Jimi

Als ich heute vom Geisteszentrum kommend, am Palais Schönburg vorbeiging, stieg gerade die Morgensonne hoch und ihr Licht fiel samtig und weich auf die Welt, auf die großen, alten Bäume des Schlossparks und die Schatten der Kronen waren lang und satt, und es war schön. Ein kühler Indiansommerwind strich durch die Blätter und niemand war da, der mich aufhielt um mich zu Gott zu bekehren, so dass ich mich einfach seiner Arbeit erfreuen konnte, und dann dachte ich an Jimi Hendrix, der vor genau 40 Jahren starb, und der diesen Morgen als 67-jähriger auch hätte erleben dürfen, das Rascheln der Blätter und das dichte grüne Gras, und den feinen Geruch nach Benzin. Aber er war zu schnell zu weit gegangen. Ich selber, habe Glück gehabt. Den entscheidenden letzten Schritt verweigert, jenen, nach dem es kein Zurück mehr gibt.

Hey, Jimi, schade, dass du dieses goldene Licht nicht mehr sehen kannst, das Rascheln der Walnussbaumblätter hören und die stillen Jets, die durch das wilde Blau schwimmen wie sanfte Fische auf ihrem Zug gen Osten.

Ich höre meinen Lieblingssong: «The wind cries Mary» und es ist auch der einzige von dir, den ich selber spielen kann. «If all the jacks are in the boxes, and the clowns have all gone to bed…» Schlaf gut!

Bees

Etwas, das man in der Schweiz selten bis nie, aber in Wien häufig antrifft, ist, dass Kunden im Supermarkt von anderen Kunden vorgelassen werden. Falls diese nur wenig Einkauf haben. (In den CH-Supermärkten gibt es Expresskassen. Bis zu 7 Artikeln.)

Ein schöner Brauch, möchte man doch meinen. Das berühmte «goldene Wienerherz».Die Fleischwerdung von Dylans Songzeile: If you see a neighbour carrying, help him with his load, jawohl, das Herz geht einem auf, man denkt gerne daran zurück, wie man auf sein Recht zugunsten eines Eiligeren verzichtete. Vor allem bei Alten, Schwangeren und Müttern mit Kleinkindern. Oder Keifenden, Stinkenden, Lärmenden und Betrunkenen.

Aber ich bleibe der alte Fiesling der ich bin: Ich gewähre gerne das Vortrittsrecht, nehme es aber nie an, und lehne den Vortritt mit höflichen Worten ab. Ich weiß, ich bin ein Schwein und verwehre einem Mitmenschen ein gutes, warmes Mitmenschgefühl.

Nur einmal habe ich das «Vorgehen» verweigert. Eine Schmock-Lady mit zwei Dosen Hundefutter in der Armbeuge. Sie hatte es eilig. Ihr Köter kläffte vor der Tür. Aber ich war der Meinung, dass wir hier in Wien, wo Hunde über alles gehen, den infernalischen Kläffsong noch ein bisschen genießen dürfen sollten. Wir alle. Wir goldenen, gutherzigen Schlangenindianer.

Ich glaube, der akkurate Wienerausdruck dafür lautet : Bees.

Parallelgesellschaft

Elternsprechtag (Wien): Von 14 kommen 6 Eltern zwischen 8 und 20 Minuten zu spät. Einige fummeln wie Teenager an ihren Handys rum. Die Lehrerinnen machen darauf aufmerksam, dass die Kinder pünktlich zur Schule kommen sollen. Zustimmendes Nicken.

Ich bin eine Parallelgesellschaft.

Fragen über Fragen

Werden wir zwangsläufig im Laufe unseres Lebens zu Heuchlern? Darf man als Familienvater Drogen nicht mehr gut finden? Sie gar konsumieren? Muss man, weil man doch Zeuge wurde, dass der Stoff einigen nicht gut bekam, jetzt der Meinung sein, dass er schlichtweg des Teufels ist? Oder: ist es wirklich konsequent, wenn man Drogen für sich persönlich befürwortet, den Konsum auch seinen Kindern zu erlauben oder nichts dabei zu finden wenn sie bereits konsumieren? Muss ich als Fußgänger bei Rot warten, weil da auch ein Kind steht? Muss ich eigentlich ein Vorbild für alle sein? Und wenn ja, warum nicht? Muss man, nur weil man älter geworden ist, genau wie jene Spießer werden, die man verabscheut hat? Darf man nicht mehr besoffen auf dem Fußboden schlafen, nur weil die Kinder die zur Schule müssen, zu diesem Behufe über einen drüber steigen? Muss ich alles scheiße finden was Thilo sagte, nur weil er sich im ein oder anderen Punkt verrannte?

Fragen über Fragen. Come sempre. Ad infinem.

Vorgetäuschte Höhepunkte

Der österreichische «Skyrunner» Stangl soll nicht nur einen K2-Höhepunkt vorgetäuscht haben, sondern großo modo Kilmaxe simuliert haben. Oft verschafft der ORF, das österreichische TV, diesen Cheetern Kommentatorenplätze. («Austria is a too small country for make such good doping» Schröcksnadel, Präsident des ÖSV) Wer beim Dopen erwischt wird, der kommentiert. Scheint eine Begabung zu sein. Das Kommentieren. Bei Bescheißern. Ist irgendwie naheliegend. Schön, dass in Österreich Talente erkannt und auch gefördert werden.

