Sprachbilder

Eine neue Metapher ist im Umlauf: «Seine Tage sind angezählt». Gelesen in der «Zeit», gehört im Fernsehen. Überhaupt toll, was da alles kursiert. Kaum mehr jemand, der die Sprachbilder richtig zusammenkriegt. Macht ja nichts. Wir wissen eh, was gemeint ist. Und interessieren tut’s auch nur Nachbars Lumpi oder die nächste Sau, die durch die Grube geworfen wird…

«… Damit hatte er sich eine zweite Standschiene eruiert, und konnte endlich mit harten Handtüchern fighten. Denn das Geschäft lief wie durch ein Nadelöhr. Den Zulauf der Kundschaft verdankte er vor allem seiner Mutti, die immer wieder in die Grube gesprungen war, wenn gerade Not im Ring war. Aber das kennt wohl jeder, der sich mit der Materie beschäftigt und nicht den Kopf in den Wald steckt, wo der Himmel voller Alarmglocken hängt, falls er den Mut aufbringt über seinen Schatten hinauszuwachsen. So ist es doch: Die dümmsten Bauern hängen eben am längeren Hebel, dagegen ist ein Quantensprung nur eine zottlige Anekdote die keinerlei Relativtität besitzt, und gegen die noch kein Kraut geraucht wurde. Wir können von Glück reden, wenn es nicht Pech und Schwefel regnet oder Katzen, Hämmer und all so’n Zeuch. Danke für’s Zubrot, dass ich mir auf diesen steinigen Pfründen abschwingen kann!»

… finden laufend untergriffige Beleidigungen ungeahnten Ausmaßes statt…©Franzobel

Wer sich dieser Tage «medial» etwas umschaut, stößt allerorten auf Thomas Bernhard. Denn morgen, am 9. Februar, wäre er 80 Jahre alt geworden. Er hat es leider nicht geschafft. Er starb im Februar 1989 an Morbus Boeck.

Ich reihe mich nicht in die Schar der postmortem Gratulanten ein. Nur soviel: Bernhard hatte recht. Mit so ziemlich allem. Und die 3 schmalen Romane der «Keller-Trilogie» sind eine Offenbarung. Gut, das musste jetzt sein. Befließen nehmen sich die Kollegen des Koffers an, und machen den Dienstmann. Zum Beispiel wartet Franzobel im Standard mit tollen Stilblüten auf: » … finden laufend untergriffige Beleidigungen ungeahnten Ausmaßes statt …»

Genießen Sie den Satz, lassen Sie ihn auf der Zunge zergehen, und dann denken Sie kurz darüber nach, was Thomas Bernhard zu dem Ding eingefallen wäre.

Eben.

Ich bin quotengeil

Irgendwann entdeckte ich, dass es eine Webstastik für die Zugriffe auf den Blog gab. Dies veränderte mein Leben. Es war die Bestätigung, dass ich gelesen wurde, wie es so schön heißt. Ich möchte natürlich gelesen werden, auch wenn es mir kurzfristig nichts bringt. Mittelfristig vermutlich auch nicht, und längerfristig noch weniger, da ich auf dem langen Weg zu Ruhm, Reichtum und Ehre vermutlich alle so langweile wie eine Folge von «Wetten dass?», in der Tommy seine Gichtgriffel auf dem Knie von Sarah Palin parkt. Schlechter Vergleich. Das wäre interessant.

Wie auch immer. Es bereitet mir Genugtuung die kleine Lesergemeinde stetig wachsen zu sehen. Pardon: bereitete mit Genugtuung, Perfekt, denn die Gemeinde ist von einem Tag auf den anderen um dreiviertel geschrumpft. Keine Ahnung warum. Es ist traurig. Vielleicht stimmt was mit dem Webstat nicht. Aber ich fühle mich wie ein Clown in der Manege, geblendet und blind vom Scheinwerferlicht, aber doch fühlend, dass die Menge, die sonst über seine klugen Späße lacht, arg dezimiert ist, als wüte draußen ein Krieg dem alle nach und nach zum Opfer fallen. Und so ist es auch. Es ist der Quotenkrieg.

