Der Autor als Jukebox Vl.

Die äußerst großzügige Spende des Gönners Jakob G. ist völlig unerwartet, und deswegen umso erfreulicher, eingetroffen. Der Autor bedankt sich und spielt.

Als ich einmal von einer Kollegin, einer Drehbuchautorin, zu ihr nach Hause eingeladen wurde, war ich verblüfft. Hatte sie nicht vorher offen darüber geredet, dass ihr Haushalt äußerst chaotisch und unordentlich sei, und ich bitte, bitte entschuldigen müsse usw.?

Als ich bei ihr ankam und mich ein wenig umsah, konnte ich erkennen, dass das Gegenteil wahr war, blitzeblank alles, aufgeräumt; die Fenster, durch die die Abendsonne schien, waren geputzt und schlierenfrei, kurz, ein Juwel, und sie hätte das Chili ohne weiteres einfach auf den Küchenboden kippen können, ich hätts ohne Zögern, im Schneidersitz, von den Fliesen gelöffelt.

Was war da los? Sie erklärte es mir: Sie stecke in einer kleinen Schreibkrise, sagte sie, sie komme nicht weiter mit ihrem Drehbuch, sie hänge irgendwie durch; und das Schlimmste sei, dass sie sich vor der Arbeit drücke, und um dieses Herumdrücken erträglicher zu machen, fange sie an zu putzen.
Der Zustand ihrer Wohnung sprach beredt von einer ernsteren Schreibkrise.

Meine Art, mich vor der Arbeit zu drücken, ist, mich herumzustreiten. Auf Foren von Tageszeitungen z.B., mit E-Mails oder auch mal mit Blogtexten. Ich versuche Leute in Diskussionen zu verwickeln, Schwachstellen rauszufinden, Deckungen zu durchbrechen; Lücken zu suchen, durch die ein guter Punch zu landen ist. Der Übergang vom richtigen Argumetieren in einer Sache, bis zum Ausleben der Streitlust ist fließend. Denn es ist durchaus lustvoll zu versuchen, jemanden kleinzukriegen. Aber das funktioniert nicht immer. Manchmal wird man selber fertig gemacht. Weil man zu sorglos eingestiegen ist und gleich zu Beginn, aus Schlampigkeit und Unterschätzung des Gegners, einen Fehler macht; zu wenig versiert ist und sich aufs Eis hat ziehen lässt, in Hinterhalte gelockt wird, sich hoffnungslos in Halbargumenten verheddert und Trümpfe ausspielt die kalt abgestochen werden, usw.

Kurz, es ist eine Art Kampf. Die alten Griechen nannten es Disput. Sie schulten sich darin. Eine Variante des Unterrichts war, nicht den eigenen Standpunkt zu vertreten, sondern den Gegenteiligen. Man kann es ein geistiges Sparring nennen. Man trainiert etwas ganz bestimmtes. Wie man sich beim Boxsparring auf die Eigenheiten, das Können und die physischen Gegebenheiten des wirklichen Gegners, vorbereitet.

Was hat das alles für einen Zweck? Es ist eine zivile Art – sowohl das Boxen als auch der Disput – das Mördertier im Menschen zu zähmen. Und als ich heute morgen darüber nachdachte, schweifte mein Blick über das Bücherregal und es blieb auf «Benjamin Korn / Kunst, Macht und Moral» hängen. Ein schmaler Band mit Essays des Theatermannes und Schriftstellers. Ich las «Die manichäische Falle«. Der Essay beginnt mit den Worten:

Wie kommt es, dass jeder von uns glaubt, jederzeit Recht zu haben, und zwar mit solcher Leidenschaft, dass er bereit ist, seinen Tischnachbarn niederzuschreien, im ein Glas Schnaps in den Kragen zu schütten, ihn windelweich zu prügeln?

Es ist ein formidabler Text, gerade wenn man darauf wartet, dass sich das kleine Mädchen erhebt, damit man ihm Frühstück machen kann. Es ist ein harter Text. Vor allem auch, weil der Autor Benjamin Korn sich ebenfalls zur Disposition stellt. Ist es ein deprimierender Text? Steht da weiter vorne nicht:
Kurz, unsere mörderischsten Aggressionen suchen sich in unsern Köpfen eine edle Moral, und wenn sie keine edle finden, eine heroische Feindschaft, einen Religionskrieg, eine Strafexpedition, dann prügeln sich ahlt zwei Bauern um einen Quadratmeter Erde, und die Kinder setzen die daraus entstehende Todfeindschaft fort. Die Gründe? Haben wir vergessen.

