Der Knobelpreisträger

Heute entbrannte in der Redaktion eine heiße Diskussion. Schuld daran war der verstorbene Günther Grass. Aber eigentlich war unser Redaktionsoldie der Auslöser.
Knurrig nahm er die TV-Berichte über den Tod von Grass zur Kenntnis, die Würdigungen von Kollegen und Fastkollegen.
„Niemand sagt was gegen ihn. Keine und keiner“, murrte er, und Pepita, unsere 17-jährige Türsteherpraktikantin ätzte nur: „Who the fuck, ist dieser krasse Grass?“
„Danke, Pepita!“, sagte der Oldie erfreut. „Ja, wer war der krasse Grass eigentlich?“
„Meine Rede“, sagte Pepita. „Wer?“
„Ich weiß es“, mischte sich die Lady, die unser Crystal Meth Schälchen befüllt, ein. „Ein Knobelpreisträger.“
„Du meinst wohl Nobelpreis …“, warf jemand aus der hinteren Reihe ein.
„Kennst du Knobelbecher?“, fragte unsere Lady, die gerade mit ihrem Bajonett einen neuen Plastiksack mit Meth aufschnitt. Ihr Ostakzent war nicht zu überhören.
„Knobelbecher? Nie gehört.“
„Aber ich schon“, sagte die Lady. „Meine Familie kommt aus Galizien. Da kennen alle noch Knobelbecher.“
„Das war jetzt unpassend“, sagte ich. Alle sahen mich verständislos an, bis auf die Lady, die ihre linke Augenbraue lupfte, was sie für einen Augenblick wie Sonja Zietlow aussehen ließ. Aber niemand bemerkte es. Voll unwissend, der Redaktionshaufen!
„Weißt du, was Dürrenmatt über Grass gesagt hat?“, nahm unser Oldie den Faden wieder auf.
„Ja“, sagt ich. „Aber lass stecken. Der Mann ist tot, die deutsche Nation in Trauer. Ein bisschen Respekt, bitte!“
„Ja, Chef, sehr wohl Chef, wie sie wünschen, Chef! Ich sags aber trotzdem: Dürrenmatt soll gesagt haben, dass ihm der Grass für seine dicken Bücher zu wenig intelligent sei.“
„Und das findest du jetzt passend?“, sagte ich mit einem strafenden Blick – oder sowas. „De mortuis nil nisi bene.“
„Jo mei“, fing der Oldie zu bayern an,“jetzt kommst uns mit deinem humanistischen Griechenquatsch …“
„Latein“, sagte ich kalt, um ihm den Wind aus den Segeln zu nehmen.
„Trotzdem: Die Bücher sind zu dick. Dürrenmatt hatte recht. Und falls dich mal nach einer guten Prosa gelüstet, hab ich eine Empfehlung für dich …“
„Nämlich?“
„Dürrenmatt.“
„Dürrenmatt, Dürrenmatt? War das nicht der Lover vom Frisch?“, meldete sich Pepita, die sich bereits wieder zu langweilen begann und versuchte mit ihrem Handy die Site eines Kampfsportartikelladens zu öffnen.
„Diese Jugend, diese Jugend“, stieß der Oldie aus. „Alles voll vergendert und verhomosexualisiert. Wo soll das alles noch hinführen?“

Und so gings dahin. All day long. Irgendjemand sollte auch mal was arbeiten. Sonst brauchen wir selber bald mal einen Knobelpreis. Wegen der Miete … und so.

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