Noblesse au spieß

Meine kleine Tochter lernt mit Messer und Gabel essen. Ich weiß. Spiessig. Aber ich bin nun mal einer. Ein Klassiker. Mir gefallen ihre Schwierigkeiten mit dem Arbeitsgerät. Wer die nicht meistert, meistert nichts.

Nun noch ein Gratis-Tipp. Falls Sie mal beim Adel zu Gast sind: Die Messer sind nur zum Schneiden da, niemals um die Gabel damit zu beladen.

«Das Verbotsgesetz ist eine Straftat»

Das Lieblingsmöbel der Österreicher ist der «Runde Tisch». Oben sitzt man beengt Ellenbogen an Ellenbogen, aber unten ist viel Platz für all die Sachen die man fallen lässt. Selbst der Film «Der Aufschneider» endet an einem «Runden Tisch», da sind sie wieder vereint, Freund und Feind, Betrüger und Betrogene, Demütiger und Gedemütigte, während draußen das Böse – in Gestalt von Piefkes und anderen Ausländern, das Weite sucht.

Gestern gab es auch wieder einen runden Tisch im ORF. Aktueller Anlass: Die beispiellose Verletzung des Redaktionsgeheimnisses durch die Justiz. Für die Machiavellisten unter uns: Tolles Anschauungsmaterial. Die Justiz entsandte als Diskutantin – die in diesem Fall völlig unbeleckte Wiener Staatsanwältin Marie-Luise Nittel, die außer: «Ich kann zu diesem Fall nichts sagen, da ich ihn nicht kenne» eigentlich nichts beisteuerte. Wäre vielleicht ein Grund gewesen, die Frage zu erörtern, warum sie überhaupt in der Runde sitzt? Aber wozu? Das macht – und das weiß hierzulande jedes Kind – keinen Sinn. Darauf gibt es keine Antwort. Und Macht ist eben Macht, und Macht zeigt man am Besten in der Missachtung der demokratischen Regeln. Und weil man doch, um Gottes Willen nein! keinen Konflikt wollte, spielten alle schön mit, und taten so, als wäre alles völlig normal.

Nun, so ist das hier.

Dann sagte die Frau Nittel doch noch was. Nämlich: «Es ist auch das Verbotsgesetz eine Straftat!»

Eigentlich würde man erwarten, dass Frau Nittel sich korrigiert oder zumindest ein Mitdiskutant nachhakt, die Moderatorin, ein Kabelträger, Kameramann, irgendwer. Aber nichts.

Also wird’s wohl stimmen. «Das Verbotsgesetz ist eine Straftat.»

Das mag dem Volksempfinden sehr nahe kommen.

Satori

Gestern überholte mich auf der Argentinierstraße ein etwa 10-jähriger Junge, er hüpfte an mir vorbei, vielmehr, er tat es in großen, raumgreifenden, lockeren Sprüngen, wie man sie eigentlich nur noch aus alten Filmen kennt (Die meisten Kinder können nicht mehr rückwärts gehen oder auf einem Bein stehen, geschweige denn in großen raumgreifenden Sprüngen eine abfallende Strasse runterlaufen.). Ich sah ihm zu und freute mich. Es war richtig klasse, wie er die steile Argentinier bewältigte, die Schräge nutzte um Tempo zu machen und es dann einfach laufen ließ.

Ich glaube, er hatte Satori.

Wie ich damals, als ich vom Piz Tomül (2945m) nach Thurahus (ca. 1600m) runterflog und keine 20 Minuten dafür brauchte. Es war das beste Gefühl der Welt. Ich ließ mich in ein steiles Geröllfeld hineinfallen. Ich ließ es einfach laufen. Riesensätze. Ich flog. Und alles machte mit einem Mal Sinn. Ich gehörte zur Welt. Alles war gut. Meine Füße konnten die anvisierten Steine gar nicht verfehlen. Ich war wie ein auf einem Geröllfeld tanzender Gott.

Ich kannte das Gefühl bereits. Als Handballtorwart. Unbezwingbar.

Die Zen-Buddhisten suchen ein Leben lang danach. Und wer es auch nur ein einzigesMal erfahren hat, weiß auch warum.

Ich hoffe, der Junge hatte es.

