Jeder Tag ein Sonntag

Ein Dienstag wie ein Sonntag. Eine Woche wie ein Sonntag. Ein Monat Feiertag. Ein Jahr lang Sonntag. Ein Leben lang? Das wäre ein Renner. Und eine Wohnung im «Hundertwasserhaus», das hier Abertausende für Architektur halten. Wiener sein, und in Mödling wohnen. Und alle Tage Sonntage. Das wär’s. Dafür lohnte sich noch zu leben.

So, ich begebe mich an den Herd und produziere äußerst aufwändig «Spätzle» aus Dinkelteig. Mit einem Hauch Zimt. Und schon bald naht, mit Riesenschritten, die Zeit, die erst am 7. Januar ihr Ende findet. Die fürchterliche Einöde der «Festtage», die Redundanz at its best, alle Jahre wieder, derselbe abgestandene Seim den sich alle mit Punsch schönsaufen und glauben möchten, es sei Ambrosia, dabei ist es nichts anderes als die zum Himmel stinkende Unfähigkeit eine überkommene Scheusslichkeit in den Orkus zu spülen.

Aber die Spätzle werden sehr gut werden…

Passt mir nicht

Der Schriftsteller Harry Mulisch ist tot. Ich habe keines seiner Bücher gelesen. Ich könnte es nachholen, wenn ich wollte. Aber er sagte etwas, dass mir nicht gefiel, etwas, das viele erfolgreiche, reich gewordene Autoren in die Mikrofone diktieren: «Ich würde auch schreiben, wenn ich damit keinen Erfolg hätte.»

Daniel Kehlmann sagte es auch. Das passt mir nicht. Ich frage mich, warum sie es sagen? Wollen sie uns versichern, dass sie keine Hochstapler sind? Dichter, die nur so tun, als würden sie mit Blut schreiben, derweil ihr Füller mit billiger roter Tinte gefüllt ist? Dass ihre Lügen nicht vom Herzen, sondern aus der Buchhaltungsabteilung ihrer Schreibfirma strömen?

Der große amerikanische Romancier Raymond Chandler sah die Sache völlig anders. Er wollte gewissermaßen ein Amateur bleiben, jederzeit in der Lage, mit dem Schreiben aufhören zu können. Falls es ihn zu ruinieren drohte. Und leicht hatte er es nicht. Er hockte irgendwann, nach einer abverreckten Karriere als Manager einer Ölfirma, in Hollywood und schrieb an Drehbüchern idiotischer Geschichten, wie «Der Fremde im Zug» von Patricia Highsmith, Stories, die sein Gespür für Charaktere und und seinen Sinn für Kausalität beleidigten. Auch John Fante erschrieb sich seine Miete mit Drehbüchern, und seine wunderbaren Romane wurden erst entdeckt, als Charles Bukowski die Trommel dafür schlug. Aber da lag Fante bereits schwer zuckerkrank und blind im Hospital und diktierte seinen letzten Roman.

Charles Willeford, der seinen Durchbruch kurz vor seinem Tod mit den 4 Hoke-Mosley-Kriminalromanen hatte.

Vielleicht ist Schreiben ein Laster.

Im wunderbaren, kleinen Film «Pofonok» von Men Lareida, wird uns die Welt von ungarischen Preisboxern nahe gebracht, der hermetische Kosmos von Jungs, die täglich in den Gyms trainieren und auf Kämpfe hoffen, auf Einladungen aus Wien zum Beispiel, um sich so den einen oder anderen Schein zu erkämpfen. Es sind Kämpfe, die sie nicht gewinnen werden. Bleiben sie auf den Beinen (und das werden sie!), verlieren sie nach Punkten gegen einen oft schlechteren Mann, der sein Heimpublikum im Rücken hat. Das alles hat nichts mit dem Klitschko-Fernsehboxen-Gedöns zu tun. Aber der Schmerz ist echt. Und auch das Blut und der Schweiß, die mitunter bis in die Bierbecher der Zuschauer spritzen.

Ich glaube, ich werde keines der wichtigsten Bücher von Harry Mulisch lesen.

Elegie an Halloween

«Ich spucke auf das Edle und auf jene, die es in nichtiger Weise bestaunen, wenn es keine Lust erzeugt.» (Epikur)

Ich schätze mal, dass ich der einzige Mensch in diesen Breitengraden bin, dem die Redundanz des Literaturbetriebs auf die Nerven fällt. Kaum zappt man sich mal in eine Lit.-Sendung ein, so fallen auch schon die gängigen Namen, jene, die einem auch schon ins Auge sprangen, als man die Zeitung aufschlug. Aber hier steht natürlich der Neid Pate, und im Grunde weiß ich, dass es mir noch mehr missfallen würde, wenn dort Bücher von Autoren besprochen würden, die mir schwer am Herzen liegen und deren Werk ich bewundere. Es ist dann ein wenig so, als müsste man einen hart ausgebuddelten Schatz plötzlich mit 10000 zufällig vorbei stolpernden Spaziergängern teilen. Das gefällt mir ebenfalls nicht. Man sieht: Es st nicht ganz einfach.

