Pünktlich und arbeitsscheu

Schweizer stehen im Ruf pünktlich zu einem Termin zu erscheinen.
Dem kann ich nicht widersprechen. Ich bin Schweizer. Und ich bin pünktlich. Und wenn ich einmal nicht pünktlich sein kann, rufe ich an: «Tut mir leid, ich werde mich um einige Minuten verspäten. Ich komme aber sofort, nachdem die den Lastwagen von mir runtergehoben haben.»
So macht man das.
Man sagt «einige Minuten», und das sind immer mehr als 4, aber nie mehr als 20. «Ein paar Minuten», ist als Angabe bereits etwas schwammiger, meint meistens mehr als 3, sollte aber die 10 nicht überschreiten. Mehr als 20 Minuten Verspätung ist ein Grund, einen neuen Termin anzusetzen. Oder für mich war es auch schon der Anlass, aufzustehen und einfach zu gehen.

In Basel hatte ich einmal einen Job beim Stadttheater. Bühnenzumpf, wie man hier sagt, Kulissenschieber, wie’s dort hieß. Im Status eines Tagelöhners. Man konnte sofort, ohne Angabe von Gründen, entlassen werden. Die Bezahlung war besser als gut. Die Kollegen waren Wilde.
Zocker, Trinker, Schläger, Schwerenöter. Oder alles zusammen. Erlaubt war, was gefiel. Wir erschienen betrunken, verkatert, vermöbelt, verletzt, irre, ausgeraubt, gevögelt, verlassen, halbnackt, unrasiert, abgezogen oder vollkommen pleite zum Dienst; und jeden Tag um 8 Uhr Morgens gab es mindesten einen, der sich nur mit Mühe, an einer Kulisse lehnend, auf den Füßen halten konnte, und hin und wieder zum Kotzen rausrannte. Tant pis! Das war gelitten. Aber zu spät kommen, nicht. Ein Mal, okay. Beim zweiten Mal flog man. Auch wenn’s nur 5 Minuten waren. Das war in Ordnung so und wurde von allen, ohne Murren, akzeptiert. Da lernte ich den Sinn des Spruches: «Arbeit ist Arbeit, und Schnaps ist Schnaps», kennen und lieben.

Als ich in Wien am Theater eine Karriere als Bühnezumpf startete, war es etwas anders. Wenn Arbeitsbeginn um 8 Uhr war, dann waren Schlag 8 der technische Leiter und meine Wenigkeit anwesend. Der Rest der Crew trudelte dann so nach und nach ein. Der letzte so gegen 14 Uhr. Der technische Leiter zuckte nur die Schultern. Da kann man nichts machen.
Hier war alles ein Brei. Schnaps ist Arbeit und Arbeit ist Pfirsichkompott. Panthe rei! Alles fließt, und verschmilzt zu einer klebrigen, amorphen Masse. Ist auch okay. Wenn man gerne Kompott mag.

Einige Male arbeiteten wir für Tagespauschalen. Und wenn dann der Letzte einlief, hatte ich schon 5 Stunden Arbeit hinter mir. Und weil der Kollege später gekommen war, ging er dafür ein bisschen früher. Geld kriegten wir beide gleichviel. Macht nichts. Man war ja links. Und solidarisch mit den Schwachen. (Ich habe nichts dagegen, dass diese Zeit vorbei ist.)

Wenn in der Schweiz Pünktlichkeit ein Gebot des zivilen Umgangs, der Höflichkeit und des Respekts ist, wird in Wien sehr gerne mit Unpünktlichkeit die Rangordnung festgestellt. Wer kann sich bei wem, wieviele Minuten herausnehmen? Mich stört die Unpünktlichkeit der andern weniger als meine eigene. Ich rege mich nicht auf. Wenn’s zu lange dauert, gehe ich weg. Es gibt, seit den Handys, keine Entschuldigung für unterlassene Entschuldigungen.

Zur Zeit schreibe ich mit einem Kollegen an einem Theaterstück. Er ist zufällig ein Landsmann. Wir verabreden uns, und arbeiten dann zusammen. Ich gestehe, dass ich es überaus schätze, mir keine Gedanken über nicht eingehaltene Termine usw. machen zu müssen.
Warum? Weil wir gerne den Blick auf’s Wesentliche richten, und die Arbeit dahin kriegen wollen, dass sie so gering und so leicht wie möglich ausfällt. Das hat einen triftigen Grund und
es handelt sich auch noch um eines der bestgehüteten Geheimnisse:
Schweizer sind nämlich arbeitsscheu!

Eine Antwort auf „Pünktlich und arbeitsscheu“

  1. Den Vergleich mit dem Pfirsichkomptt möchte ich mal unter die Lupe nehmen.
    Ich würde sagen, ein sehr schöner Vergleich, wenn man schwammige Arbeitsauffassung mit DOSENpfirsichen in Verbindung bringt. Ein handeingekochtes Pfirsichkompott aber gleicht viel eher einem rotwangigen Mädchen mit blonden Zöpfen, das nicht nur überaus pünktlich erscheint, sondern auch noch die restliche Belegschaft mit selbstgemachten Wurstbroten versorgt, ein Flascherl Wein im richtigen Moment hervorzaubert, frisch und forsch an die Arbeit geht und dabei sogar den Rauchern (Pfui, ihr egoistischen Schwerenöter!) ihre Pausen gönnt. Und wenn man sie am Ende des Tages auch noch ins Bett bekommt, dann kommt einem nur noch selbsteingekochtes Pfirsichkompott in den Sinn, mit einem Hauch Zimt und einer Erinnerung an Ingwer. Außerdem: Man braucht keinen Dosenöffner! Die Dose braucht man nicht zu öffnen!
    Das stößt mir unangenehm auf, wenn ein Dosenpfirsichkompott in einen Topf mit dem selbstgemachten geschmissen wird. Da muss man schon etwas kritischer mit umgehen! Da legen wir Hausfrauen Wert drauf. Weil das viel Arbeit ist, so ein selbstgemachtes Pfirsichkompott, und weil das dann unsere Arbeit schmälert, so ein Vergleich! Wir sind nemblich auch nicht arbeitsscheu!

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