Hoffnungsträger

Gegen Ende 1980er Jahre begann ich – nach einigen Monaten brutalsten Partyleben mit entsprechendem Abfuckpotential – mich wieder in Form zu bringen. Bedeutete, dass ich frühmorgens ein paar hundert Stufen von der Stadt St. Gallen zu den „drei Weihern“ hochlief-ging-schlich-kroch um alsbald ein paar Bahnen im „Manneweiher“ zu ziehen.

Es war kurz nach sieben und noch kein Publikum in den Wiesen. Außer ein paar alten Typen, die in Badehosen im Gras lagerten, wie ein Rudel Löwen. Manchmal stand einer auf, kletterte auf das 3-Meterbrett und zeigte uns einen absolut formvollendeten Kopfsprung. Perfekte Köperspannung. Und die Typen waren alle so um die siebzig. Und ich hatte gerade mal die dreißig hinter mir.

Sie hatten klasse, die Kerle, und wenn das Publikum zu nahen drohte, packten sie ihre Handtücher ein und verschwanden. Wie ich auch.
Ich war ihr Fan. Sie waren der Beweis dafür, dass man auch im Alter nicht kleinbeigeben musste, weder physisch noch mental. Ich erkor sie zu meinen Vorbildern.

Heute bin ich in etwa so alt, wie sie damals. Und ich weiß, das auch ich nun zu einem Hoffnungsträger für einige meiner Gym-Kollegen avanciert bin. Sie können alle sehen, was ein alter Körper noch zu leisten im Stande ist. Und sie sehen auch, dass es kaum einen jungen Körper gibt, der gleiches abrufen kann. Als würde man mit fortschreitendem Alter immer stärker werden. Was natürlich nicht so richtig stimmt. Aber ganz falsch scheint es auch nicht zu sein. Jedenfalls gibt es Hoffnung.

Und dass ich nun auch einer jener alten Kerle bin, die ich vor 35 Jahren bei den Weihern beobachtet und bewundert habe, und dass ich die Fackel weitergeben kann, macht mich doch ein wenig stolz. Ich finde, das darf es auch …