Outing

Auf einem Forum habe ich es gewagt mich als zart angehauchten Aficionado des Stierkampfs zu outen. Nicht schlecht, die Hasswelle, die man damit auslöst (sehr zivilisiertes Forum ansonsten).

Mit dem Stierkampf ist es ein bisschen wie mit dem Nahen Osten: Alle haben eine Meinung dazu, wenige wissen wirklich Bescheid.
Aber das ist es ja, für das wir hier im freien Westen kämpfen: Dass alle, auch von jeder Kenntnis befreit, mitreden dürfen.

Und völlige Ahnungslosigkeit dem Thema gegenüber zeichnet die Stierkampfgegner aus. Viele, gewann ich den Eindruck, sind auch noch stolz darauf. Sie verteidigen „die Kreatur“, nehmen sie in Schutz vor dem mordlüsternen, unfairen Mann mit der Muleta, während die Mutti in der Küche steht und ihnen das Schweinsschnitzel aus der Massentierhaltung paniert.

Interessant trotzdem. Warum wallt das Ösi-Blut so heiß auf, wenn es um etwas geht, dass so fern und selten und nie gesehen wurde?

Non si puede vivir sin opinón!

Vielleicht …

Wieder

Dass die Schweiz die Weitergabe von Munition an die Ukraine verbietet, und sich dabei auf ihren gehätschelten Fetisch Neutralität herausredet, ist erbärmlich.

Umzingelt von Freunden, die im Kriegsfalle, zuerst mal die Köpfe hinhalten, sich auf die Neutralität zu berufen, und Milliarden mit Waffenlieferungen zu scheffeln, das passt doch genau in das Bild, das sich das Ausland – zurecht – von diesem Land macht.

Dieses Bild war nicht immer richtig, aber jetzt schon. Wieder.
Das wird nicht ohne Konsequenzen bleiben …

Efcharisto poli! Odysseus

Falls mich jemand fragen würde, was mir der wichstige portable alltägliche Gegenstand ist, ohne den ich nicht auskommen kann, würde ich keine Sekunde zögern: Ohrenstöpsel.
Ich kann Leute, die ohne diese Dinger leben, nicht verstehen. Ich brauche sie des Nachts, im Zug, in der U-Bahn, für ein Nickerchen, manchmal im Gym auf dem Fahrradergometer gegen die Logorrhoe von nachbarlichen Mitmenschinnen. Stille ist besser als jede Musik. Und mit einem Stückchen Wachs, lässt sie sich, halbwegs, im Eigenbau herstellen.

Wer hat sie erfunden, die Stöpsel? Nein, nicht die Schweizer. Es war der Listenreiche. Odysseus. Er wandte sie zwar nicht bei sich an, denn er wollte, an den Mast gebunden, dem betörnden Soud der Sirenen lauschen. Aber er ließ die Ohren der Schiffscrew verstopfen, damit sie ihren Job machen konnten.

Efcharisto poli, Odysseus!

Überleben in der Bauschlochlokratie

Seit gut zwei Jahren bin ich ein Gefangener der Bauschlochlokratie. Ich kämpfe, sozusagen, um mein Überleben, ich fighte um meine geistige und physische Gesundheit. Die geistige betrifft das, was viele Kollegen als Arbeit bezeichnen würden, das Schreiben; die physische Gesundheit ist durch den täglichen, stundenlangen, mitunter infernalischen Lärm gefährdet. Blutdruck. Apathie. Wutausbrüche. Gehörschäden. Nervenschäden.

Was geschieht mit mir, mir, der von Gesetzes wegen dazu verdammt ist, diese Lärmhölle zu ertragen? Ja, von Gesetzes wegen. In einem Land, wie Österreich, wo rechte und sogenannte konsevative Politiker allen vorleben, dass was legal, auch legitim ist, hat einer wie ich keine Chance.

Es ist legal, ohne jede zeitliche Begrenzung, eine 80qm Wohnung einer Renovation zu unterziehen, eine Renovation, die nur unter Verwendung von Kangohammer und Fäustel – ich würde gerne das Wort „vorangetrieben“ verwenden, aber tatsächlich passend ist – „verzögert“ wird. Seit Juni. Ein Ende ist nicht in Sicht.

Wer mich mit einem Kangohammer vor ein Einfamilienhaus stellt, dessen Dachstock entfernt wurde, der würde in wenigen Wochen nur noch einen zerhämmerten Beton-und Steinhaufen vorfinden. Die Bauschlöcher über mir würden, zu viert, Jahre brauchen.