Dann geh ich ins Netz und werfe einen Blick auf die Heimseite des Gesichtsbuchs und dort erhascht mich ebenfalls der Neid und dann der Depro, und ich weiß nicht mal warum. Vielleicht weil da überhaupt nichts drin ist? Nichts, außer dem vielstimmigen elektronischen Gewisper, dem Geräusch das atomisierte Partikel erzeugen, wenn sie zwischen Null und Eins hin und herflickern. Vielleicht. Normalerweise begeb ich mich dann auf den Weg ins Geisteszentrum, aber heute ist trainingsfrei. Der HImmel ist grau, und der Wind hat der Linde bereits das letzte Blatt vom Ast gerissen, und dann lese ich noch, dass der Schauspieler Bruno Ganz fürchterliche Angst vor dem Tod hat. Das wiederum finde ich gut. Aber warum ich das tue, weiß ich auch nicht so genau, nur diffus, wie so viele andere Dinge. Ja, das Diffuse. Diese Gefühle. Empfindungen. Abneigungen. Verletzungen. Versagte Anerkennung. Mannsein, jawoll, warum nicht?

Denn ich lese wieder mal Nick Tosches Buch «Muddy Waters isst selten Fisch», Artikel, Reportagen, Interviews, ein Autor für den mein Herz schlägt wie kaum für einen anderen, und der in «Ödipus Tex» eine Männergruppe schildert die in einem Camp ihre Männlichkeit sucht, ja nachgerade Erlösung, und er, der Reporter Tosches, ihnen seine Story eines akuten Impotenzanfalls auftischen wollte, und dann von anderen die allertraurigsten Geschichten zu hören bekam, dass er, der coole Tosches um sie weinen wollte. Weinen um diese Männer, die von ihren Vätern vergewaltigt, zum Spaß erhängt, gedemütigt, geschlagen, verprügelt wurden; und später, als sie dann selber Väter waren, der Vater daherkam und  ihre Tochter vergewaltigte. Tosches: «Um manche diese Männer möchte ich weinen. Ich kapiere nicht, warum sie ihre Väter nicht umgebracht haben. Andererseits weiß ich aber auch nicht, wie das ist, wenn man fühlt, was sie gefühlt haben.»

Mehr Mitgefühl ist nicht möglich.

Somit wären wieder am Anfang. Nick Tosches Bücher werden hierzulande keine Renner. Sorry, Nick, aber das ist mir nur recht. Aber mein Freund Dobler liebt ihn auch. Er hat sogar das Nachwort dazu geschrieben.

Und außerdem ist «Hello Wien», und meine kleine Tochter hat beim Versuch «Grufties» zu sagen, einen neuen Ausdruck kreiert: «Knuffties». Yeah!

Spiegelbilder

«Da wandte ich mich, zu betrachten die Weisheit und die Tollheit und die Torheit.» (Prediger Salomo 1.2.12)

Die Spiegel im Geisteszentrum lügen. Sie schmeicheln mir. Sie zeigen mich aber genauso, wie ich mich fühle: Größer. Schlanker. Muskulöser. Stark. Für mein Alter in Topverfassung. Ich traue ihnen nicht. Denn ich schätze, Spiegel die mich (und die anderen), kleiner und dicker erscheinen ließen, wären dem Geschäft abträglich. Aber es besteht die Möglichkeit – sie ist nicht allzu groß, zugegeben -, dass alle anderen Spiegel lügen, jene, die mich nicht so vorteilhaft aussehen lassen. Immerhin fühle ich mich genauso, wie ich im Spiegel des Geisteszentrums reflektiert werde. Schwierig. Irgendwie. Denn wir sind nicht in der Lage uns von außen zu sehen, und selbst das Kameraauge lügt, und produziert letztendlich eine Vorstellung des Fotografen. Bildern ist nicht zu trauen. Bilder sind Abbilder.

Aber ich glaube sowieso nur ans Schreiben.

