Das dicke Kind

Lieber Henk,
ich rede nicht lange rum: Deine Aussage, dass es hier keine dicken Kinder gibt, stimmt nicht. Es gibt welche!
Gestern hab ich eins gesehen. In Heiden. Es versperrte mir mit dem Fahrrad den Weg auf dem Trottoir. Es warf sich gerade ein paar Chips ein, und sah mir entgegen, mit diesem eigenartigen, irgendwie tot aussehenden Gesichtsausdruck, den man oft bei Teenagern ausmachen kann; dieser innerliche Geburtsvorgang in einem verklumpten und verklebten Gehirn.

Das Kerlchen war echt fett, und es bewegte sich naturgemäß nicht einen Millimeter, drehte das Vorderrad nicht ein, damit ich durch konnte, ohne auf die Straße zu treten. Ich weiß nicht, wie es dir ergeht, aber dicke, mampfende Kinder mit stupidem Gesichtsausdruck machen mich latent aggressiv. Ich muss immer an mich halten. Cool, cool bleiben, Alter.

Aber beinahe auch schon naturgemäß, latschte ich einfach in dieses Vorderrad rein, und ein paar Chips flogen durch die Luft. Ich blieb stehen. Ich hegte die nicht unbegründete Hoffnung, dass Kerlchen mich vielleicht beschimpfen möchte. Weil, und jetzt kommt es, ich wollte ihm Schmerzen bereiten! Das war mein Begehr. Feine, kleine Schmerzen, aber so, dass mir niemand was anhängen konnte. Keine Schläge oder ähnliches. Nur ein schneller Griff in die Haare, zupacken und drehen. Feines Peinchen, mein Lieber.

Erinnerst du dich noch, ans «Grännihaar»? Der Haarbesatz vor den Ohren, an der Schläfe, an dem uns die Erzieher so gerne aufzogen. Möcht ich auch tun, mein lieber Henk, ich gestehe es freimütig, ich wollt’s auch tun.

Aber Kerlchen schimpfte nicht. Es war halb versunken in seinem hochkalorischen Urschlamm, das es sich als Chips in’s fette Mäulchen schob. Schätze mal, es machte sich dann auf den Weg in sein Supi-dupi-Einzelzimmer, schiss auf dem Weg durch die Wohnung noch schnell Mutti zusammen, die was von «Vati» murmelte, und griff nach dem Joy-Stick.

Dieses Kerlchen wird seinen Eltern noch richtig Freude bereiten, soviel ist gewiss, und sie werden es bedienen wie Sklaven. Irgendwann, auf dem bitteren und langen Weg ins Altenheim, werden sie vielleicht noch die Gelegeheit haben, in einer Fernsehsendung ihr Leid der versammelten Nation klagen zu können, ganz kurz bevor Kerlchen Mutti und Vati mit einem stumpfen Küchenmesser abschlachtet.

Das, lieber Henk, ging mir törichterweise so durch den Kopf, während ich weiterging. Ich lächelte in mich hinein, und wusste auch nicht genau, warum eigentlich…

4 Antworten auf „Das dicke Kind“

  1. Dürrenmatt hatte Ranzen, Tucholsky war keine Bohnenstange, Thompson, Fauser, Glauser, ja, vielleicht liegts an den Drogen, lass doch die Fetten in Ruh oder ist Sanidog eine Krankenkasse.

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