Erinnerungen an H.R. Fricker (1947-2023)

1980, zurück von Frankreich, wieder einmal in Basel – diesmal im letzten Haus der Stadt gestrandet – auf der Bahnpost Nachtschichten schiebend, und noch immer durch und durch romantisch auf einen Coup als Bahnräuber, oder doch lieber auf eine Existenz als Künstler hoffend, machte ich bei einer von Hans Ruedi Fricker initierten Kunstaktion mit.

Ich weiß nicht mehr genau, um was es sich drehte, aber wir schrieben uns Postkarten. Einmal, an das erinnere ich mich, schrieb er mir, dass er es „großartig finde, dass mein Name das feministische Programm enthielte“ : Nieder mit dem Mann!

Ich musste ihn da korrigieren. Es hieß nämlich: Nie der Mann (für was auch immer). So wollte ich es verstanden haben, und so passte es auch besser.

Es dauerte fast dreißig Jahre, bis wir uns live begegneten. Es war 2009 auf der Straße von Wald nach Heiden, kurz nach dem „Kaien“. Er brachte seinen Toyata Jeep neben mir zu stehen, und fragte, ob ich der „Berliner» sei, der gerade im Birli (in der Villa der Schlesinger Stiftung) wohnte, und ob er mich mit nehmen könne.
Ich lehnte ab, weil ich zu Fuß gehen wollte, aber wir unterhielten uns gut, mitten auf dieser einsamen Straße, er im Jeep ich auf dem Bordstein balancierend. Er versprach, mich zu besuchen.

Ich wusste, dass er ein Künstler war, einer der mit Sprache arbeitete, einer, dessen Arbeiten ich kaum verstand, aber der mich beeindruckte, einfach aus dem Grund, weil er sie machte. Und ich mochte ihn. Seine gute Laune, seine Freundlichkeit, seine Begeisterung für die Kunst.

So trafen wir uns hin und wieder. Er wohnte ja nicht weit weg. Einmal besuchte ich ihn in seinem Trogener Schulhaus mit meiner damals fünfjährigen Tochter Ella, und wir sahen zu, wie sie sich ein ganzes Kistchen Erdbeeren einpfiff.

Einmal kam er zu einer „Dichterstubete“ im Birli, nur um mir zu sagen, dass er leider nicht kommen könne. Dafür überreichte er mir einer seiner „Da“-Tafeln.

Eine Weile hing sie an meiner Tür wenn ich „da“ war, bis es mir zu blöd vorkam, und ich sie nicht mehr aushängte.

Er zeigte mir im steilen Friedhof von Trogen, das von den drei riesigen und schönen Mammutbäumen beschattete Grab seiner so jung verstorbenen Tochter, und sein eh schon trauriges Gesicht wurde noch etwas dunkler und trauriger.

Ein ander Mal zog er das Hemd aus, um mir die Operationsnarben an seiner Brust zu zeigen. Herzsachen. Herzinfarkte. All sowas. Er lächelte dabei.

Dann schlug er mich breit Facebook (Fazebok, wie er es nannte) beizutreten. Ich wollte nicht, aber er ließ nicht locker: „Ich hetze all meine Freunde auf dich!“
Okay. Dann war ich bei Fazebok und hatte innerhalb einer Woche etwa 250 „Freunde“. Das meiste waren Künstlernde. Sie schienen ständig irgendeine Banalität zu posten, und ich fragte mich eine Weile, wann sie denn ihre Kunst machten, und dann schloss ich das Ding wieder.
Für immer.

Ja, für immer.
Hans Ruedi Fricker starb am 6. Mai 2023 in Trogen.
Wird auch er im Schatten dieser schönen Mammutbäume liegen? Direkt neben seiner Tochter?
Ich hoffe es.
Da werde ich ihn besuchen.