Freitagnacht, Samstagmorgen

Ich lag gestern falsch. Der Hase lebt noch. Ich find’s gut, falsch zu liegen.
Heute Morgen las ich während meiner Passfahrt im Geisteszentrum, Billers Artikel über eine Begegnung mit Tuvia Tenenbom im Hotel Adlon. In der «Zeit». Wo sonst.
Ich weiß aber immer noch nicht, ob ich die 17 Euro für «Allein unter Deutschen» ausgeben soll. Nicht des Geizes, sondern des wenigen Geldes wegen. Ein Buch bedeutet noch immer eine Anschaffung, und über die muss nachgedacht werden. Aus mehreren Gründen: 1. Aus Mangel an Geld, 2. Mangel an Platz, und 3. Aus Mangel an Lust, mich langweilen zu lassen.

Billers Artikel war sehr schön und freundlich und klug, konnte mir aber nicht weiterhelfen. Wenn ich einmal reich wär›, und in einem großen Haus mit Bibliothek leben würde, würde ich das Buch kaufen. Vielleicht wäre ich dann auch reich genug, es nicht zu lesen. Aber eigentlich möchte ich die Bücher, die ich kaufe, auch lesen. Das war schon immer so und wird sich vermutlich auch nicht mehr ändern. Die nächsten 100 Jahre.

Dann las ich in Spiegel online, dass sich Broder bei Augstein entschuldigt habe. Der Artikel war so aufgemacht, dass er den Anschein erweckte, dass Broder eine Generalentschuldigung abgeliefert hätte.
Wenn man dann zu Broders Original in der «Welt» wechselte, blieb von diesem Anschein nur mehr der Schein. Broder entschuldigte sich – korrekt – für zwei überzogene, heftige und vor allem spekulative Anschuldigungen, aber den Rest ließ er da stehen wo er hingehörte. Aber so machen die das (fast) überall in den Medien. So plattelten sie auch den Steinbrück auf. Aber das führt jetzt zu weit.

Dann stieß ich bei Amazon auf das Buch von Bettina Wulff. Es hat 1136 Rezensionen!!! Man sollte ein Buch mit diesen Rezen machen.

Ansonsten sehe ich mir das «Dschungelcamp» an. Besser kann Fernsehen hierzulande nicht sein. Das ist amtlich. Welldone RTL.

Ja, so ist es. Traurig, eben.

Unsere Häsin, von den Mädchen «Spitzi» genannt, ist 8 Jahre alt und wird heute oder morgen sterben. Sie hat sich in ihr Häuschen zurückgezogen und will nicht mal mehr den Petersiliestengel fressen, den ich ihr hingelegt habe. Man muss wissen, dass Hasen für Petersilie, einen Mord begehen würden.

Spitzi ist das mutigste Tier, das ich kenne. Sie würde einen Tiger angreifen, wenn der ihr zu nahe kommt. Sie hat uns alle hier schon mal gebissen und sie wurde nie wirklich ganz zahm. Sie ist ein richtiges Tier.

Und ich muss zugeben, dass mir, während ich dies schreibe, die Tränen kommen. Ich weine. Und als Schriftsteller weine ich im Voraus, bevor das traurige Ereignis eingetreten ist. Ich weine bei der Vorstellung des zu erwartenden. Denn es wird geschehen. Und dann werden die Kinder kommen, und es wird sehr traurig werden, und ich werde sie trösten müssen, wissend, dass es auf dieser Welt keinen Trost gibt und schon gar keinen der Worte.

Aber es sieht so aus, als würden die Tiere in ihrem Leben nicht durch das Alter gedemütigt. Sie leben, und dann sterben sie. Ohne künstliche Hüftgelenke, Viagra, Leberzirrhosen, Brillen, Rollatoren, Bypässen und Windeln.

Hier ein Abschnitt aus meinem ersten Roman «SAUSER» von 1987. Hat sich nichts geändert. Zumindest nicht, was die Tiere anlangt:

«Als dann aber alle meine Tiere vor der Sennerei zusammen getrieben waren, und ich die Herde Perdi übergab, musste ich ein paar Mal leer schlucken. Die zwei Kälber, die mich in ihr kreatürliches Herz geschlossen hatten, leckten mir ein letztes Mal die Hände und ich rief ein allerletztes Mal meinen Lockruf und die siebzig Tiere antworteten mit Muhen und Blöken.

