„Untermenschen»

„… und plötzlich liegt einem das böse Wort „Untermensch“ auf der Zunge; das ist er, so sieht er aus, er ist keine Erfindung der Nazis gewesen, es gibt ihn wirklich: roh, ungeschlacht, laut, unartikuliert, disproportioniert, Fleischmasse, aber nicht gut mütig in sich ruhend, sondern bedrohlich lauernd und gefährlich, rücksichtsloses Benehmen …“

Das schrieb Wolfgang Pohrt in einem Brief an Christoph Wackernagel über eine „Horde jüngerer Deutscher“ die in Straßburg in den Zug einstiegen.

Ich war überzeugt, dass er die Bauschlöcher meint, die seit fast 4 Jahren unter meinem Fenster herumlärmen und mein Leben vergällen.
Passen tut’s in jedem Fall.

Ich. Cringe.

Da schrieb ich doch bei „St. Gallen. Cringe.“ über die namentlich nicht genannte, aber gemeinte Punkband „Knöppel“ : «Auch Punk muss anständig sein. Und darf keine dummen Texte und schlechte Riffs haben.“
Das war natürlich ironisch gemeint, aber das mit den „dummen Texten und den schlechten Riffs“ nicht. 

Und das ist peinlich. Cringe. Denn ich urteilte über die Texte und die Riffs anhand von zwei drei Song-Zeilen, die man mir (und allen anderen) im Radio vorgeigte.

Aber ich wurde, dank eines Freundes und Kollegen, eines besseren belehrt. Wobei belehrt, der falsche Ausdruck ist. Er spielte mir einfach ein paar Songs vor.
Ja. Das war wild und brutal, das war anarchisch und obszön, roh und zuschlagend, sich nicht um die Meinung anderer kümmernd. Es war genau das, was man „Punk“ nennt. Und außerdem waren die Songs auch noch ziemlich komisch.

Ich lag falsch. Cringe.

Nun ja. St. Gallen bleibt St. Gallen. Und das ist durchaus als Drohung zu verstehen.
Und ich bin der Meinung, dass jene sogenannten weiblichen „Punkfans“ die sich bei richtigem Punk „unwohl fühlen“, sich doch einfach an den „Heintje-Wohlfühl-Nachhaltigkeits-Vegan-Punk“ halten sollten. Den gibt es ja auch …

In diesem Sinne: Knöppel aus dem Sack!

St. Gallen. Cringe.

Ende der 80-er Jahre war ich Mitglied und Operateur des KinoK59 (heute KINOK). Wir zeigten damals auch eine Reihe Filme aus Lateinamerika. An einen davon, erinnere mich gut. Nicht so sehr an den Inhalt, sondern an die Reaktion von Zuschauerinnen.

Es handelte sich um einen brasilianischen Film aus den Favelas von Rio. Eine Sequenz führte er uns vor, mit was sich die ärmlichen, geschundenen Bewohner behalfen, um wenigstens etwas Unterhaltung zu haben. Mit Schattentheater. Darin gab es eine kurze Szene, in der ein Mann, mit übergroßem, erigierten Penis eine vollbusige Frau verfolgt. Unter Lachen und Johlen der Zuschauer des Schattentheaters.
Auch im Publikum des Kinos gab es Gelächter, denn die Szene war grotesk und irgendwie komisch und unschuldig. Das sahen aber 3 „Szenefrauen“ der Zuschauenden nicht so. Sie erhoben sich sogleich, als hätten sie nur auf die inkriminierte Szene gewartet, und verließen mit empörten Ausrufen „Da isch schö denäbet!“ (Das ist total daneben) den Saal. Wobei sie noch etwas im Gang verweilten, und darauf zu warten schienen, dass weitere Empörtinnen ihnen folgen würden.
Sie blieben zu dritt in ihrer autoritären, kolonialistischen Spießerattitüde.
Denn es zählte ja nicht, ob sich die Armen der Favelas durch ein bisschen Unterhaltung von ihrer Lebensmühsal ablenken lassen konnten, sondern was die feministische Prüderie in St. Gallen dazu zu sagen hat.

Warum ich das erzähle?
Vielleicht weil mir die Sache wieder mal durch den Kopf gegangen ist, nachdem ich im Radio, am Vormittag notabene, darüber informiert wurde, wie „unwohl sich weibliche Punkfans bei einem bestimmten Punkkonzert gefühlt hätten.“ Und das man nun davon absehe, diese Band weiter, in ein von den Steuerzahlern finanzierten Veranstaltungsort zu laden.
Ja, so ist es. Auch Punk muss anständig sein. Und darf keine dummen Texte und schlechte Riffs haben.

Ich mag mir gar nicht vorstellen, was in der „Kinosache“ losgegangen wäre, hätte es damals schon Internet und die „Souschelmidias“ gegeben.
Und dann haben wir auch noch Western gezeigt! Zum Beispiel „The Wild Bunch“, mit soviel ausgelebter männlicher Machogewalt. Nur Mexikaner, die hingeschlachtet werden. (Die allerdings auch hinschlachten, aber halt keine Gringos sind).

Übrigens:

Ich liebe Symphonien, und war bei den „Salzburger Festspielen“. Ich habe mich total unwohl gefühlt, bei diesem zur Schau gestellten, breitarschigen Reichtum. Er ist einfach obszön, und eine Zumutung für einen armen Autor. Ich finde, man sollte zumindest darüber diskutieren, das Ding zu schließen.

Aber die Stadt St. Gallen hat ja die Lösung für alles schon in Petto:
Über der Stadt gibt es die „Drei Weiehrn“. Wunderhübsch und vor der Co-Edukation gegraben: Es gibt den „Männerweiher“, den „Frauenweiher“ und den „Für alle Weiher“.

Warum nicht in anderen Belangen auch so verfahren?
Ist doch eine gute Idee. Und so zeitgemäß, odrrrr?