Aber es ist ein wahrer Text. Das wird umso klarer, je weiter ich lese. Fast atemlos. Gierig. Gierig auf was? Auf eine Art Erlösung? Dass es doch nicht ganz so schlimm um uns bestellt sein möge. Kommt aber nicht. Es wird noch schlimmer. Obschon es erst nicht danach aussieht. Korn, der Theatermacher spricht über die Kunst, die Katharsis, das Mitleiden.

Müde in eine Theater gehen und zwei Stunden später wach herauszukommen, freundlich zueinander, enstspannt und frei zu sein, großzügiger, «besser» zu sein als eben noch beim Hineingehen.

Wer kennt es nicht, dieses Gefühl. Nach dem Kino. Nach der Lektüre eines wahren Buchs.

Die Kunst erlaubt es uns, jene Fähigkeit zum Mitleiden auszuleben, die wir in der Wirklichkeit, zugunsten unserer egoistischen und herrschsüchtigen Impulse, zurückstellen und vernachlässigen müssen. Ihre Wirkung ist kruzfristig wie die eines Traums.

Und dann:
Katharsis ist ein vorübergehender Sieg gegen den Hass in uns, der aber aus einer unstillbaren Quelle in uns kommt.

Ist das nun wahr? Es ist. Immer wieder wundere ich mich darüber, warum der Pegel meiner Wut ansteigt, auch ohne sichtbare Anlässe. Ich werde mit Zorn gleichsam «aufgeladen». Wo ist die Stromquelle?

Haben wirs nun kapiert? Sind wir hoffnungslos verloren im Manichäismus? Noch einmal fordert Korn etwas von uns:

…Die nicht zuunterschätzde Macht der Dummheit besteht darin, dass sie ihre Sätze unendlich oft wiederholt…Die Dummheiten werden seit Jahrhunderten wiederholt, und die abhängigkeitserzeugende Kraft des Gebets liegt in der puren tausendfachen Wiederholung der Litanei. Ebenso müssen wir unentwegt die Wahrheit wiederholen; aber man muss das Gefühl von Peinlichkeit und falscher intellektueller Scham abschütteln; es wäre unverzeihliche Blasiertheit es nicht zu tun! Wir müssen jedes Vorurteil, jede rassistische Äußerung ausreißen wie Unkraut im Denken…Es ist ein Graben-undAbnutzungskrieg, bei dem die Dummheit die besseren Waffen hat…

Das wird von uns gefordert. Nicht mehr, und auch nicht weniger.
Korn beschliesst seinen Essay, in dem er uns endgültig reinen Wein einschenkt:

Wir sind ewig dazu verflucht, unsere Ideen vom Dasein weder zum Leben erwecken noch aufgeben zu können; und so läuft neben der Erfahrung vom Schlimmen und Bösartigen der Welt immer die Idee des möglich Guten vor uns her, wie die Karotte vor dem Mund des Esels, die ihn laufen macht und die er nie erreicht.

Wie seltsam. Oder auch nicht. Mir fiel nun dieser altgewordene Veteran aus Sacremento ein, der in Ken Burns Film The War, seine erfahrene Hölle in den Ardennen beschrieb: die Qual der Müdigkeit, des Hungers, der Kälte und der niemals schlafenden Todesfurcht; wie er mit dem altersmilden Lächeln des guten Mannes sagte: Man sagte sich immer: wenn die Kameraden das ertragen können, dann kann ich das auch!

Benjamin Korn
Kunst, Macht und Moral
Essays
Suhrkamp Taschenbuch

4 Antworten auf „Der Autor als Jukebox Vl.“

  1. Darf ich noch ganz provokativ die anderen Leser auffordern, auch zu «spenden»?
    JEDER Rappen zählt! Wie wir gerade in der Schweiz in einer tollen Aktion zu Gunsten/Lasten der Malaria erfahren haben.

  2. …deutsche Sprache – schwere Sprache. Der geneigte Leser mag mir meine Verfehlungen im vorangegangenen Kommentar verzeihen.

    Ich versichere aufrichtig, Matura zu haben.

    Ihr Frank

  3. Verehretr Herr Niedermann,

    ich fühle mich ein klein wenig beschämt bzgl der «äußerst großzügige Spende des Gönners Jakob G.».
    Obwohl selbst mein eigener Vater meine Wohnung als «Bruchbude» bezeichnet geht es mir nicht SO schlecht, als dass ich Ihnen nicht den einen oder anderen Schilling zukommen lassen könnte.

    Auch wenn ich es mir durchaus anrechne, dass erst durch den von mir gewünschten «Der Autor als Jukebox» – Beitrag dem geneignet Lesern Ihre Situation gegenwärtig geworden sein mochte. Ich überweise Ihnen nochmals Geld. Wahrscheinlich wesentlich weniger als jener Gönner. Aber ich lebe wirklich unterhalb des offiziellen Existenzminimums der Schweiz.

    Ihr demütiger Frank

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