Hadayatullah Hübsch (1946-2011)

Heute steckte der Postbote den Umschlag mit den Gedichten von Florian Vetsch und Hadayatullah Hübsch in meinen Briefkasten, die Gedichte für einen Songdog-Poetry Band im Herbst: Round & Round & Round, eine Art literarischer Schlagabtausch zwischen den beiden befreundeten Dichtern.

Gestern erhielt ich die Nachricht, das Hadayatullah Hübsch gestorben ist.

Ich habe ihn persönlich nicht gekannt. Ein paar Mails, mehr nicht. Eine Absage meinerseits für ein weiteres Buch, das ich so, wie es vorlag, nicht machen konnte und wollte. Seltsam genug, dass ich nun der Verleger eines Mannes werden sollte, dessen Namen mir seit den späten siebziger Jahren bekannt war, vermutlich zum ersten Mal in einem Buch Jörg Fausers gelesen oder in AmoKKomA, Gasoline, im Container, herausgegeben von Benno Käsmayr vom Maro Verlag. Sein Name wurde in einem Atemzug genannt mit Carl Weissner, Udo Breger, Jörg Fauser, Jürgen Ploog, Pociao, Günther Ohnemus, Alfred Miersch, Uli Becker, Christoph Derschau, Matthyas Jenny.

Er gehörte dazu. Zu jenen, die in den siebziger und achtziger Jahren etwas Lesbares aus deutschen Worten destillierten.

Sie waren die großen Brüder. Wie Dylan, Cohen, Neil Young.

Er war der große Bruder.

5 Antworten auf „Hadayatullah Hübsch (1946-2011)“

  1. Als ich ihn das letzte mal traf, in Frankfurt in der Berger Strasse, da frage er mich, ob ich noch ein Antiquariat kenne, in dem er nach Büchern suchen könne. Ja, was soll ich ihm sagen – ich selbst suchte ja auch danach, erfolglos. Wir haben uns dann etwas unterhalten, kurz nur, lange Worte waren nicht nötig, die Augensprache derer, die eine gemeinsame Zeit hatten, geht schnell. Er wird _UNS_ fehlen. Aber wer sind _WIR_ schon?

    Leb› wohl. alter Junge!

  2. Gedicht für hadytullah hübsch

    Möge dein Weg dir freundlich entgegenkommen

    Möge das nuur deine Seele erhellen

    Möge der Wind dein verbliebenen duft in deinen werken durch die welt tragen

    du wirst uns in vielerlei Hinsicht in Erinnerung bleiben

    Möge der gütige Allah dich in seinen Händen halten

    schließlich werden wir dir auch bald folgen

  3. Im Cinéma Rif in Tanger haben Abdenbi Sarroukh und ich uns bei der Uebersetzung von Florian Vetschs Gedicht ’21 Augen – für Hadayatullah Hübsch’ins Arabische das Gehirn verrenkt um herauszufinden, was denn mit den ‹Pöms aus Marokko› gemeint war, die HH offenbar in einer zerfetzten Tasche mit sich trug. Pöms? Ein Zauberkraut? Etwas zum Rauchen, das einen in Trance versetzt? Etwa ein orientalischer Talisman? Es musste etwas Geheimnisvolles sein, etwas, was nicht jeder in seiner Tasche trug. Später das aha-Erlebnis, aber natürlich, alles klar!
    Die Pöms hat HH uns zum Glück zurückgelassen, ein Stück von ihm, etwas, das weiterführt, vergleichbar mit den Stufen einer Himmelstreppe…
    Amsel, Zürich, 8. Januar 2011