Jets

Man kann sagen, dass die Jets beinahe minütlich meinen Hinterhof queren . An machen Tagen nehme ich sie überhaupt nicht wahr, sie sind nicht mal zu hören, aber bei auffrischendem Westwind kündigt sich ihr Kommen mit einem tiefen Brausen an, das sich zu einem manchmal sehr hohen, beinahe schrillen Flugzeuggeräusch auswächst. Nun habe ich mein Bresser-Fernglas herausgeholt und sehe mir das eine oder andere an, und erkenne – da ich keine Ahnung von Flugzeugtypen habe, doch nur die Flaggen auf der Schwanzflosse. Meistens ist sie rot-weiß-rot. (Das wird auch den Ex-Kanzler Alfred «Die-Schwanzflosse-muss-Rot-Weiß-Rot-bleiben» Gusenbauer freuen)

In den achtziger-Jahren wohnte ich einmal eine Weile in Glattbrugg, nahe dem Flughafen Zürich. Die startenden Jets flogen direkt über unser Haus. Und genau über dem Haus verklappten sie das Fahrwerk, und wir konnten mit freiem Auge erkennen, wie es um das Profil der Reifen stand. Seltsamerweise hat mich das Gedröhn nicht ein einziges Mal gestört… Heute übrigens auch nicht.

Bekannt

In einem Pflegeheim in der Steiermark fliegt der Deckel vom Topf. Schwerste Misshandlungsvorwürfe gegen das Personal, das offenbar auch Sextäter gewähren ließ, so dass es zu Vergewaltigungen kam. Es gilt natürlich die Grasser-Vermutung (vulgo Unschuldsvermutung).

Dann las ich: «Nacktes, minutenlanges Stehen im Schnee». Das kommt einem doch bekannt vor, oder?

Aber eins ist klar: Es hat keiner von nichts etwas gewusst. Niemand hat etwas bemerkt. Es sind alle unschuldig.

Es soll welche geben, denen dies auch bekannt vorkommt.

Es lebe die Provinz!

Gestern wars auch wieder lustig. Der angesagte Aufstand der Eltern gegen die ÖVP-regierten Bundesländer, die das Schulwesen unter Kuratel ihrer Landeskaiser stellen wollen. Der Oberelternsprecher Gerald Netzl ist nun landein, landaus, mit dem Sprüchelein zu vernehmen, dass die stärkste Waffe der Eltern: «Der Kugelschreiber bei der nächsten Wahl!», sei.

Und dann, nächstens, in den Nachrichten, wurde er von der Sprecherin gefragt: «Das heißt also, die ÖVP in den Ländern abwählen?» Worauf hin Herr Netzl alle gefühlten 9 Hände von sich warf, und etwas in der Art: «Gott behüte, nein!» zum Besten gab.

Leider hakte die Moderatorin nicht nach oder ich konnts nicht verstehen, weil ich doch so herzlich lachen musste und auch schon müde war und mit dem schönen Gefühl schlafen ging: Es wird sich niemals was ändern. Alles bleibt wie es ist. Aus Untertanen werden keine Bürger. Da brauchts noch das eine oder andere Jahrhundert. Denn: So eine ÖVP abwählen, das geht nun entschieden zu weit. Es lebe die Provinz!

Klerikale Sprachbilder

Demokratie ist eine feine Sache: Jeder darf soviel dummes Zeug reden, wie er will. Auch ich. Eine feine Sache ist auch, dass die meisten Online-Zeitungen dem Leser ermöglichen, seinen geistigen Seim abzustreifen (auch mir). Man nennt es «posten». In der CH bedeutet «posten» oder «poschte» soviel wie «einkaufen, kaufen». Das Schöne an der Demokratie ist auch, dass die Sprache von jedem mühelos beherrscht wird. Denn: Es is eh wurscht, versteht doch jeder, was ich sagen will.

Heute zum Beispiel hat es ein Kommentator im «Standard» gewagt, die Papstreise nach GB nicht als den Erfolg darzustellen, als den die Kleris sie gerne sehen würden. Er verwies auf die sprichwörtliche Höflichkeit der Briten, die es ihnen verbietet, sich lauthals zu beschweren. Nun denn.

