststück“ nicht in die Haare schmieren wollte. Wehe, wenn sie losgelassen!

Der Drummer wollte dann auch wieder einen durchziehen, während ich die Winzerinnen mit den Kraftausdrücken des Miststücks verschreckte.

Ich fand eine Möglichkeit, den Anblick der mittlerweile völlig verschmierten Astraltante zu umgehen – ich lernte, mal nach links und mal nach rechts zu sehen. Was ich heute noch im Genick spüre. Links die zwei Männer, rechts meine Großfamilie. Auf diese Seite sah ich nicht so gerne, denn da gab es immer eine gewisse Unruhe: Rolf, der seine Mutter davon abhielt, ihr Lied vom Lichtausmachen anzustimmen. Ich vermute, er hat sie vorübergehend mit der Perlenkette stranguliert.

In der Pause musste ich rauchen und trinken, den Blick meiner Tochter ertragen – also, echt, Mama – und das erste Mal in meinem Leben eine gewisse Scheu des Publikums gegenüber dem lesenden Autor feststellen. Ich war die, wegen der sie gekommen waren, und ich war die, die immerhin ein Buch geschrieben hat. Komisch.

In der zweiten Hälfte hat der Drummer nur noch Scheiße gespielt – mit rotem Kopf und ohne Rhythmusgefühl, dafür umso lauter und mit großer Begeisterung. Die Oma wurde unruhig, erklärte nun doch noch allen, dass das ihr Haus ist, in dem mal Benediktiner gelebt haben, die ganz genau gewusst haben, wo es sich leben lässt, und dass nun, bitte sehr, alle gehen möchten, weil sie jetzt abschließen wolle. Die Astraltante war plötzlich weg, und die Winzerinnen sind aus ihrer Starre aufgetaut. Sie haben sich sehr gefreut über den amüsanten Abend, haben je ein Buch gekauft, das ich signieren sollte (das erste Mal!!)

Und dann haben sie mir noch einmal die Frage gestellt, die mir schon die aioliverschmierte Betrunkene während der Lesung, mitten hinein, gestellt hatte:

Wie sind Sie denn zur Schriftstellerei gekommen?

Ich hatte mir vorher überhaupt nichts überlegt. Solche Fragen mussten ja kommen!

Keine Ahnung, habe ich gesagt, mit dreißig habe ich beschlossen, kein Frührentner zu werden und bin aus Österreich weggezogen. So fing alles an.