«Sie geben dem Hirten Antwort», sagte Perdi beeindruckt, und ich spürte dieses Würgen im Hals, diesen Kloß, und ich verdrückte mich wie am ersten Tag in den Schuppen und wischte mir die Tränen von der Wange. Dann ging ich wieder zurück und sah zu, wie die Bauern die Herde in Bewegung setzten. All diese Kälber und Rinder, all die Schwänze und Hörner, die feuchten Schnauzen und die Sandpapierzungen. Traurig, traurig. Und ich dachte daran, wie oft sie mich genarrt und geärgert und gereizt hatten, ich dachte an all den Hass und die Schläge mit denen ich mich an ihnen gerächt hatte, aber es wurde nicht besser. Sie waren mir ans Herz gewachsen.

Ich sah ihnen nach, bis sie verschwunden waren. Erst dann packte ich meine sieben Zwetschken zusammen. Der Abschied von der Alpcrew rührte mich weniger. Ich schüttelte allen die Hände und ging.»


Kurzroman (3)

Als ich oben die Tür hörte, hatte der Verleger bereits aufgelegt, aber seine Worte hallten noch nach, ich hatte dieses Gefühl, spürte sie schmerzlich in meinem Gehörgang, und jetzt drang durch die geöffnete Tür der Straßenlärm, ein Trambahnfahrer der die Glocke schrillen ließ und – vermutlich – einen Rentner mit Rollator von den Schienen scheuchte, der, vom Männerheim kommend, die Porzellangasse queren wollte.
Ja, die Porzellangasse in Wien. Unweit von der Strudelhofstiege, die der Nazi Heimito von Doderer in seinem wulstigen, berühmten Buch beschrieben hatte. Er wurde hier sehr verehrt. Von den einen wegen ersterem und von den anderen wegen beidem und von den dritten – und das waren meine Lieblinge, weil er adlig war.
Die Schritte auf der Treppe hörten sich nach Frau an: Leicht, trittsicher, holzhart.
Dann stand sie vor mir. Sie trug ein Kopftuch und redete französisch. Französisch? In Wien.
Ich hatte schon lange kein französisch mehr gehört, und die weichen Silben mussten in meinem Ohr erst die ganz und gar inakzeptablen Verlegersprüche auf dem Amboss weich klopfen. «Schreib endlich einen Thriller, Sauser!»
«Jamais!», sagte ich, «Jamais!»
Die Frau, eine Magrebinerin, sah mich unsicher und etwas erschrocken an.
Warum kam sie hierher? In dieses Loch? Wer schickte sie? Was wollte sie?
Es war egal. Ich würde ihr alles geben, was sie begehrte.
Nach Heimito von Doderer war doch eh schon alles wurscht…

Kurzroman (2)

«Es wäre von Vorteil, wenn Sie ihrer Katze ein neues Klo hinstellen würden. Katzen defäkieren nicht gerne in dunklen Höhlen, sie wollen den Überblick über potentielle Fressfeinde behalten. Für sie, und auch andere Tiere, ist der Moment der Defäkation, ein Moment der Gefahr. Außerdem mögen Katzen keinen Urin- und Kotgeruch. Das sind zwei Gründe warum ihnen Carlo ins Bett gegackt hat.»
Sie hatte sich ins Eck der Couch gefläzt und blickte mich herablassend an. Sie schüttelte langsam den Kopf. Nicht heftig, aber unmissverständlich. Drei Knöpfe ihrer hellblauen Bluse waren geöffnet und ihr BH war, das erriet ich, ein paar Nummern zu groß und wattiert.
«Nein, nein», sagte sie, «diese Tiere wissen ganz genau was sie tun. Carlo ist sauer, weil ich ihm zu wenig Aufmerksamkeit schenke.»
Ich blickte sie an und verzog den Mund. Die Lady wollte nicht meine Hilfe als anerkannter «Katzenflüsterer», nein, sie bezahlte mich dafür, dass sie mich heruntermachen konnte.

Es gibt nichts trostloseres, als dumme Menschen mit zuviel Geld.