Lernt kochen

«Ist’s nun nicht besser für den Menschen, dass er esse und trinke und seine Seele guter Dinge sei bei seinem Mühen? (Prediger Salomo 2.3.24)

Gefängnisrevolten im Film, und vielleicht auch in Wirklichkeit, nehmen ihren Anfang in der Kantine. Einer meckert über den Fraß, und los geht’s. Wenn das Fressen nicht stimmt, stimmt in Gemeinschaften – freiwilligen oder erzwungenen, nicht mehr viel. Wenn in Kindergruppen, in Horts, Ferienlagern und All-inclusive-Hotels Konflikte ausbrechen, werden sie meist über das Essen artikuliert. Essendiskussionen sind das untrügliche Zeichen dafür, dass der Wurm drin ist. Wenn der Fraß in Ordnung ist, ist (fast) alles in Butter.

Das ist interessant, und nicht verwunderlich. Aber ich sage nicht warum… Lernt kochen.

Irischer Dichter

«Alles Mühen des Menschen ist für seinen Mund, aber sein Verlangen bleibt ungestillt.» (Prediger Salomo, 6.7.7)

Als ich mich heute, schwer beladen mit leeren Flaschen, zum Elisabethplatz begab, wo ich mir die letzten Zeugen meiner seichten Ausschweifungen vom Hals schaffen wollte, dachte ich bei mir: Es wär doch fein ein irischer Schriftsteller zu sein. Als Andrew McNyman, genannt «Andy the drinking eye», würde ich launige Stories über mein launiges Leben als trinkenden, rauchenden, musizierenden und ewig Berauschten zum Besten geben; dort drüben, im Pub, wo ich mich in aller Ruhe süß vergiften würde, und derweil den schönen Ladies auf die Hintern kucken.

Aber es ist nicht, wie ich es will. Dafür sah ich ein paar Möbelpacker, die nach den Regeln der Kunst einen Laster beluden, und da musste ich daran denken, dass ich selber mal ein solcher Kerl war. Es war eine gute Zeit, mit gutem Geld für harte Arbeit, und der Einsicht, dass sich kaum je mal einer verbesserte, sondern fast alle von Groß nach Klein umzogen, und dass sich niemand einzubilden brauchte, er sei ein Individuum und etwas einzigartiges, denn die verdammten Steckdosen waren in allen Wohnung am gleichen Platz, links und rechts, wo die Nachtkästchen zu stehen kamen. Ich vermochte nicht mehr einzusehen, warum die einen ihren Krempel aus der einen, und die anderen ihren aus der anderen Wohnung schleppen ließen, denn sie besaßen fast idente Sachen, wobei der eine ein Klavier hatte, und der andere eine Topfpalme aus Hartgummi.

Aber ich war jung und schön und stark und hatte Geld in Taschen und mächtigen Appetit. Auf alles und jede.

Zum Teufel mit den irischen Dichtern!

Zahnbürsten, Sekt und Koffer

«Weil das Urteil über böses Tun nicht sogleich ergeht, wird das Herz der Menschen voll Begier, Böses zu tun.» (Salomo, 7.8.11)

Als Autor und Verleger von Poetry bin ich, fast möchte man sagen naturgemäß, sehr reich. Und ich werde immer reicher. Aber da ich meinen Erfolg nur mir selber, meinem Geschick, meinem Genie und meinem Fleiß verdanke, verspüre ich keine rechte Lust dem Staat davon etwas abzugeben. Steuern sind gut, ja, aber warum soll ich sie zahlen? Ich krieg auch kein Arbeitslosengeld, wenn mal nichts läuft, oder?

Nun, ich habe ein kleines Köfferchen. In dieses Köfferchen tu ich mein Geld, und fahre damit nach Liechtenstein. Manchmal auch in die Schweiz. Ich gebe dieses Köfferchen meinem Mann des Vetrauens, einem gewissen Herrn «IchmachdasschonfürSie», und wie sein Name schon sagt: Er macht es für mich.

Es ist schon vorgekommen, dass irgendwas schief läuft. Undichte Stelle bei der Bank oder korrupte, geldgierige Datenverkäufer unter den Mitarbeitern usw., und dann hab ich ein Problem. Kein großes, den hier ist Österreich. Steuerhinterziehung ist kein Pappenstiel, oh, no Sir, das kann Knast bringen. Aber auch nur, wenn man blöd und/oder arm ist. Aber das trifft ja auf mich nicht zu. Wenn’s denn nicht mehr anders geht und der Hut brennt, mach ich eine Selbstanzeige. Dann zahl ich halt die Steuern. Das war’s. Und wenn ein Dieb im Supermarkt erwischt wird, gibt er einfach die geklaute Zahnbürste und den Sekt zurück, und man lässt es auf sich beruhen. Man kommt nicht in den Knast und wird dort von Schwerkriminellen durchgefickt und geschlagen. Das Blöde ist halt nur, dass das zweite nicht funktioniert. Denn schließlich haben wir Knäste, und die müssen auch belegt werden. Man denke nurschon an die Arbeitsplätze, oder?

