No fear, but bitterness

Am 3. November 2009 schrieb ich im Blog mit dem Titel: «Der langsamste Mann der Stadt» über einen Typen in meinem Grätzel, der zum Überqueren der Straße drei Grünphasen brauchte. Pro Schlurf  (Schritt wäre ein unzuläßiger Euphemismus) schaffte er ca. 5 cm Weg. An Krücken.

Ich hätte nicht gedacht, dass es mit ihm wieder wird. Er hatte diese Angst im Gesicht. Als säße der Tod in der Brusttasche seines karierten Hemdes. Jetzt, fast drei Jahre später, ist er immer noch da. Ich seh ihn hin und wieder, wenn ich aus dem Geisteszentrum komme. Er sitzt nun auf der Bank in der Bushaltestelle «Rainergasse» und raucht Filterzigaretten. Die Angst in seinem Gesicht ist weg. Dafür gibt es einen etwas bitteren Zug um den Mund. Nicht mega, nur super (wie Harry Coltello sagen würde). Aber Bitterkeit ist alleweil besser als Angst. Finde ich.

Ich finde auch, dass er ein taffes Kerlchen ist. Irgendwie. Mit seinen Scheiß-Krücken, und seinen kleinkarierten Hemden und seinen stundendauernden Einkaufstouren über die Favoritenstraße.

Ich würde ihn gerne ins Geisteszentrum einladen und ihm dort zeigen, wie man die Muskeln der Quadrizeps, der Hamstrings und der Waden kräftigt. Das könnte was bringen. Vielleicht sollte ich ihn mal ansprechen? Aber das ist schwer. Ich fürchte, dass es dann ganz anders ist, als ich mir vorstelle. Davor hab ich Schiss, da will ich mal lieber nichts riskieren.

Wie die Alte, die hier im Grätzel da und dort anzutreffen ist (allerdings schon lange nicht mehr gesehen), und die immer nur krächzt: «Schullige, hasdueinEuro?», die, wie ich mal vernahm, durchaus vermögend sein soll, aber bevormundet, und deren Schnorrerei ziemlich erfolgreich ist (war?).

Wer gibt denn einer alten Inländerdame keinen Euro? Außer mir, natürlich. Aber ich habe ja auch kein Herz, wie mir immer wieder bescheinigt wird.

Vielleicht habe ich Glück, und ich seh den alten Krückenheinz wieder mal über die Favoritenschlucht kriechen, angstlos und ein wenig bitter. Wie ich.

Eine Antwort auf „No fear, but bitterness“

  1. So ist das mit den Freaks, die zum Straßenbild gehören, die kleinen Lichtflecken am äußersten Rand der Linse. Irgendwann sind sie weg und man merkt es erst, wenn ihr Leidensweg längst kein Ziel mehr ist. Weg vom Fenster, schade, sie hinterlassen Löcher. Nicht weil Freaks bekanntlich kleine wohlige Schocks auslösen, die das Leben so schön aufpeppen, ihr Fehlen beweist die Entmenschlichung, die nun auch Europa ergriffen hat. Weg mit den Freaks von der Straße, her mit den stumpfen, greinenden Topfmodels, das sind die Freaks von heute! Denn der gelangweilte Konsument braucht sie nach wie vor, die Hingucker, die Gruselauslöser. Mir reicht da ja schon ein Blick in den Spiegel nach einer durchzechten Nacht. Aber dazu gehört eben Mumm!

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