Wie es euch gefällt

Während der Fußball-WM 2010, lud mich das «Tagblatt» (größte Ostschweizer Tageszeitung) ein, ein paar kleine Fußballkolumnen zu schreiben. So auf die Schnelle. Nach der dritten Ausgabe las ich, dass ein linker Kabarettisten-Darsteller und Lehrer mir vorwarf, dass ich mich «dem internationalen Fußballbusiness an den Hals geworfen» hätte. Der ist gut, dachte ich, ein echter Brüller, sauberes Kabarett.
Aber natürlich nicht, denn der Mann meinte es ernst.

Jetzt, mein kleiner Block zum Schweizer Nationalsport «Schwingen». Darf man auch nicht gut finden, Schwingen, kommt echt nicht besonders. Wer Schwingen mag, wählt vermutlich SVP und ist überhaupt ein rechter Knochen oder zumindest ein dem Trend hinterher hechelnder Opportunist. Okay. Sei’s drum. Das ist Alemannien at its best, in seiner schieren, unendlichen Enge und «Herzenströchnie» (N. Meienberg). Ich finds komisch.
Das unkomische daran ist, dass sich einige gute Leute selber einmauern und einsperren, wie die heilige Wyborada zu Saint Gall. Aber noch immer gilt Jürg Federspiels Diktum: «Man kann ja weggehen.»

Der Zufall will es, dass ich zur Zeit an einem Buch schreibe, in dem es u.a. um die Gründe meiner Flucht aus Alemannien nach Wien geht. Es ist gut zu wissen, auch nach 25 Jahren, dass es die richtige Entscheidung war, obschon ich, wie jeder ordentliche Wiener, die Stadt abgrundtief hasse.
Auch wenn Joachim Lottmann (ein ebenfalls nach Wien Geflüchteter, allerdings aus Germanien) in seinem Buch «Hundert Tage Alkohol» (Czernin Verlag) in der Stadt zu ähnlichen Schlüssen kommt:

„Seit dreißig Jahren hatte dieser Gewerkschaftsfunktionär die lebendige österreichische Literatur abgedrosselt. Er war der Herr über Stipendien, Preise, Fördergelder, Postenbesetzungen, Meinungsmache. Vor allem war er der Gralshüter der Ideologie. Der vorgeschriebenen Volksreligion, die da hieß: Ein Autor in Österreich hat über den rechten Ungeist zu schreiben. Jedes Thema, das er behandelt, muss in einem Zusammenhang dazu stehen.“

Amen.

Warum dauert das so lang?

Heute las ich im Zeit-Feuilleton, dass Ferdinand von Schirach nicht schreiben kann. Ich saß auf dem Fahrradergometer im Geisteszentrum, die artgerecht gefaltete Zeitung auf dem Display, machte Intervalltraining, schwitzte dabei wie Matthias Steiner im Fernsehstudio und dachte: Warum, zum Hügü, hat das nur so lange gedauert? Brauchte es tatsächlich vier kalte Krimis, bis man es endlich kapiert hatte?

Nun ja. Es reicht eben nicht, knappste Aussagesätze zu schreiben um wie Hemingway oder Carver rüberzukommen, man muss in die kurzen Sätze auch noch das Richtige reinlegen. Alle wissen das. Nur die Kritiker nicht.

Auf der anderen Seite, verteidigte Ursula März die staatliche Subevention für Autoren und zog zu diesem Behufe Martin Mosebach heran, der es ohne Zuschüsse aus Steuergeldern wohl nicht bis zum Büchner-Preis-Träger gebracht hätte … Wird das wieder so lange dauern?

Weitergedacht

Meine Tochter (9+) hat vor einigen Tagen, seriös, mit dem Fußballspielen angefangen. Im Club. Gestern, während des Ländermatchs Austria-Germanien, wollte sie von mir wissen, was «Abseits» ist. Nun, es gibt bestimmt Dinge, die einfacher zu erklären sind. Aber ich gab mein Bestes, und ich landete auf Anhieb einen Treffer. Ich erklärte ihr die Sache, trocken, ohne Anschauungsunterricht, und sie kapierte sie tatscählich beim ersten Versuch. Und noch während ich dachte: Sapperlot aber auch, und ich soll der Vater sein?, hatte sie schon weiter gedacht und meinte, dass man das ja ausnützen, und den Gegner absichtlich ins Abseits laufen lassen könnte? «Mein Liebling», sagte ich, » das nennt man Abseitsfalle.»

Ich gebe zu, ich war stolz auf meine Tochter, die so schnell kapierte und sofort fies schlussfolgerte. Das hatte was.
Von mir hat sie das nicht. Ich habe meine Fiesheit noch.

Hosen runter, Buben!