Vorher hat es mir Freude bereitet die Besucherzahlen klettern zu sehen. Täglich, stündlich. Jetzt, seit einigen Tagen, nur noch Absacken, seit ich mit dieser «Sonnensache» angefangen habe.

Werde vermutlich eine Nachtserie nachschieben, eine serie noir. Ich werde kämpfen. Um jeden einzeln Leser. Zieht schon mal eure Suspensorien an, ihre malzigen Konkurrenten, und achtet ja auf eure Deckung, den rechten Ellenbogen immer schön am Körper führen, denn mein Leberhaken, der tut richtig weh…

Wenn die Sonne scheint … Teil V

Als ich in die Blechturmgasse einbiege, greift mich die Sonne frontal an, tief und geduckt, ein gleißender Morgenstern, und ich kann nicht umhin, die Augen zu senken. Welch Demütigung! Aber damit nicht genug: Sie zwingt mich die Straßenseite zu wechseln, rüber in den Schutz des dünnen Schattenstreifens, und mit einem Mal verstehe ich Lurche, Salamander, Grufties und Vampire; ich will mit ihnen zusammen in feuchten dunklen Höhlen und Särgen leben. Die Sonne soll «scheißen gehn», bitteschön, und ich denke mit Ingrimm an die menschlichen Idioten die diese Zumutung auch noch anbeten, und mit Verachtung gedenke ich jener zeitgenössischen Schattenparker und Coelho-Bücher-Verschenker, die einem bei jeder Gegelegenheit mit ihrem Wunsch nach Südsee und Wärme in den Ohren liegen. Haut’s endlich ab! Und kommt wieder, wenn ihr auf Kosten der Allgemeinheit euren Hautkrebs behandeln wollt oder vertschüsst euch auf die Donauinsel, auf der – und da geh ich jede Wette ein – schon die ersten Irren in den Liegestühlen, das Alupapier unters Kinn drapiert, wie geisteskranke Insassen eines Freilufthospiz›, ihrem Krebstod entgegen dämmern.

Sei’s drum. Idioten fallen wohl nicht ins Gewicht. Dafür las ich den mehr als wunderbaren Anfang des Tagebuchs des Malers Delacroix: » Nun setze ich meinen so oft gefassten Plan, ein Tagebuch zu führen, in die Tat um. Es ist mein glühendster Wunsch, nicht zu vergessen, dass ich nur für mich selber schreibe. So werde ich, wie ich hoffe, stets die Wahrheit sagen und mich dadurch bessern …»

Oh, Mann, oh Mann! Ein wahres Wunder!

Wenn die Sonne scheint … Teil lV.

Heute scheint nicht nur die Sonne, sondern es weht auch ein warmer, wilder Wind und rüttelt an den Fenstern des Altbaus. Ich hasse ihn aus ganzem Herzen. Erinnerungen an 3 Wochen Mistral in Südfrankreich werden wieder lebendig, 504 Stunden unablässiges Gewehe, nicht eine Millisekunde Pause, bis ich mich draußen ins matschige Frühlingsgras kniete und ihn um Gnade anflehte. (Schätze mal, meine Nachbarn haben es nicht gesehen. Und wenn schon…) Hat natürlich nichts genutzt. Er machte weiter und weiter und ich erhöhte die Amphetamin und Champagner Dosis. Das geschah ihm nur recht.

Nun gut, es scheint also die Sonne, und es ist warm. Wie in Ägypten, beinahe. Und wie den Wind, habe ich bereits die Berichterstattung über die Ereignisse satt. Dieses feige Bangen und Hoffen und dieses Gerede über Sicherheit und Demokratie und Muslimbrüder und Schuld und Sühne; und all die Unken die unter ihren warmen Steinen hervorkriechen und den «Westen» beschuldigen, und er müsse jetzt und blablabla… Ja, wir sind schuldig. Man macht sich im Laufe seines Lebens schuldig. Das ist nun mal nicht zu ändern, ihr Strunzklöten! Aber niemand weiß, was dabei rauskommen wird. Nicht die Schuldigen, und auch nicht die, die immer irgendwie unschuldig sind, und es auch bleiben wollen. Das kann ganz schön blutig werden.