  4. Hadayatullah Hübsch – ein Nachruf

    Heute, Samstag, den 8. Januar 2011, wäre Hadayatullah Hübsch 65 Jahre alt geworden. Anstelle der Geburtstagsfeier findet heute seine Grabbeisetzung um 10:00 Uhr auf dem Südfriedhof in Frankfurt am Main statt; Hübsch habe sich am Morgen des 4. Januar nach der Verrichtung des Morgengebets in seiner Wohnung hingelegt und sei friedlich entschlafen, teilt die Familie des gläubigen Muslims mit.
    Am Tag vor seinem Tod schickte ich ihm, mit dem ich seit Jahren eine rege, fruchtbare Korrespondenz führte, ein Couvert mit dem Anfang für einen zweiten Band unseres lyrischen Schlagabtauschs; der abgeschlossene erste Band soll unter dem Titel „Round & Round & Round“ 2011 bei Songdog erscheinen. Im Couvert befand sich auch ein Gedicht, das Hadayatullah im März 2010 geschrieben hatte und das den Schluss zulässt, dass er in einem Ausmass krank war, welches er Aussenstehenden nicht mitteilte. Denn sein Tod kam nicht nur für mich, sondern für alle überraschend, riss ihn mitten aus seiner vielfältigen literarischen Tätigkeit und seinem religiösen Amt als Imam der Ahmadiyya-Bewegung.

    Wetterbericht

    Die Sprache im Eimer,
    Das System durcheinander,
    Der Kopf spielt verrückt,
    Ich bin krank,
    In Innereien,
    Und Aussenreihen,
    Bis auf Blut&Niere,
    Die Augen trocken,
    Die Synapsen flirren,
    Viren im Computerhirn,
    Die Stirn in Falten
    Wie eine vom Sturm ver-
    Wirbelte Eisenbahn-
    Kreuzung, ein Mischding
    Aus Hulk&Walk the Line,
    Ich bin krank,
    Im Arm Ziepen&Zerren,
    Im Ohr der Wurm von Yester-
    Day und nachts weisse
    Träume, die Mut machen
    & Sorgen verkünden,
    Inscha-Allah,
    Ich bin krank,
    Aber noch da,
    Worte nähern sich,
    Die Welt ein Fluss im Spiegel,
    Ich spiele den Igel,
    Wozu Reime?

    Angesichts der barocken Fülle von Hübschs weit über 100 Publikationen könnte er heute schreiben:

    Ich bin tot,
    Aber noch da.

    Noch da ist er jetzt gerade auch für all jene, die an seiner Beisetzung teilnehmen. Ich wünsche ihnen viel Kraft und seiner Seele wünsche ich viel Glück auf dem nadelfeinen Weg in den ewigen Osten!
    Hadayatullah wird mir fehlen, tut es jetzt schon, weil er das Couvert nicht mehr öffnen und nicht mehr auf meinen Brief und mein neues Gedicht antworten kann. Und er wird mir fehlen, weil mich unsere Brieffreundschaft zu immer neuen Gedichten anspornte. Eines davon schrieb ich nach seinem Besuch in der Ostschweiz, wo er im Mai 2008 in Steckborn ein Seminar geleitet und in St.Gallen im Palace ein Podiumsgespräch zum Thema „Islam – Krieg oder Frieden?“ bestritten hatte. Ich habe es ihm gewidmet und in der „Tanger Trance“ (Benteli 2010) veröffentlicht; Hadayatullah freute sich so sehr darüber, dass er es in der nächsten „Holunderground“-Ausgabe, dem von ihm herausgegebenen Little Mag, abdrucken wollte:

    21 Augen

    für Hadayatullah Hübsch

    21 Augen zählt der Würfel &
    Mit der Zeit zahlen sie
    Sich alle aus, zählen sich
    Aus: 3, 2
    1, 0 – so endet der Koran. Hau!
    California, I’m comin’ home
    Du kamst zum Schwäbischen
    Meer, in der zerfetzten Tasche
    Die Pöms aus Marokko
    Sprachst am Mikro-
    Phon von der Anderen Welt
    Im alten Kino Palace
    Vor wenig Leuten
    Friede den Hütten!
    Krieg den Palästen!
    Als Irrweg ausgemacht
    & mitten im Gebimmel & Gelall
    Der Pfaffen den Salat
    Gemacht. Love is touching
    Souls, so süss wie
    Bitter, die 21. Zeile.

