Bin ich Gut Mensch?

Ich erhielt neulich eine Mail von einem intelligenten Menschen. In dieser Mail bezog er sich auf den, oder die Blogs, in denen ich mich über den polizeilich in den Rücken «genotwehrten» Einrecher im Kremser Supermarkt ausgelassen hatte.

Er schrieb u. a. folgendes:
«Du malst einen Sachverhalt auf und man sieht einen kleinen Jungen, durchsiebt von Polizeikugeln, in einer Blutlache liegend, mit einem Lolly in der Hand.
Kein Wort von der Vermummung mit Sturmhauben oder der Bewaffnung mit Schraubenzieher und Gartenkralle.»

Da hatte er recht. Kein Wort davon. Warum? Weil es nicht wichtig war. Die Untersuchungen haben ergeben, dass der Polizist weder Gartenkralle noch Schraubenzieher gesehen haben konnte, da diese unter der Jacke steckten.

Gut. Weiter schrieb er:
«Kann sein, dass die Streifenbeamten mit der Situation überfordert waren. Kann sein, dass man taktisch anders reagieren hätte können. Kann sein, dass der Tod des Jungen hätte verhindert werden können. Aber als Beispiel für staatliche Willkür und Rassismus, taugt die Geschichte verdammt wenig. Doch der politische Mensch braucht immer ein Feindbild.»

Das stimmt auch. Zumindest zum Teil. Es ist aber nicht nur dieser eine Fall, sondern beinahe quartalmäßig werden in Österreich Leute von der Polizei erschoßen. Und niemand mag sich damit auseinandersetzen und die Verantwortung dafür übernehmen.

Ich zitiere mich – schändlicherweise – selber.
Aus «Das Flackern der Flamme bei auffrischendem Westwind» (2006)
Innerhalb weniger Monate wurden in Wien 3 Männer von der Polizei zu Tode gebracht. Zwei starben durch Kugeln, einer wurde erstickt. Man fackelt nicht lange. Es bestand – so wurde später festgestellt – in keinem Fall die Notwendigkeit zu töten. Es kam zu Prozessen gegen die beteiligten Beamten. Die Urteile fielen ebenso lachhaft, wie – für die Angehörigen der Opfer – demütigend aus. Das überaus gnädige Urteil für einen Beamten, der einen mit Plastikflaschen bewaffneten Mann durch Schüsse in den Bauch getötet hatte, macht geradezu schwindeln: Der Richter folgte der Begründung des Verteidigers, der die Schuldlosigkeit seines Klienten damit argumentierte, dass dieser im Schusswaffengebrauch nicht richtig ausgebildet sei.
Aber die Republik ist nicht klagbar.
Der Faschismus im Rechtsstaat: Bilde die Beamten überhaupt nicht mehr aus! Seither ist mit allem zu rechnen. Man soll sich vorsehen. Keine Widerrede.
Ach ja, ich vergaß: Bei den Getöteten handelt es sich um die Adressaten des vielleicht doch nicht so speziellen Wienerrassismus: Der Tirk (Türke), der Bimbo (Schwarzafrikaner) und der Tschusch (Südosteuropäer).

Seither wuchs die Liste der Abgeknallten:
Ein Dealer, im Auto sitzend. Von hinten.
Ein Rumäne auf einer Autobahnraststation, ebenfalls im Auto sitzend. Auch von hinten.
Ein Motorraddieb. Von hinten.
Alles Notwehr?

Der Mann, der mir die Mail schickte, ist in gewisser Weise ein Privilegierter. Er ist nämlich Deutscher. Und es gibt kein mir bekanntes Land, das sich in den letzten 30 Jahren so erfolgreich Richtung Rechtsstaat und Coolness entwickelt hat, wie Deutschland. Man hat den alten Untertanengeist sehr erfolgreich gedimmt. Es gibt eine Öffentlichkeit. In Österreich gibt es «Krawallblätter» (© Hans Rauscher).
Das ist, finde ich, nicht ganz unerheblich.

Weiter war in der Mail zu lesen:
Egal Andreas, ich denke, dass du ein guter Mensch bist. Dich kotzt einfach nur der soziale Faschismus an, der in jedem zweiten Menschen steckt. Aber weder du noch ich werden die Welt ändern. Nicht mal zusammen. Und wenn doch, wird man uns vielleicht irgendwann mal erwischen, wie wir unsere eigenen Freunde foltern…als wären wir die Che´s aus Berlin und Wien…..

Nun, bin ich ein guter Mensch? Glaub ich nicht. Jedenfalls nicht mehr, als jeder andere, der sich ein wenig bemüht. Warum ich dann dauernd «rumkreische», wie das mal jemand ausgedrückt hat?
Purer Selbsterhaltungstrieb. Wenn’s durchgeht, dass man den «Bimbo», den «Tschuschen», den «Tirken» einfach konsequenzenlos niederballern kann, wie lange dauert’s wohl, bis ich, der ich vielleicht nicht gerade vor Ehrfurcht aus den Latschen kippe, wenn der Herr Polizeioberkommerzialhofrat mich anspricht, genotwehrt werde?

Ich habe nichts gegen Polizisten. Im Gegenteil. (Und das, obschon ich persönlich ein paar kannte und sie beim Gewichtestemmen und danach erleben durfte.) Sie haben einen oft heiklen, gefährlichen Job. Ich empfinde keinen Hass gegen sie. Warum sollte ich?
Es kann vorkommen, dass die Dinge beschissen laufen. Und es gehört zum Berufsrisiko eines Kriminellen, dass er eine Kugel abkriegen kann.

Aber es gibt auch etwas anderes. Und dies hat mir der Mann aus Deutschland ebenfalls zukommen lassen, nämlich die Worte David Kronenbergs :
„
«Die Basis ist eine existenzialistische Sicht der Realität. Das bedeutet: Es gibt keine absolute Realität. Es gibt nur ein oder zwei Tatsachen über das Leben: – die eine ist der Tod, eine weitere das Leben. Dazwischen müssen wir alles selbst erfinden und hervorbringen.»

Aber das ist nicht alles, das hat seinen Preis oder eine Prämisse:

«Die Verantwortung dafür ist ganz und gar unsere eigene, –niemand nimmt uns das ab.»“

Das war die Predigt für Freitag. Ab zum Gebet!