Ich habe, unter dem nur für Alemannen verständlichen Titel, «I d’Hosä, Gielä» (In die Hosen, Jungs!) neulich, blockend, das Schwing-und Älplerfest zu Burgdorf, gelobhudelt. Das darf ich. Obschon. Nicht unproblematisch, von einem sozio-kulturellen Standpunkt aus. Schwingen ist in. Man liebt es wieder. Das vaterländische. Es ist ein bisschen wie Uschi Glas und Carsten Maschmeyer am Boxring. Es ist aber noch ein bisschen mehr.  Kollege und Freund und Lektor Markus Schütz aus Bern, hat dann auch drauf geantwortet:

«… Deine romantisierenden Betrachtungen des Schwingfests kann ich dir wirklich nur verzeihen, weil du 1000 Kilometer weit weg bist und wohl nicht mehr genau siehst, wie es sich anfühlt hier in diesem Land. Hier, wo immer mehr alles, wo «Ausland» draufsteht, als genuin gefährlich, vergiftet, betrügerisch und sowieso irgendwie minderwertig wahrgenommen wird. So viel Schwingfest wie dieses Jahr war nie (und ich schliesse da glaub die 30er-Jahre mit ihrem Landi-Geist ein), es war wirklich übel, übel, übel. Ich bekomme das Kotzen, wie es jetzt auch bei den urbanen Intelellos Mode ist, sich dafür zu interessieren – meine alte These: Es waren erst die Linken, die Alternativen, die Hippies, die die Rückständigkeit des ganzen Schweizer Folklore-Brimboriums (mit gutem Grund) rehabilitiert haben; aber dieser Geist ist jetzt aus der Flasche, und er beginnt wieder dieses Eigenleben zu leben, das man ausretten sollte.

Im «Echo der Zeit» gabs einen Beitrag zum Schwingfest, O-Töne von Besuchern. Einer meinte, dass es schön sei, an einem Fest auch mal unter sich, ohne diese Ausländer, zu sein. Ein anderer, dass dass man wenigstens an einem Wochenende die üblen Themen wie etwa Immigration und Wirtschaftskrise vergessen könne.
Nein, Schwingen geht nur ab 1000 Kilometer Entfernung. »
Nun ja. Da ist vieles wahr und richtig, und trotzdem ist «Schwingen» klasse. Auch 10000 grölende Fans können einem guten Fußballspiel nichts anhaben. Und wenn wir schon dabei sind, mein Freund, warum ist die strunzdepperte, lallende und gläubige Fußballfangemeinde in dieser Hinsicht nie ein Thema?

Und das Ding mit den Ausländern: ich lebe in Österreich, da hat das Wort «Ausländer» die gleiche Scheiß-Konnotation wie in Alemannien: 100 % negativ.

Das fiel sogar dem alten Ringerviecherl John Irving auf, damals, als er noch in Wien gelebt hat. «Ausländer», das kam einfach nicht gut, das war schiach.
Trotzdem ist Schwingen guter, harter Kampfsport
Ich erinnere mich an die Zeit, als wir Hippies diese kragenlosen Sennerhemden trugen. Eine Weile. Dann verschwanden sie wieder.
Wie alles andere auch.

I d’Hosä, Gielä …

Mas o menos 2 Tage habe ich vor dem TV verbracht, d.h. ich habe den Lappi auf den bluesroten Gitarrespielhocker gestellt, Lästiges erledigt, aber vor allem, habe ich das Eidgenössische gekuckt. Schwingen. Alle 8 Gänge & Schlussgang, the entire fucking Schwingfest zu Burgdorf 2013.
Nur die Rede vom Bundespräsidenten habe ich verpasst, aber die kannte ich auswendig, schon bevor sie gehalten wurde.

Ich mag Schwingen. Ich mag Sport. Ich mag vor allem Kampfsport. Und Schwingen ist ein äußerst interessanter und etwas komplizierter Kampfsport. Und wie die meisten Sportler, mag ich auch die Schwinger. Nun ja. Schwingen ist der Schweizer Nationalsport, wie Hurling der der Iren. Das hat immer etwas vaterländisches, so ein Nationalsport. Das Gute am Nationalsport ist, dass man nicht zum Patrioten werden muss, da keine ausländischen Kämpen mittun. Höchstens Lokalpatriot. Aber da besteht bei mir keine Gefahr. Kampfsport ist Sache von Individuuen. Fuck the fucking flags!

Und es war mehr als seltsam, aber vergnüglich, dass in dem ganzen, temporär aufgewuchteten Stadion, in dem mehr als fünfzigtausend Zuschauer saßen, keine einzige Werbung zu sehen war. Weder zu Lande, noch in der Luft, noch zu Wasser (Schwingerbrunnen). Keine Flaggen, Fahnen, Wimpel. Nur Baseballkappen von Lidl und die Fahnen der Fahnenschwinger. Und falls einige im Publikum sich bemüssigt fühlten, die Sportler auszupfeifen, wurden sie vom Stadionsprecher zusammengestaucht. Das ist richtig so. Obschon es schon fast irre strange anmutet, dass der normale, demokratisch verwöhnte Wappler mal gesagt bekommt, was sich schickt und was nicht.

Ich weiß. All das gefällt einigen sehr, mit denen ich mich nicht gemein machen will. Aber es ist einfach entspannend mal eine Zigtausend Menschenmenge zu sehen, in der nicht alle die Fresse bis zum Arsch hinunter aufgerissen haben und dabei brüllen wie Stiere auf Chrystal Meth und Flussziegen auf Nitroverdünner.

Gewonnen hat der Sempach Mathias. Klasse Sportler. Ein verdammt würdiger Schwingerkönig.

Die Redaktion gratuliert.

P.S: In Berlin ist Literaturfestival. 3 Schweizer Autoren sind auch dabei. Raten Sie mal, wer zuerst genannt wird? … ganz genau …