    Hadayatullahs Stimme wird allerdings überhaupt fehlen, weil er wie kein Anderer an der Schnittstelle Beat-Literatur und Islam gearbeitet hat, auf einem brach liegenden Feld, das dem Mainstream nicht geheuer ist – daher die Peinlichkeit der fehlenden Nachrufe in den grossen Tageszeitungen. Das Netz ist da reicher… Hadayatullah war ein Brückenbauer sondergleichen; kein Wunder, dass ihn jene, denen Mauern – Wertungen, Standards, eine Leitkultur, der Kanon etc. – wichtiger sind als Brücken, zurückstossen wie das Weihwasser den Teufel. Doch einer, der schreiben könnte

    Ich bin tot,
    Aber noch da

    braucht das Rascheln in den Feuilletons nicht, wenn er abtritt. Hübsch lebt weiter. Auf Youtube zum Beispiel, einsehbar für alle, die das wollen, oder aber in dem enthusiastischen Langgedicht „besser als gegen mülltonnen zu kicken“ von dem blutjungen Dichter Pablo Haller aus Luzern, das bislang nur eine Handvoll Freunde kennen und das mit diesen Versen endet:

    über deinen lebenslauf
    der in der tat
    einer «aussergewöhnlichen
    jeglichen bürgerlichen rahmen des abendlandes sprengenden
    erscheinung» (faz-kündigung an dich)
    würdig war
    wurde genug geschrieben
    deine grenzenlose
    herzlichkeit
    kann
    man nicht genug erwähnen
    hübsch – ich geh jetzt
    einen schnaps auf dich trinken
    das ist nicht halal – aber es tut wohl!
    thx for everything, man!
    i’ll miss you … damn!
    allahu akbar

    Freilich lebt Hadayatullah Hübsch vor allem in seinen zahlreichen Publikationen weiter. Manche davon sind in kleinen Auflagen erschienen, verstreut; besonders diese sind jetzt zu Preziosen und Memorabilien geworden. Glücklich kann sich schätzen, wer welche von ihnen besitzt! Sie zur Hand zu nehmen und zu lesen, bedeutet von jetzt an für all jene, die den Verstorbenen gekannt haben, auch dies: ein Zwiegespräch über die Grenze des Lebens hinaus aufzunehmen. Wohin wird es uns noch tragen?
    Meinen Nachruf möchte ich mit dem letzten Gedicht beschliessen, das mir Hadayatullah geschickt hat. Es mündet in eine Message, in den Aufruf, unter all den schlafenden Zeitgenossen die Wachsamkeit für die Wirkungen der Liebe zu kultivieren. Ihm, der selbst die Auseinandersetzung mit der extremen Rechten in Gesprächen und Leserbriefen nicht scheute, kann man das abnehmen, voll und ganz.

    Fiktion

    Wenn es denn wahr wäre,
    Was Pop-Eye, Micky Maus und
    All die Comic-Helden
    Mit ihren Gesichtern und Hand-
    Bewegungen verraten,
    Wenn das, was die Zeitungen schrei-
    Ben mehr wäre als das,
    Was wir zwischen den Zeilen lesen,
    Wir blieben in unserer Kiste
    Hocken, höchstens mal ein Blick
    Durch ein Astloch,
    Merkten nicht, wie wir da zusammen
    Gekauert gespenstisch werden,
    Würden die Fesseln nicht spüren,
    Die uns die Wärter verpassten,
    So aber blieben wir hängen
    In den Spinnennetzen der Aussenwelt;
    Gut also, dass
    Wir nicht alles glauben müssen,
    Was sie da verzapfen,
    Weil bei Good Day Sunshine
    Das Funzellicht der Halogenlampen
    Eingefangen wird von
    Der blendenden Helligkeit des
    Sterns, der uns treffen mag
    Wie ein Blitz mit seinem Leuchten,
    Dass wir zu Wachhunden werden
    Inmitten der Schlafenden,
    Die nicht wissen,
    Was Liebe bewirken kann.

    „Liebe für alle – Hass für keinen!“ lautet die Maxime der muslimischen Ahmadiyya-Bewegung. Hadayatullah Hübsch hat sie vertreten und gelebt.
    Danke, Hadayatullah, für die grosse Inspiration, die du für viele von uns darstelltest und die du für viele von uns darstellst und darstellen wirst!
    Nichts ist verloren.
    Geist ist unsterbliche Transmutation.
    Bis Fadschr, mein Freund!

    Florian Vetsch, geschrieben in den Morgenstunden des 8. Januars 2011

  5. Tja, und schon isses im wikipedia vermerkt. So schnell kann man gar nicht sterben, dass es nicht sofort registriert wird.
    `Stirb langsam`ist nicht mehr.

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