Aber es muss einmal gesagt sein: Es ist ein gutes System. Da gibt’s nix zu husten. Es ist gut zu mir, jedenfalls. Aber ich habs auch verdient. Ich bin schließlich kein armes Schwein, dass es nötig hat, eine Zahnbürste zu klauen. Und wozu so einer auch noch Sekt saufen muss? Hätt er halt nicht geklaut, dann wär er auch nicht vergewaltigt worden. Oder?

Tja.

Nationalfeiertag! Lasst uns die Füße vertreten

«Die Weisheit macht den Weisen stärker als zehn Gewaltige, die in der Stadt sind.» (Prediger Salamo 6.7.20)

Heute ist österreichischer Nationalfeiertag. Gefeiert wird der Beschluss des Bundesverfassungsgesetzes über die österreichische Neutralität. Ein Tag, wie geschaffen um sich die Füße zu vertreten. Zumindest in Wien. Wie der 1. Mai. Aber seit der sozialdemokratische Bundeskanzler Gusenbauer in einen «Kronenzeitungs»-Reklameanorak gewandet, in Kitzbühl beim «Hahnenkamm» auf der Tribüne die Federn spreizte, mag ich den 1. Mai nicht mehr so richtig begehen. Stattdessen gönn ich mir, und den Kindern (so sie willens sind), den Staatsfeiertag. Wir pilgern zum Heldenplatz und ziehen uns die scharfe Heeresschau rein. Dort habe ich letztes Jahr meinen ersten «Eurofighter» gesehen. Und ein Schweizer, dessen Vater die Schneiderei in einem Zeughaus leitete, hat seit frühester Kindheit ein inniges Verhältnis zu herumstehendem, und auf Hochglanz poliertes, Kriegsgerät. Am Liebsten war mir die 150mm Haubitze. Ich mochte es, in ihre Mündung zu blicken und die eingefrästen Rillen des gedrehten Laufs zu berühren.

Ich halte diese Heeresschau am Nationalfeiertag für eine Schrulle. Man würde so eine Aktion eher den Eidgenossen zutrauen, deren Armee, bis vor Kurzem zumindest, die heiligste aller Kühe war. Aber die lassen’s an ihrem Nationalfeiertag am 1. August nur krachen, und feiern damit einen nicht genau datierten Brief, der den Bund von 3 Minikantonen besiegelte. Nicht etwa die Bundesverfassung von 1848, die die moderne Schweiz begründete. Aber wer möchte in der Postmoderne denn noch modern sein? Und vorher schon gar nicht. Patrioten sind nicht modern. Patrioten wollen Emotion, und Emotion ist niemals modern.

Sei’s drum. Vielleicht machen wir auch einen kleinen Abstecher ins Zelt der «Grünen». Die haben mit dem Heer nur die Tarnfarbe gemein.

Kohelet

Heute Morgen habe ich mir mal wieder eingeschenkt. Im Geisteszentrum. Hartes Training. Hohe Intensität, keine Pausen. In der Garderobe hätte ich beinahe in den Spind gekotzt. Der Kenner weiß nun, dass ich mir ein wirkungsvolles Training gegönnt habe. Wer danach nicht kotzt, ist nicht richtig aus sich rausgegangen. (Achtung, Kalauer)

Als ich nach Hause ging und das Palais Schönburg passierte, schritt ich über glitschiges und gelb-braunes Ahornlaub. Ich erinnerte mich augenblicklich an meine Schulzeit. In den Herbstferien zogen wir los und sammelten Walnüsse auf der «Höhenmatte». Manchmal halfen wir etwas nach, und ballerten die Nüsse mit Stecken runter. Dann gingen wir nach Hause, breiteten sie auf dem Dachboden auf Zeitungen aus und ließen sie trocknen. Kiloweise. So war das. Das Telefon war aus einem Material das Bakelit hieß und war im Flur auf eine Holzplatte festgeschraubt. Für den Hörer brauchte man einen Waffenschein, so schwer und hart war der. Und in der Wählscheibe konnte man sich einen Finger brechen. Das Benutzen dieses Dings war so teuer, dass man es nach einer Reise in die nächste Stadt nur zweimal klingeln ließ. Damit wussten die Zuhause gebliebenen, das alles in Ordnung war. So war das.

Seltsames Leben.

«…es ist alles ganz eitel. Was hat der Mensch für Gewinn von all seiner Mühe, die er hat unter der Sonne? Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt; die Erde aber bleibt immer bestehen.» (Prediger Salomo)

Immerhin. Das ist schön.