Der Blogger als vermeintlicher Roadkill

So. Frau Hegemann hat also abgeschrieben. Und sie gibt es freimütig zu. Das ehrt sie gewissermaßen. Der Blogger Airen, von dem sie geklaut hat, keift deswegen nicht rum. Das ehrt ihn noch mehr. Sehr cool.

Nun, Autor sein, heißt: Abschreiben. So ist das. Ich habe es getan, Henry Miller tat es, Bertold Brecht sowieso, Tolstoj und so weiter. Manchmal lässt es sich gar nicht verhindern. Manchmal erfindet man Dinge, die schon erfunden sind. Ich dachte, zum Beispiel, dass ich den Ausdruck: notwehren, genotwehrt, erfunden habe. Habe ich nicht. Wie ich gerade neulich erkennen musste, als ich wieder einmal die Essays von Benjamin Korn las. Und so geht es beinahe laufend. Ist das schlimm? Irgendwie nicht.
Schnulzenmeister Zaimoglu stand auch mal im Ruf, bei einer türkischen Kollegin abgekupfert zu haben. Er habe nicht, sagte er. Sah aber ganz so aus. Man weiß es nicht. Frau Hegemann sagt frank und frei: Jawohl, ich habe. Sie begründet es. Es ist gut, dass sie nicht rumdruckst. Außerdem lebt sie in einem Land, das von Staateswegen Diebe anfüttert.

Ich habe das Buch von Frau Hegemann nicht gelesen. Nur eine lange Leseprobe. Sehr stark. Ich werde das Buch vermutlich nicht lesen, weil ich keine Bestseller lese. Schweizer sind stur. Dass Frau Hegemann bei dem Blogger Airen gekupfert hat, ehrt diesen und wird helfen, sein eigenes Buch «Strobo» besser zu verkaufen. Der kleine Verlag wird sich auch freuen.

Es haben auch schon Autoren bei mir geklaut. Das ist, so heißt es, das größte Lob.
In diesem Sinne: Autoren beklaut euch gegenseitig und schreibt gute Bücher. Damit ist allen gedient. Auch mir, als Leser.

P.S. Ich empfehle dem Verlag von Airen, das Buch von Hegemann nachzudrucken und es einfach anzubieten. Oder sie könnten den Roman «Aoxotl Roadkill» auf ihrer Homepage veröffentlichen. Das müsste Frau Hegemann gefallen.

3 Antworten auf „Der Blogger als vermeintlicher Roadkill“

  1. @Hingucker.
    Ich möchte ihrer Argumentation gar nicht widersprechen, die hat durchaus was für sich, möchte aber noch einen Aspekt hinzufügen: Frau Hegemann wird noch lange, lange den Makel der Plagiatorin mit sich tragen, währen AIREN für immer der Mann sein wird, der für den Erfolg eines Bestsellers zeichnet. Es wird ihm nicht zum Schaden gereichen.

    Einige werden sich noch an den Plagiatsskandal des «DaVinci Codes» erinnern, als 2 Autoren behaupteten, dass Dan Brown aus ihrem Werk abgekupfert hat. Das Ding geisterte eine Weile durch die Presse. Mächtig Publicity für beide Bücher, deren Verlage, wie könnte es anders sein, auch noch demselben Hauptverlag angehören.

  2. @Andreas Niedermann,

    bei Ihrer Argumentation gibt es ein paar Widersprüche:
    1. Frau Hegemann gibt zu, dass sie abgeschrieben hat? Ja, aber nur, weil man es ihr nachweisen konnte. Und angesichts der Überschneidungen gab’s da wohl nicht viel zu leugnen.
    2. Das Buch Strobo wird doch nicht besser verkauft, weil Frau Hegemann abgeschrieben hat! Es wird wahrscheinlich jetzt besser verkauft werden, weil jemand anderes aufgedeckt hat, dass sie abgeschrieben hat! Das sind zwei völlig verschiedene Dinge.
    3. Ihr eigenes Abschreiben (genotwehrt)
    funktioniert als Vergleich ebensowenig. Denn es war keines – wie Sie ja selbst geschrieben haben.
    Das mag bei Ihnen glauben oder Herrn Zaimoglu nicht – aber darauf kommt es nicht an. Das eine ist die Frage: Wurde die Tat begangen. Das andere die Frage: Kann man die Tat beweisen?
    Und – um in der Terminologie zu bleiben – da waren die Indiziem im Fall Hegemann einfach erdrückend.
    4. Generell finde ich es ärgerlich, wenn – bei Ihnen nicht explizit – in der Diskussion, öfters so getan wird, als ginge es um ähnliche Einfälle oder ein, zwei Worte.
    Aber die Szenen, die ich gelesen habe (das Buch kenne ich ebenfalls nicht), waren fast wortwörtlich abgeschrieben – mit mehreren vom eigentlichen Autoren selbst erfundenen Worte – und genau wegen solcher Wortschöpfungen ist Frau Hegemann in den Himmel gelobt worden.

    Darum: der Verlag trägt sicher eine Teilschuld. Und Frau Hegemann hat relativ gut reagiert, als sie Sache aufflog – insbesondere dafür, dass sie erst 16 ist.
    Aber all dies macht aus einem geistigen Diebstahl weder eine Inspiration noch einen Prototypen für eine vermeintlich neue Form des Schreibens, die die Generation Internet betreibt.

  3. Fräulein Hegemann ist eine kluge, beneidenswert unpolitische, unkorrekte, aber fleißige junge Frau. Ihre Aussagen zu lesen macht großen Spaß. Sie ist möglicherweise keine große Literatin, aber auf jeden Fall eine geile Künstlerin! Ihr Buch werde ich, vielleicht, irgendwann einmal lesen. Das Buch von Airen sicher nie. Hätte Bernd Cailloux (Das Geschäftsjahr 1968/69) nicht die Stroboskopkugel in die Discos gebracht, stünden diese Zeilen nicht hier. Empfehlenswerte Literatur!

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