Unterwegs mit Harthelm

Ich ging mit Harthelm Zonder, dem Akkordeonisten von «The Lafayette Slings» die Favoritenschlucht hinunter, um im Museumsquartier die «Independent Verlagsmesse» zu besuchen.
«Wieso ist Songdog eigentlich nicht dabei?», fragte Harthelm auf der Höhe meines Änderungschneiders, der mir vor 4 Jahren einen neuen Reißverschluss in die Lederjacke genäht hatte. Er hatte dafür 3 Wochen gebraucht. Solche Typen habens gut, die sterben nie, weil sie den Tod immer wieder vertrösten können.
«Man hat mich zwar gefragt ob ich Interesse hätte, aber nachher kam nichts mehr. Songdog ist also selbst für die Independents zu unabhängig.»
«Das ist also deine Interpretation?»
Ich sagte, klar, was sonst, und dann wechselten wir das Thema. Harthelm war von einer Tour durch Alemannien zurück und nun war er deprimiert. Nicht weil die Tour zu Ende war, sondern weil er wieder Zeit fand, deprimiert zu sein.
«Mir ist aufgefallen, dass ich mich immer irgendwie schuldig fühle», sagte er. «Eigentlich mein ganzes Leben schon.»
«Morbus katholicus», sagte ich. «Kenn ich.»
Wir gingen am besten Asian-Lokal Wiens vorbei. Es hatte geschlossen. Wenn es geöffnet war, werkten hier Generationen in diesem winzigen Laden, der aber bereits überfüllt wirkte, wenn ich mich an einen Tisch setzte.
«Du hast vermutlich recht, zumindest was unsere Generation betrifft. Wenn irgendwas in zwischenmenschlichen Bereich nicht hinhaut, dann geb ich mir die Schuld …»
«Und das macht aggressiv, was!», sagte ich aggressiv. «Das ist echt Pussy-like.»
Wir blieben an der Ampel stehen. Sie war rot und kein einziges Auto war in Sicht. Wir gönnten uns einmal den Luxus nach den offiziellen Regeln zu spielen. Es war richtig nett an einer roten Ampel zu warten und sich dabei über Schuldgefühle, Depressionen und Aggressivität zu unterhalten.
«Vielleicht ist es ja deine Schuld?», gab ich zu bedenken. «Vielleicht baust du ja wirklich andauernd zwischenmenschlichen Mist? Du bist Musiker. Dein Ego ist mächtig. Du bist kompliziert und wenn du nicht auf der Bühne stehst, bist du verletzbar wie Bob Dylan bei einer Preisverleihung…»
«Hör mir auf mit Bob Dylan … In Zusammenhang mit Schuld und Depro …»
Ich hörte also auf mit Bob Dylan. Harthelm blickte nun irgendwie trotzig und traurig der Ampel ins Gesicht, und als es grün wurde, liefen wir nicht los. Weder er, noch ich machten Anstalten uns zu bewegen. Zwei beige Wagen kamen und hielten vor ihrer roten Ampel. Wir standen festverankert auf dem Bordstein, schweigend und grimmig, und als unsere Ampel wieder auf Rot wechselte, gingen wir los. Im selben Augenblick, als die Autos die Gänge einlegten. Es waren Wiener. Sie droschen aufs Horn. Das waren sie sich schuldig. Harthelm und ich schritten würdevoll zur anderen Seite. Oldassbastards. Da war wieder ein Asia-Restaurant. Es war groß und leer, verlassen und trist und die weißen Servietten schienen in dem Halbdunkel zu leuchten.
«Wie fühlst du dich jetzt?», sagte ich zu Harthelm, der für einen langen Augenblick aussah wie Bob Dylan, als er mit Bruce Springsteen «Forever young» gespielt hatte.
«Besser. Gehn wir auf einen Sprung nach Anzengruber?»
«Zu, Anzengruber.»
«Wieso, zu? Heute ist doch nicht Sonntag?»
Den brachten wir jedes Mal. Als Ausdruck unserer Liebe zu Redundanz und faulen Witzen.
Die «Independet Verlags Messe» im MuQua haben wir nie erreicht.

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