Und wie auf Kommando verfärbt sich der Abendhimmel, und die Jets schmieren blutrote Zuckerwatteschlieren auf das Kobaltblau. Und dann kommt erst mal die Nacht.

Wenn die Sonne scheint… Teil lll.

Heute morgen scheint wieder die Sonne in einem milchigen Himmel, und die Gehsteige zum Geisteszentrum sind vereist, mehr noch, sie sind spiegelglatt, und ich tappe in kleinen Georg Foreman Schrittchen darüber hinweg, derweil der Berufsverkehr an mir vorbeitost. Ich kann nicht umhin, mir vorzustellen wie es wäre, wenn ich jetzt ausrutschen und unter die gewaltigen Räder des 13A geriete, und dieser mächtige Pneu mir den allerletzten Atem aus meiner Brust pressen würde. Ich tappe noch ein wenig täppischer. Dann, während des Tappens, fiel mir der Beatpoet Jack Micheline ein, der 1998 in einem U-Bahnzug in San Francisco verschied. An einem Herzinfarkt. Blutjung. Noch nicht mal siebzig. Und während ich noch überlegte, warum mir das ausgerechnet jetzt einfiel, hatte ich schon das Geisteszentrum erreicht, ging rein, betrat die Garderobe und sah, dass mächtig was los war. Ja, ja, es ist Jahresanfang. Die vielen nigelnagelneuen Vorhängeschlösser waren die Vorsätze die den Weg zur Hölle pflastern, jene guten Vorsätze nämlich, die diese Karteileichen in Spe in ihren Silvesterjuxräuschchen gefasst hatten. Aber das wird sich legen. In zwei Monaten sind wir wieder unter uns.

Und wie immer wenn ich die Garderobe betrete, ändert sich auch die Körperwahrnehmung, meine eigene und auch die der anderen, und aus dem Dicken wird der Starke, und dies ist ein gutes Gefühl.

Und dann fiel mir auf, dass die Kopftücher aus dem Laden verschwunden sind, und mit ihnen die finsteren Macker, die darüber wachten, dass diese Kopftücher ja nicht verrutschten. Grotesk. Sie erschienen mir wie Typen, die in einer Rubensausstellung die krakeligen BIlder ihres Volksschulkurses für Kreidezeichnungen bewachten. Halleluja. Nein, dies waren keine Ägypter. Ich kenne viele Ägypter. Die haben Humor.

Ich kann nur hoffen, dass sie ihn nicht verlieren.

Wenn die Sonne scheint… Teil ll.

Nach dem schönen Filmregen in Los Angeles konnte ich es nicht gut sein lassen, und knipste mich in den Literaturclub im Schweizer Fernsehen ein. Frau Radisch managt das Ding am Stehpult, und versucht ein bisschen Reich-Ranickische Leidenschaft aufflammen zu lassen, denn Hänsel und Gretel der Literaturkritik alias Traudl Bünger und Stefan Zweifel, sind nicht Hellmuth Karasek und Sigrid Löffler, was weiter nicht schlimm wäre, aber vielleicht sollte da doch die eine oder andere Bloody Mary gereicht werden, denn schon fiel der Satz: «Das muss ich nicht mehr lesen. Wie Bukowski, den ich las als ich noch klein war.» Das kam von Hänsel. Ich versuchte mir das bildlich vorzustellen. Das unerbittliche Knabengesicht Zweifels noch kleiner, aber es war zugegebenermaßen schwer, und als es mir fast gelungen wäre, hob ein Schauspieler mit schmuckem Doppelnamen zu lesen an. Essig, dachte ich nur, und lauschte einer Textpassage aus einem vergessenen Simenon Roman, die etwas langfädig rüberkam, da der Mime mit dem sehr langen und äußerst interessanten Doppelnamen genau so las, wie Gelegenheitsbelletristen sich eine gelungene Textentäußerung vorstellen: Belegte Stimme und wahnsinnig viele bedeutsame Pausen, in denen man Gelegenheit findet, das Gehörte wieder zu vergessen.

