«Der große Groll der Anständigen»

Nach drei Wochen Abstinenz wieder im Geisteszentrum zugange, vorsichtig, umsichtig, wie man tun soll, und trotzdem erwischt es mich, und meine Muskeln schmerzen, naja, so irgendwie halt, und dann patschere ich mit kleinen Schritten und altschmerzlichem Ziehen und Brennen der Hamstrings am schönen Palais Schönburg vorbei, dessen stiller und ewig leerer Park mein Herz erfreut, und mir die Bezeichnung «sophisticated» eingetragen hat, weil ich mich an Dingen erfreue, die ich weder besitze noch zu besitzen begehre. Nun denn, machen wir’s kurz: Ich fühlte mich etwas alt, zumindest was den Leib betrifft, zumal er nicht mehr so biegsam und geschmeidig auf die Herausforderungen des Trainings reagiert. Aber ich bin nicht etwa deprimiert, sondern, im Gegenteil, frohen Mutes, denn ich nähere mich unweigerlich dem Bestselleralter.

Jawoll. Denn nicht nur Bücher mit Titeln wie «Startauflauge 500’000» erfahren Verkaufshöhenflüge, sondern auf schnucklige Traktätchen, im Stile des greisen Moniseur Hessel (Empört euch), führen nun die Bestenlisten an. Diesmal ist es die nicht gehaltene Rede vor dem Salzburger Stutz des Soziologen Jean «alle zwei Minuten verhungert ein Kind» Ziegler. Titel: Der Aufstand des Gewissens. Ein Wohlfühlbüchel für alle, die noch nicht so reich sind, dass sie sich Karten für die Salzburgerfestspiele leisten können. 16 Seiten blanke Reichenschmähung für Leute, deren Co2-Fußabdruck nur halb Mittelostafrika abdeckt, und die ansonsten gerne Filme angucken in denen andere junge Leute sich solidarisch mit afghanischen Flüchtlingen zeigen, die wunderbare überladene orientalische Poesie schreiben. Und es werden immer mehr. Und das ist auch gut so. Denn auch ich, auf bestem Weg ins Greisentraktatalter, habe was in Petto, «Der große Groll der Anständigen» 21 Seiten reinste Widerstandspoesie und hammermäßige Niedermachung der herrschenden Kaste der goldgeilen, unsolidarischen Erbengeneration, die, stets auf der Suche nach einem hübschen Pflanzblätz für ihren ererbten Vorteil, jedes Gefühl für Anstand abgeschüttelt hat. Das wird ein Renner. Das ist klar.

Vielleicht werde ich mir dann das Palais Schönburg doch kaufen. Wer will denn schon als «sophisticated» gelten.

Aber wie Henk schon bemerkte: «Du bist doch eh gegen alles!»

Na klar, was sonst?

2 Antworten auf „«Der große Groll der Anständigen»“

  1. Ebenfalls in dieser Reihe erschienen:
    «Angriff der Pazifisten» – Ein großartiger Sammelband engagierter Prosa und Lyrik für all die HeldInnen unter uns, die nicht aufgeben wollen. Ein Buch der Menschlichkeit und der Courage, das nicht nur stillen RAF-Verehrern und Tibetflaggenschwingern, sondern auch evangelischen Nichtrauchern, Kondomaktivisten und Klezmer-Junkies aus der Seele spricht. «Angriff der Engagierten» ist ein Pamphlet gegen all die trägen Stubenhocker und neurotischen Säufer.

    Trotzdem- der Ziegler hat Recht. Seine Leserschaft wird sich empören, noch mehr Bio kaufen, in Indien sich selbst finden und weiterhin die Grünen wählen.

  2. Wie kommt’s, dass das Wort «anständig» auch einen gewissen Groll bei mir auslöst? Wir siechen, mittelalterlichen Muskelspanner wollen doch nicht nur nicht anständig sein, sondern sogar so unanständig, dass sich die Steirerkostüme nur so biegen vor Verlegenheit und Abneigung. Denn Anständigkeit ist nicht nur «aufklärerischer Quatsch», sondern auch Konformismus. Und überheblich obendrein. Oder hab ich das in meinem Nachmittagsdusel falsch interpretiert?
    Aber ich unterstütze den Groll des großen Anständigen. Jawoll, recht hat er. Obwohl: langanhaltender Groll soll ja gesundheitsschädlich sein.

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