Zähne

Gestern war ich beim Zahnarzt und überredete ihn, mir jenen Weisheitszahn zu ziehen der unsichtbar zu faulen begonnen hatte. Er wollte zuerst nicht, er wollte ihn «retten». Aber ich wusste Bescheid. Er hätte ihn nicht retten können. Nerv raus. Wurzelbehandlung. Ne, ne!
Der Zahn sah furchtbar aus. Karies. Wie ein braunes Haifischmaul. Und man hatte nichts sehen können. Nur fühlen. Schmerz.

Es ist mir peinlich, dass ein Mann in meinem geöffneten Mund rumfuhrwerkt. Ich mag nicht so daliegen und diese Dinge mit mir geschehen lassen. Es ist demütigend. Es erinnert einen daran, was für eine verdammt mangelhafte Konstruktion der Mensch ist. Die Scheißwirbelsäule, und dann noch dieses empfindliche Kauwerkzeug. Zum Vergessen. Vielleicht sollte man die Zähne abschaffen. Ersetzen durch ein ordentliches Material. Wie dieser riesige Kerl in dem James Bond Film, der Mann mit seinem Stahlgebiss.

Andererseits sind die Zähne umsonst. Und sie halten unglaublich lange. Ich kaue 45 Jahre lang tagtäglich auf irgendwas herum. Sie sind kleiner geworden in dieser langen Zeit. Sie haben sich etwas verformt. Die Eckzähne sind stumpf geworden. Aber sonst? Noch immer sind fast alle drin. Und wenn ich nicht so gelebt hätte, wie gelebt habe und immer wenn der Schmerz kam, einen Zahnarzt aufgesucht hätte, wären es vermutlich noch alle. Bis auf den einen, den er mir gestern gerissen hat.

Also bin ich eigentlich ganz zufrieden mit meinen Zähnen. Aber ich weiß um ihre Vergänglichkeit. Einmal nicht aufgepasst und ordentlich was auf die Fresse gekriegt, und schon sitzt oder liegt man wieder in diesem Sessel und harrt ängstlich der Dinge, die der Mann in Weiß mit einem anstellen wird.

Ich hoffe, ich sehe ihn lange, lange nicht wieder, obschon er sehr nett und aus Ostdeutschland ist.