Nun, ich hörte dann allen noch eine Weile zu, und dachte: Das ist also die Literatur. Tja. Zum Glück hab ich damit nichts zu schaffen, aber war schön, wieder mal reingeschaut zu haben.

Morgen soll wieder die Sonne scheinen, sagte die sagenhaft gutausehende Wetterfee in ihren fabelhaft gefährlichen Stillettos. Vielleicht sollte die mal den Literaturclub machen?

Wenn die Sonne scheint

Heute scheint die Sonne, und gestern tat sie’s nicht, schon viele Tage nicht, und ich dachte, macht doch nichts, dann bleibts halt so grau und man sieht den Kahlenberg nie wieder, und überhaupt, nie mehr weiter als 100 Meter, ist doch blunzen, schließlich ist Winter und die Sonne macht mich immer ein wenig melancholisch, weil ich dann an das Licht im Appenzeller-Land denke, und dies ist so formidabel, dass mir bereits die Vorstellung davon einen kleinen Stich versetzt, und ich mich rückhaltlos frage, warum in drei Teufels Namen ich eigentlich in dieser Stadt lebe. Aber die Antworten sind so vielfältig wie die Gründe, warum ich fast alle zugeschickten Manuskripte ablehne. Und wenn hier wieder mal die Sonne scheint, ist es vielleicht ähnlich wie in Los Angeles wenn’s dort regnet; und gestern tat es dies in einem Film, und ich mag Filme über Los Angeles wenn es regnet, denn dann denke ich an Raymond Chandler, John Fante und Charles Bukowski, und das, werte Leser, das tut einfach nur gut…

Mein Leser, Frau Jelinek und ich

Ich habe einen Leser. Manchmal begegnen wir uns zufällig auf der Straße. «Wieder was Neues in Arbeit?», fragt er dann, und ich sage ihm, was momentan gerade so anliegt. Wenn es was Neues gibt erwirbt er das Buch, und sagt mir später, dass er es gelesen hat. Ich glaube, er glaubt, dass er mein einziger Leser ist. Knapp daneben.

Heute sagte er etwas über Elfriede Jelinek, von der gerade ein neues Stück in München uraufgeführt wird, «in Deutschland!» wie mein Leser lautstark bemerkte. Und dass sie wieder einen Haufen Preise erhalten habe und so weiter. Es ist nicht schwer zu erraten, er mag Elfriede Jelinek nicht. Ich hingegen habe einiges für sie übrig. Obschon ich ihre Bücher nicht lese. Nur mal so ein bisschen. Aber ich bin froh, irgendwie, dass es sie gibt. Das neue Stück geht (auch) um ihre Jugend, die ein Horror war. Aber ein richtiger. Ich stelle mir vor, wie es für sie war, und es ist richtig schlimm. Meine Jugend war überhaupt kein Horror. «Deswegen hat sie den Nobelpreis gekriegt, und du nicht», sagt Henk dann immer. Aber ich, und auch Frau Jelinek, wissen, was wichtiger ist.

Mein Leser wollte richtig vom Leder ziehen, aber ich ließ ihn nicht. Er sagte dann: «Da les ich doch lieber ihre Bücher.»

Interessant ist, dass ich manchmal ganz ähnlich Dinge bermerke und so heftig beschreibe wie meine Kollegin. Aber das scheint ihn nicht zu kümmern. Es geht nicht um den Inhalt, sondern um die Form. Wenn Frau Jelinek und ich völlig idente Texte schrieben, dann würden sich viele über ihren erzürnen, während sie mir vielleicht auf die Schulter klopfen würden. «Passt!», würden sie sagen.

Aber das hat mir schon mal ein ehemaliger Freund verraten: «Solange du hier unbekannt und arm bist, kannst du dir alles erlauben. Aber dann trachten sie nur noch danach, dich fertig zu machen.»