Der Rep als Gentleman

Früher, als mein Haupthaar noch so voll wie heute war, konnte man im Zug noch auf den «Gentleman» treffen. Der Gentleman war der Mann, der den Ladies das Gepäck in die Ablage hievte. Früher waren das zumeist Koffer, ohne Rollen natürlich, denn die Rollen kamen erst dran, als «Hallo Dienstmann» Hans Moser in Pension ging.

Als ich neulich in den Zug stieg – wie immer viel zu früh – und Zeit hatte, die mitreisenden Mitmenschen zu beobachten, sah ich einen langgezogen Siechenzug durch den Waggon ziehen, Männlein und Weiblein, die ihr Gepäck, wie Django den Sarg mit dem MG, hinter sich herzogen. Der Autor im Rep und der Verleger im Rep, freuten sich, denn es machte den Anschein, als wären hier nur Menschen zu Gange, deren Rollkoffer mit Bücher angefüllt waren.

Als sie dann jeweils ihren Platz gefunden hatten, standen sie etwas ratlos vor ihrem Gepäck, wussten nicht, wohin damit. Es hätte natürlich locker in die Ablage über den Sitzen gepasst, aber wie, das war die Frage die alle zu martern schien, konnte es dorthin gelangen? Kein Hubstapler oder Kran in der Nähe.

Für diese Fälle gab es früher den Gentleman. Früher. Denn der heutige Gentleman hat «Rücken». Der ordentliche Gentleman hat mindestens einen Bandscheibenvorfall L7, wenns geht hat er noch einen H3 und den aufkeimenden Ansatz eines unverkennbaren Burnouts. Außerdem kriegt der Gentleman von heute, nicht mal seinen eigenen Koffer hinauf und würde selbst die Dienste eines Gentleman benötigen.

Ich gab dann den Gentleman.
Nicht für alle Bedürftigen – denn dies könnte heute ein zukunftsversprechender Berufszweig werden (und ich habe schon ein paar Berufe) -, aber doch für die Schwächste der Schwachen, und als ich die Koffer hochhievte, jene Koffer, mit denen die Ziehenden gewirkt hatten als wären sie beim Pyramidenbau beschäftigt, erwiesen die sich dann als mit Daunen angefüllt, so dass sich der Rep fragte, wohin denn diese Gesellschaft steuerte, mit ihren Bandscheibenvorfällen und dem daunenbefüllten Gepäck?
Aber bevor er die Frage vertiefen konnte, sagte die Lady zu ihm: «Danke vielmals. Die Tiroler sind halt die doch die Besten.»

Der Rep blieb ihr die Antwort schuldig.

Eine Antwort auf „Der Rep als Gentleman“

  1. Die lady kam wahrscheinlich aus dem Norden, denn etwas, das der Norddeutsche nicht kann, ist Dialekte unterscheiden: Ich habe mindestens zehn Bundesländer im Blut, drei Nationalitäten und zwei Kontinente. Wer weiß, wo sich meine Urahnen überall herumgetrieben haben.

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