Nun gut. Was geschieht mit mir, unter dieser fortgesetzten Lärm-Folter? In mir wächst Hass. Ein Hass, der mich durch die Straßen begleitet, wenn ich den Gym, den einzigen Ort, wo gerade nicht gelärmt wird, besuche, und auf dem Weg dorthin nur stumpfgesichtige Bauschlöcher antreffe. Ausschließlich. Sie quellen aus Hauseingängen, aus Firmenautos, aus Taxis (wirklich!), aus Bussen, Supermärkten, SUVs, aus Kellern, aus der Apotheke.
Ohnmächtiger Schmerz gebiert Hass.

Ich bin soweit, dass ich über jeden Unfall auf Baustellen eine gewisse Genugtuung empfinde. Und ich würde, wie es so schön heißt, ein brennendes Bauschloch nicht mal anpissen um es zu löschen.

Ja, ich weiß: Sie können nichts dafür.
Aber was bedeutet das in einer Welt, in der niemand für irgendwas verantwortlich ist? Es ist der Computer, die Wirtschaft, der Ami, die Juden.

Was meinen Hass noch mehr entfacht, ist, dass sie mich dahin gebracht haben, überhaupt zu hassen.

Manchmal stelle ich mir vor, wie es sein wird, wenn irgendwann mal, in vielen, vielen Monaten, die Besitzerin dieser Wohnung eingezogen ist, und ich meine E-Gitarre voll aufdrehe, und sie herunterkommt um sich zu beschweren, und ich ihr sagen werde, dass ich zwar Schriftsteller bin, aber ich trotzdem keine Worte dafür habe, wie unendlich egal mir ihre Reklamation ist.

Krieg wird sein. Ganz legal.

Und dann denke ich an die armen Menschen in der Ukraine, die, falls sie diesen dreckigen Russenkrieg überleben, sie direkt, des Wiederaufbaus wegen, in der Bauschlochlokratie landen.

Tortur never stops …

Zu berücksichtigen

Jeden Tag klebt sich irgendwo, irgendwer an irgendwas fest. Nicht irgendwer, sondern sehr junge Leute der „Last Generation“. Ich verstehe das. Ich verstehe, dass ihnen Kunst und Kultur am Arsch vorbei gehen, wenn sie das Ende der Welt heran nahen sehen, hören, fühlen.

Diese Aktionen sind radikal und auch ein wenig lächerlich. Vor allem in ihrer Redundanz. Aber die Verzweiflung ist echt.

Wer jung ist, glaubt alles zu wissen. Ich glaube, dass das nicht nur meine Attitüde in meiner Jugend war.
Ich erinnere mich an Gespräche von 1968, 69, 70, als wir darüber sprachen, dass dieser Planet, und wir mit ihm, nicht mehr weit hatten. Das Atom, you know. Der Russe. Der Chinese.
Noch nicht mal Waldsterben damals, nicht mal saurer Regen, und das Ozonloch war noch ein unbekanntes Löchlein, das im Verborgenen wuchs.

Aber wir würden bald sterben. Soviel war sicher.

Inzwischen haben wir die gekippten Seen, das Ozonloch, den sauren Regen, die AKWs, das Atom, das Waldsterben irgendwie halbwegs im Griff.

Rückblickend seh ich mich und den fuckin Planet ,seit 66 Jahren, in der Krise.

Als ich mit meiner jüngeren Tochter darüber sprach, sagte sie: «Ja, das mag sein. Aber wir Jungen haben noch nicht die Erfahrung von vielen Krisen. Die Klimakrise ist unsere erste.“

Das ist zu berücksichtigen.