Der Tod

Nachtrag zu gestern. Ich mag es nicht verhehlen, ich bin stolz auf meine Töchter. Als vor ihren Augen ihr Lieblingstier starb, da wurden sie von Schmerz überwältigt, sie klagten, weinten und heulten; aber sie hatten keine Angst, sie waren nicht schockiert vom Sterben, sondern nur sehr, sehr traurig. Heute gingen sie zur Schule. Immer noch traurig. So sollte es sein. So ist der Tod. Kein Grund sich zu fürchten.

Trauriger Tag

Heute vor sieben Jahren starb Johnny Cash. Der Zufall wollte es, dass ich damals, zusammen mit seinem Biografen, meinem alten Freund und Kollegen Franz Dobler, in St. Gallen war. Es war traurig und tröstlich.

Heute starb um 10 h 21 unser Zwergkaninchen «Fluffy». Wir waren alle, eher zufällig, zugegen. Es starb auf den Knien meiner Frau. Es ist sehr bewegend zu sehen, wie ein Lebewesen diese Welt verlässt. Wir weinten. Alle. Die Mädchen laut und klagend, die Erwachsenen nicht so.

«Meine Meinung zum Tod ist immer noch dieselbe. Ich bin strikte dagegen.» Woody Allen.

Ninth nineeleven

Nach schwerem Bein-Rücken-und Bizepstraining im Geisteszentrum, latsche ich auf dem Heimweg zwischen zwei Wachtürmen durch. Der eine, in Gestalt einer etwas wächsern wirkenden Frau in keinem Alter, spricht mich an. Die Welt geht unter, usw., und nur jene die ihrem Verein beitreten, haben noch eine Überlebenschance. Der übliche Religionskram. (Die Buddhisten mal ausgenommen.) Wir reden so ein bisschen. Ich bin immer gut gelaunt und gelassen, wenn ich mich ausgepowert habe, und sie fragt mich voller Erstaunen, ob ich denn nicht religiös sei? Ich bin Agnostiker, sage ich. Was ist ein Agnostiker, fragt sie? Sie sind religiös und wissen nicht, was ein Agnostiker ist?, sage ich. Nein, sagt sie unsicher. Na, dann tun Sie das mal googeln oder nachschauen, und dann reden wir weiter! Sie dreht ohne weiteres Wort ab.

Wir Agnostiker müssen den ganzen Religionskram der anderen ertragen. Sie bringen uns nicht den Respekt entgegen, den sie für sich selber einfordern.

Ein religiöser Fanatiker droht das heilige Buch der Muslime anzuzünden und die Welt verfällt in Agonie. Menschen sterben. Der Ankündigung wegen. Muslime wollen in New York jenem Gott ein Haus bauen, in dessen Namen -gleich um die Ecke- dreitausend Menschen ermordet wurden. Sie pochen dabei auf Recht und Freiheit. Müssten sie nicht auch dafür sein, dass der Verrückte den Koran abbrennen darf?

Darf man diese Frage stellen, ohne dass der zum Genozid aufrufende Despot in Teherean die wütenden Maßen aufmarschieren lässt?

Migrationshintergrund

Ich habe Migrationshintergrund. Das wird mir immer wieder bewusst, wenn ich Zeitung lese oder Nachrichten sehe. Und daher habe ich größte Schwierigkeiten mich zu integrieren. Das sind Fakten. Vermutlich werde ich eines Tages abgeschoben werden, obschon ich hier Familie habe. Aber es geschieht mir recht, denn ich kann mich einfach nicht anpassen. Die Sitten meines Herkunftslandes haben mich, unauslöschlich, geprägt.

Z.B. habe ich nicht zu verstehen gelernt, warum man Dinge -die erwiesener Maßen nicht funktionieren, nicht einfach ändert? Es wird mir äußerst schwer fallen, mir meine Pünktlichkeit abzutrainieren und nach Landessitte andauernd zu spät zu kommen. Oder meinen Grundsatz, nicht wortbrüchig zu werden, die Donau runterzuspülen. Weiters bekunde ich Schwierigkeiten im Leugnen von eigenen Fehlern, so wie ich diese Fehler nicht anderen in die Schuhe schieben mag. Ich sehe mich auch nicht permanent als Opfer. Zudem halte ich mich nicht für ein Genie. Oder erzähle der Welt, dass ich den K2 bestiegen hätte. Ich halte Erwin Pröll nicht für einen Landesvater, sondern nur für einen megalomanischen, autoritären Choleriker der in meiner alten Heimat eine politische Halbwertszeit von einer halben Stunde hätte.

Nun, das sind ein paar Punkte, an der die Integration immer wieder scheitert. Es gibt noch viele andere. Es fällt mir sehr schwer, mich anzupassen. Selbst nach so langer Zeit. Auch meine Kinder werden nicht in landesüblicher Manier erzogen. Sie sehen es: Ich lebe in einer Parallelgesellschaft.

Michel, mon vieux ami

Ich bin verschnupft. Mit Rotz zugemüllt. Bis oben hin. Ich lese wieder mal Michel de Montaigne, den Burschen aus Bordeaux, meinen Favoriten im Rennen. Der gewinnt alles. Seht her:

«Die Sprache, die ich liebe, ist einfach und natürlich: auf dem Papier nicht anders als aus dem Mund; eine Sprache voller Saft und Kraft, kurz und bündig, weniger geschniegelt und gebügelt als unverblümt und ungestüm;…fern aller Geziertheit, gewagt, …nicht schulmeisterlich, nicht pfäffisch, nicht advokatisch, sondern soldatisch…»

Und das kam einige hundert Jahre vor Hemingway, Bukowski, Ray Carver, Jürg Federspiel… und auch meiner Wenigkeit…