Kurzroman (1)

«Nach der Sauna saßen sie alle am Tisch, die Bullen, und sahen noch dümmer aus als sonst, wie frisch geölte Flügelmuttern, mit ihrem Bier, das sie direkt aus den Flaschen tranken, mit ihren lauten Stimmen und den Zigaretten die sie in den Frucade-Aschenbecher abaschten, mein Gott, ich kriegte eine Gänsehaut bei der Vorstellung, dass ich jemals auf sie angewiesen oder ihnen ausgeliefert war.
Ich flippte «Jacksonville City Nights» in den Player und ließ Ryan loslegen. Sie waren Bullen und sie mochten Country, aber sie waren auch Wiener, und Wiener sind immer orthodox, und alles was nicht klang wie der gute alte Dave Dudley im Bademantel von Udo Jürgens oder keine Titten hatte wie Dolly Parton, existierte für sie nicht. Aber das war mir egal wie nur was.»

Das Sprüchemuseum (17)

Ein russischer Wodkafabrikant zur Russ-Werdung von Depardieu:

«Schön. Ein Trinker mehr.»

Wir sagen: Damit ist alles gesagt.

Was ist es?

Clint Eastwood spricht vor Republikanern mit einem Stuhl und nennt ihn Präsident.
Gerard Depardieu wird für Geld Russe. Er liebe die russische Literatur, sagte er, und, sein Vater sei Kommunist gewesen.

Werden wir im Alter zu dem, was man in der Kindheit in uns hinein gewürgt hat?
Könnte es denn sein? Es sieht beinahe so aus. Oder ist es doch nur der Kalk oder der Suff und das große Fressen?
Der Hass, die Notdurft, die trostlose Dummheit?

Machen wir uns, bei uns selber, auf etwas gefasst, Compadres!

REISEN OHNE WEGZUMÜSSEN

Vor vielen Jahren besaß ich einmal Robert Franks Fotoband «The Americans». Es war der einzige Fotoband den ich jemals gekauft habe, abgesehen von einem Versehen, das jetzt in meinem Regal steht, «Boxen» heißt und farbige Fotos von, ja, von was wohl?, von Boxern, von Weltmeistern, zeigt.
Die Fotografie und ich, wir sind eindeutig keine Freunde. Das mag damit zusammenhängen, dass ich nichts sehe oder es zumindest sehr lange dauert, bis sich die Welt mir visuell offenbart, ich habe nicht diesen «Blick», und Menschen würde ich schon gar nicht fotografieren, jawohl, die schon gar nicht …

Aber jetzt besitze ich wieder einen Fotoband, und ich bin froh darüber.
Es ist die Arbeit des Berliner Dichters, DreckSack-Herausgebers und Fotografen Florian Günther, er trägt den Titel: «Reisen ohne wegzumüssen». Fotografien von 1984-1994
(Edition Lükk Nösens)

Will ich mich jetzt auf die Äste hinauslassen, und etwas zu den Fotos sagen? Als Blinder, sozusagen? Nein, will ich nicht. Ich will etwas zu dem Buch sagen. Denn Florian Günther hat es verstanden, zusammen mit seinen Mitmachern, ein Buch vorzulegen, das auch einen «Nichtsseher» wie mich berührt.

Marvin Chlada hat mit dem Autor ein langes Interview geführt, das sich über die ganzen 300 Seiten erstreckt, die Fotoarbeiten unterbricht, sie kommentiert, nach der Entstehung einzelner Aufnahmen fragt, und uns, die Leser/Seher, aufs beste unterhält, informiert und uns nachdenkend zurückblättern lässt, auf dass wir das eben Gesehene nochmal neu sehen.
Und während wir dem Ostberliner Raconteuer Günther aus Friedrichshain zuhören der seine Abenteuer vor uns ausbreitet, bewegen wir uns in diese, seine Welt, die nicht untergegangen, aber sich weiter nach Südosteuropa zurückgezogen hat, von wo uns z.B. Andrzej Stasiuk in seinem «Unterwegs nach Babadag» berichtete oder eben der Dichter Günther himself in seinen Gedichten, die eigentlich nichts anderes sind, als diese Fotografien in Worten. (In den genauesten und lebendigsten Worten, die es dafür gibt.)

Als ich hinten auf Seite 302 angelangt war, fühlte ich mich gut. Warum? Weil es erstens ein Buch ist, das alles hat was ein gutes Buch braucht um ein verdammt gutes Buch zu sein, und zweitens, weil uns hier ein wahrer Menschenfreund bei der Hand nimmt und uns zeigt, dass arm nicht armselig,  heruntergekommen nicht erbärmlich, und kaputt nicht trostlos ist.

Nach diesem  Buch will man wieder ein guter Mensch sein.

Florian Günther, REISEN OHNE WEGZUMÜSSEN ( Fotografien 1984-1994)  Edition Lükk Nösens  € 20.-