Ich glaube, ich bin jetzt tot

Gestern geschah etwas trauriges. Ich verlor auf einen Schlag etwa 250 Freunde. Es war, als hätten sie alle in einem Airbus gesessen, der im Bermudadreieck verschwunden wäre. Sie sind alle noch irgendwie da, aber in einer anderen Welt. In Facebook.

Eigentlich ist es so, dass ich verloren gegangen bin. Ich bin es, der draußen ist. Es ist wie tot sein. Das Leben geht ohne mich weiter. Meine Freunde werden sich weiterhin mit wichtigen Informationen versorgen, wer gerade joggen war, und wer gestern ein Straßenschild mit seinem Namen drauf entdeckt und fotografiert hat, und wessen Hund einen Floh gefunden und totgebissen hat, und der nun seine Freunde anfragt, was er denn unternehmen solle: Beerdigung, Hund bestrafen oder einfach ignorieren?

Jetzt wo ich all das aufschreibe, frage ich mich wieder, wie es mir gelang diesen ungeheuren Mut aufzutreiben, diesen verwegenen Schritt zu setzen? Ich weiß es nicht. Die Trauer umfängt mich wie die dicken Arme eines Sumoringers, sie pressen mir die Luft aus der Brust. Ein Tor! Fürwahr!

In Hinkunft lebe ich auf der dunklen Seite des Mondes, jenseits von Microsoft und Silicon Valley. Trotzdem habe ich in der kurzen Zeit meiner Mitgliedschaft bei FB, meine Spuren hinterlassen. Unauslöschlich, wie ein verdrossen herumstapfender T-Rex im Jura. Oder sonstwo.

Ich habe viel gelernt. Zum Beispiel, dass Kunst eine Religion ist. Und dass es Kunst-Taliban gibt. Banalitätenmaniker, und dass Bedeutungslosigkeit kein Argument gegen Egozentrik ist. Dass Freundschaftspflege ein Beruf ist, der einem alles abverlangt. Das Heischen um Aufmerksamkeit, so anstrengend wie ein Kassierjob bei Aldi. Nun ja. Ich hab’s hinter mir. Ich bin tot.

Ich begnüge mich wieder, very oldfashionend, mit meinen atmenden, schreibenden, trinkenden, leidenden, sich freuenden, verzweifelnden Freunde.

Ich glaube, man wird meinen Abgang nicht mal bemerkt haben. Und das ist auch gut so.

2 Antworten auf „Ich glaube, ich bin jetzt tot“

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