Ein Poster im «Standard» schrieb daraufhin: «Was auch immer der Papst sagt oder nicht sagt, die Antiklerikalen werden immer ihr Scherflein finden, das sie gegen ihn richten…»

Tja, ein Scherflein finden, und es dann noch gegen jemand richten? Das ist ein starkes Stück. Da könnte man sich richtig weh tun. Zumindest in der Birne. Hier, eins für die Kleriker unter uns: Ein Scherf, das war mal eine Münze. Und der Spruch: «Sein Scherflein beitragen» wird Luther zugeschrieben. Darum die Schwierigkeiten?

Aber das ist eben das Tolle an unserer gemütlichen, kleinen Demokratie: Es weiß jeder irgendwie, was gemeint ist. Oder?

Wer andern eine Grube gräbt, findet den ersten Wurm. So ist das eben.

Jimi

Als ich heute vom Geisteszentrum kommend, am Palais Schönburg vorbeiging, stieg gerade die Morgensonne hoch und ihr Licht fiel samtig und weich auf die Welt, auf die großen, alten Bäume des Schlossparks und die Schatten der Kronen waren lang und satt, und es war schön. Ein kühler Indiansommerwind strich durch die Blätter und niemand war da, der mich aufhielt um mich zu Gott zu bekehren, so dass ich mich einfach seiner Arbeit erfreuen konnte, und dann dachte ich an Jimi Hendrix, der vor genau 40 Jahren starb, und der diesen Morgen als 67-jähriger auch hätte erleben dürfen, das Rascheln der Blätter und das dichte grüne Gras, und den feinen Geruch nach Benzin. Aber er war zu schnell zu weit gegangen. Ich selber, habe Glück gehabt. Den entscheidenden letzten Schritt verweigert, jenen, nach dem es kein Zurück mehr gibt.

Hey, Jimi, schade, dass du dieses goldene Licht nicht mehr sehen kannst, das Rascheln der Walnussbaumblätter hören und die stillen Jets, die durch das wilde Blau schwimmen wie sanfte Fische auf ihrem Zug gen Osten.

Ich höre meinen Lieblingssong: «The wind cries Mary» und es ist auch der einzige von dir, den ich selber spielen kann. «If all the jacks are in the boxes, and the clowns have all gone to bed…» Schlaf gut!

Bees

Etwas, das man in der Schweiz selten bis nie, aber in Wien häufig antrifft, ist, dass Kunden im Supermarkt von anderen Kunden vorgelassen werden. Falls diese nur wenig Einkauf haben. (In den CH-Supermärkten gibt es Expresskassen. Bis zu 7 Artikeln.)

Ein schöner Brauch, möchte man doch meinen. Das berühmte «goldene Wienerherz».Die Fleischwerdung von Dylans Songzeile: If you see a neighbour carrying, help him with his load, jawohl, das Herz geht einem auf, man denkt gerne daran zurück, wie man auf sein Recht zugunsten eines Eiligeren verzichtete. Vor allem bei Alten, Schwangeren und Müttern mit Kleinkindern. Oder Keifenden, Stinkenden, Lärmenden und Betrunkenen.

Aber ich bleibe der alte Fiesling der ich bin: Ich gewähre gerne das Vortrittsrecht, nehme es aber nie an, und lehne den Vortritt mit höflichen Worten ab. Ich weiß, ich bin ein Schwein und verwehre einem Mitmenschen ein gutes, warmes Mitmenschgefühl.

Nur einmal habe ich das «Vorgehen» verweigert. Eine Schmock-Lady mit zwei Dosen Hundefutter in der Armbeuge. Sie hatte es eilig. Ihr Köter kläffte vor der Tür. Aber ich war der Meinung, dass wir hier in Wien, wo Hunde über alles gehen, den infernalischen Kläffsong noch ein bisschen genießen dürfen sollten. Wir alle. Wir goldenen, gutherzigen Schlangenindianer.

Ich glaube, der akkurate Wienerausdruck dafür lautet : Bees.

Parallelgesellschaft

Elternsprechtag (Wien): Von 14 kommen 6 Eltern zwischen 8 und 20 Minuten zu spät. Einige fummeln wie Teenager an ihren Handys rum. Die Lehrerinnen machen darauf aufmerksam, dass die Kinder pünktlich zur Schule kommen sollen. Zustimmendes Nicken.

Ich bin eine Parallelgesellschaft.