Dichtestress

Österreich ist schön. Sagt man. Die Schweiz ist schön. Sagt man ebenfalls.
Österreich ist lang und keulenförmig. Die Schweiz sieht aus wie ein Rechteck, an dem hungrige Murmeltiere genagt haben. Oder die Ziegen vom Geißenpeter.
Wenn man mit dem Zug von Wien nach Zürich fährt, hört die Schönheit nach Wien-Hütteldorf auf. Und sie fängt nicht wieder an. Nicht mal in Buchs. Nur wenn man am Walensee entlang gurkt und hinüber nach Amden blickt, ein Ort, der immer noch am besten mit dem Schiff zu erreichen ist, zieht eine gewisse Ruhe ins Gemüt.
Sonst habe ich eher Dichtestress. Im Zug. Im vollen Zug.
«Dichtestress», ist das Wort der Stunde. In der Schweiz.
«Dichtestress» ist, wenn einem die vielen, an allen Orten und Ecken angehäuften Mitmenschen auf die Nüsse gehen. Ein Begriff – wie man hört – aus der Verhaltensbiologie. In Wien wird man den Begriff nicht verstehen. Zumindest nicht in diesem Zusammenhang, denn hier fällt einem der Mitmensch, insofern es sich nicht um einen Hund handelt, auch so, ohne «Dichte», auf die Nerven.

Ich bin äußerst anfällig für Dichtestress. War ich schon immer. Ich bin wie Georges Brassens der Meinung: «Ab 4 Leuten wirds ein Deppenhaufen.»
Und darum lebe ich in einer Millionenstadt. Hier ist es ruhig. Ruhiger als zum Beispiel in den Schweizer Bergen, wo man permanent Autobahnen, und meistens noch den Helikopter hört.
In einer großen Stadt weiß man, dass viele Leute viel Krach machen, und darum hat man die Häuser in Blöcken um Hinterhöfe herum gebaut.

Die Schlangen in den Supermärkten Wiens sind lang. In einem Schweizer Migros würden sie beim selben Andrang 7 Kassen neu besetzen. Hingegen ist in Wien an Vormittagen die «Oldie»-Dichte, mit ihren Quatrierversammlungen vor dem Brotregal, etwas geringer. Aber Dichte schon. Auch hier.

Ja. Die Schweiz ist voll geworden. Jährlich sollen, so liest man, bis zu hundertausend Personen einwandern.
In den 60-er, 70-er und 80-er Jahren war die «geistige Enge» Helvetiens unter Intellktuellen, Künstlern und Autoren ein Thema. Nun ist es die physische. Der Geist hat in die Globalisierung gefunden. Zu 73 %. Oder so.
Und es ist ja wahr. Kein Bergpass mehr, auf dem nicht Horden von bonbonfarbenen E-Bikern die Bergetappe mit Champagner beprosten, kein Zug (von 6-10 Uhr), der nicht überfüllt und verlärmt ist, keine Badi wo noch ein Tschüppel Gras zu sehen wär, kein verdammtes Brunchbuffet auf einem Bergkulm das nicht von Wapplern, wie von Fliegen über der Scheiße, umschwärmt wäre. Ist ja alles wahr.
Schlechte Zeiten für Dichtestressiker. Und sie werden nicht besser. Wie der Klimawandel unaufhaltsam voranschreitet, so wirds unaufhaltsam eng im schönen Land-Käfig. Die Schweiz ist nur noch was für Oligarchen und schmierharte Typen wie Josef Ackermann. Das passt nicht allen. Und dass man es jenen, die neu hinzukommen wollen, anhängen will, versteht sich für die Rechten von selber. Sieht ja auch logisch aus. Wenn die Neuen aus der EU nicht mehr kommen, dann ist es auch nicht so voll. Nur stimmt das nicht.
Zumindest hab ich da meine Zweifel.
Es kann auf einem Fußballfeld auch für 4 Leute eng werden, wenn man 22 Villen darauf baut.

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