Apropos Dostojewski

„ Die Moral ist da, aber die Umgebung des „Tiefpunkts» wirkte eher grotesk. Es ergibt allerdings viel mehr Sinn, wenn man versucht, Dostojewski als buchstäbliche Groteske zu lesen, als hyperbolischen Spott über alle gesellschaftlichen Laster.
Der „Idiot» ist der Schlüssel zum Verständnis
von „Verbrechen und Strafe». Es ist die Geschichte eines Mannes, der an
etwas glaubt und seine eigenen Werte pflegt. Dieser Mann tritt in die
„gewöhnliche» russische Gesellschaft ein und wird von ihr erdrückt, weil
die Gesellschaft nicht anders kann. Persönliche Bestrebungen spielen
keine Rolle, denn Russland als Ganzes ist von Natur aus zerstörerisch.
Dostojewskis Tagebücher bekräftigen diese Sichtweise: ,Das Haupt- und
Grundproblem des russischen Volkes ist sein Bedürfnis, immer und
überall zu leiden, ewig und unerschütterlich». Wenn wir diese Sichtweise
akzeptieren, ändert sich die Hierarchie: Ja, es sind normale Menschen,
und es fällt uns leicht, sie als solche zu erkennen. Aber die höllischen
Umstände, in denen sie sich befinden, wurden durch ihre eigene
Handlungen und Entscheidungen geschaffen und aufrechterhalten.
Außerdem gibt es keine Wahl, die uns einen Ausweg bietet. Dostojewski
bietet uns die Verwirrung der Normalität. Es handelt sich nicht um eine
hegelianische Rechtsphilosophie, bei der das Erkennen der
Menschlichkeit hinter dem Verbrechen entscheidend ist. Im Gegenteil,
jedes Verbrechen ist technisch gerechtfertigt, solange wir uns daran
erinnern, dass ein Verbrecher auch ein Mensch ist. Irgendwie bietet der
russische Diskurs über die Kriegsanstrengungen in der Ukraine mehr als
genug Unterstützung für diese Interpretation.»

Und wer mag, kann auch den ganzen Text von Ostap Ukrajinez lesen. Erkenntnisgewinn gearantiert:

Könnte sein

Mein Urgroßvater war Schuster, Dichter, Anwalt. Er schrieb Gedichte, sammelte Bücher und starb mit 54 Jahren an Struma.
Seinen gesammelten Gedichten war ein Motto vorangestellt:
„Närrisch ist, was lebt auf Erden.
Wer’s nicht ist, kann es noch werden.“

Norman Mailer schrieb über seinen Kollegen Nelson Algren:
„ … Wenn ich sage, dass er … nie ein bedeutendes Werk schaffen wird, falls er nicht seine Eigentümlichkeit überwindet – jenen dämonsichen und unheimlich sentimetalen Humor, der für Algren so typisch ist und ihn von seinen eigentlichen Absichten wegführt –, nun, so erkläre ich dies,ohne davon überzeugt zu sein, dass ich ihn wirklich durchschaue. Von allen Schriftstellern, die ich kenne, ist er die Große Komische Nummer.“

Ein Freund von Algren sagte über ihn: „ … vielleicht hat er auch festgestellt, wie sinnlos es ist, eine Meinung zu haben, und infolge dessen die Gewohnheit angenommen, auf scherzhafte Weise das Gegenteil von dem zu sagen, was er dachte.»

Warum ich dies hier erwähne?
Seh ich mich selber hier gespiegelt?

Könnte sein.

Jerry Lee „Killer» Lewis 1935-2022

Vor einigen Tagen hab ich es endlich geschafft, mir das Buch „Hellfire“ von Nick Tosches zu beschaffen, und es, wie die anderen Bücher auch, morgens im Gym auf dem Fahrrad Ergometer zu lesen.
Ich bin noch nicht durch damit.
Es ist die wuchtige, fast im biblischen Stil verfasste Biografie von Jerry Lee Lewis, großartig, wie so ziemlich jedes Buch vom leider zu früh von uns gegangen Nick Tosches (2019).
Jetzt ist ihm das letzte große, wilde Rock’n’Roll-Animal nachgefolgt.
Weiß der Teufel, was die beiden in der Hölle nun anstellen.

Und jetzt? Bleibt uns nur doch der Vollkoffervolggsroggenbäcker Andreas Gabalier?
Es erwischt halt immer die Falschen. Fast immer.

Neues aus der Bauschloch-Ochlokratie

Hab ich doch neulich die Genialität der Bauschlöcher in der Wohnung darüber beschrieben und gelobt, da sie im Stande sind (seit Monaten) mit nichts als Kangohammer, Fäustel und Stemmeisen eine 80qm Wohnung zu renovieren, so hab ich heute die traurige Aufgabe Ihnen mitzuteilen, dass sie doch nicht so genial sind wie ich annahm. Denn – und jetzt kommt’s – heute mussten sie ihr geniales Werkzeugstrio erweitern. Und jetzt geht’s weiter mit Kangohammer, Fäustel, Stemmeisen … und … FLEX.

Tja, was soll man da sagen?
Der Mensch irrt, solang er strebt.
Aber sonst änder sich ja nix. Außer das wir etwas Abwechslung ins Lärminferno bekommen.
Ist ja auch nicht zu verachten, oder?