Spiel mir das Lied der Harmonika

Gestern spielten sie wieder mal «Once upon a time in the West», der auf Deutsch halbsinnigerweise: «Spiel mir das Lied vom Tod» heißt. Dieser Film ist nicht nur der Western mit dem schärfsten Suspense, sondern auch ein Meilenstein in der Kinogeschichte und gehört zum Weltkulturerbe; ein Drama von wahrlich Shakespearschen Ausmaßen: Gier, Rache, Liebe, Korruption, gigantische Lebensträume, Cleverness, Mut, Sadismus und so weiter und so fort.
Und der Regisseur Sergio Leone hat zusammen mit dem Komponisten Ennio Moricone nicht nur ein beeindruckendes und unvergängliches Kunstwerk geschaffen, sondern er hat uns auch gezeigt wie die Hautporen von Charles Bronsons Augenpartie in Cinéscope aussehen: Nämlich wie Oma Lummermanns Schmalztöpfe.

Und trotz alledem hat der Film einen Fehler. Sogar zwei. Und ich gäbe einiges darum, den Hergang der Konflikte in der Filmcrew, die es zweifellos gegeben haben muss, als Story nachgeliefert zu bekommen.
Die Fehler sind für jeden erkennbar, obschon sie nur Details betreffen und kaum jemandem auffallen mögen. Aber wenn man weiß, wie besessen Leone an Details gearbeitet hat, am setting – die fama geht, dass er stundenlang Ketten und Gerätschaften in einem Stall umhängen konnte, bis er endlich «Action!» flüsterte -, der ahnt, dass bei dieser Angelegenheit wohl nicht die Colts, aber sicher die Köpfe geraucht haben müssen. Aber damals, in den 60-ern gab es noch keine Digitalkameras, die es den Requisteur/Innen und Scriptgirls – denn auf deren Konto geht der Fehler – anhand von Mustern erlaubten, die Positionierung und den genauen Einsatz der Requisite zu überprüfen.

Die Fehler betreffen den Showdown. Als sich Frank und Harmony zum finalen Duell gegenüber stehen, wird dem Zuschauer durch Rückblenden klar, warum Harmony Frank gejagt hat, und auch warum er die Mundharmonika blies. Wir sehen nun den jungen Harmony, auf dessen Schultern sein Vater steht, die Schlinge um den Hals. Wenn Harmony die Kräfte verlassen, stirbt der Vater. Der sadistische Frank hat Harmony eine Bluesharp zwischen die Zähne gesteckt.

Die Blechverkleidung der Bluesharp ist, wie wir in der ersten Einstellung (eine Nahaufnahme) sehen können, oben eingedellt, als hätte Harmony draufgebissen. Schnitt zum Duell. Wieder Schnitt zur Hängeszene. Nun ist die Delle unten, als hätte Harmony sie als Kunststückchen (seine Hände sind auf den Rücken gefesselt) mit der Zunge umgedreht. Schnitt zum Duell. Wieder Schnitt zur Hängeszene. Jetzt ist es eine ganz andere Bluesharp. Glänzend, ohne Delle, brandneu.

Anzunehmen, dass dieses Detail sowohl dem Cutter als auch Sergio Leone beim Sichten der Muster entgangen ist, ist so wahrscheinlich, wie Frank vor dem Duell zu den Zeugen Yehovas konvertiert.
Dass diese Szene, fehlerhaft wie sie war, einfach drin blieb, ist ein Ding. Mehr noch: Eine Story. Ich hoffe, dass ich sie eines Tages erzählt bekommen werde.

2 Antworten auf „Spiel mir das Lied der Harmonika“

  1. Das is ja n Dicker Hund, lieber Franz. Gerade, als ich Doc’s blog gelesen habe, dachte ich mir, welch Parallelluniversum: Gestern Nachmittag hing ich mit meinen Töchtern vorm Fernseher ab und wir zogen uns «Heidi» rein. Wir lagen am Sofa, fest umschlungen, und haben vier Stunden lang geheult, während die Männer in der Küche über geile Schlagzeugsoli und sinnvolle hardware, zu bedenkende Probleme bei Bohrungen in Toms und das Themahatkeinendenicht diskutierten. Von Zeit zu Zeit guckten sie nach uns und gingen Kopfschüttelnd wieder an ihren Arbeitsplatz – ein vollgeräumter Tisch mit Keksen, Eierschalen, Prospekten und Bier. Sie verstanden das einfach nicht. Wie kann man so eine Scheiße nur eine Sekunde lang ertragen! Ich hab keinen Regiefehler entdeckt, meine Augen waren dauerverschwommen und heute morgen hatte ich Krusten sogar in den Wimpern. Es tut mir leid, dass euch, liebe blogleser, immer wieder Kommentare von so einer Bekloppten den Tag versauen, wo es doch viel wichtigere Themen zu behandeln gibt- deren Dringlichkeit ich jedoch auch erkenne, sonst würde ich hier im blog längst verstummt sein. Lieber Doc, ich halte Sie für einen äußerst feinsinnigen und wortreichen Autor, der uns hoffentlich noch weiter erfreuen wird. In diesem Sinne, auf gutes Neues!

  2. Den Film habe ich kürzlich in einem Berliner Kino seit Jahren mal wieder gesehn, und zwar durchs kleine Fenster des Vorführraums, und nicht ganz, aber immer wieder eine Viertelstunde.
    Die Filmrollen ächzten unter Tonnen von Zelluloid, und nicht nur, dass ich sowieso kein Wort hören konnte, es war so ein Heidenlärm, dass ich eh nichts hätte verstehen können.
    Irgendwie bekam der Film dadurch eine spezielle Aura, und ich war dermaßen gefesselt, dass mir natürlich niemals die geschilderte Sache mit der verkehrten Mundharmonika aufgefallen wäre.
    Nichtsdestotrotz wünsche ich allen Songdog-Bloggern (die guten Willens sind) ein allerbestes 2o1o. – Und im Übrigen bin ich der Meinung, dass Frau Völk den Preis «Songdog´s Blogger 09» bekommen sollte. Was könnte der Preis sein? Vielleicht ein Thema ihrer Wahl, dass von Doc Songdog behandelt wird?

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