Sunday moaning comin› down – Poetry

Franz Dobler (*1959) hat sein ganzes Leben an Lech oder Isar verbracht und denkt manchmal schon darüber nach, ob das gut so war. Und was er schreiben muss, damit er sich ein kleines Appartement in Nashville leisten kann. Vielleicht bekommt sein dritter Gedichtband deshalb den Titel „Dracula und andere Vampirgedichte“. Warum eigentlich nicht?

WARTEN AUF WAITS

tom waits zum sechzigsten

Als ich 20 war
wollte ich sein wie Tom Waits.
Ich mochte seine Musik
ich mochte sein Image
vor allem sein Image mochte ich.

Auf Partys saß ich allein
in der Ecke, betrank mich und
versuchte den Eindruck zu machen
man solle mich besser nicht ansprechen
wenn man keine interessante Frau war.

Mein Freund, der Dichter Thomas Palzer
nannte mich, war er in Stimmung
mit nem doppeldeutigen Grinsen
Tom Waits – hey, du kannst aber
jetzt noch gar nicht gehen, Tom Waits!
Auch wenn ich gar nicht mehr ging.

10 Jahre später
war mir dieses Image längst
viel zu romantisch geworden
und meine Seele wollte nur
noch mit Prince oder Cramps schlafen
und außerdem war ich Vater geworden.

Ich schaffte es auf gewissen Partys
ohne einen Tank voll Bier, Wein, Schnaps.
Etwa zu dieser Zeit
(der Staub, der beim Mauerfall tobte
hatte sich in den Lungen abgesetzt)
verschwand Waits´ in meinem Hintergrund

zuviel Theater
zuviel Kunst
zuviel Pose, jetzt viel
zuviel Pose.

Aber ich nahm´s ihm nicht übel.
Ich versteh den Künstler, der sich ändert.
Manchmal hörte ich eine alte Platte.
Ihre Wirkung war immer noch groß
doch die Wirkung von damals
kam nie wieder, konnte nicht
ging doch nicht und machte nichts.

Als ich dann, wieder 10 Jahre später
gefragt wurde, ob ich mit Waits
in Kalifornien sprechen wollte
sprang ich also nicht an die Decke
doch erinnerte mich gut
dass ich 20 Jahre zuvor
bei diesem Angebot mehrere Decken
durchschlagen und durchschossen hätte.

„California, here I come!“

Tom Waits´ Stammkneipe war
ein allein stehender, lang gestreckter
schlecht verputzter eingeschoßiger Bau
halbe Stunde weg von San Francisco
an diesem Highway, auf dem schon
die erste Generation der Hell´s Angels
so gern gebrettert war.

Vom Basislager der Journalisten in Petaluma
fuhren mich die Männer der Plattenfirma hin
High Noon und die Sonne feuerte erbarmungslos
und er kam nicht, warten auf Waits
5 Minuten, 10 Minuten, 30 Minuten.
Doch ich blieb ruhig, weil ich sah
dass die Männer von Anti-Records
vollkommen ruhig blieben.

Es war auch so genug los.
Der holländische Wirt der Restaurant-Bar
die bei uns keine Lizenz
von der Restaurant-Polizei bekäme
zeigte mir sein von Jeanne-Claude
und Christo gestaltetes Gästebuch.
Sie hatten auf den Weiden in der Nähe
monatelang einen Zaun verkleidet
der dann meilenlang weiß im Grün strahlte
weil sie vielen Menschen nicht nur Abenteuer
sondern auch Arbeit gegeben hatten
während hinter dem nächsten Hügel
der See lauerte, an dem Hitchcock
seine Vögel gedreht hatte.

In der letzten Ecke des großen Parkplatzes
lagerten drei abgerockte Wohnwägen
und davor ein paar Leute.
Ich schlenderte rüber, blieb stehen
bei ihnen, sagte Hallo, war bereit, mich
als deutscher Journalist vorzustellen –
Hello, sagten sie vorsichtig, die White Trash-Leute
der weiße Menschenmüll.

Was ist denn hier eigentlich los?
sagte der eine Müllmann
gestern auch so viele Fremde, ist was?
Tom hat ne neue Platte gemacht
sagte der andere, der nah bei der Frau.
Ja, sagte die Müllfrau auf dem Stuhl
mit dem schlafenden Baby im Arm
neues Album von Tom, glaub ich, ganz neu.
Okay, sagte der erste Müllmann
Tom hat wieder ne neue Platte
okay, dann ist mir das klar.

Und dann fuhr ein riesiger
schwarzer Jeep auf den Parkplatz
und der Kies brüllte, als er hielt.
Da war er also, ihr Tom
und hob die Hand zum Gruß.

The End –

(geschrieben, und vom Mitteldeutschen Rundfunk in einer kürzeren Version gesendet, am Geburtstag, 7.12.2009, und fünf Tage später für Sunday Moaning Coming Down frühmorgens, als ich im Fenster allmählich den ersten Schnee erkennen konnte, stark überarbeitet)

2 Antworten auf „Sunday moaning comin› down – Poetry“

  1. …wahrscheinlich einer der besten Songwriter..aber was mich wirklich am meisten berührt sind die Staniolkonfetti….vielleicht ist es das Kind in mir, die sexuelle Bildkraft der Glitzerfontaine oder einfach der Traum von einem winzigen Zirkus am Rande der Wüste…. wo geschminkte Zwerge den Vorhang lüften……und bärtige Frauen strippen….

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